16.4.13

Alte-Leute-Medium

In Abwandlung eines Ausspruches von Don Tapscott lässt sich schon heute sagen:
Facebook is a former mainstream network good for sending birthday greetings to your friends' parents.
Schon im August 2011 schrieb ich ja etwas zu reißerisch, dass ich auf Dauer Facebook keine Chance einräume. Die Gründe mögen fragwürdig sein und gelten heute teilweise nicht mehr so richtig - meine Einschätzung, was die Verschmelzung der Betriebssysteme angeht, stimmt so nicht. Aber dass sich Facebook zu einem Alte-Leute-Medium entwickelt, ist unübersehbar. Und das ist schlecht (für Facebook und die Kommunikatorinnen, die sich langsam endlich daran gewöhnt haben, Facebook ernst zu nehmen, teilweise noch als Jugendplattform lustigerweise, aber das ist beinahe schon eine andere Geschichte).

Die Zeichen mehren sich in fast allen Märkten, dass die nächste Generation sich nicht mehr zu 110% bei Facebook anmelden wird. Und dass schon jetzt ein signifikanter Teil der Jugendlichen, auch der älteren Jugendlichen, Facebook anders nutzt als wir uns das mal so vorgestellt haben.
Die Zahlen von zurückgehendem Wachstum in der sehr jungen Zielgruppe gepaart mit meiner Privatempirie legen mir nahe, dass es jetzt an der Zeit ist, die Augen offen zu halten.

Facebook hat aus meiner Sicht zwei offene Flanken, die sie nicht schließen können. Und nicht schließen werden. Dass sie strategisch auch in eine andere Richtung laufen als diese Flanken zu schließen, zeigt Facebook Home. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

1. Facebook ist elternverseucht
Wenn inzwischen mehr als die Hälfte der Eltern von Jugendlichen, die auf Facebook sind, dort auch rumturnen, ist das eher übel für dessen Reputation. Ja, noch nutzen sie massiv vor den Augen ihrer Eltern verborgene Funktionen wie Gruppen und Chat. Aber das wird zurück gehen, wenn das Posing für sie nicht mehr attraktiv ist auf diesem Netzwerk. Und das ist es schon jetzt immer weniger. Die starken Wachstumsraten von Twitter (auch in Deutschland jetzt erstmals, fast nur unter Jugendlichen) und Instagram (was mich weniger überrascht hat) sprechen dafür, dass sie ausweichen auf Netzwerke, in denen bisher nur wenige Erwachsene sind. Oder gleich ganz andere Dinge ausprobieren - ich bin beispielsweise sehr gespannt auf Wachstumsraten von SnapChat, vor allem, wo sie jetzt auch für das bei Jugendlichen sehr beliebte Android verfügbar sind (und ich halte SnapChat für tatsächlich sehr interessant, vor allem das Privatsphärekonzept, das daraus spricht). 
Warum sollten Jugendliche auf Dauer ein Netzwerk nutzen, auf dem die Eltern sind? Wenn, dann werden sie es so "sauber" nutzen wie wir Xing oder LinkedIn.
2. Sollbruchstelle Ausweisstelle
Die Funktion von Facebook, die de-facto-Ausweisstelle des Internet zu sein, trägt viel zu seinem aktuellen Erfolg und Sog, vor allem unter Erwachsenen, bei. Aber sie ist zugleich der Punkt, an dem sich die nächste Generation abwenden wird. Zunächst nur einige Subgruppen, die besonders stark auf Abgrenzung setzen, so wie es in linken Szenen lange schon große Facebook-Aversionen gibt. Und nach und nach weitere. Je mehr Facebook faktisch zu einem Silo wird, egal wie sehr sie den AOL-Fehler zu vermeiden suchen, desto schneller werden sich nachwachsende Gruppen abwenden.
Ich glaube nicht, dass sich Tertius, der jetzt 11 Jahre alt ist und sich sehr für Onlinenetze interessiert und für den selbstverständlich YouTube der First Screen ist, noch bei Facebook anmelden wird. Und wenn, dann nur, um es so zu nutzen, wie meine großen Kinder E-Mail: Als Notfallequipment, um mit Erwachsenen kommunizieren zu können.

Zeit, umzudenken.

Ceterum Censeo: Wer glaubt, mit Facebook Jugendliche zu erreichen, schreibt denen wohl auch noch SMS.

Edit 17.4.
Sozusagen als Fortsetzung ist hier der Beitrag über die am gleichen Tag veröffentlichte scheinbar dem hier widersprechende Studie des mpfs mit uralten Zahlen von vor einem Jahr.

8 Kommentare:

  1. Joaaa interessant. Da ist viel wahres dran glaube ich. Bei meiner Recherche zu einer Vortragsreihe in der Schweiz wurde das bestätigt. Dort sind die Zahlen bei den u 15 Jährigen konstant rückläufig seit einiger Zeit (Quelle: http://bit.ly/ZurBGE)

    Ich habe das mal (nicht repräsentativ) mit dem Auditorium und in meinem persönlichen Umfeld von Schweizer Verwandten gecrowdsourced und bekam die Antwort, dass A. Lehrer von Facebook abraten wg. datenschutzrechtlicher Themen und weil'S sich schlecht auf die Karriere auswirken soll (Drunken-Pics) und B. weil für viele Jugendliche WhatsApp und eine schweizer Fotocommunity für Partybilder völlig ausreichend sind. Sie brauchen das ganze gelike bei FB schlicht (noch) nicht.a

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  2. "Elternverseucht" ist genau richtig. Meine Tochter will nicht mit mir auf FB befreundet sein. Ich kann es sogar verstehen, wir hätten früher unsere Kommunikation auch nicht freiwillig vor den Eltern ausgebreitet. Noch lässt sich ihre und meine Welt vielleicht durch Nicht-befreundet-sein trennen, aber auf Dauer wird es den Kindern an Abgrenzung nicht reichen.

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  3. facebook hat instagram ja auch nicht zum spaß gekauft. das ging damals schon m.e. nur begrenzt um "mobile", sondern um "teens" (und deshalb am ende natürlich doch auch wieder um mobile). fragt sich, ob so eine akquisestrategie langfristig wirkt und ob die kernmarke davon überhaupt profitieren kann ...

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    1. Ja, dass Instagram tendenziell ein Schnäppchen war, sage ich auch immer wieder jeder, die es nicht hören will, ungefragt. Da hatte jemand den richtigen Riecher.

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  4. Bei meinen Söhnen und bei meinen Studis ist Facebook immer noch angesagt. Aber die Klasse meines jüngsten Sohns (18) kommuniziert über eine whatsapp-Gruppe. - Was ich mir schwervorstellen kann: dass Twitter zu so einer Art Standard-Geschichte bei Jüngeren wird. Dazu kommt es mir auch zu erwachsen und mainstreamig vor. Ich denke, interessanter sind eher die geschlosseneren Angebote, bei denen man unter sich ist.

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  5. Ina Gliemann16.4.13

    Umdenken wohin?

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    1. erstmal: von wo, finde ich. Also von "Facebook ist voll cool, wenn ich junge Leute erreichen will" zu "Facebook geht echt gut, wenn ich Erwachsene ab 30 erreichen will". Und dann die Augen auf zu halten, was als nächstes kommt, ein paar Hinweise, wo ich zurzeit Bewegung sehe, schrieb ich ja rein in den post.

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  6. Maryanne6117.4.13

    Also ersmal möchte ich klarstellen, dass Eltern auch das Recht haben, sich in einem Netzwerk anzumelden. Ich sehe in Facebook auch so etwas wie Familiennetzwerk. Mit Familienmtgliedern, die weiter weg wohnen, in Verbindung treten, egal, welchen Alters. Sogar eine Tante meines Mannes, über 70, ist online. Ihre Kinder und Enkel. Auch meine Kinder sind auf FB. Keiner hat das Gefühl, vom andern ausspioniert zu werden, obwohl wir ALLE jeden auf der Freundesliste haben. Schließlich kann man sich ja richten, wer was sehen darf. Ich werde da auch meinen Kids nichts dreinreden. Dann gibt es ja auch noch die geschlossenen Gruppen, in denen sich die jungen auch zusammenschließen können. Ich finde, FB ist gar nicht so schlecht, wie es oftmals hingestellt wird.
    Jeder ist selber dafür verantworlich, was er veröffentlicht, wer das sehen kann. Und wenn manch einer übersieht, eine Einladung nur an einen bestimmten Personenkreis zu verschicken, sondern sie gleich öffentlich stellt, darf sich nicht wundern, wenn er überrannt wird.

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