11.8.11

Einfache Lösungen für komplexe Probleme sind immer falsch. Per definitionem

Seit ein paar Tagen ist ein längerer Artikel aus dem Tagesanzeiger Diskussionsstoff im politischen Teil meines Umfeldes. Und er lohnt sich tatsächlich, nicht nur in historischer Perspektive, sondern auch, um ihn zu einem Ausgangspunkt eigener Überlegungen zu machen. Unter der Überschrift Der rechte Abschied von der Politik zeichnet Constantin Seibt eine Entwicklung nach, die uns in Deutschland etwas fremd ist, weil wir - anders als die USA mit der Tea Party und Großbritannien mit den Torys - keine (in seinen Worten) "revolutionäre Rechte" haben, die bisher massive Wirkung entfalten konnte. Sondern bei uns ist dieser revolutionäre Politikansatz in seiner radikalen Form in der um die 5% pendelnden FDP eingehegt ist, in CDU (und mit Abstrichen Grünen und SPD) sind es nur kleine radikale Minderheiten, die von diesem Virus infiziert wurden.

Es lohnt sich, die Analyse von Seibt zu lesen, weil er seine Schlussfolgerungen ausführlich herleitet, die da sind:
Die neue Rechte wird aus der Krise gestärkt hervorgehen: Sie werden gewählt und befeuert von der Angst und dem Hass der Verlierer, die ihre Politik schafft. Es bleibt kein Weg, die neurechte Wir-oder-Ihr-Position zu vermeiden. Es wird ein langer, harter, zäher, frucht- und freudloser Kampf.
Das was sich tun lässt, ist den Kopf dabei nicht zu verlieren. Genau hinzusehen und das allgemeine Gerede nicht einfach zu kopieren. Wie nie zuvor regiert die Ökonomie die Welt und ihre Entscheidungen. Und trotzdem besteht sie fast nur aus Jargon. Wenn verhandelt wird, dann fast nur in Schlagworten, die als Universalrezepte verstanden werden. Meist fällt, irgendwie verlängert, der Jahrhundertsatz, den einst Margaret Thatcher erfand: «There is no alternative!»
Das ist Lüge: Ökonomie ist keine Wissenschaft, sie ist eine Kunst. Wer hinsieht, weiss: Es gibt keine Situation ohne Alternativen. Und damit beginnt jede Politik. Es ist Zeit, die selbstverschuldete ökonomische Unmündigkeit hinter sich zu lassen.
... Es lohnt sich, gegen die neue Rechte anzutreten: Sie sind keine konservative Partei, sondern eine revolutionäre. Sie sind eine Gefahr für die Wirtschaft. Sie sind Totengräber der Mittelklasse. Und Verbündete einer neuen Oligarchie des Geldes. Sie sind die Feinde der Zivilisation.
Nur was ist zu tun?

Wenn es in Spanien, Frankreich, England sehr unterschiedliche aber doch Aufstände gibt? Wenn zunehmende Gruppen in zerfallenden Gesellschaften, die in den letzten 20 Jahren von der revolutionären Rechten umgebaut wurden, einen anderen Weg als den der Resignation gehen? Wenn diejenigen, die erleben, dass genau die Wege, zu denen die Staatsmacht, die Eliten und Medien sie auffordern (friedliche Proteste), eben nicht dazu führen, dass ihnen zugehört wird, den neurechten Jargon von der Alternativlosigkeit aufgreifen und nutzen. Wer keine Perspektive sieht, für den ist die "Härte des Gesetzes" keine Abschreckung.

Das heißt nicht, dass ich Sympathie oder Verständnis für die Aufstände habe. Das heißt aber, dass ich nicht sehe, wie mit dem bisherigen Politikmodell, das überwiegend im neurechten Jargon gefangen ist (denn auch bei denen, die nicht rechts sind, ist angeblich alternativlose Simplizität en vogue), Aufstände verhindert werden sollen.

Ich denke, dass der Kampf um die Zukunft aktuell zwischen denen geführt wird, die von der Simplifizierung profitieren und sie strategisch im nahezu gramschischen Sinne einsetzen - und denen, die sich genau dieser Simplifizierung widersetzen. Es ist das Wesen revolutionärer (und meiner Meinung nach auch nur revolutionärer) Politikkonzepte, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu haben. Das macht den Charme revolutionärer Ideen ja auch gerade aus.

Falls sich die bürgerlichen Teile der Gesellschaft im ersten Schritt darauf einigen könnten, dass einfache Lösungen für komplexe Probleme immer falsch sind, wäre schon viel gewonnen. Da bin ich übrigens nicht ohne Hoffnung. Dass die FDP in den letzten Monaten hier bei uns in Deutschland so abgeschmiert ist, hängt meines Erachtens genau damit zusammen - dass Menschen ihr das Simplifizierungskonzept nicht mehr abnehmen (und genau wie die FDP, nur um mal die Einwände gleich mit aufzunehmen, ist auch die revolutionäre Rechte in den USA ja nicht traditionell rechts im europäischen Sinne, sondern hat durchaus libertäre Bestandteile, die wir in Europa traditionell liberal nennen). Auch dass Gerhard Schröder damals mit seinem Simplifizierungskonzept so krachend gescheitert ist, war ein gutes Signal. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es in Deutschland eben noch keine Aufstände gibt bisher.

Vielleicht läuft die Linie, an der sich Zerfall oder Integration der Gesellschaft entscheiden wird, tatsächlich entlang der Simplifizierungsfrage. Denn die Simplifizierung der Politik (das zeigt der historische Abriss in Seibts Artikel schön) führt(e) in die Probleme, schuf sie also, auf die vor allem die Opfer dieser Politik mit dem Wunsch nach simplen Antworten reagieren. Ein Wiederlesen von Marcuses eindimensionalem Mensch sei denen empfohlen, die dieser Analyse nicht trauen. Und die Alternative wird dann wohl sein, keine (simplen) Antworten zu geben, sondern sich der Mühe des Prozesses und der "agilen" Antwortfindung zu unterziehen.

Ich will nicht ausschließen, dass ich selbst Opfer des rote-Auto-Syndorms bin. Aber mir scheint, dass es ein weiteres Argument für meine Idee der Volkspartei neuen Typs ist, die ein agiles Politikkonzept hat und Veränderungen moderiert und managet - anstatt auf einfache Antworten zu setzen und damit die Simplifizierung der Politik fortzuschreiben.

Vielleicht ist es schon zu spät und auch wir werden - beispielsweise wenn die Simplifizierer der FDP und die simplifizierenden, also radikalen Teile der CDU auch in 12 Monaten noch (mit)regieren sollten - auch hier mit Aufständen werden leben lernen. Vielleicht aber haben wir eine Alternative. Und ist es nicht faszinierend, dass die Partei, in der dieser neue Politikansatz zumindest gerade diskutiert und an einzelnen Punkten ausprobiert wird, immer mit dem Adjektiv alternativ beschrieben wurde - und genau in dem Moment, da sie wirklich eine Alternative formuliert, dem medialen Vorwurf ausgesetzt ist, eben gerade keine Alternative mehr zu sein?

1 Kommentar:

  1. Anonym18.8.11

    Ich empfehle auch diesen Artikel:
    http://www.faz.net/artikel/C30923/erwin-teufel-ich-schweige-nicht-laenger-30476693.html

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