Nachdem ich mich seit Wochen oder eher Monaten darüber ärgere, wie die Partei, zu der ich gehöre, agiert, wie sich Kommunikation und Politik entwickeln, wie sehr mich meine Partei gerade verliert; und nachdem ich immer mehr Nachrichten von anderen Parteimitgliedern bekomme, denen es auch so geht (und die mir schreiben, weil ich einer der wenigen bin, zumindest bei mir in der Gegend, die es laut sagen), fasse ich einmal zusammen (wie immer in einer Art Beta-Version, einer v0.8, unfertig, laut denkend, offen für Diskussionen), wo ich die Rolle der Grünen und wo ich laute und kraftvolle grüne Politik sehe für die nächsten Jahre. Ich weiß noch nicht, wie ich dafür in der Partei werben und kämpfen kann, ich weiß gerade nicht, wo sich diejenigen in der Partei vernetzen und treffen, die in diese Richtung denken – aber es einmal laut zu sagen, wo ich gerade stehe, kann ja vielleicht helfen, andere zu finden, mit denen sich zusammen loslaufen lässt.
Denn es ist Zeit für einen neuen grünen Populismus
Was fehlt: Eine andere populistische (also: einfache, kraftvolle, klare) Antwort auf die Verwerfungen der Gegenwart. Ein ökonomischer Populismus, der die Schuld für all das, was schlecht ist, nicht bei denen sucht, die einwandern oder Bürgergeld bekommen – sondern andere Schuldige anbietet. Ein Zukunftspopulismus, der die Welt nicht in den Untergang laufen sieht sondern in eine bessere Welt.
Es gibt Beispiele für diesen (ökonomischen) Populismus. In New York schickt sich ein eco populist an, Bürgermeister zu werden. In Griechenland und Spanien gab und gibt es ökonomisch populistische Parteien, die erfolgreich sind (und im Beispiel Spanien auch eine Regierung zu besserem Handeln beeinflussen). Und vor allem: in England und Wales, wo ein eco populist gerade die Führung der Grünen im Sturm erobert hat. Gerade Zack Polanski zeigt in Stil, Ton und Themen, wie es gehen kann. Sehr gut verdichtet in diesem Film:
How do we fix this mess?
— Zack Polanski (@zackpolanski.bsky.social) 16. September 2025 um 08:34
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Die Grünen sind am besten dafür geeignet, den populistischen Wahlerfolgen der rechten und rechtsextremen Parteien etwas entgegenzusetzen und denen, die nicht finden, dass dieses Land in einem guten Zustand ist (was die allermeisten sind), ein anderes Angebot zu machen – eines ohne Rassismus, ohne Sexismus, ohne Angst vor Minderheiten. Aber mit einer ganz ganz klaren Frontstellung gegenüber zwei Minderheiten: einerseits den 1%; und andererseits den von diesen 1% finanzierten und hofierten Rechtspopulist*innen.
Kraftvolle Politik
Analog zum Ansatz der englischen Grünen sollte ein deutscher grüner Populismus ebenso auf klare, harte, kontroverse, aber eben populäre Aussagen und Ansagen setzen. Denn ein ökonomischer Populismus steht auf der Seite der 99% und hat es nicht nötig, die eigene Gefolgschaft gegen andere Teile dieser 99% aufzuhetzen. Ein rechter Populismus muss dies tun, weil er die oberen 1% nicht anrühren will, da er von ihnen lebt und seine führenden Leute zu diesen 1% gehören. So wie beispielsweise der Bundeskanzler.
Dabei ist klar: Es wäre genug Geld da für den ökologischen Umbau des Landes, für eine auskömmliche Grundsicherung, für ein bezahlbares und leistungsfähiges Gesundheitssystem, für freien Nahverkehr, für eine leistungsfähige Bahn. Wenn nur die 1% ihren fairen Anteil leisten würden. Wenn Menschen wie Theo Müller oder Frank Gotthardt ihr Geld nicht in den Aufbau rassistischer Medien und rechtsextreme Politik investieren könnten, sondern herangezogen würden zur Finanzierung des Gemeinwesens. Wenn das Steuergeschenk der Dienstwagen abgeschafft würde, wäre genug Geld da für kostenfreien Nahverkehr. Und so weiter.
Die meisten Beispiele von ökonomisch populistischen Parteien und Bewegungen zeigen: Sie sind in der Lage, anderen Populist*innen Stimmen wegzunehmen. Die derjenigen Menschen, die kein gefestigt rechtsextremes Weltbild haben sondern beispielsweise den Rassismus nur hingenommen haben, weil sie eine Antwort auf ihre Fragen und ihre Kritik wollten.
Die Grünen haben die ideale Voraussetzung, die Menschen mitzunehmen
Von allen denkbaren Parteien, die eine ökonomisch populistische Antwort auf die radikale Krise unseres Landes geben können, sind die Grünen aus zwei Gründen am besten geeignet, durchzudringen:
Zum einen sind sie bereits Lieblingsgegnerin der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien von der CDU bis zu den Nazis und können daraus durch Schubumkehr massive Kraft und enorme Glaubwürdigkeit ziehen.
Und zum anderen können nur sie durch die klare Zuschreibung von Umwelt- und Klimaschutz als Markenkern aus einem ökonomischen Populismus eine klare und einfache Zukunftserzählung machen. Denn nur mit einem Optimismus, dass diese Welt für Menschen bewohnbar bleibt, wird Gerechtigkeit und ein gutes Leben für die 99% relevant.
Für die 99%. Gegen die 1%.
Die klare populistische Schuldzuweisung an die 1% ermöglicht eine völlig neue Politik. Denn die 99%, zu denen auch die obere Mittelschicht gehört, haben mehr gemeinsam als irgendwer von ihnen mit Elon Musk, Theo Müller, Susanne Klatten, Friedrich Merz, Jens Spahn, Matthias Döpfner oder Alice Weidel.
Die Botschaft ist einfach: dieses Land wäre in einem viel besseren Zustand, wenn die 1% ihren Beitrag leisten würden. Wir können uns die 1% in der Form, wie sie heute sind, nicht leisten. Und darum lassen sich die 99% nicht von den 1% auseinandertreiben. Es ist nicht nötig, nach denen zu treten, die du für schwächer hältst. Denn nicht sie sind schuld, dass es so schlimm um dieses Land steht, sondern die 1%.
Der Weg vor uns
Es gibt bei den Grünen Menschen, die zeigen, dass sie diesen Weg glaubwürdig gehen können. Allen voran sicher Ricarda Lang, die zumindest die halbe Strecke vor ihrer Zeit als Bundesvorsitzende gegangen war und auch jetzt wieder geht. Dass sie es als Vorsitzende nicht konnte, zeigt andererseits, wie weit wir noch kommen müssen, um zurück zu einer kraftvollen Politik zu finden. Zurzeit scheitert die Partei dabei immer wieder an sich selbst. Als Schleswig-Holsteiner sehe ich auch bei Aminata Touré und Lasse Petersdotter das Potenzial, dass sie diesen Weg anführen könnten.
Auch viele in der Grünen Jugend gehen diesen Weg. Der Tonfall, den Jette Nietzard dabei anschlägt, ist noch nicht der, mit dem wir es schaffen werden, die 99% gegen die 1% zu versammeln, aber die Richtung stimmt.
Zack Polanski in England und Wales ist einer, von dem wir super viel lernen können. Klar, kraftvoll, verständlich, zugespitzt – und dabei immer freundlich und zugewandt. Sehr anders als wir es hier bisher bei Populist*innen erleben. Das könnte, das sollte unser Weg sein. Lasst es uns versuchen.
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Warum denke ich, dass ich dazu was zu sagen habe? Zum einen, weil ich seit über 25 Jahren Parteimitglied bin und durch viele Höhen und Tiefen und Krisen mit der Partei gegangen bin. Und bei uns in der Partei die Mitglieder was zu sagen haben. Und zum anderen, weil ich in der letzten großen Krise der Partei, 2011, richtig lag mit meiner Einschätzung, wo es hingehen sollte, das habe ich damals "grüne Volkspartei" genannt und hier im Blog aufgeschrieben - und es ist einige Zeit später so gekommen. Vielleicht habe ich also auch einen halbwegs guten Riecher für so was.
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