25.6.13

Terrorsprache

Seit ich das erste Mal in Victor Klemperers großartiges Büchlein LTI (Lingua Tertii Imperii) hineingelesen habe, ist mir die Ideologiekritik durch Sprache wichtig. Ich kann nicht mehr sprechen oder schreiben, ohne mir über die Konnotationen von Wörtern Gedanken zu machen. Vor etwa zwei Jahren hatte ich dazu schon mal geschrieben, damals anhand des Beispiels der neurechten Kampfbegriffe Gutmensch und Wutbürger.

Etwas, das mich immer sehr ärgert, weil es meiner Meinung nach intellektuell unredlich ist, sind Behauptungen wie "das habe ich nicht so gemeint" oder "also das ist nicht die Ecke in die ich damit gestellt werden will", wenn jemand Worte oder auch nur Wörter verwendet, die als Argumentationsersatz dienen. Weil in ihnen ein Wertesystem mitschwingt, das eine Autorin nicht "abstellen" kann, wenn sie diese Wörter verwendet. Dieses zu bestreiten, halte ich entweder für naiv. Oder für ideologisch. Perfiderweise, so meine Erfahrung, findet dieses Bestreiten (oder das Verwenden von ideologischen Argumentationsersatzwörtern) dann oft in Kontexten statt, die von sich selbst behaupten, Ideologie überwinden zu wollen.

Perfiderweise - aber nicht überraschenderweise. Denn so wie es zur klassischen deutschen Festrede rhetorisch dazu gehört, zu betonen, keine klassische deutsche Festrede zu halten, so schrillen bei mir alle Alarmglocken, wenn jemand die Behauptung aufstellt, sie wolle jetzt einmal versuchen, eine ideologische Debatte zu versachlichen o.ä. Denn das Problem an diesem - auch wieder - Argumentationsersatz ist, dass zunächst einmal bei anderen eine Ideologie behauptet wird, sie aber nicht benannt oder mit den Methoden der Ideologiekritik entlarvt wird. Was oft daran liegt, dass bei den Gegnerinnen zwar eine Ideologie behauptet wird, es aber zweifelhaft ist, ob es die wirklich gibt.

Mein Eindruck ist eher, dass  - ähnlich wie bei Kristina Schröder oder bei radikalen Christinnen - anstelle einer intellektuell anspruchsvollen Auseinandersetzung eine Gegnerin zu einem Popanz aufgebaut werden muss, um sich davon abheben zu können. Allerschönstes "Bild"-Niveau: "Klartext", "man wird ja wohl noch mal sagen dürfen" etc.

Wichtigste Kennzeichen einer solchen ideologisierten Scheinargumentation sind nach meiner Erfahrung vor allem Formulierungen wie eben dieses "man wird ja wohl noch mal sagen dürfen" oder "wer dagegen spricht, wird sofort mundtot gemacht" oder die Erwähnung von "politischer Korrektheit". Ich kann nachvollziehen, wenn jemand so in einer (mündlichen) politischen Auseinandersetzung spricht - denn es funktioniert und appelliert erfolgreich an die niederen Instinkte einer Menge rechts von der Mitte. Aber damit endet auch schon der Sinn solcher Formulierungen: mit der Selbstvergewisserung und Selbstverortung im "rechten Mainstream".
"Rechts" hier in Ermangelung eines besseren Wortes verwendet als veralteter Gattungsbegriff neoliberaler, konservativer, reaktionärer und neurechter Ansätze, die sich untereinander selbstverständlich sehr unterscheiden. Durch das Wort "Mainstream" versuche ich die Abgrenzung dieser Gattung vom Rechtsextremismus.

Wofür sie nicht taugen, ist der Diskurs. Gerade weil mir Ideologiekritik so wichtig ist, habe ich keine Lust mehr, mich mit ideologischem Argumentationsersatz zu beschäftigen. Das mag arrogant sein und dazu führen, dass ich mich aus einem Teil der Diskursversuche unserer Zeit verabschieden muss. Aber ich bin es einfach müde, seit rund 30 Jahren immer und immer wieder die gleichen Diskussionen zu führen (na, kommt das irgendwem bekannt vor? Ja, das ist das gleiche Argument, mit dem ich mich aus der Auseinandersetzung um Feminismus und Sexismus verabschiedet habe).

Vielleicht muss jede Generation erneut ihre Kämpfe führen. Aber ich bin dafür zurzeit zu müde. Und ich kenne und schätze genügend Menschen, mit denen ich leben und sprechen und (politisch) arbeiten kann, mit denen ich das nicht jedes Mal neu auskämpfen muss. Es ist für einen Christen vielleicht allzu resignativ. Aber so ist es nun mal. Ich habe genug damit zu tun, meine Kinder und die Menschen, die mir wichtig sind, zu begleiten und mit ihnen gemeinsam ein lebenswerte Welt zu gestalten.

Vielleicht ist es der Tatsache geschuldet, dass ich seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts so viele glückliche Menschen kennen lernen durfte, die irgendwann aus den ideologischen Kämpfen ausgestiegen sind und praktisch gezeigt haben, dass sie eine lebenswerte Welt gestalten können. Dass sie die Welt verändern durch Handeln und Reden. Oft sogar mehr, als es den Anschein hat. Von denen werde ich mehr erzählen. Von denen werde ich mich mehr inspirieren lassen.

Und aus jedes Diskussion mit Argumentationsersatz aussteigen. Und die Lektüre von Texten abbrechen, wenn sie in sprachlichen Anschluss an die Ideologie des rechten Mainstream suchen. Dadurch wird mir etwas entgehen, mit Sicherheit. Und ich gebe vielleicht ein bisschen auf, zumindest gebe ich einige Menschen auf. Das schmerzt mich. Aber ich kann nicht die ganze Welt bauen.

6 Kommentare:

  1. Eine Frage habe ich, bei aller Zustimmung: Wieso ist der "Wutbürger" ein neurechter Kampfbegriff? Habe ich da was versäumt?

    Nee, wirklich, ich habe das nie so gesehen; anders beim Gutmenschen, der nicht nur ein neurechter Kampfbegriff ist, sondern schon ein paar Jahrzehnte in altrechte Zeiten zurückgeht.

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    1. Hm. Ich denke, dass das Wort bürgerschaftliches Engagement an sich ins Lächerliche zieht. Und das ist für mich ein typisches Kennzeichen neurechter Kampfbegriffe. Das heißt nicht, dass ich jedes Anliegen derer, die als "Wutbürger" beschimpft werden, teile. Oder gar gut fände, wenn die sich durchsetzen.

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  2. Das finde ich gleichermaßen verständlich wie schade - Letzteres gerade weil ich es bei den genannten Beispielen Feminismus und Sexismus immer so wichtig und ermutigend finde, wenn Männer sich zu diesen Themen auf eine Weise wie hier im Blog äußern. Aber auf die Geschichten von denen, die ohne Ideologie eine lebenswerte Welt gestalten, freue ich mich!

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  3. Katja25.6.13

    Das kann ich gut verstehen, das hat ja auch was von Selbstfürsorge, wenn man sich nicht verbrennt. Und wir haben ja schriftliche Zeugnisse zu vielen Debatten von Dir, mit denen wir uns eine Weile über Wasser halten können...

    Und wenn es Dich irgendwann wieder packt, weil die Diskussion eine echte Umdrehung weiter ist - oder die Gesellschaft - dann freue ich mich darauf, tagesaktuelle Ideologiekritik von Dir zu lesen!

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  4. Halt, Stopp, nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich ziehe mich nicht aus den Themen zurück. Sondern beschäftige mich nur nicht mehr mit Texten etc, die einfach nur dumm/naiv/ideologisch sind. Anlass war ein intellektuell unredlicher und stilistische ideologischer Text, den ich heute früh anfing zu lesen - in der Süddeutschen Online, zur Feminismus-Frage.

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    1. Ah - na dann bin ich beruhigt. Den Artikel fand ich auch sehr ärgerlich und habe ihn aus dem Grund auch nicht zu Ende gelesen...

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