Ein Militärputsch ist nie gut. Das wisst ihr trotzdem noch, oder?Vielleicht liegt es daran, dass ich in einer Zeit aufwuchs, in der die Welt noch einfach schien und es gut und böse gab in meiner Filterblase. In der klar war, dass ein Militärputsch, sei es in Chile, in Argentinien, in Griechenland, in der Türkei und überall sonst schlecht sei. Zumal es in fast allen Fällen ja die Guten traf, die aus dem Amt geputscht wurden.
— Wolfgang Lünenbürger (@luebue) July 3, 2013
Dabei war es schon damals so, dass die Welt nicht so einfach war. Viele fanden beispielsweise den Putsch in Chile richtig, als Hilfe gegen den fortschreitenden Kommunismus. So wie heute wieder viele begeistert klatschen, wenn in Ägypten das Militär gegen einen anderen -ismus einschreitet, der durch demokratische Wahlen einen seiner Vertreter in das Präsidialamt gebracht hat. Ob es Islamismus ist? Ob Allende den Kommunismus eingeführt hat? Hängt wahrscheinlich wesentlich vom eigenen Standpunkt ab.
Wenn ich etwas in meinen Kämpfen der 80er und 90er gelernt habe, in denen ich mich unter anderem an einem Anführer einer von uns damals so empfundenen rechtsradikalen "Menschenrechts"gruppe abarbeitete, der heute sehr einflussreich ist und dauernd zwischen führenden Jobs im Journalismus und der PR hin und her wechselt (aber das ist eine andere Geschichte), dann dies: Während wir uns streiten können, ob etwas gut oder böse sei, ist eines unverhandelbar. Selbst wenn ich weiß, dass ich selbst niemals (jedenfalls kann ich mir beim besten Willen ein Szenario vorstellen, in dem es anders wäre) zu denen gehören werde, die davon tatsächlich politisch profitieren: In einer Demokratie herrscht Demokratie. Und wenn die Falschen von der Mehrheit gewählt werden, dann werde ich, wie bisher, protestieren. Und ich werde mich an der einen oder anderen Stelle verweigern. Aber - anders als ich persönlich noch in den frühen 90ern*: Ich werde nicht nach dem Militär rufen, dass sie mich in einer Revolution unterstützen.
Tatsächlich bin ich sehr unsicher, was die Situation in Ägypten oder der Türkei heute angeht (heute, am Tag des Militärputsches in Ägypten gegen den gewählten islamistischen Präsidenten). Ich fühle mich inhaltlich und politisch und menschlich und intellektuell den urbanen Prostestgruppen verbunden. Aber ich weiß auch, dass sie nicht die Mehrheit der Menschen in diesen Ländern darstellen. Herrschaft der Volkes oder Herrschaft einer urbanen, gebildeten Elite? Das antik-griechische Modell der Demokratie? Oder das neuzeitliche?
Kann es da wirklich eine Frage geben? Ist das wirklich romantisch? Oder idealistisch? Oder fehlt denen, die jetzt über einen Militärputsch jubeln, ihr Gedächtnis oder ihr (ethischer? politischer?) Kompass?
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* kleine, lustige Anekdote aus den frühen 90ern: Beim Vorbereitungstreffen zum Kirchentag habe ich als damaliger Bundesvorsitzender einer sozialistischen christlichen Vereinigung genau damit dafür argumentiert, in unserem Bereich auf dem Markt der Möglichkeiten auch Nicht-Pazifistinnen zuzulassen. Schließlich würden wir ggf. die Armee während der Revolution brauchen.
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