15.11.12

Nur östlich der Alster

Wenn ihr die Karte von Hamburg anguckt, gibt es oben rechts einen Zipfel. Wisst ihr, oder? Da ist der Duvenstedter Brook. Da bin ich als Jugendlicher immer hingefahren. Mit dem Rad an der U1 lang, wunderschöne Strecke, immer geradeaus bis Ohlstedt (in meinen besten Zeiten war das von der U-Bahn in Volksdorf rund 10 Minuten, ich kam quasi mit der U-Bahn gemeinsam an, ging aber nur in der Woche, wenn weniger Fußgängerinnen unterwegs waren). Im Unterstand Hirsche beobachten und knutschen. Denn ich bin in Volksdorfs armer Schwester aufgewachsen, weshalb ich alles so erlebt hab wie Tina Uebel, aber das sagte ich ja schon. In Meiendorf, nicht wirklich in den Walddörfern, aber gefühlt schon (und viel eher Walddörfer als Rahlstedt). Der Stadtteil, in dem wir heute wieder leben zur Kinderaufzucht, bis wir in zehn Jahren oder so richtig aufs Land gehen, nach Angeln oder Ostholstein oder so, Pferde am Haus, Badesee auch, wisst ihr Bescheid, wenn ihr was kennt und so.

Als Hamburgerin ziehst du nicht über die Elbe (logo, du willst ja nicht weg aus Hamburg) und nicht über die Alster (auch logo, denn der Westen ist irgendwie komisch). Und als Walddörferin gehst du da schon gar nicht weg. Nur einmal haben wir formal westlich der Alster gewohnt, aber das zählte nicht, denn Duvenstedt, das Dorf mit dem Brook, siehe oben, liegt zwar westlich der Alster, aber das stimmt nicht, denn gefühlt liegt es östlich. Und kulturell sowieso.

Überhaupt Duvenstedt, wo wir damals unser erstes eigenes Haus gebaut haben. Hamburgs fast kinderreichster Stadtteil (nach Jenfeld glaube ich). Damals schon mit einem Durschschnittsfamiliennettoeinkommen von rund 100k Euro, habe ich mal recherchiert als ich da im Kirchenvorstand war. Mit einem Freibad, zu dem wir einen Schlüssel hatten, wie alle im Dorf, weil wir gemeinsam in einem Verein das Bad betrieben. Wo eine der Familien, die damals da hinzogen, die tolle Eisdiele auf dem Hügel (heute am Kreisel) aufmachte, wo es diese tolle Schlemmertüte und eine Sorte namens Scrock gibt. Und wo wir mindestens einmal im Monat hinfahren, um Eis zu essen. Eine Kollegin, Julia, lachte mich aus, weil sie in Eimsbüttel wohnte. So weit draußen? Ist da was los? Und dann stellte sich raus, dass wir doppelt so viele nette Restaurants und Kneipen in Fußentfernung hatten wie sie, querab von der Osterstraße. Und heute ist da, kurz hinter Duvenstedt, auch noch der Laden, in dem Hamburgs zurzeit interessantester Koch kocht. Matthias Gfrörer in der Gutsküche in Wulksfelde, dem Biogut, wo ich damals, als ich fast ein Startup gegründet hätte, schon Räume am anmieten war.

Und dann wieder Meiendorf. Und es war ähnlich wie in Duvenstedt, wo mich am allermeisten wohl doch immer fasziniert hat, wer da alles mit wem verwandt war und zur Kinderaufzucht nach Hause zurück kam. In Meiendorf trafen wir dann auch viele Leute wieder, mit denen wir schon zur Schule gegangen waren. Inzwischen war ich auch alt genug, mich genau davor nicht mehr zu fürchten. Über Meiendorf hat ja mein sozusagen Nachbar Sven schon geschrieben, an dessen Wohnung ich jeden Tag vorbei fahre mit dem Rad, wenn ich zur U-Bahn rase, und über Rahlstedt meine sozusagen Nachbarin Frische Brise, die aber auch in Meiendorf wohnt, wenn man es genau nimmt. Meiendorf ist so ein Nichts-Stadtteil, getrennt durch ein Industriegebiet mit Metro und Globetrotterzentrale und einer insolventen Großdruckerei und einem japanischen Kugellagerhersteller. Und einer "Bezirkssporthalle". Und seit einiger Zeit einem Rasenplatz, den der größenwahnsinnige und missgemanagte örtliche Sportverein großspurig "Stadion" nennt.

Aber das allerbeste hier ist doch, dass es östlich der Alster ist, da, wo es schön ist, quasi in den Walddörfern. Direkt in Volksdorf. Nur 24 Minuten vom Hauptbahnhof. Und trotzdem mit der höchsten Lebensqualität, die sich in dieser Stadt denken lässt. Wunderbar gemischt von der Sozialstruktur - Ringstraße (eine der reichsten und vergreistesten Straßen der Stadt) und Wildschwanbrook (Großwohnsiedlung nach der Flutkatastrophe und mit einem riesigen Altersheim der Flutopferhinterbliebenenstiftung mittendrin) trennen 300m. Wohnungen der Bundeswehr, in denen während meiner Kindheit nur Soldatenfamilien lebten, direkt neben Eigentumswohnungen direkt neben einem Block, in dem fast ausschließlich Transferempfängerinnen in der dritten Generation wohnen. Und am anderen Ende eine Siedlung, der nur noch eine Schranke fehlt, um als gated community durchzugehen.

Aber außer zur U-Bahn und wenn ich nach Berne zum Fleischer fahre, bin ich eher in die andere Richtung unterwegs. Nach Stapelfeld, einmal quer durch das wunderbare Naturschutzgebiet Höltigbaum, wo die Armee ihre Deserteure erschoss, woran heute kaum noch einer denkt, zu meinen Pferden. Oder nach Volksdorf und weiter an der U-Bahn-Trasse in die Walddörfer. Und dass meine alte Freundin Isa (alt im Sinne von ewig her) nun gerade Pröpstin am Rockenhof in Volksdorf wurde, wozu ich sie schon vor zwanzig Jahren machen wollte, freut mich ja sowieso.




Sagte ich schon, wie gerne ich da wohne, am Rande der Walddörfer, am Rande der Stadt?
(Teil der vom Buddenbohm angestoßenen Serie über den Rest)

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