27.4.09

Warum es um Zensur geht

Diesen großartigen Beitrag, den ich zu 100% unterschreibe, hat Jens Scholz am vergangenen Sonnabend geschrieben und in seinem Blog gepostet. Er bittet ausdrücklich darum, ihn weiterzuverbreiten, wenn er gefällt. Und da ich ihn für den bisher verständlichsten und richtigsten Beitrag zu diesem komplizierten Thema halte - und da ich bisher noch nicht darüber geschrieben habe, weil mir die richtigen Worte nicht einfielen -, tue ich genau das hiermit und schließe mich Kollegen wie René Walter (Nerdcore) oder Ralf Bendrath (Netzpolitik) an:


von Jens Scholz

Da reiben sich gerade so viele die Hände, daß man eigendlich ein beständiges Rauschen hören müsste. Die Idee, das Thema Kinderpornografie als Popanz vorzuschicken, um das nun geplante Internet-Zensursystem einzuführen war aber auch wirklich eine richtig gute. Hat das ja zuvor mit den Themen Terrorismus und Internet-Kriminalität nicht wirklich hingehauen, kann man hier spitzenmäßig mit dem Holzhammer wedeln und Kritiker einfachst diffamieren, indem man die eigentliche Kritik ignoriert und ihnen vorwirft, sie wollten die Verbreitung von Kinderpornografie schützen. Wie schnell schon der Vorwurf zum beruflichen und gesellschaftlichen Tod führen kann, zeigte man nur wenige Wochen zuvor ja schonmal anschaulich am Exempel Tauss (der übrigens natürlich nicht im Netz "erwischt" wurde, sondern über Handykontakte und DVDs per Post).
Aber ich schweife schon wieder - wie es durch die Wahl dieses Themas ja auch gewünscht ist - ab.
Denn das Problem, das die Kritiker haben, ist ja natürlich nicht, daß man den Zugang zu Kinderpornografie sperren will, sondern das Sperrinstrumentarium, das man dazu baut. Schaut man sich das an, merkt man schnell: Es geht nicht um Kinderpornos und wie man dagegen vorgeht. Ging es nie.
Es geht um die Installation eines generellen technischen Systems und die generelle Art und Weise, wie es betrieben wird: Es geht darum, daß eine waschechte, diesen Namen zu Recht tragende, Zensur ermöglicht wird. Auch wenn die zunächst gesperrten Websites tatsächlich nur Kinderpornografie beinhalten (was die Liste eigentlich extrem kurz halten müsste) wäre sowohl die Technik, die Verwaltung und sogar die Psychologie installiert, um sofort eine effektive Zensur betreiben zu können.

Technik
Die Provider sollen ihre Nameserver so umbauen, daß Webseiten, die das BKA aussucht und ihnen nennt, nicht erreichbar sind und dem Nutzer bei Aufruf stattdessen eine Sperrseite angezeigt wird. Gleichzeitig soll das BKA jederzeit abrufen könne, welche Nutzer auf Webseiten aus dieser Liste zugreifen wollten und stattdessen auf die Sperrseite geleitet wurden.
Ein normaler Internetnutzer, der seinen Nameserver nicht auf einen freien DNS-Server umstellt, sieht bestimmte Seiten nicht und erhält die Mitteilung, er wolle sich gerade Kinderpornografie ansehen. Ob das stimmt, weiß er nicht und nachprüfen darf er das auch nicht, da ja schon die Suche nach Kinderpornografie strafbar ist. Der Nutzer muss sich in diesem Moment weiterhin im Klaren sein, daß er gerade etwas getan hat, was das BKA als illegal ansieht und als Grund ansehen kann, gegen ihn vorzugehen.
Die allein schon technisch verursachten Risiken für jeden Internetnutzer sind immens, noch dazu, weil man damit auch noch eine perfide Beweisumkehr eingebaut hat: Sie müssen künftig ihre Unschuld beweisen, z.B. daß sie "versehentlich" die gesperrte Seite angesteuert haben. Viel Spaß beim Versuch, Richtern TinyUrls, iFrames, Rootkitangriffe, Hidden Scripting und so weiter zu erklären, wenn Sie überhaupt wissen, was das ist.
Die Lösung zunächst: Den Nameserver umstellen, um sich dieser Gefahr vollständig zu entziehen. Geht schnell und kann jeder.
Die Technik ist allerdings interessanterweise das kleinste Problem in dieser ganzen Geschichte. Es gibt Staaten, die in ihren Zensurbemühungen schon wesentlich weiter sind. Die Menschen dort können dennoch sowohl anonym als auch unzensiert das Internet benutzen. Das Internet ist von Nerds gebaut worden. Ein Staat kann da so viel fordern wie er will, er wird das Netz auf technischer Ebene never ever kontrollieren können.

Verwaltung
Hier liegen die springende Punkte, die das Ganze zum Zensurinstrument machen:
1. Die gesperrten Inhalte stehen auf einer Liste, die das BKA direkt und ohne Prüfungsinstanz erstellt und die die Provider möglichst ohne sie anzuschauen zu installieren haben. Es entscheidet kein Richter über den Inhalt, es überprüft keine unabhängige Institution über die Rechtmäßigkeit, es gibt keine Regelung, wie Adressen überhaupt wieder von der Liste gelöscht werden könnten. Die Polizei, die Verbrecher verfolgt, bestimmt, welcher Wunsch nach welcher Information ein Verbrechen ist. Vorab zu definieren, was ein Verbrechen ist und hinterher darüber zu entscheiden, ob ein Verbrechen begangen wurde ist aber nicht Aufgabe der Polizei.
2. Die Liste ist geheim. So lange diese Liste nicht in die Öffentlichkeit gerät kann alles drinstehen und nichts davon muss gerechtfertigt werden. Wer das in Frage stellt wird zum Verdächtigen. Wie Zensur in Reinform eben funktioniert.
3. Der Gesetzentwurf ist schwammig genug, daß das BKA im Prinzip alles in die Liste setzen kann. Da im Web jeder Inhalt nur einen Klick weiter vom letzten entfernt ist und das Gesetz möchte, daß auch "mittelbare" Seiten gesperrt werden können, kann somit de facto auch jede Seite gesperrt werden.
4. Das System soll die direkte Verfolgung von Zugriffen erlauben. es wird nicht nur gesperrt, sondern es kann auch nachgeschaut werden, wer sich die gesperrten Seiten ansehen will. Dies kann dann Anlass für verdeckte Überwachungen, Hausdurchsuchungen und andere existenzbedrohende Vorgänge sein.
Die Staatsanwälte dieses Landes üben ja seit einiger Zeit kräftig an der Vorverurteilungsfront, indem Sie inzwischen gerne mal Pressemitteilungen über eingeleitete Verfahren rausgeben und die Presse direkt zu möglichst spektakulär und öffentlichkeitswirksam inszenierten Verhaftungen mitnehmen (Zumwinkel, Tauss, Frau B.).

Psychologie
Womit wir schon beim gewünschten Effekt von Zensur sind: Die Einführung der Schere im Kopf. Die wirksame Selbstzensur, weil man nicht weiß, was eventuell passiert, wenn man zu laut und deutlich Kritik äußert. Die Geheimhaltung der Sperrliste und ihre völlige Unverbindlichkeit durch das Fehlen jeglicher Kontolle ist ein bewußt eingesetzes Instrument, um Verunsicherung zu erzeugen.
Ein anderes ist die Verknüpfung mit dem Thema Kinderpornografie, womit wir wieder am Beginn dieses Artikels wären. Man weiß ja inzwischen, daß auch nur der leiseste Ruch, man könnte eventuell irgendwas mit Kindesmissbrauch und Pädophilen zu tun haben, die Existenz vernichten kann, selbst wenn hinterher rauskommt, daß tatsächlich nichts an den Vorwürfen dran war. Wie nahezu generell nichts rauskommt. Das ist ein so extrem starkes und wirksames Druckmittel, was natürlich beispielsweise ein Herr Gorny sofort erkennt, weil sein Versuch, diese Schere im Kopf einzuführen (durch den Versuch, Filesharing als schreckliches Verbrechen zu diskriminieren), wirkungslos blieb und er sich nun an den besser funktionierenden Trigger dranhängt (indem er Urheberrechtsverletzung mit Kindesmissbrauch gleichsetzt).
Die Justizministerin gibt dann noch Tipps in die richtigen Richtungen, die natürlich prompt reagieren. Überhaupt, das mal ganz nebenbei, finde ich es immer wieder seltsam, daß Frau Zypries immer wieder als Warnerin vermittelt wird. Dabei war - so sagt sie zumindest - sie es, die den Gesetzentwurf gegenüber dem Vorabvertrag von Frau von der Leyen verschärfen ließ und dieser nun schon den Zugriff auf Stopp-Seiten verfolgen lassen will.

Um die Frage zu beantworten, warum und wann es in einer Gesellschaft überhaupt dazu kommen kann, daß ein Teil davon meint, einen solchen Eingriff vornehmen zu müssen und der andere Teil (zu dem ich u.a. mich zähle) darin ein so massives Unrecht sieht, das es zu bekämpfen gilt, kann man sich bitte den Artikel "Kampf der Kulturen" drüben bei netzpolitik.org durchlesen.

21.4.09

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut*

Das, was mich an den Spitzköpfen in der Debatte um die Hamburger Schulreform wirklich stört, ist, dass da nicht betroffene vor etwas Angst haben, das irreal ist. Oder so ähnlich. Glücklicherweise nicht so viele wie auf manchen Zeitungsbildern zu vermuten war, die gestern durch die Stadt geisterten, wie das Foto von Robert Schneider zeigt, der - anders als ich - vor Ort war, als über und über mit gelben FDP-Luftballons ausgestattete Akademiker aus den Speckgürteln (also so Leute wie ich) den Aufstand probten gegen die Weltuntergang.

Anti-Schul-Demo in Hamburg war nicht sooo erfolgreich

Als Vater von vier Kindern, die die unterschiedlichsten Schul- und Bildungsformen in dieser Stadt besuchen, stört mich am meisten, wie faktenbefreit und angstbesetzt da teilweise argumentiert wird. Dabei ist die Vision, dass Kinder länger gemeinsam lernen - und darum geht es im Kern - eine, die niemandem Angst machen sollte. Den Schwächeren hilft das, den Stärkeren auch, für die Mittleren ändert sich wenig.

Ja, auch ich ärgere mich darüber, dass Latein den Bach runter geht - aber das ist beispielsweise an dem Gymnasium, auf das Primus geht, ohnehin schon so. Als zweite Fremdsprache ist es abgeschafft, als dritte kommt es nicht zustande. Toll - aber hat nichts mit der Schulreform zu tun.

Ich freue mich auf die Reform, denn sie wird die Schulen zwingen, sich zu ändern. Vielleicht ist es ja das, wovor diejenigen Angst haben, deren Kinder entweder zu den Gewinnern der aktuellen Situation gehören oder die sich daneben setzen können, wenn die Kinder an den Aufgaben verzweifeln und die rechte Hand im Kollegium nicht weiß, was die linke tut.

Zum ersten Mal seit Jahren wird eine Reform nicht nur gemacht, um Geld zu sparen oder einem vermeintlichen Trend zu gehorchen (wie die gescheiterte Verkürzung auf das Abitur nach 12 Jahren). Zum ersten Mal wird richtig Geld in die Schulen gepumpt und ebenso richtig in Fortbildung und Ausbildung investiert.

Wenn ich mir angucke, wie meine Süße arbeitet an einer Stadtteilschule mit besonderem Förderprofil - und das vergleiche mit dem, was ich an Gymnasien erlebe und was ich als Vision in den Papieren der Schulbehörde lese - wenn ich das mache, werde ich froh. Denn die Arbeit mit Kompetenzrastern und in Jahrgangsteams, um nur mal zwei Punkte zu nennen, ist ja nicht neu, sondern nur neu für die Schulen, die sich nicht geändert haben.

Lasst die nciht betroffenen, deren Kinder gar nicht in den Genuss der Reform gekommen sind, ruhig krakelen. Ihre Kinder waren bei der Demo eh nur Staffage und bald schon anders beschäftigt. Und das ist gut so.

So machen Demos mehr Spaß

* so beginnt das großartige Gedicht von Jakob van Hoddis: "Weltende", geschrieben 1911, sehr hellsichtig.

12.4.09

... ist wie ein neues Leben

Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

Und es war ein schöner Tag, was nach dem grauenvollen Gottesdienst am Morgen nicht zu erwarten war. Am faszinierendsten aber war doch, dass der Garten sich österlich verhalten hat. -

Nicht nur, dass die Kirsche heute im Laufe des Vormittags angefangen hat zu blühen und wir ihr beim Erblühen zugucken konnten, alle Bäume und Büsche sind gerade heute explodiert und hatten am Ende des Tages signifikant mehr Blätter als am Morgen.

Wie das neue Leben aus der Erde steigt, wenn der Winter zu Ende geht und diese merkwürdige Übergangszeit, in der die Natur im Wartestand ist (wer hat das neulich so schön im Blog geschrieben, ich hab diese Formulierung irgendwo gelesen Edit: Markus Siepmann wars, auf Twitter), das ist wie Ostern. Viel mehr als die Eier und das Suchen und sehr viel mehr als ein blutleerer und geistlich armer Gottesdienst.

Ich fühle mich erfüllt.

11.4.09

bei jedem Kind wieder ein großer Schritt



... ist es, wenn das Laufrad gegen das Fahrrad getauscht wird. OK, die beiden Großen hatten noch kein Laufrad, gab es damals noch nicht (oder zumindest nicht in unserer Umgebung), aber Tertius und nun Quarta sind damit lange in der Gegend rumgepest. So sieht es jetzt auch aus...

Zeit, dass sie auf das Fahrrad umsteigt. Noch geht es nicht wirklich, noch ist die Angst größer als nötig, noch wollen die Füße nach ein paar Metern unbedingt auf den Boden. Aber das lange Osterwochende ist doch der richtige Zeitpunkt, mal ein paar Tage am Stück zu üben...

31.3.09

Wenn sich Lebenslinien kreuzen

Mein Lebensweg (was für ein pathetisches Wort) war irgendwo zwischen sehr gerade und verschlungen bisher. Das fällt mir immer wieder auf, wenn ich Menschen wieder begegne, die meinen Weg schon einmal gekreuzt haben. Oder an Orte zurück kehre, die ich vor Jahren hinter mit gelassen zu haben glaubte:
  • In der Bibliothek, die im gleichen Gebäude ist wie die Redaktion, in der ich mehrere Jahre gearbeitet habe.
  • Der Studienfreund, mit dem ich fürs Examen gelernt habe - und der nun schon das zweite Mal von der anderen Straßenseite einer Kreuzung winkt.
  • Der entfernte Kollege aus dem Konzern, der auf einmal in ein Meeting platzt - und sich als einer meiner neuen Ansprechpartner dort herausstellt.
  • Der Lehrer und Freund, der mir als Vater die Beschwerde über eines meiner Kinder übermittelt.
Das sind nur einige der Kreuzungen, an denen ich in der letzten Zeit stand. Und die mich wieder nachdenken lassen, wo ich eigentlich abbiegen will und wohin.

Denn auch wenn es im Nachhinein so einfach aussieht und so gradlinig, wenn die 40-50% der Lebens, die mutmaßlich ja nun irgendwie hinter mir liegen, zu passen scheinen und viel geklappt hat - es waren ja schon einige Kurven dabei. Zum Glück.

Gerade die Begegnungen an den Kreuzungen machen mir deutlich, dass ich Recht hatte, wenn ich immer und immer wieder gesagt habe, dass es beim Studium, beim Berufseinstieg und auch bei anderen Entscheidungen doch mehr auf das ankommt, was ich will und was sich gut anfühlt (ohne dass das jetzt zu sozialpädagogisch klingen soll). Und dass es Quatsch ist, schon die Fächerwahl in der Schule an vermeintlichen Marktgegebenheiten auszurichten. Geschweige den Studienwunsch oder den ersten Beruf. All das ist ja nicht für immer. Und bleibt uns trotzdem.

Vielleicht sind es gerade die Kreuzungen, an denen ich schon gestanden habe, die mich immer und immer und immer wieder innehalten lassen, um zu gucken, ob es passt und wo es hingehen soll. Vielleicht eine kleine Portion Gottvertrauen und die Erfahrung, dass sich Fehlentscheidungen auch durch neue, bessere Entscheidungen aufheben lassen. Dass es zwei große Konstanten in meinem Leben gibt seit vielen Jahren - Gott und meine Liebste -, die alle Veränderungen überdauern.

Jedes Mal, wenn mich wieder eine Lebenslinie kreuzt, der ich schon einmal begegnet bin, löst das etwas aus. Eine Mischung aus Gut-so und Was-geht. Und dass ich mit einer großen Portion Neugier ausgestattet bin, die sich nicht verbraucht, sondern eher mehr wird, je mehr ich erlebe, macht mir das Herz weit, wenn ich denke, was noch alles kommen kann.

So wie an so einem Frühlingstag.

24.3.09

HDL statt HDS

Ich ertappte mich vor einiger Zeit dabei, dass ich auf LOL in der gesprochenen Sprache meiner Söhne ähnlich reagierte wie meine Eltern damals auf das Wort geil (das heute ja schon zur Alltagssprache von uns alten Säcken gehört, also wohl nicht so schlimm war, oder?). Ich hab das dann länger reflektiert und am Ende dieses Prozesses die klare Ansage gemacht, dass ich LOL nicht hören will, wenn sie mit mir reden.
(Ich mein, irgendwomit müssen sich die Jungs ja auch von mir abgrenzen können und mich schocken und so. Denn der Versuch mit dem Nietengürtel ist gründlich daneben gegangen, weil ich nicht entsetzt war.)

Insgesamt bin ich eher entspannt, wenn es um die pubertäre Parallelsprache geht, die unsere Kinder entwickeln, denn das war ja im Grunde immer schon so. Und solange sie lesen (also richtige Bücher jetzt), sollen sie doch im Messenger reden, wie sie wollen. Und außerdem: lieber HDL als HDS*. Echt. Dass ich, wenn ich mich schriftlich mit ihnen unterhalte, dann hin und wieder nachfragen muss, was das da jetzt heißen soll, nehme ich gerne in Kauf.

Aber dieser Song von Jasper trifft es trotzdem gut, oder? Ebenso wie der nachdenkliche Beitrag von Frau Antonmann zum gleichen Thema, über den ich das Video gefunden habe und der mich zu diesem Eintrag hier inspiriert hat, nachdem ich dort kommentierte...




* Was keine mir bekannt Bedeutung hat, sondern nur ein billiger Trick ist, um sinnlosen Quatsch zu quatschen, weil ich ADS nicht schreiben wollte, aber eigentlich meinte.

15.3.09

Sie ist so groß

Und hilft mir heute beim Kochen, wo ich allein bin mit der Rasselbande. Dabei kommt es mir so vor, als ob es gestern war, als sie als hilfloses Baby in meinen Armen lag. Ach ja.

13.3.09

Es gibt keine Worte, nirgends

Es gibt keine Worte, die angemessen sind. Und vielleicht sollten Medien irgendwann auch einmal schweigen. Und die üblichen Verdächtigen nicht immer hyperventilierend durch die überflüssigen TV-Sondersendungen tingeln. Und nicht über die Geschmacklosigkeiten auf Twitter diskutieren, solange ich keine Zeitung aufschlagen kann ohne mich zu ekeln über die Berichterstattung.
(Zum Twitterthema finde ich übrigens Michael Domsalla lesenswert, auch als fast einzigen, vielleicht von einem der vielen Beiträge des Herrn Niggemeier einmal abgesehen)


Eine einzige Ausnahme. Jochen Kalka, Chefredakteur des Branchenblattes w&v. Gestern schon das einzige, was ich persönlich als lesenswert empfunden habe. Und heute wieder. Er stellt sich aus der Nähe, der schrecklichen Nähe, die gleichen Fragen, die wir uns zu Hause auch stellen.
Weiterhin berichten die Medien nur über den Täter. Schuld seien die Lehrer, sagt etwa am Abend im ARD-Brennpunkt die Frau aus Mainz, die sich Psychologin nennt und forsch auf kompetent macht. Schuld seien die Computerspiele, thematisiert auch noch am heutigen Freitag bald jede Zeitung, zumal der Täter genau die Spiele zu Hause hat, mit denen fast jeder Schüler spielt.

Auch das mangelnde Waffengesetz wird thematisiert, nicht aber, warum der Vater eines geistig kranken Jungen, der in der Psychiatrie in Behandlung ist, zu Hause seine Waffen offen herumliegen lässt.

Und es wird auch nicht thematisiert, dass es hier jetzt 15 Familien gibt, bei der jeweils seit Mittwoch ein Mensch weniger am Tisch sitzt. Zum Beispiel bei dem frisch verheirateten Polizisten, der einer der ersten am Tatort war und seine eigene Frau, eine junge Lehrerin, dort tot vorfand.

Werben & Verkaufen Chefredkteur Jochen Kalka
Sie hatte sich vor die Kinder geworfen, um sie zu schützen.

Das sind wirkliche Fragen. Meine Frau ist Lehrerin und fragt sich, wie sie sich verhalten hätte. Ein Kunde lebt in der Nähe und hat Angst um die Kinder von Freunden. Meine kleineren Kinder fragen mich, was das da auf dem Titelbild der Zeitung ist. Die größeren lesen selbst, ein bisschen, und fragen sich und uns das gleiche.

Aber es gibt keine Worte, die das Leiden beschreiben. Trotzdem ist dieses Leiden das einzige, was ich eigentlich lesen möchte. Darum gehen mir Kalkas Reportagen so nah.

Ist dies ein Plädoyer für die Emotionalisierung des Journalismus? Vielleicht. Obwohl das, was ich in dicken Buchstaben und lautem Gekeife am Rande mitbekomme, noch emotionaler ist, denke ich. Und wenn - wie gestern in der Tagesschau (die ich nicht gesehen habe, da bin ich auf Erzählungen angewiesen) - abends ein abstruser Fehler der Polizei (dies Ding mit der Ankündigung im Internet, die nicht stattfand) wiedergekäut wird, der zu diesem Zeitpunkt schon mindestens sechs Stunden widerlegt war, hab ich überhaupt keine Lust mehr.

Und überhaupt. Ich mag dann auch lieber mit anderen Vätern über Kindererziehung und Schulhofgewalt reden als hysterischen TV-Nasen bei ihrer Erregung zuzusehen.

12.3.09

Volkszählungsgegner auf Selbstentblößungstour

OK, reißerische, medienartige Überschrift. Aber im Kern ist es dieses Paradox, das in Diskussionen mit etwas älteren Weggefährten der politischen Kämpfe der 80er so schwer zu vermitteln ist. Und wer hätte gedacht, dass ich je Sascha Lobo zustimmend zitieren würde. Nun ist es so weit. Er schreibt in einer wirklich lesenwerten Entgegnung auf den von mir jede Woche kichernd geliebten Martenstein (ich höre die Zeit ja regelmäßig als Audiomagazin auf dem Rad und dem Weg ins Büro), dass das Argument, mit der Offenheit in sozialen Netzwerken und Blogs und auf Twitter und so würde 1984 Einzug in die Realität halten, nicht zu halten sei. Es sei
vor allem falsch, weil sie die selbstgesteuerte Vernetzung und das freiwillige Einstellen von Daten vergleicht mit Videokameras in Umkleidekabinen. Der Unterschied ist der gleiche wie zwischen “sich im Klo einschliessen” (toll, manchmal) und “im Klo eingeschlossen werden” (untoll, immer). Das Entscheidende ist die informationelle Selbstbestimmung, und zwar sowohl was die Veröffentlichung der eigenen Daten angeht wie auch deren Auswertung.

Eine etwas längliche Entgegnung auf Harald Martenstein | saschalobo.com
Sehr schön und mit einem guten Bild zusammen gefasst.

9.3.09

Der Vorleser revisited

Ich hab damals, schon 1995 wahrscheinlich, Schlinks Vorleser gelesen. Ich erinnere mich kaum daran, wenn ich ehrlich bin, nur dass es bei uns Theologinnen eine Art Pflichtlektüre war, dass es mich seltsam unberührt gelassen hat. Rund um die Verfilmung lerne ich jetzt von einer Kontroverse um das Buch, die mir damals völlig entgangen war - die ich aber sehr interessant finde.

Thomas Assheuers Rezension des Films in der Zeit von letzter Woche hatte ich gehört und sie hat mich zum Nachdenken gebracht. Denn seine Punkte leuchten mir ein, ohne dass ich das Buch mehr als oberflächlich in Erinnerung habe:
Es ist die Behauptung, deutscher Geist und deutsche Kultur seien sauber geblieben und hätten mit dem Faschismus nichts zu schaffen. Hanna, die SS-Frau mit dem jüdischen Namen, konnte nicht lesen, sie war ein unbeschriebenes Blatt und hat dieses mit ihren Taten nicht befleckt. Das heißt: Mit einem scharfen Schnitt trennt der Vorleser den Nationalsozialismus von seiner geistigen Vorgeschichte ab. Die kulturelle, irgendwie griechisch-christliche Substanz der Deutschen ist unschuldig und nicht zu belangen. Vermutlich soll niemand auf falsche Gedanken kommen und fragen, warum »abendländische« Eliten dem Nationalsozialismus zur Macht verhalfen, warum Goethes Weimar Hitlers Buchenwald nicht verhindert hat. Und niemand soll fragen, warum eine Nation, die sich dem »Griechentum« am nächsten fühlte, einen historisch präzedenzlosen Massenmord begangen hat. (...)

Am Schluss fährt Michael zu einer überlebenden, natürlich sehr reichen, ganz in Weiß gekleideten Jüdin nach New York. Die Szene folgt dem Muster, das der Literaturwissenschaftler Matthias Lorenz bei Schlink (und Martin Walser) vielfach nachgewiesen hat: Das Leidensgedächtnis jüdischer Figuren wird abgespalten und zu einer Art Gruppenerinnerung erklärt, die Nichtjuden verschlossen bleibt, ja: kaum etwas angeht. Und prompt fällt der Satz, auf den im Film alles zuläuft. Die Deutschen, sagt die Überlebende, sollten endlich aufhören, ständig an die Lager zu denken.
Kino: Stephen Daldry verfilmt »Der Vorleser«
Darüber bin ich in eine Diskussion gekommen, in der ich auf eine widersprechende Rezension im Deutschlandradio gestoßen wurde. Ich lese sie bis in die Wortwahl hinein als eine Erwiderung auf Assheuer, die überwiegend den Widerspruch nur postuliert, bis sie auf einen Punkt doch näher eingeht:
Die Debatte zeigt, dass wir uns immer noch schwer tun, die Geschichte des Holocaust anders als aus der Perspektive der Opfer zu erzählen. Aber um den Massenmord zu verstehen und in Zukunft zu verhindern, müssen wir auch etwas über die Täter wissen, müssen wir verstehen, wie oft ganz normale Bürger zu Mitläufern und Mördern werden. Und wir müssen verstehen, wie der Virus der Schuld sich von Generation zu Generation fortpflanzt. Es ist das Verdienst von Bernhard Schlink, den Finger in diese Wunden zu legen, zu zeigen, wie die Liebe eines unschuldigen Jungen zu einer Täterin das Leben des Jungen für immer verändert. Und es ist Schlinks Verdienst, zu zeigen, dass eine Täterin nicht als Monster geboren wird, sondern auch - aufgrund von Naivität, Dummheit oder eines Makels - sich nicht gegen die Verlockungen des Bösen wehren kann, sie aber zumindest bereit ist, im Prozess nicht - wie ihre Mitangeklagten - zu leugnen, sondern Schuld und Sühne als gerecht anzunehmen.
Zum Wiederlesen empfohlen: Der Vorleser
Mir persönlich ist auf den ersten Blick Assheuers Bewertung plausibler. Vor allem das Argument, es werde (bewusst?) im Rahmen einer abstrus konstruierten Geschichte eine Täterin thematisiert, die eben nichts mit der deutschen Kultur zu tun hat, ist schwer zu widerlegen, scheint mir.

Dennoch bin und bleibe ich unsicher. Das beginnt schon mit dem Einschub, Hanna, die SS-Frau mit dem jüdischen Namen: Denn Hanna ist ja gar kein jüdischer Name, sondern ein biblischer, der in beiden Religionen, die die hebräische Bibel als heiliges Buch haben, sehr verbreitet ist - und erst von Antisemiten und dann vor allem den Nazis zu einem jüdischen Namen erklärt wurde.

Ich werde das Buch wieder lesen, denke ich, und es darauf einmal hellhörig beobachten. Oder auch den FIlm sehen?