12.10.12

Kinderschutz im Internet

Nicht nur ich bekomme heute Alarm von anderen Eltern, denke ich. Nach der - übrigens, wie ich finde, sehr, sehr guten und gerade nicht alarmistischen - Doku im ZDF über die Verbrechen an Kindern, die von Perversen über Chatportale angebahnt werden.
Bevor ihr auf den Link klickt: Eine Warnung davor, dass das wirklich harter Stoff ist. Ich finde es richtig so, aber wer Kinder hat, wird mehr als nur einmal schlucken und Angst und Ekel empfinden. Ausdrücklich also keine Anschauempfehlung!
Im Kern geht es darum, dass gerade in so genannten "Chatrooms" und gerade in denen, die explizit für Kinder angeboten werden, tatsächlich in eher hoher Zahl Erwachsene gezielt sexuelle Kontakte zu Kindern und Jugendlichen suchen und Verbrechen begehen. Meine Kinder davor zu schützen, ist mir wichtiger als nahezu alle anderen Dinge rund um Medienerziehung und Internet.

Das erste Problem, das ich sehe, wenn ich mir anhöre, wie (andere) Eltern auf solche Dokus und auf die eine oder andere alarmistische Aufklärung reagieren, ist jedoch, dass viele in eine Art Angststarre fallen. Oder - wie auch in einem Beispiel in der Doku, das dramatisch ist - aus Verzweiflung und Unwissenheit das Kind mit dem Bad ausschütten. Und das zweite Problem ist aus meiner Sicht, dass viele Eltern - und in der Doku ein Polizist in einer Schülerinnenfortbildung - Dinge zusammen mengen, die nicht zusammen gehören.

Welche Empfehlung kann ich anderen Eltern geben - basierend unter anderem auf dem, womit ich auch selbst gute Erfahrungen gemacht habe?

1. Unterscheidet zwischen Chatprogrammen und Chatportalen
In der Panik und Diskussion wird immer wieder leichtfertig von "Chat" geredet. Oder von Sozialen Netzwerken. Aber das ist so falsch. Programme wie Windows Live (in der Doku als MSN bezeichnet) oder Skype kann ich so einstellen, dass mich dort niemand finden kann. Ich habe mit meinen Kindern die Verabredung, dass sie dort die Menschen zufügen, die sie aus der Kohlenstoffwelt kennen. Aus einem Spiel o.ä. dürfen sie nicht in diese Programme wechseln, wenn sie die Gesprächspartner nicht aus der Kohlenstoffwelt kennen. Das haben sie auch verstanden, nachdem einem meiner Jungs mal von einem Betrüger, den er auf Skype zugelassen hatte, sein Account bei einem Online-Rollenspiel leergeräumt worden war. Glücklicherweise nur ein Eigentumsdelikt und nicht mehr - so haben sie es auf die nur halb harte Tour gelernt.

Die Gefahr ist immer dann am größten, wenn von einem Kanal auf den anderen gewechselt wird - also wie in der Doku beschrieben beispielsweise von knuddels.de in Skype oder Windows Live. Nur, wenn wir Eltern uns mit all dem beschäftigen, können wir unseren Kindern helfen, dies zu verstehen und zu vermeiden. Nur, wenn wir ihnen erlaubte Wege aufzeigen, mit ihren Freundinnen aus der Kohlenstoffwelt auch online zu sprechen, werden wir hier die Spielregeln und Grenzen mitgestalten können.

Chatportale verbiete ich meinen Kindern. Punkt. Es gibt für Kinder und Jugendliche unter 14 keinen Grund, warum sie dort sein müssten. Mit den Kindern in ihren Klassen können sie andere Kanäle nutzen, in Hamburg auch ein schulinternes System. Zugleich erlaube ich ihnen, auch dem Zehnjährigen, Skype, WhatsApp und Windows Live. An ICQ haben sie kein Interesse, das ist bei uns in der Gegend out.

2. Unterscheidet zwischen (anonymen) Chatportalen und (pseudonymen) Netzwerken
Ich sehe sehr vieles sehr kritisch, wenn es um Facebook geht - aber es wie in der Doku, und das ist meine einzige kleine Kritik an ihr, in einem Atemzug mit Chatcommunitys zu nennen, ist unfair und sachlich falsch und gefährlich. Das Besondere an Facebook und vergleichbaren Netzwerken, wenn es irgendwann mal wieder welche geben sollte, ist, dass die Chatkommunikation eingebettet ist in Profile und öffentliche oder halböffentliche Kommunikation.

Ja, auch dort gibt es Perverse, auch dort gibt es Fake-Profile. Aber die soziale Kontrolle ist größer. Alle Freundinnen meiner Kinder können sehen, mit wem sie noch so befreundet sind, chatten kann mit ihnen nur, mit wem sie befreundet sind, ich kann sehen, mit wem sie befreundet sind - und ich kontrolliere das auch. Alle Handlungen auf Facebook sind mit einem Profil verknüpft. Was immer ich - auch, wenn ich pseudonym unterwegs bin - dort mache, bekommen meine Kontakte mit oder können sie mitbekommen. In Facebook gibt es, anders als die angststarren Menschen, die es nicht kennen, behaupten, keine Anonymität. Zu unterscheiden zwischen Anonymität und Pseudonymität, ist wichtig. Und wird in der Diskussion und beim Schutz unserer Kinder immer noch massiv unterschätzt.

Wichtig ist es, die Kinder bei der Anmeldung bei Facebook zu begleiten - und mit ihnen durchzugehen, wie die Einstellungen der Privatsphäre aussehen, wer einen über die Suche finden darf, wer einem Nachrichten schicken darf, wer chatten darf und so weiter. Eltern, die dieses nicht mit ihren Kindern machen, verletzen ihre Aufsichtspflicht. Punkt. Wer also sein Kind nicht aktiv bei der ersten Nutzung von Facebook unterstützt, macht sich mitschuldig an den Verbrechen und Übergriffen.

3. Seid da und ansprechbar
Nicht alle Eltern haben die Chance, so viel online zu sein wie ich. Aber wer seine Kinder schützen will und auf eine Erziehung in diesem Bereich Wert legt, kann nicht sagen, er oder sie habe keine Lust dazu. Bedingung dafür, dass meine Kinder mit 13 auf Facebook "dürfen", ist, dass sie mich als Kontakt haben. Meine Zusage ist, dass ich sie dort öffentlich in Ruhe lasse, also nicht kommentiere oder like oder so. Sie nicht "peinlich mache".

Aber so bin ich immer einen Klick von ihnen entfernt. So können sie mich jederzeit anchatten, wenn ihnen etwas komisch vorkommt - also schon bevor es so weit gegangen ist, dass sie sich in irgendwas verstrickt haben. Sowohl auf Windows Live als auch auf Facebook haben sie dieses Angebot auch schon mehrfach angenommen. Und das, obwohl unsere Beziehung oft auch sehr angespannt ist, wie es zwischen pubertierenden Jungs und ihren Vätern so ist. Ich habe auf dem Smartphone den "Facebook Messenger" installiert, bin also auch für sie da, wenn ich nicht stationär online bin. Und da ich weiß, dass sie mich nur anchatten, wenn es wirklich brennt, haben sie auch Priorität.

Nur, wenn wir Eltern uns öffnen für die Kommunikationsbedürfnisse und Unterhaltungsbedürfnisse unserer Kinder und Jugendlichen, werden wir sie unterstützen können, wenn sie in schwierige oder bedrohliche Situationen kommen. Das ist so wie in der Kohlenstoffwelt. Und Thomas Pfeiffer, der ich ohnehin sehr schätze, hat in der Doku vollkommen Recht, wenn er zu einem vernünftigen Umgang mit dem Thema aufruft. Das Beispiel Bahnfahren trifft es: So, wie ich meinen Zehnjährigen nicht alleine zu seinen Verwandten an den Niederrhein mit der Bahn fahren lasse, so lasse ich ihn auch nicht alleine ins Internet. So wie meine Großen in der Lage sind, alleine an den Niederrhein zu fahren und anzurufen, wenn sie da ankommen, mich aber bitten, ihnen bei der Reiseplanung zu helfen, so begleite ich sie in Netzwerke und Programme hinein und gebe ihnen Hilfestellung, wenn sie es wollen und brauchen - aber lasse sie allein "fahren".

Allerdings habe ich - das muss als Einschränkung dazu gesagt werden - bisher nur mit Jungs Erfahrungen gesammelt, dass dies so funktioniert. Quarta ist noch zu jung. Sie ist gar nicht online ohne physische Aufsicht. Ob es mit Mädchen, die ungleich häufiger Opfer von Attacken Perverser sind als Jungs, genau so funktioniert, kann ich nur annehmen - aber nicht aus eigener Erfahrung bestätigen.

Wie macht ihr das? Oder an die, die unsicher sind: Überzeugt euch das? Hilft es euch?

Update 19.10.
Habe ich dann auch noch mal eine Vortragspräsentation zu gebastelt. Halte ich auch mal, wenn ihr wollt.

5 Kommentare:

  1. Hallo Wolfgang,

    vielen Dank für Deinen Eintrag. Ich werde ihn mir jetzt abspeichern und in fünf Jahren zur Wiedervorlage markieren, wenn meine "Große" groß genug für die dann bereitstehenden Medien ist!

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  2. Ja, das hilft mir sehr. Wie alles, was du über Kinder und Werte schreibst und was wesentlich konkreter ist als vieles, was ich sonst lese; obgleich nie banal. Es hilft mir sehr. Muß ja auch, schließlich warst du einer der "Mutgeber", die mich zum Kind verleitet haben.

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  3. Der Film ist erdrückend.

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  4. Danke für die Anregungen. Hier zwar noch kurz davor, aber das treibt mich jetzt schon um.

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  5. Ich mag diesen Beitrag und warum Ich mag das, weil es mir viel zu Kindern und Werte lernen hilft.

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