3.5.11

persönliche Anmerkungen zu den Reaktionen auf bin Ladens Exekution

I. Vor Jahren fragte ich Freunde in New York, ob bin Laden noch wichtig sei. Es muss so 2007 oder 2008 gewesen sein. Mich hat die Reaktion überrascht, die - unabhängig von der politischen und religiösen Haltung der Freunde - sehr massiv und emotional war. Einige Menschen, die mir wirklich wichtig sind, haben seit September 2001 sehr regelmäßige Alpträume und sind nie wieder voll in den vor-9/11-Trott ihres Lebens gekommen. Fast alle sagten, dass ihr Leben erst wieder "normal" wäre, wenn bin Laden tot sei. Und das war lange nach 2001.

Auch wenn die meisten von uns hier noch wissen, wo sie am 11.9.01 waren und wie sie das zweite Flugzeug live haben in das WTC fliegen sehen, ist mir damals bewusst geworden, dass ich nie werde nachfühlen können, was dieser Tag bei denen ausgelöst hat, die ihn unmittelbar erlebt haben. Ich habe Freunde, die einen Zusammenbruch hatten damals, andere, deren Weltbild und Haltung sich verändert hat. Sehr beeindruckend war für mich immer, wie mein früherer Boss Richard Edelman von 9/11 erzählt hat und wie er beispielsweise dennoch seine Haltung zu Rache und Gewalt nicht änderte.

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II. Mir persönlich ist der Freudenausbruch fremd, der sich in den USA ereignet hat. Aber ich kann ihn nicht verurteilen, finde das auch wohlfeil. Dass sich die USA als im Krieg mit "dem Terror" befindend sehen, kann ich nicht nachvollziehen, finde das auch falsch, auch wenn mich nachdenklich macht, dass dieses bis hinein in liberale und linke Kreise nicht groß in Frage gestellt wird. In der Diskussion mit rechten Amerikanern über die Exekution bin Ladens bin ich immer wieder an den Punkt gelangt, dass es tatsächlich darauf ankommt, ob man das, was da passiert, unter "Krieg" fasst oder nicht.

Und der Frage ist nicht einfach mit plumper antiamerikanischer Rhetorik beizukommen.

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III. Grotesk und pervers finde ich die Reaktionen aus Europa, vor allem aus Deutschland. Nun gehöre ich nicht zu denen, die Angela Merkel viel zutrauen, aber der Satz
Ich bin heute erst einmal hier, um zu sagen: Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten.
zitiert aus der Mitschrift unter Bundesregierung.de ist so abgrundtief zynisch, dass es weh tut. Ähnlich die Einlassungen des Außenministers und der SPD, von meiner eigenen Partei (Grüne) habe ich nichts gefunden zu dem Thema. Allein die Kirchen, allen voran der Vatikan, haben die richtige Perspektive gewählt, wenn der Sprecher des Papstes erklärt
Der Tod eines Menschen ist für einen Christen niemals Grund zur Freude. Das gelte auch für den Tod von Osama Bin Laden.
zitiert nach Radio Vatikan. Ich mag mich streiten und bin mit vielen meiner Freunde auch nicht einer Meinung, was die Bewertung der Exekution angeht und die Freude, die sie in den USA ausgelöst hat - aber Kanzlern, Regierung und SPD überschreiten eine Grenze, die sie niemals überschreiten dürften.

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IV. Als Berufskommunikator finde ich es wieder einmal mehr als faszinierend, wie die Obama-Regierung sich inszeniert. Vor allem in der Bildsprache, wieder einmal vor allem auf flickr. Großartig.

2 Kommentare:

  1. Jürgen Braatz3.5.11

    Bravo Wolfgang. Ja, die Freude der Kanzlerin ist unerträglich. Sie vertritt nicht die USA sondern Deutschland und hier verstößt die Todesstrafe gegen die Verfassung. Abgesehen davon läßt sie gerne die Protestantin raushängen, damit verträgt sich Freude über die Tötung eines Menschen auch nicht.
    Es hätte ihr gut zu Gesicht gestanden, zu bedauern, dass es nicht gelungen ist, bin Laden vor ein Gericht zu stellen.

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  2. Ich teile viele Gedanken aus diesem Beitrag.

    Eine kleine Ergänzung: Cem Özdemir hat in seinem Statement vor den Kameras erwähnt, dass er sich eine Gefangennahme und einen Prozess gewünscht hätte. Leider finde ich kein Video dazu, gesehen habe ich es auf Phoenix.
    Man findet lediglich dieses Statement, welches anscheinend extra für die Online-Plattformen der Gründen angefertigt wurde: http://www.youtube.com/watch?v=etWBbpuzzuA

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