Update 7.12., 9:30 UhrWikiLeaks ist eine gute Idee. Einen Ort zu haben (auch wenn er kein Ort ist, was übrigens Amazon doppelt merkwürdig dastehen lässt), an dem Menschen geheime Dokumente recht gefahrlos (also zumindest recht gefahrlos für sich selbst) veröffentlichen können, ist gut. Im US-Kontext gibt es die Tradition des whistleblowing, die Leute, die das machen, wenn es drauf ankommt, sind Helden - anders als hier bei uns, wo sich beispielsweise Arbeitnehmer immer noch ernsthaft strafbar machen, wenn sie das tun. Die Enron-Aufdeckung wäre hier nicht möglich gewesen, aber das nur mal am Rande.
Mit leicht anderem Fokus aber ziemlich genau den gleichen Fragen und sogar ersten Antworten hat Clay Shirky, den ich für sein klares Denken ohnehin sehr schätze, vor ein paar Stunden über Wikileaks geschrieben. Lest das!
Update 8.12., 13:00 Uhr
Sehr itneressant auch diese Analyse in der Süddeutschen, warum das, was da rund um WikiLeaks passiert mindestens naiv-romantisch, ich würde sogar sagen: reaktionär ist.
Einerseits.
Andererseits lebt Kommunikation auch davon, dass es die Unterscheidung von öffentlich und privat gibt. Und dass nicht jemand anders entscheidet, dass eine Kommunikation, die ich leiste, öffentlich ist.
Gerade wenn Skandale weiterhin aufgedeckt werden sollen, wenn Wikileaks eine wichtige und Transparenz fördernde Einrichtung sein oder bleiben soll, darf, denke ich, die Grenze dessen, das jemand aus der privaten Kommunikation in die öffentliche bringt, nicht so überdehnt werden, wie es jetzt, so habe ich den Eindruck, geschieht.
"Transparenz" oder "Freiheit" ohne Rücksicht auf Verluste - das wäre in der Tat Terror. So wie die Inquisition und die stalinistischen Schauprozesse Terror waren. Und bevor jemand über diesen Vergleich aufheult: Die Inquisition wurde gestartet, um Seelen zu retten, also recht eigentlich aus Menschenfreundlichkeit (auch wenn das quasi sofort pervertiert wurde). Die Schauprozesse wurden gestartet, um der Wahrheit Wege zu bahnen, um ein Gegenmodell der instransparenten Geheim"justiz" zu haben (auch wenn die unmittelbar in echten Terror mündeten).
Ich habe irgendwo gelesen, dass in den Cables, um die es aktuell geht, Namen von Menschenrechtsaktivisten in Terrorländern stünden. Wenn das so ist, dann wäre es fahrlässig und nach meiner Auffassung Terror, was da passiert ist. Denn Freiheit wird immer durch die Freiheit der anderen begrenzt. Freiheit, die sich nicht um die anderen schert, ist Terror. (Und ich benutze dieses Wort, obwohl es in grotesker Weise von Regierungen genutzt wird.)
Dennoch wird gerade aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Interessant ist doch, wer bisher "zu Schaden" gekommen ist durch die Cables. Allein mit dem deutschen Beispiel wird ja doch deutlich, wie lächerlich die Kritik ist und wie sehr es die richtigen trifft.
"Wikileaks is like Pirate Bay; something that I don't like but have to defend because of the collateral damage caused by attacking it." (Simon Phipps auf Twitter)
Das trifft es recht gut. Das Argument von Amazon ist lächerlich, siehe den Link oben zu Dave Winer, wenn sie das meinen, was sie als Pressestatement sagen. Zugleich und jenseits aller Aufgeregtheit zeigt das, was gerade mit Wikileaks passiert aber auch, wie wenig die alten monolithischen Strukturen "das Web" aufhalten können.
Insofern ist alles das, was ich gerade beobachte, ermutigend. Sowohl dass die Frage diskutiert wird (und jenseits des Boulevards, ob nun der Regierungen, der Massenmedien oder der Netzaktivisten), wo die Balance zwischen verantwortlicher Freiheit und freiheitlichem Terror zu finden ist, als auch die langsam sich setzende Erkenntnis, dass "das Web" nicht einzufangen ist, machen mich froh.
Es geht nicht um die "Freiheit des Netzes", wie es manche jetzt hochstilisieren. Die Schlacht ist - zumindest für die digitale Elite, die allein sich für diese Frage interessiert - entschieden. Es geht darum, ob die Freiheit zu Demokratie oder zu Terror führt (und WikiLeaks kann zu beidem beitragen).
Wer WikiLeaks als Plattform kritisiert, hat imho gar nichts, aber wirklich gar nichts begriffen. Wer es als Instrument der Demokratie bejubelt, hat ebenso wenig begriffen. WikiLeaks ist eine geniale Idee und ein gut funktionierendes System, das in Zeiten, in denen (nicht nur in den USA) die recherchierende und freie Presse in der Krise ist und nicht mehr so funktioniert, wie sie sollte, einen anderen Ort schafft, an den sich Informanten wenden können. Der nicht zensierbar ist, der nicht abgeschaltet werden kann (weil er auf verteilten Servern, Torrents, beruht, den niemand völlig kontrollieren kann). Was sich mit diesen Informationen (und mehr ist es zunächst nicht) machen lässt, werden wir sehen. Transparenz, daran sei noch einmal erinnert, ist auch kein Wert an sich. Beispielsweise kann viel Transparenz zu einer so hohen Komplexität führen, dass sie faktisch zu einem Herrschaftsinstrument wird - weil die Beherrschten den Eindruck gewinnen, der Komplexität nicht gewachsen zu sein (übrigens eine Situation, in der wir uns imho in vielen Bereichen zurzeit befinden, und die ich als totalitär bezeichne).
Meine These (noch einmal) ist: WikiLeaks und die Informationen da sind weder gut noch böse, weder ein Instrument der Freiheit noch des Terrors. Können aber, ebenso wie Transparenz, alles dieses werden, je nachdem was jemand damit macht.
Ich sehe Wikileaks als Phänomen, das konsequent aus Struktur und Entwicklung des Internet folgt. Es ist in der Qualität nicht neu, sondern in der Quantität und in allerlei Begleiterscheinungen.
AntwortenLöschenWikileaks "geschieht" und es wird Nachahmer haben im Großen wie im Kleinen. Wir erleben den Verlust der Kontrolle über Daten und Informationen. Diese Entwicklung ist unumkehrbar.
Mehr dazu im pr-journal, und danke nochmal für Dein Feedback zu meinem ersten Ansatz. Du wirst einige Deiner Gedanken wiederfinden.
http://www.pr-journal.de/fragen-und-meinungen/kommentare/9401-wikileaks-das-ende-der-kontrolle.html
http://www.faz.net/s/RubCEB3712D41B64C3094E31BDC1446D18E/Doc~E386955099A614DE2A1881621FDE9538C~ATpl~Ecommon~Scontent.html
AntwortenLöschen