10.11.10

Und das mir. Zur Verteidigung von Frau Schröder (@kristinakoehler)

Erst gebe ich zu, dass ich Schäuble für vieles mochte (außer für seine Politik), dann will ich - mit Sicherheit gegen den aufgeregten Mainstream meiner Partei - auch noch die Schröder verteidigen. Was ist nur mit mir los? Aber nachdem ich das Interview der Ministerin mit dem Spiegel gelesen habe, kann ich zwar über manche boulevardeske Verkürzung den Kopf schütteln, aber nicht halb so sehr wie über die grotesken Vorwürfe, die dazu auch noch nahezu spitzfindig substanzlos sind. Eine gute Zusammenstellung dieser flachen Repliken beim Genderblog übrigens, danke Till für den Hinweis.

Ja, ich habe auch über die Diktat-Kiste den Kopf geschüttelt, wo jeder weiß, dass heute gar keine Diktate mehr geschrieben werden, wenn die Lehrerin auch nur ein winziges bisschen Ahnung von zeitgemäßer Didaktik und Pädagogik hat. Ja, ich habe auch herzlich gelacht über eine Formulierung wie "die Frauenbewegung", aber ich habe lange genug auf dem Boulevard gearbeitet, um zu wissen, wie dessen Mechanismen sind (und dass ein Ministerininterview nicht den gleichen Ansprüchen genügen muss wie eine akademische Genderforschung).

Aber: Zum einen sagt die Schröder explizit, dass sie "dem Feminismus" faktisch ihren Job verdankt (letzter Satz des Interviews), das heißt, dass all die Dolchstoß-Rhetorik ihrer Kritikerinnen wohl ein Zeichen ist, dass diese das Interview gar nicht gelesen haben. Und zum anderen hat Schröder einfach Recht in ihrer (ja, verkürzenden) Darstellung der praktischen Folgen der zweiten Feminismus-Welle.

Und die kruden Sex-Passagen? Leute, lest mal einige der radikalen US-Feministinnen der 70er und 80er Jahre, bei denen männliche Homosexualität als die Krone des Patriarchats bezeichnet wird (weil die Männer die besten Männer für sich selbst reklamieren), in denen homosexuelle Frauen, die patriarchal geprägte Rollenmuster in ihre Beziehungen übernehmen, als schwul benannt werden etc. Sicher ist es blauäugig, diese Strömung überzubewerten, aber es ist genauso absurd, sie zu leugnen. Und mehr als "Es gab in der Tat eine radikale Strömung" sagt die Schröder ja auch nicht. In den Passagen über Alice Schwarzer beispielsweise sagt sie nichts von dem, was ihr von den Kritikerinnen unterstellt wird. Ich habe es wirklich gesucht, aber nichts. Komisch.

Ich selbst habe diese radikale feministische Strömung vor allem in der theologischen Prägung studiert und erlebt, beispielsweise Mary Daly und ihr in meiner Generation immer noch extrem wirkmächtiges Standardwerk "Gyn/ecology". Was mich eher wundert, ist, dass eine so viel jüngere Frau immer noch von dieser Richtung weiß und von ihrem Einfluss. Naja. Wenn ich die Kritik an Schröder lese, frage ich mich, ob von den Kritikerinnen noch jemand diese Autorinnen kennt (und - und zwar ernsthaft, wirkliches Interesse - ob Daly & Co heute noch rezipiert werden und immer noch einen so großen Einfluss haben).

Mal mit einer Analogie versucht:
Mir kommt die Schröder so vor wie die schicke Obere-Mittelschicht-Mutter, die sich eine Gemüsekiste liefern lässt, nur Fleisch vom Demeterhof kauft, mit dem Fahrrad zum Kinderturnen fährt, drei Mal im Jahr zu McDonald's geht und auf die "Öken" schimpft - obwohl die Durschnittsdeutsche sie als reiche Ökotussi bezeichnen würde. Also so, wie nahezu jede Frau in meinem privaten Umfeld. Nahezu jede (auch linke und grüne) Frau in eben diesem meinem Umfeld hat auch ähnliche Haltungen "zur Frauenbewegung" und zu dem, was ich hin und wieder den "sozialdemokratischen Emanzipationsterror" genannt habe.

Schröder kommt zu einer anderen (politischen) Schlussfolgerung als ich in Fragen von Quote und gender pay. Aber die Beschreibung der Realität und der Ursachen ist nicht so falsch, wie ihre Kritikerinnen behaupten.

Und die Jungs. Welche Häme begegnet der Schröder zu ihren kritischen Fragen, ob Schule heute noch jungskompatibel sei. Ich kenne nicht eine Lehrerin (und ich kenne nun wirklich viele), die nicht zustimmte, dass Schule heute sehr viel mehr auf Mädchen zugeschnitten ist als auf Jungs. In den großen Doppeljahrgängen, die dieses Jahr in Hamburg Abitur gemacht haben, gab es an etlichen Schulen keinen einzigen Jungen, der es unter die ersten zehn, teilweise sogar unter die ersten fünfzehn geschafft hat. Das ist eine Tatsache. Und das hat - und hier irrt Frau Schröder - nichts mit Fußball oder Ponys zu tun, sondern damit, dass die Fähigkeiten, die in den letzten Jahren über Schulerfolg entschieden, ungleich verteilt sind. Offene Unterrichtsformen, die die Partei von Frau Schröder lange vehement bekämpft hat (in den 90ern, als diese Unterrichtsformen in Norddeutschland schon nahezu flächendeckend in den Grundschulen eingeführt wurden, hat es in Baden-Württemberg noch Verwarnungen gegeben, wenn jemand damit experimentierte), haben hier ein wenig Abhilfe geschaffen, aber zu leugnen, dass es unterschiedliche Lern- und Verhaltensweisen zwischen Jungs und Mädchen gibt, kam ja nun doch schon mit den Knöpfstiefeln aus der Mode.

Über einen Satz in Schröders Interview habe ich mich sehr gefreut, weil es meiner Wahrnehmung entspricht, der ich seit Jahren - wenn auch nicht so konsequent wie mein "role model" Mark Heising - versuche, gegen die zu kämpfen, die Leistung als "Arbeit mal Zeit" definieren und Sesselpupen für Engagement halten:
Für mich wäre der Mann ein Vorbild, der eine Führungsposition innehat und dabei den Mut besitzt zu sagen: Wir halten das Meeting um 16 statt um 19 Uhr ab, ich möchte nämlich gern meinen Sohn ins Bett bringen.
Edit:
An einem konkreten Beispiel diskutiere ich mit dem schlauen Thilo Specht, was ich an den Kritikerinnen von Frau Schröder kritisiere, nämlich das unterkomplexe Denken, das sie ihr vorwerfen ;)

6 Kommentare:

  1. Frau Schröder braucht keine Verteidigung (allenfalls Welpenschutz), sondern ein Thema. Das hat sie nicht bzw. ihre Vorgängerin hat sie alle mitgenommen (wie auch die MitarbeiterInnen). Und weil sie kein Thema hat, verfällt sie in ein seltsames History-Marketing. Das erinnert mich an Re-enactment, also die Mädels und Jungs, die längst geschlagene Schlachten nachstellen. Alles erlaubt und unterhaltsam, nur leider nicht das, was ich von einer Ministerin erwarte (und der ich meine 1. Stimme gegeben habe).

    Keine Frage: Das wird alles zu sehr aufgebauscht, aber leider ist es auch seltsam dämlich, diese Flanke zu öffnen, weil es in der Politik zwar täglich um Geld-, Sex- und Machtmanagement geht, aber, glücklicherweise, niemand es offen ausspricht, bis auf Frau Köhler und Frau zu Guttenberg (als Sidekick).

    Von der Leyen macht es deutlich besser: adressiert sublimierte Triebe, weist die Schuld dem Internet zu, schlägt völlig unwirksame Maßnahmen vor und bringt so Lieschen Müller und ihr männliches Pendant hinter sich. So geht Angstmanagement.

    Und im Übrigen hast Du mit Deiner grundsätzlichen Bewertung natürlich völlig Recht, lieber Wolfgang.

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  2. Eine zentrale Kritik lautet ja, dass Schröder sich auf überholte feministische Literatur bezieht. Christen protestieren ja auch, wenn man ihnen Bibelinterpretationen aus dem 19. Jahrhundert unterstellt.

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  3. Kaltmamsell - guter Punkt, ja, in der Tat. Ich habe diese Kritik so nicht wahrgenommen, was vielleicht daran liegt, dass ich in der feministischen Diskussion auch seit fast 15 Jahren nicht mehr drin bin. Allerdings kann ich nach nochmaligem Lesen des Interviews nicht so ganz erkennen, ob diese Kritik wirklich trifft, denn die Passagen beziehen sich ja auch auf die Vergangenheit, oder?
    Kann es sein, dass einige der Kritikerinnen diese Vergangenheit vielleicht gar nicht kennen?

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  4. Ich wollte nur mal eben Danke sagen. Ich kämpfe ja grade sehr damit meinem Anspruch weiterhin zu genügen. Nach 7 Jahren Teilzeit wieder Vollzeit zu arbeiten soll eben nicht heißen, dass ich deswegen mein Familienleben vernachlässige. Aus genau diesen Gründen lege ich Meetings auf 16 und nicht 19 Uhr und nehme mir Arbeit mit nach Hause damit ich Nachmittags auch mal mit zum Fußballtraining gehen kann. Auf der anderen Seite baue ich auf das Verständnis meiner Familie, dass ich eben auch mal abends eine Stunde einen Conference Call mit den USA führe statt die Kinder ins Bett zu bringen.
    Was die Ministerin angeht glaube ich auch, dass sie sich mit der Eröffnung der Diskussion keinen Gefallen getan hat, dass die meisten Kritiker aber einfach mit einer anderen und oft veralteten Role-model Definition im Kopf argumentieren. Die Realität in meinem Umfeld sieht nur auf der Makro-Ebene nach mangelnder Gleichberechtigung aus, auf der Microebene, in den Familien etc. ist das in der Regel einfach kein Thema mehr. Darum fordere ich von der Politik nicht Einmischung sondern vernünftige Rahmenbedingungnen. Und da muss ich hier in Bayern wenn ich mir Kitas und Co angucke oft genug die Hände überm Kopf zusammenschalgen und weiß sehr genau, dass meine letzten 7 Jahre nur in Hamburg (oder vielleicht noch Berlin) möglich waren aber nicht in einem von der CDU/CSU regierten Flächenstaat...

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  5. Katja Husen10.11.10

    Was mich an Schröders Argumentation ärgert ist vor allem folgendes: Frauen sollen Verantwortung übernehmen für ihre Berufswahl - dabei tun sie das schon längst! Frauen wählen nämlich diejenigen Berufe, die es ihnen ermöglichen eine Zeit aus dem Job aus- und wieder einzusteigen. Sie wählen also (vor allem vor dem Hintergrund einer oft mangelhaft ausgebauten und qualitativ minderwertigen Kinderbetreuung) ganz gezielt Jobs mit geringe(re)m Einkommen, aber besserer dauerhafter Erwerbschance.

    Diese Rahmenbedingungen zu ändern (gerade für wenig priviligierte Frauen) ist originäre Aufgabe der Politik und Schröders Ressorts. Und die Quote könnte da ebenso wie die steuerliche Förderung bestimmter Arbeitszeitmodelle in Partnerschaften ein wichtiger Schritt sein.

    Dass Schröder mit ihren Thesen zur zweiten Welle der Frauenbewegung ausschnittsweise natürlich recht hat - das habe ich auf den grünen Verteilern auch schon geschrieben und Luise Pusch und Helke Sander als Kronzeuginnen aufgeführt.

    Besonders bitter finde ich wie unfassbar patriarchal sich viele Frauen in Tonfall und Wortwahl an Schröder abarbeiten - und Merkel, die sie ja berufen hat, mit keinem Satz erwähnen.

    Deine Meinung zu Jungs in der Schule teile ich explizit nicht. Die Varianz innerhalb der Geschlechter ist auch bei Fragen des Bewegungsdrangs, der Diskussionsfreude und Abstraktionsbegeisterung größer als die Varianz zwischen den Geschlechtern. Es gibt also sehr wohl auch SchülerInnen, die davon betroffen sind (oder sein müssten).

    Außerdem ist doch interessant, dass es in Ländern mit weit rigideren, mehr auf Anpassung setzenden Didaktikmethoden das Problem mit den Jungs nicht gibt.
    Ich kenne genug weibliche Lehrer, die den höheren Medienkonsum von Jungs dafür verantwortlich machen, dass ihnen die Konzentration auf das Wesentliche in der Schule schwerer fällt als den meisten Mädchen. Medienkonsum ist allerdings Elternsphäre und nicht genetisch determiniert.

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  6. Danke Katja für deinen ausführlichen Kommentar - und ja, genau diese Reaktionen haben mich so sehr geärgert. Das mit der Schule muss ich nachforschen, guter Hinweis, der einleuchtet. Andererseits ist die Tatsache, dass Frauen keine Jungs waren, auch nicht völlig unbedeutend, denke ich, aber das ist noch mal ein ganz anderes pädagogisches Thema.

    Dass Schröder zu kurz springt in der Berufswahlfrage habe ich ja auch angesprochen, das sehe ich genau so wie du. Bin aber interessanterweise heute in einem Berufsumfeld, in dem ich als Mann das erlebe, was Frauen in vielen anderen Umfeldern erleben: dass du besser sein musst als das andere Geschlecht, wenn du die gleiche Karriere machen willst (hier bezogen auf PR, nicht auf Online).

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