13.3.09

Es gibt keine Worte, nirgends

Es gibt keine Worte, die angemessen sind. Und vielleicht sollten Medien irgendwann auch einmal schweigen. Und die üblichen Verdächtigen nicht immer hyperventilierend durch die überflüssigen TV-Sondersendungen tingeln. Und nicht über die Geschmacklosigkeiten auf Twitter diskutieren, solange ich keine Zeitung aufschlagen kann ohne mich zu ekeln über die Berichterstattung.
(Zum Twitterthema finde ich übrigens Michael Domsalla lesenswert, auch als fast einzigen, vielleicht von einem der vielen Beiträge des Herrn Niggemeier einmal abgesehen)


Eine einzige Ausnahme. Jochen Kalka, Chefredakteur des Branchenblattes w&v. Gestern schon das einzige, was ich persönlich als lesenswert empfunden habe. Und heute wieder. Er stellt sich aus der Nähe, der schrecklichen Nähe, die gleichen Fragen, die wir uns zu Hause auch stellen.
Weiterhin berichten die Medien nur über den Täter. Schuld seien die Lehrer, sagt etwa am Abend im ARD-Brennpunkt die Frau aus Mainz, die sich Psychologin nennt und forsch auf kompetent macht. Schuld seien die Computerspiele, thematisiert auch noch am heutigen Freitag bald jede Zeitung, zumal der Täter genau die Spiele zu Hause hat, mit denen fast jeder Schüler spielt.

Auch das mangelnde Waffengesetz wird thematisiert, nicht aber, warum der Vater eines geistig kranken Jungen, der in der Psychiatrie in Behandlung ist, zu Hause seine Waffen offen herumliegen lässt.

Und es wird auch nicht thematisiert, dass es hier jetzt 15 Familien gibt, bei der jeweils seit Mittwoch ein Mensch weniger am Tisch sitzt. Zum Beispiel bei dem frisch verheirateten Polizisten, der einer der ersten am Tatort war und seine eigene Frau, eine junge Lehrerin, dort tot vorfand.

Werben & Verkaufen Chefredkteur Jochen Kalka
Sie hatte sich vor die Kinder geworfen, um sie zu schützen.

Das sind wirkliche Fragen. Meine Frau ist Lehrerin und fragt sich, wie sie sich verhalten hätte. Ein Kunde lebt in der Nähe und hat Angst um die Kinder von Freunden. Meine kleineren Kinder fragen mich, was das da auf dem Titelbild der Zeitung ist. Die größeren lesen selbst, ein bisschen, und fragen sich und uns das gleiche.

Aber es gibt keine Worte, die das Leiden beschreiben. Trotzdem ist dieses Leiden das einzige, was ich eigentlich lesen möchte. Darum gehen mir Kalkas Reportagen so nah.

Ist dies ein Plädoyer für die Emotionalisierung des Journalismus? Vielleicht. Obwohl das, was ich in dicken Buchstaben und lautem Gekeife am Rande mitbekomme, noch emotionaler ist, denke ich. Und wenn - wie gestern in der Tagesschau (die ich nicht gesehen habe, da bin ich auf Erzählungen angewiesen) - abends ein abstruser Fehler der Polizei (dies Ding mit der Ankündigung im Internet, die nicht stattfand) wiedergekäut wird, der zu diesem Zeitpunkt schon mindestens sechs Stunden widerlegt war, hab ich überhaupt keine Lust mehr.

Und überhaupt. Ich mag dann auch lieber mit anderen Vätern über Kindererziehung und Schulhofgewalt reden als hysterischen TV-Nasen bei ihrer Erregung zuzusehen.

2 Kommentare:

  1. Anonym26.3.09

    Der W&V Artikel war auch der Einzige, den ich gerne und aufmerksam gelesen habe. Es ist auch der Einzige, an den ich mich jetzt noch voll erinnere. Es ist der Einzige, der es wert war, geschrieben zu werden. Es hätte genügt.
    Was mich aber vor allem gefreut hat, war die Stimme, die Sprache, die der Chefredakteur benutzt hat. Unprätentios. Einfühlsam. Langsam. Ruhig. Wirklich gut.

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