5.1.16

Es geht um dich

Köln, Hamburg, Stuttgart und anderswo nach Silvester.

Die gleichen Leute, die bis vor etwa einem Jahr bei jedem Versuch "Genderwahn" oder so was geschrieen haben, wenn über das Verhalten gegenüber Frauen geredet wurde, überschlagen sich nun vor frauenrechtlicher Rechtschaffenheit. Einige derjenigen, die versuchen, dem Pöbel, dem Hass, dem Rassismus entgegenzutreten, der sich als Sorge tarnt, zeigen merkwürdige Tendenzen, das Verbrechen an sich zu relativieren. Manches, was wir gerade sehen, würde in der politischen Theorie wohl als Querfront durchgehen (wie es in Nahost- und Russlandfragen ja schon länger in Deutschland üblich ist, dass sich Querfronten bilden). Zugleich gibt es einen gemeinsamen Aufruhr von feministisch geprägten Linken und Nazis über den (nicht nur verunglückt formulierten sondern grotesk blöden) Vorschlag, Frauen jetzt Verhaltensregeln zu geben.

Was dabei aber passieren könnte oder müsste oder sollte oder was weiß ich, wäre doch eine breite Berichterstattung und Diskussion über sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Ja, es ist naiv, anzunehmen, dass Menschen, deren Abstiegs- und Zukunftsangst sich in dem Hass entlädt, den sie bei sich selbst mit Mühe und Not unterdrücken konnten, so lange sie noch nicht von diesen Ängsten vollkommen zerfressen waren, erreicht werden können. Aber deutet sich nicht eigentlich gerade ein Konsens an, was ein Männer-Verhalten ist, das nicht akzeptabel ist? Zum ersten Mal überhaupt?

Während die Gesellschaft gerade zerfällt, während auf der einen Seite mehr und mehr Menschen desozialisiert werden und auf der anderen Seite eine neue Zivilgesellschaft entsteht (und diese beiden großen Gruppen von Menschen nichts mehr miteinander zu tun haben), entsteht an einem anderen Grundkonflikt unserer Gesellschaft zumindest verbal ein Konsens, der überraschend ist.

Sexualisierte Gewalt geht nie und von niemandem.
Nicht Frauen brauchen Verhaltensregeln sondern Männer müssen die bestehenden Verhaltensregeln akzeptieren. Es ist kein Frauenthema, sondern ein Männerthema. Denn die einzige Gemeinsamkeit, die Täter sexualisierter Gewalt haben, ist, dass sie Männer sind (ok, und, dass sie Arschlöcher sind, ja).

Dieses Thema geht (uns) Männer überall im Alltag an. In der Firma, wenn mal wieder "Jungswitze" gerissen werden. Auf Weihnachtsfeiern, wenn die Geschäftsführer Knotentänze mit den Auszubildenden einfordern. Auf Volksfesten, wenn einer mal wieder wie zufällig die Hände auf die Hüften oder den Po einer Frau legt (oder ihr, wie in jenem heute durch Twitter gereichten Beispiel, "spaßig" unter den Rock greift).

Aufkleber einer Kampagne, die meine Agentur für den Kunden HRA Pharma zurzeit macht

Es kann doch Bitteschön nicht sein, dass wir es "normal" finden, dass Frauen da, wo viele Männer (alkoholisiert) zusammenkommen, angefasst oder angegriffen werden. Ob es auf der Großen Freiheit ist, vor dem Kölner Hauptbahnhof oder auf dem Oktoberfest. Ob beim Karneval oder auf der Weihnachtsfeier der Agentur. Das ist nie normal und das ist immer Arschlochverhalten. Und das hat nichts mit Prüderie zu tun oder damit, dass eine Frau sich irgendwie verhalten sollte, um sich zu schützen (ja, dass sie es tut, ist eine andere Sache, logisch, aber das kann nicht die Forderung oder die "Lösung" sein).

Es geht um dich und mich
Stattdessen hat es etwas mit Zustimmung zu tun. Consent sagt das Englische dazu. Zustimmung. Die Regel ist doch eigentlich so einfach: ohne eine explizite Zustimmung keine Berührung. Punkt. Alles andere ist Gewalt. Es gibt welche, die finden, dass ich damit die "echte" Gewalt kleinrede, wenn ich dies schon Gewalt nenne und als übergriffig bezeichne. Aber ich bin überzeugt, dass wir Männer uns nur dann an diese Regeln halten werden, wenn sie so klar und so eindeutig benannt sind. Und wenn uns klar ist oder klar gemacht wird, dass jede körperliche Grenzüberschreitung Gewalt ist (und viele andere auch, ja).

Es geht um Männer bei diesem Thema. Denn hier haben nicht Frauen etwas falsch gemacht, weil sie sich irgendwo hinbegeben haben. Oder einen (kurzen) Rock anhatten. Oder betrunken waren. Sondern hier haben Männer etwas falsch gemacht. Und dafür gibt es keine Ausreden. Und das müssen wir Männer thematisieren.

Und darum müssen wir Männer gegenüber anderen Männern einschreiten. Ich habe es in der Vergangenheit auch nicht immer gemacht, hatte selbst Angst, oder habe gekündigt. Darum geht es hier auch um mich. Und um dich.

Update 7.1.16, 9.12 Uhr
Dieses gilt übrigens und selbstverständlich auch und/oder erst Recht, wenn die sexualisierte Gewalt gegen Frauen in der Großstädten in der Silvesternacht vor allem ein "Trick" gewesen sein sollte, um Diebstähle begehen zu können. Wir wissen zurzeit ja tatsächlich noch sehr wenig, die "Zeit" fasst das mit Stand gestern (6.1.) Abend gut zusammen. Über die sexualisierte Gewalt gegen Frauen zu sprechen, ist eines der wenigen Dinge, die aus meiner Sicht tatsächlich angemessen sind jetzt gerade.

12 Kommentare:

  1. Danke!
    .... sagt eine Frau

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  2. "Denn die einzige Gemeinsamkeit, die Täter sexualisierter Gewalt haben, ist, dass sie Männer sind"

    Als Opfer sexualisierter Gewalt durch eine Frau - meine Stiefmutter hqat mich jahrelang mißbraucht, muss ich dem entschieden widersprechen. Es gibt in unsere Gesellschaft maßenhaft weibliche Täterinnen von sexueller Gewalt gegenüber Kindern, Männern und Frauen. Viele Studien belegen das.

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    1. Deutsche Mainstreammedien bevorzugen meistens über sowas lieber nicht zu berichten. Beispiel von heute: http://www.dailymail.co.uk/news/article-3385560/Boy-15-given-amphetamines-36-year-old-mother-three-awake-sex.html

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    2. Hallo Ulf, selbstverständlich. Den Zusammenhang hier mit Gewalt gegen Frauen hielt ich für klarer als er für dich ist, das tut mir leid. Mir geht es nicht um eine erschöpfende Behandlung alles Formen von Gewalt, sondern hier die in der Öffentlichkeit. Auch der gesamte Bereich der häuslichen Gewalt ist hier nicht beachtet.

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  3. Die Oktoberfestnummer ist biliges derailing auf Kosten von plumper Misandrie. Ich habe ja nix gegen Ausländer, deshalb pflege ich lieber meinen Sexismus als meinen Rassismus.

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    1. Ich lass das jetzt mal hier stehen, um zu zeigen, wohin mangelhaftes Leseverstehen führen kann, ja?

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  4. Ja, das ganze ist leider ein trauriges Thema. Zum ersten Mal wirklich bewusst wurde mir das im hessischen Friedberg, wo ich studiert habe. Da musste man Mädels abends eigentlich zwangsläufig nach Hause bringen. Auch da gab's übrigens Probleme mit Ausländern: Nämlich mit Amerikanern. Da gab's nämlich damals noch eine US-Kaserne. Und die werten Herren Soldaten waren nach Dienstschluss nicht unbedingt alle ein Beispiel an vorbildlichem Verhalten.

    Und in Hamburg sieht's auch nicht so viel besser aus. Wenn Frauen sich nachts nicht mehr alleine durch gewisse Teile der Stadt trauen, finde ich das schon verdammt traurig und ein gewisses Armutszeugnis, was die Männer angeht. Ich würde mir wünschen, dass sich das in der Zukunft noch mal ändert. Aber ich fürchte, das wird nicht passieren. Und, ich hoffe ich darf das sagen, ohne dass die Rassisten-Keule kommt, das wird meiner Meinung nach durch die immer mehr Menschen aus patriachischen Kulturen ... hmm, ich sollte wohl besser sagen, aus noch patriachischeren Kulturen als der unseren ... nicht unbedingt besser werden.

    Und das heißt nicht, dass ich gegen Flüchtlinge, Moslems oder sonstwas bin. Aber man darf auch nicht blauäugig wegschauen und so tun, als hätten die Vorfälle in Köln nicht auch kulturelle Hintergründe. Eine gute Integrationspolitik sollte meiner Meinung nach ganz oben auf der Agenda der Regierung stehen. Leider befürchte ich, dass sich beispielsweise die Kerle vom Kölner Hauptbahnhof gar nicht integrieren wollen. Die sind in der Hinsicht doch quasi schon verloren. Und diese Menschen gibt's natürlich auch nicht nur in Köln.

    Eigentlich verstehe ich gar nicht, warum es da überhaupt Regeln für irgendwen geben muss, was das Verhalten zwischen Mann und Frau angeht. Ganz einfacher Respekt vor seinen Mitmenschen müsste doch eigentlich reichen. Dann bräuchte man gar keine Regeln. Bedauerlich, dass dieser Respekt bei vielen Menschen, wohl gerade Männern, nicht wirklich ausgeprägt zu sein scheint!

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    1. Hallo Nils, das sehe ich auch als eines der Probleme, weshalb ich so auch einsteige. Und auch vor allem deshalb ziehe ich das Thema ja auch "aus der Frauenecke".
      Wenn der Reflex, sexualisierte Gewalt bei kulturell fremderen Männern zu verurteilen (was ich richtig finde), dazu führen würde, das eigene Verhalten oder das von uns kulturell näher stehenden ebenso zu ändern oder zu hinterfragen, ist etwas gewonnen. Das mag vielleicht etwas naiv sein. Aber das wäre mir wichtig. Und das wäre zumindest bei denen, die nicht von ihren Sorgen und Projektionen zerfressen sind, vielleicht doch denkbar.

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    2. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das Thema, das sicherlich noch ein paar Tage die Medien beherrschen wird, schon auch etwas sensibilisieren kann. Vielleicht ja nur ein wenig, aber besser als gar nicht. Ich werde auch versuchen, da noch mal etwas stärker drauf zu achten.

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  5. Anonym7.1.16

    Es ist völlig falsch, alle Ausländer und alle Flüchtlinge in einen Topf zu werfen. Das sind alles einzelne Individuen, die sind alle anders, jeder hat seinen eigenen ganz individuellen Hintrgrund.

    Es ist aber völlig richtig, alle Männer in einen Topf zu werfen. Wenn dort ein paar Männer Mist bauen, ist das gleich ein Thema, das hier und da und überall alle Männer zu betreffen hat. Und jeder muss sich an der eigenen Nase nehmen. Und jeder ist automatisch irgendwie Mittäter. Nud die wirklichen Täter werden sich kaum ändern, denn sie lesen weder die Texte in den Medien noch sind sie sonst irgendwie erreichbar.

    Ich distanziere mich in aller Form von saufenden, raufenden, Frauen belästigenden und beraubenden Männern. Und damit hat sich's. Aber eigentlich ist das eh selbstverständlich.

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  6. Anonym14.1.16

    Guter Text.
    Ich bin nach wie vor schockiert über hierarchisch legitimierte/motivierte sexuelle Gewalt. Arbeite in Hamburg in einer Agentur, die sich selbst als total progressiv und fortschrittlich stilisiert. Gleichzeitigkeit begrapschten die Geschäftsführer insbesondere unter erheblichen Alkohol-und Drogeneinfluss die meist jungen Damen (teilweise Praktis und Volos). Einer der GFs war so größenwahnsinnig, dass er bei einer Feier für sich proklamierte, jeder Frau nach belieben unter die Bluse zu greifen. Mittlerweile machen die GFs die Belästigungen nicht mehr so offensichtlich, aber es gibt sie nach wie vor. Alle neuen Angestelltinnen in der Agentur werden vor Festen vor den GFs gewarnt.
    Schlussanekdote - man könnte lachen, wenn es nicht sooo traurig wäre: Einer der grapschenden GFs ist großer Fan des Always-Case "like a girl".

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