7.5.12

Raus aus dem Interweb. Rein in die Häuser. Und rauf auf die Podien.

Dies ist kein Fanboyartikel. Obwohl ich schon der Überzeugung bin, dass Sascha Lobo tatsächlich sehr viel dafür tut, dass Menschen, die nicht wie du und ich im Internet zu Hause sind, eine Chance haben, zu verstehen, wie unser Lebensstil ist und warum. Und ich ihm dafür sehr dankbar bin, zumal ich in sehr vielen Fällen mit ihm einer Meinung bin. Nicht nur beim Thema Blogs oder in der Frage, ob Apple Twitter kaufen wird. Und er sehr viel schlauer ist, als er tut.

Viel wichtiger aber als die Tatsache, dass Sascha vieles aus meiner Sicht richtig sieht, ist, dass er eben vor allem nach "draußen" spricht. Dass er eine Bühne hat in klassischen Medien und im TV. Und dass er einer ist, der diese Internetdinge durchdacht hat, lebt und trotzdem noch daneben ein Leben hat. Der mit den Leuten da draußen so reden kann, dass sie ein bisschen was verstehen. Im Grunde ist das wichtigste an ihm, dass er eben nicht bloggt. Sondern redet, hier übrigens die re:publica-Dings-Rede.

Ein großer Teil auch meiner Arbeit und meines Lebens findet so statt. Nicht im TV, aber in Runden mit Menschen, die Verantwortung für Unternehmen und Marken haben - aber nicht online leben. Höchstens teilweise online arbeiten oder einkaufen. Zu den großen Komplimenten, die ich mag und immer wieder bekomme, gehört der Satz von Gleichaltrigen, die fühlten sich nun richtig alt nach unserem Workshop, nach meinem Vortrag, nach der Diskussion.

Was ich erst lernen musste und was mir inzwischen mehr und mehr gelingt: Dass ich von meiner Heimat Internet und meinem Leben mit der "default public" Einstellung und meiner Haltung, die ich offen formuliere, so rede, dass sie anderen, die es anders machen und anders sehen, keine Angst macht. Dass ich erkläre, was sich hier verändert hat - und nicht, was sich verändern muss. Dass ich Leute dafür gewinne, sich ihren Blick auf diese Welt da nicht davon verstellen zu lassen, dass sie ihnen fremd und unheimlich ist und sie vieles an ihr für sich persönlich ablehnen.

Und ich denke, das ist es, was wirklich wichtig ist gerade jetzt. Dass wir raus gehen und mit unseren Nachbarinnen reden. Mit unseren alten Freundinnen, die diesen Weg (noch) nicht mitgegangen sind. Mit unseren Chefinnen. Mit unseren Kundinnen. Dass wir deutlich machen, dass es kein "richtig" oder "falsch" in den Fragen gibt, die uns (jetzt sage ich schon uns, seufz) umtreiben. Sondern dass es Wirklichkeiten gibt, die anders sind als das, was wir selbst tun.

Zwei Erlebnisse aus den letzten Wochen:
  • Da war dieses Kolloquium der Walter-Raymond-Stiftung, der Stiftung der Arbeitgeberverbände. Am ersten Tag war die Reaktion der Teilnehmer (es waren nur sehr, sehr, sehr, sehr wenige Frauen dabei) noch aggressiv und widerständig, vielleicht auch, weil der damalige Bundesvorsitzende der Piratenpartei, der ja eher wie ein Junge-Union-Funktionär wirkte, sprach (übrigens auch sehr gut und sehr ruhig und sehr gewinnend). Im Laufe der zwei Tage drehte die Stimmung immer mehr. Nach und nach setzte bei den meisten der Versuch ein, zu verstehen, worüber "wir" da vorne redeten. Was eigentlich unser Thema sein könnte. Dass wir tatsächlich ihre Bedeutung für uns und für die Meinungsbildung in Frage stellen. Dass "alte" Eliten Konkurrenz bekommen haben. Dass das eine Veränderung ist, der sich sogar die (überwiegend emeritierten) Top-Professoren dieses Landes, die sich als zu diesen alten Eliten zugehörig fühlen, werden stellen müssen, die da zusammen saßen. Hier übrigens mein Vortrag von diesem Tag.
  • Da war das Treffen von Kommunikatorinnen aus den evangelischen Kirchen. Bei denen zwar ein gewisses Unverständnis, aber auch eine große Offenheit für meinen Lebensstil und meinen Heimatraum da war. Und die am meisten irritiert hat, als ich sagte, dass bei unserem letzten Hausbau die Frage wichtiger war, ob die Datenleitung fertig wird als die Wasserleitung. Hätte ich wissen können und anders formulieren, denn Wasser ist für Menschen, die sich mit Ländern des Südens beschäftigen, extrem wichtig. Ein Ergebnis von Vortrag und Diskussion war dann mein Papier über Social Media und Kirche.
Redet auf den Spielplätzen, in den Schulen, auf dem Ponyhof, bei der Arbeit, nächstes Wochenende, wenn ihr eure Mutter besucht. Redet und erzählt, wie ihr lebt, was für euch Internet ist. Erklärt nicht denen, die es schon wissen, auf Twitter und in euren Blogs, was euch in Details von mir oder von dem oder von der oder von Sascha Lobo unterscheidet. Sondern beschreibt denen, die Sascha aus dem TV kennen, warum er trotz seiner Frisur kein Spinner ist. Sondern was ihr so seht wie er (denn das wird nicht so wenig sein, wenn ihr ehrlich seid und einmal für kurze Zeit vergesst, dass ihr es total ätzend findet, dass er wie der Klassensprecher daher kommt, den ihr ja damals auch schon nicht mochtet).

Denn wenn ihr, die ihr euch da, online, schon lange so sicher bewegt, euch in der Kohlenstoffwelt, in den Häusern, auf den Podien aus der Deckung wagt, werden andere, die zwar nicht bloggen und twittern, aber Facebook nutzen und Bilder hochladen und so, euch beispringen. Das erlebe ich seit einigen Monaten in fast jeder Runde, in der das Thema hoch kommt.

Vielen meiner alten Freundinnen ist dieses Leben fremd. Einige finden es bedrohlich, obwohl sie keine Angst vor mir haben. Andere sorgen sich um die Zukunft von Kulturtechniken, die ihnen wichtig sind (Lesen! von Büchern! in der U-Bahn!). Aber wenn sie nicht verstehen, was uns wichtig ist, jenseits aller (politischen, wirtschaftlichen, kulturellen) Unterschiede, wenn sie nicht begreifen, warum für uns dieses Internetz ein Heimatraum ist, eben auch ein Raum, dann haben wir verloren.

1 Kommentar:

  1. Anonym2.6.12

    Gutes Thema :)

    Es ist wichtig, "den Menschen da draußen" ein wenig (Internet-) Realitätsbezug zukommen zu lassen ohne sie als blöd hinzustellen. Wir Nerds sind mEn in der Pflicht, da unser Bildungssystem in diesem Fall ein Rohrkrepierer ist.

    Wenn jetzt mit FB zusammen über das Netz aufgrklärt werden soll, kann man nur ahnen was dabei rauskommt. Ich denke, das heftige Themen, die den "ich mach doch nix schlimmes"-Reflex im Nachbarn oder den Arbeitskollegen heraufbeschwören, nicht ohne Wissen um das Netz richtig kommuniziert werden können.

    Solange "das Internet" nur aus FB und shopping besteht, werden ja auch die Möglichkeiten nicht genutzt. Die Sprachbarriere spielt natürlich auch eine Rolle (und da sind wir wieder bei der Bildung).

    Gruß, Wastl

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