17.8.11

Und es ist doch wichtig, das mit Boetticher

Mein erster Reflex war: So what. Geht mich nichts an. Soll er doch eine 16-jährige Freundin haben.

Mein zweiter Reflex war: Die CDU ist gewohnt bigott - macht erst einen Ehebrecher zum Bundespräsidenten und schmeißt dann einen raus, der eine von der Normalität abweichende Beziehung führte.

Das hab ich auch gesagt, beispielsweise auf Twitter und so. Und bei aller persönlichen Sattelfestigkeit in moralischen Fragen rund um Beziehungen und Sexualität, die ich mir selbst bescheinigen würde, wäre die Tatsache, dass Boetticher das anders sieht, kein Grund, ihn abzulehnen. Ja, mir sind Schröder und Fischer mit ihrem nicht ausschließlich serienmonogamen Frauenverschleiß mehr als suspekt (und ich bin sogar davon überzeugt, dass ein großer Teil dessen, was ich weder politisch noch inhaltlich noch menschlich an ihnen ausstehen kann, mit ihrem skurrilen moralischen Kompass zusammen hängt). Aber ich trenne das irgendwie trotzdem.

Und dann dachte ich nach und las das eine oder andere (nein, nicht in Medien, da war nur abstrus von "Affäre" die Rede, was ich immer für eine Umschreibung von Bigamie hielt). Und hörte dies und das von Leuten, die in Schläfrig-Holstein besser vernetzt sind als ich, was mich erschaudern ließ. Und dann war ich erstmal still.

Aber dann las ich diesen abstrusen Beitrag von Richard Herzinger auf Welt Online, der von der üblichen betroffenheitsbesoffenen Clique weiter gereicht wurde, bis er auch bei mir ankam. Und da ist mir der Kragen geplatzt.

Denn trotz allem geht es hier nicht um Moral. Dachte ich auch erst, stimmt aber nicht. Es geht um Reife und um Persönlichkeit und um Haltung. Leider weiß ich nicht mehr, wer es war, der mich (auf Facebook) auf den Gedanken brachte, aber er stimmt. Ich habe ihn offline ausgetestet, er stimmt. Und darum schreibe ich ihn auf:

Ich habe jugendliche Söhne. Ich kenne 16-jährige Mädchen, weil die Jungs mit solchen rumhängen. Ich bin ungefähr so alt wie von Boetticher. Und ja, es kann passieren, dass da Mädchen sind, die flirten, sogar mit mir. Die sind 16, Hallo! Es wäre sogar denkbar, dass sie denken würden, sie wären in mich verliebt (ist mir nicht passiert, so weit ich weiß, aber das wäre rein theoretisch denkbar, wenn man mal von meinem Übergewicht absieht und davon, dass ich komisch bin).

Wie verquer müsste ich sein, wenn ich darin etwas anderes vermuten würde als jugendliche Experiementierlust und Schwärmerei?
Wie weit müssten mein Selbst- und mein Fremdbild auseinanderklaffen? Wie verantwortungslos müsste ich sein? Wie bekloppt sind die, die behaupten, ein Mann in meinem Alter und ein Mädchen im Alter meiner Kinder würden eine gleichberechtigte, symmetrische Beziehung führen können (denn das wäre sie, wenn es Liebe ist, Liebe geht nicht asymmetrisch)?

Meine Frage an von Boetticher ist keine moralische. Es ist eine nach seiner Reife. Und seiner Eignung zu einer Führungsaufgabe. Darum geht die Parallele mit Müntefering oder Kohl oder Seehofer oder sogar Wulff auch fehl. Ja, der eine oder andere mag viel älter sein oder moralisch viel verkommener. Aber außer Ole von Beust ist mir kein Fall bekannt (was nicht viel heißen soll), in der eine derart asymmetrische sexuelle Beziehung öffentlich wurde.

Und asymmetrisch meint hier: Der Erwachsene muss in einer Beziehung zu einem Kind oder Jugendlichen (und zwar in jeder Beziehung, ob wie hier in einer sexuellen oder unter normalen Umständen in einer lehrenden, erziehenden, arbeitenden) immer mehr Verantwortung für die Beziehung übernehmen als das Kind oder die Jugendliche. Selbst in einer auf Partnerschaftlichkeit angelegten Beziehung übernehme ich als (im Idealfall reiferer) Erwachsener ein Mehr an Verantwortung. Alles andere wäre unreif und schädlich.

Und darum bin ich nach einer knappen Woche nun doch der Meinung, dass es mehr als richtig ist, dass von Boetticher keine Führungsaufgabe mehr übernimmt. Weil sein Verhalten uns zeigt, dass er unreif ist, keine Verantwortung übernimmt, sich nicht von außen betrachten kann. Alles Eigenschaften, die mir persönlich wichtig sind bei einem, der das Amt anstrebt, das er anstrebte. Bei aller Leichtigkeit des Seins ist ein bisschen Ernsthaftigkeit nie schädlich. Und ein Kompass auch.

Sonst wird es so wie bei Schröder, Fischer oder von Beust. Das aber wäre eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden könnte...

12 Kommentare:

  1. Völlig richtig. Etwas anderes zu behaupten, halte ich für Möchtegern-Effekthascherei (für Clicks auf die eigenen Troll-Blogs? Hinthint, Medienszene).

    Zugegeben: es gibt (bestimmt) 16jährige Mädchen, die wesentlich erwachsener und erfahrener scheinen mögen. Aber das ändert nichts daran, dass es nur ein Schein ist, keine Wirkung, keine Ursache. Man schaue sich doch mal die kleinen Dinger an, oder die 20jährigen Bachelor-Studenten, die Dank Interwebs und Beratereltern schon ganz schön ausgeklügelt wirken, dann aber trotzdem vor einfachen Problemen oder emotionalen Thematiken in die Knie gehen. Asymmetrisch.

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  2. Sascha Stoltenow17.8.11

    Danke Wolfgang. In Ergänzung zwei Punkte: Von einem Politiker erwarte ich Augenmaß und Urteilskraft. Das mag idealistisch klingen, aber dahinter verbirgt sich im Kern die Fähigkeit pragmatisch (das kann auch intrigant, whatever sein) Dinge geregelt zu bekommen, die für das Gemeinwohl richtig sind. Von Bötticher scheint nicht über diese Fähigkeiten zu verfügen, was sich daran zeigt, dass er diese Beziehung gesucht, begonnen und dann vermutlich aus Karrieregründen beendet hat. Das ist menschlich tragisch, politisch untragbar.

    Was mich an dem Artikel in der Welt und den Claqeuren stört: Ihr Argument ist, die Beziehung sei juristisch nicht verboten. Ja Herrgott sakra, wollen die denn in einer Gesellschaft leben, inder alle alles machen, was juristisch nicht verboten ist? Wollen die sich gegenseitig belügen und betrügen und ins Unglück stürzen? Und: deren Argument, von Bötticher sei über "unsere" Doppelmoral gestürzt, ist nicht nur falsch, es offenbart, dass sie keine haben.

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  3. Danke Wolfgang, Deinen Impetus habe ich gestern mit meinem umgetexteten Maffay Lied bei fb und g+ gemeint:

    "und alle so frei nach Muffei:

    Ich traf sie auf facebook und sah ihr Profil und irgendwie hatt' ich das Gefühl
    als winkte sie mir zu und schien zu sagen komm doch schnell zu mir

    Sie war sechzehn und ich neununddreißig
    und über Liebe wusste sie nicht viel
    ich wusste alles und ließ sie das spüren
    danach war sie kein Kind mehr... und es war Sommer"

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  4. Wolfgang hat völig Recht, ich möchte den Gedanken noch ergänzen. Von Boetticher hat auch politische Unreife gezeigt bzw. kein Gespür für die Haltung der CDU-Wähler in Schleswig-Holstein in dieser Frage. Er hätte, nachdem er diese Beziehung hatte, niemals sich zum Spitzemann wählen lassen dürfen. Weil er es doch getan hat, ist er letzlich zu Recht zurückgetreten.

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  5. Das Beste an dem verlinkten Welt-Artikel ist ja die dazu gehörende Bildergalerie, welche die Aussage des Autors ja mal so was von konterkariert. Medien sind schon komisch online...

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  6. Ich gebe dir in vielen Punkten Recht, Wolfgang, stelle aber die Frage, wie die Kritik aussehen müsste, wenn die Frau 18 Jahre alt, also volljährig, gewesen wäre. Zwei Menschen, vielleicht viele Jahre auseinander, aber dennoch in der Lage, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Die Menschen nur nach dem Alter zu beurteilen, greift zu kurz; denn es ist dann wiederum jeweils die eigene Entscheidung. Worüber man kopfschütteln kann, aber nicht muss. Und wer legt die Latte wohin?

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  7. Ich finde der eigentliche Skandal ist, dass CvB sich mit der jungen Frau vergnügte, während er mit einer anderen, seinem Alter eher angemessenen Frau namens Anna Christina Hinze schon langjährig liiert gewesen sein soll, die er dann auch zwischenzeitlich in Nevada geheiratet haben soll. Und dann wurde im die Möglichkeit zur Spitzenkandidatur eröffnet - und die junge Geliebte wurde "abgelegt", wohl weil im das zu "skandalträchtig" erschien.

    Ich mag mir kein Urteil darüber anmassen, was ein "tolerierbarer Altersunterschied" ist. Es gibt schlaue & reife Sechzehnjährige, und es gibt naive Dreissigjährige - beiderlei Geschlechts.

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  8. Katja18.8.11

    Ich seh das immer noch anders. Mir ist Unreife bei Menschen sehr unterschiedlichen Alters begegnet und die Erfahrung, dass es einen Unterschied zwischen der Liebe gibt, die eine langjährige Beziehung, Kinder und gemeinsame Schulden trägt und der Liebe, die einen für drei Monate oder auch mal sechs mitreißt - diese Erfahrung muss nun mal jede und jeder selber machen.
    Ich habe es immer abgelehnt, wenn andere Menschen die Wahl meiner Sexualpartner mit ihren moralischen Maßstäben bewertet haben. Egal, ob das meine Eltern, meine Freunde oder wildfremde Menschen waren.
    Als 16-järige in einen drogenabhängigen 18-jährigen verliebt zu sein bis man kapiert, dass ein Helfersyndrom noch keine praktische Lebenshilfe für einen Junkie ist kann genauso eine prägende Erfahrung sein, die man nicht missen möchte, wie die Beziehung zu einem sehr viel älteren Mann oder ein ausschließlich sexuelles Abenteuer.
    Es steht auch Dir, Wolfgang, nicht zu, eine Sechzehnjährige beschützen zu wollen, die nach dem Gesetz und ihrer eigenen Einschätzung nach keines Schutzes bedarf.
    Ebenso geht es uns auch alle nullkommanichts an, ob es da eine andere langjährige Lebensgefährtin gab und wie wohl der Stand der Beziehung zu der war.
    Entscheidend ist alleine: Es gab kein Abhängigkeitsverhältnis, keine durch Rauschmittel verringerte Steuerungsfähigkeit und keine Gewalt. Es gab eine experimentierfreudige Sechzehnjährige und einen experimentierfreudigen Vierzigjährigen - that's it. Ob die das, was sie verbindet, Liebe oder Lust oder Rausch nennen - all diese Worte kann man nur für sich selber definieren.
    Ich lass mir meine Jugendlieben jedenfalls nicht kleinreden, nur weil sie nicht in Familie, gemeinsame Konten, Traualtar geendet sind. Sie waren meine und ihre Beurteilung obliegt mir und nur mir, weil sie legal waren.

    Wie asymmetrisch jemand seine Beziehungen führen möchte geht all jene, die an gleichberechtigte Partnerschaften glauben gar nichts an. Zumal in Gefühlsdingen Asymmetrie wirklich schwer von außen zu beurteilen ist (von den o.g. drei Ausnahmen mal abgesehen - aber die sind auch justiziabel).

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  9. Danke euch für die Diskussion, die ich substanzvoller finde als das meiste, was ich dazu bisher gelesen habe.

    Ein paar Anmerkungen auf die Schnelle:
    - Mich irritiert auch sehr, Sascha, dieses juristische Argument, aus ähnlichen Gründen. Finde es allerdings so absurd, dass ich es nicht mal erwähnen mag.
    - cdv: Mir geht es nicht um das Alter allein, nicht um ein formalistisches Argument, sondern um die Frage der Reife von Boettichers, die ich ihm abspreche.
    - Das ist auch weit mehr mein Punkt, Katja, als eine moralische Bewertung, schon gar der 16-jährigen. Mir geht es gar nicht um Moral (jedenfalls nicht hier, das ist wirklich ein anderes Thema). Dass es die "geht-uns-nichts-an"-Fraktion zu einem moralischen Thema machen will, um dann mit dem Argument zu kommen, dass ihnen das Thema Moral egal sei, finde ich sehr, sehr schräg. Und darum ist es mir auch so wichtig, mich nicht auf die Moraldiskussion zu begeben. Denn du hast Recht, Katja - mich und andere geht es nichts an, ob irgendwer eine aus meiner Sicht verantwortliche Beziehung führen möchte oder nicht. Aber mich geht es etwas an, ob ich jemandem aufgrund seiner Lebensführung zutraue, ein verantwortliches Amt auszufüllen. Und auch das hat nichts mit Moral zu tun. Sondern mit Persönlichkeit und Haltung und Reife (sorry, dass ich das Wort noch einmal strapaziere).

    Es ist ein Unterschied, ob du als 16-jährige eine solche Beziehung als gute und prägende Erfahrung verbuchst - oder ob ich die sexuelle Erregung, in die mich Frischfleisch versetzt, unreflektiert mit Liebe verwechsele. So lange von Boetticher nichts macht, was dem Kind schadet, ok, soll er tun - aber dann nicht behaupten, er sei erwachsen oder reif oder in seiner Persönlichkeitsentwicklung so weit, dass ich ihn als Ministerpräsidenten haben mag. Meine Verweise auf Schröder, Fischer und Beust haben genau damit zu tun übrigens. Aber das ist am Ende, wie gesagt, ein anderes Thema.

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  10. Sascha Stoltenow18.8.11

    Schade, Wolfgang, dass man hier nicht plussen und liken kann - andererseits: Das ist vielleicht auch gut so.

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  11. Ich finde die Frage nach der Grenze, die cdv stellt, wichtig. Wer legt fest, ab wann eine solche Beziehung in Ordnung ist?
    Allerdings: Der Umgang Boettichers mit der Sache gibt Dir recht, dass es gut ist, dass er keine Führungsrolle mehr übernehmen wird. Er zeigt ausgemachte Unreife. Das hat allerdings eher am Rande mit der Beziehung zu der 16-jährigen zu tun.

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  12. Katja22.8.11

    Lieber Wolfgang, ob Du allerdings meinst, vB Verhalten sei Zeichen von Unreife, die ihn dann wiederum nicht geeignet machen würde zum Kandidaten - das und die Termini "Persönlichkeit" und "Haltung" lassen aber eben doch erkennen, dass es im Kern um Moral geht. Was sonst außer einer moralischen Bewertung kann es sein, wenn nicht justiziables Verhalten bewertet wird? Daran ist ja nichts schlimm, aber mich wundert, dass das niemand zugeben mag.
    (Dazu gehört auch Deine wiederholte Verwendung des Wortes "Kind")

    Ich vermute, dass wir über die unreifen Seiten der meisten PolitikerInnen überhaupt nie etwas erfahren werden - und finde das auch super. Denn möchte ich eine Kanzlerin haben, die Arztromane liest (irgendwer muss die ja alle kaufen)? Oder einen Polizeichef, der nur bei einer Domina einen hochkriegt? Möchte hier wirklich jemand wissen, was die meisten Führungskräfte dieses Landes machen, wenn sie mal ein Wochenende mit ihren best buddies unterwegs sind? Oder ob es andere gibt, die sich bei WoW einen Elfen-Avatar zugelegt haben oder oder oder?

    Ich finde, es wäre den WählerInnen absolut selber überlassen gewesen, darüber zu urteilen, ob sie einem Spitzenkandidaten die nötige Reife attestieren. Sie haben es bei solchen Bengels wie Schröder und Fischer hingekriegt, bei einem Narzissten wie Westerwelle und die Bayern ertragen auch die manngifaltigen Klappskasper von der CSU.

    Man könnte ja auch meinen, dass Sich-Konventionen-nicht-Beugen ein Zeichen von Reife ist. Dann wäre CvBs Rücktritt richtig gewesen, weil er mit dem Mädel Schluss gemacht hat, nicht weil er überhaupt was mit ihr angefangen hat...

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