26.1.11

Antireaktionäres Plädoyer

Wer kennt sie nicht, die guten Dinge die Leute, die Manufactum für eine passende Signatur ihres Lebensstils halten? Genau die habe ich vor Augen, wenn ich Sascha Lobos sehr gute Kolumne auf SpOn von heute lese, sein Plädoyer gegen Entschleunigung, diesen absurden, monströsen Fetisch der (Öko-) Reaktionäre. Er hat mir (dass ich das noch erleben darf) aber so was von aus der Seele gesprochen.

Ich denke, Sascha irrt sich nur in dem kleinen Abschnitt, in dem er Stress gut findet. Denn wiewohl er selbst auch ein Reaktionär ist, hat Reinhard K. Sprenger doch Recht mit seinem Spruch, Stress sei der "Orden der Unbegabten". Im Grunde entsteht (dauerhafter, denn nur der ist das Problem) Stress ja doch vor allem dadurch, dass eine eben das Atmen zwischen hoher Geschwindigkeit und absoluter Ruhe vergisst.

Ansonsten: Einer der Texte, die ich gerne selbst geschrieben hätte, der - wie ich hoffe: verständlich - erklärt, was das eigentliche Thema sein sollte.
Genau wie den Umgang mit der beschleunigenden Technologie muss man das Versäumen lernen, das beste Mittel gegen die Überforderung. Diese Kultur des Verpassens ist das Eingeständnis, dass die Welt zu schnell ist, egal wie schnell sie ist. Deshalb ist Entschleunigung keine Lösung, sie kann sogar gefährlich sein, weil sie wie das lauwarme Nichtschwimmerbecken ist. Man hält es ewig darin aus, aber lernt niemals schwimmen. (Lobo auf SpOn)
Ja, dass es einem zu viel wird, das kenne ich auch, zur Genüge, wenn ich ehrlich bin. Und ja, auch ich leide immer wieder darunter, dass ich den Eindruck habe, mein Leben sei immer schneller geworden. Aber ich habe eben auch die gleiche Erfahrung gemacht wie Sascha und die meisten anderen digital pioneers, die ich kenne: Ich genieße es, im Strom zu sein. Und ich kann und darf ihn auch mal vorbeiziehen lassen.

Wie Clay Shirky richtig feststellt: Es ist eine Frage der Filter. Alte Filter (auf Medien, Informationen, die Welt) sind zerbrochen, einige von uns haben schon neue Filter, andere noch nicht - aber die Überforderung ist ein Filterproblem und ein Problem, mit dem Mut zur Lücke zurecht zu kommen, nicht aber ein Problem der Menge oder der Geschwindigkeit.

Es gibt keine gute alte Zeit. Die alte Zeit ist schlechter als unsere. Mein Leben ist - tschuldigung - besser als das meiner Eltern, als die in meinem Alter waren, viel besser als das meiner Großeltern, als die in meinem Alter waren. Es ist in manchem schneller. Und in anderem entspannter. Und ganz ehrlich, allem Streit, aller Probleme, aller Sorgen zum Trotz: mein Leben ist schön.

2 Kommentare:

  1. Darf man fragen, welchen Maßstab du nutzt um Leben miteinander zu vergleichen?
    Bei allem anderen gebe ich Dir recht.

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  2. Naja, wenn man zB meine Grosseltern anguckt: Als Jugendliche das Ende des Krieges erleben, 1948 wurde mein Grossvater nach Russland verschleppt und musste in Workuta Zwangsarbeit leisten, meine Oma durfte als Ehefrau eines Klassenfeindes nicht studieren. Flucht mit meinem Vater in den Westen, mein Opa kam mit erfrorenen Zehen wieder, Neuaufbau, schwierige Zeiten ohne Geld, lange sehr sparsam leben usw.
    Ja, ich habe ein besseres Leben als meine Grosselten.

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