14.7.10

Die Bischöfin muss zurücktreten

Es sind in der letzten Zeit Bischöfinnen geringerer Vergehen wegen zurückgetreten. Aber jenseits der reißerischen Überschrift muss ich länger ausholen, weil ich wirklich zornig und traurig bin.

Hintergrund ist ein systematischer und - nach allem, was man zurzeit weiß - wohl jahrzehntelanger (mindestens in den 70er und 80er Jahren) Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch einen Pastor in Ahrensburg, Luftlinie 700m von meinem Haus, in meinem Kirchenkreis. Den Pastor kenne ich nicht, wohl aber seinen damaligen Kollegen im gleichen Stadtteil von Ahrensburg und die anderen Beteiligten (also seine Vorgesetzten). 1999 kam das Verbrechen zur Sprache (noch ist mir unklar, wie weit es wem damals bekannt wurde), dieses Jahr haben sich zwei der Hauptopfer dieses Verbrechers im Talar (eines davon einer seiner Stiefsöhne) an die Öffentlichkeit gewandt. 1999 wurde der Pastor aus der Gemeinde versetzt, bis 2003 war er aber wohl noch als Religionslehrer am örtlichen Gymnasium tätig.

In dieser Woche ist nun ein angesichts des Verbrechens absurder Streit entbrannt, wer wen wann worüber informiert hat. Im Mittelpunkt stehen die Kirchenverwaltung, die Bischöfin für Hamburg (Maria Jepsen) und die damalige Pröpstin, die daneben auch noch Pastorin in derselben Kirchengemeinde und Stadt wie der Kindermissbraucher* war. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass irgendwer in der Kirche angemessen reagiert hat.

Was ich meiner Bischöfin abnehme, ist, dass es sie wirklich erschüttert. Auch dass sie sich nicht sofort daran erinnern konnte, von dem Fall schon 1999 gehört zu haben, ist glaubwürdig und keine Lüge oder so was. Und ihr sehr emotionales und für sie typisches Interview mit dem Hamburger Abendblatt heute erklärt schon einiges. Vielleicht hat sie nicht an sich einen Fehler gemacht. Aber wütend - war ich übrigens schon, bevor ich das Interview las - machen mich diese Passagen am Ende, als sie sagt:
Bei dem Vorgang haben wir ganz klare Zuständigkeiten, ich kann mich als Bischöfin nicht in den Fall einmischen. ... Ja, ich bin hilflos. Aber ich lüge nicht und ich kneife nicht und ich halte auch durch. ... [D]a ist Traurigkeit und Schmerz, Unverständnis und Wut bei mir. Und zudem habe ich den Eindruck, dass die behauptete Vertuschung viel schlimmer bewertet wird als die Tat. Manchmal komme ich mir wie eine Kriminelle vor, obwohl ich in diesem Punkt ein reines Gewissen habe.
-- Maria Jepsen heute im Abendblatt, hier die Google-Suche auf das Abendblatt-Interview mit ihr (der Artikel liegt sonst hinter einer Bezahlschranke, kann so aber aufgerufen werden)
Das kann ich nicht mehr nachvollziehen. Wie kann sie ein "reines Gewissen" haben? Mindestens ein schlechtes Gewissen, damals nicht genauer hingesehen und nachgefragt zu haben, wäre doch wohl nötig. Zumal sie laut Protokollnotizen durchaus im Kirchenamt nachgefragt hat, ob der Kindermissbraucher Beziehungen zu sehr jungen Frauen habe (was, wenn nicht dies, hätte denn weitere Alarmglocken schrillen lassen müssen?). Ich habe lange mit Menschen gesprochen, die die damalige Pröpstin und die Strukturen der Kirchenverwaltung besser kennen als ich. Ich verstehe, wie es kommt, dass die Bischöfin wenig bis nichts wusste. Aber sie muss die Konsequenzen dieses Versagens der Strukturen und ihres Nicht-Nachfragens tragen. Ich denke wirklich, dass sie stellvertretend für "die Kirche" die Buße übernehmen muss und zurücktreten sollte.

Was mich aber noch mehr erschüttert: Wenn der Kindermissbraucher jahrelang Orgien mit Schülern des örtlichen Gymnasiums im Pastorat gefeiert hat, von denen sein Stiefsohn berichtet, wenn dort Alkohol in Massen floss und Kinder missbraucht wurden - wie soll das in so einer kleinen Stadt wie Ahrensburg wirklich niemand mitbekommen haben? Wie sollen die anderen Pastoren (zu denen auch die Pröpstin gehörte) das erklären?

Kann es wirklich sein, dass die Konsequenz für diesen Kindermissbraucher die gleiche war, wie sie auch für Pastoren gezogen wird, die fremdgehen und eine Beziehung mit einer erwachsenen Frau neben der Ehe haben? Mit welchem Maß wird hier gemessen?

Ja, das übliche Vorgehen ist, die Bischöfin mündlich zu informieren (auch, wenn sie das im Interview quasi anders darstellt, was aber falsch ist), den "Fall" also mündlich zu eskalieren. Aber ich kann einfach nicht glauben und finde es ungeheuerlich, dass die Kollegin und Vorgesetzte des Verbrechers entweder nicht gewusst hat, dass es um Kinder geht, die hier Opfer waren (immerhin hat damals 1999 der "Fall" einer Frau die Versetzung ausgelöst, die 16 war, als er eine "Beziehung" mit ihr begann), oder die Augen davor verschlossen hatte. Wenn es stimmt, dass sich die Pröpstin eines Amtsvergehens schuldig gemacht hätte, hätte sie so reagiert, wie die Bischöfin es sich heute im Interview im Zuge des Schuld nach unten Weiterleitens gewünscht hätte (nämlich den Kindermissbraucher damals anzuzeigen), dann stimmt etwas nicht am System.

Wie auch immer: Die damalige Pröpstin und die Bischöfin haben damals versagt und führen heute einen absurden Zickenkrieg über die Medien. Beides macht mich wütend und verzweifelt. Beide Frauen schätze ich sehr, beide habe ich in ihre Ämter mitgewählt und unterstützt und für sie argumentiert, als sie zur Wahl standen. Mit beiden verbindet mich eine Geschichte. Beide haben mich sehr, sehr enttäuscht.

* Ich schreibe dieses sperrige und auf mich erstmal etwas euphemistisch klingende Wort nun doch, weil ich mich habe überzeugen lassen, dass das an sich drastischere Wort Kinderficker zu kurz greift: es geht nicht nur um die Vergewaltigung von Kindern, sondern auch um anderen Missbrauch.

2 Kommentare:

  1. Ich habe den Spiegel-Artikel am Sonntag gelesen und war zu tiefst entsetzt. "Zurücktreten, aber schnell", war mein erster Gedanke. Und ich finde es erstaunlich, dass sie sich am Mittwoch danach immer noch im Amt befindet.

    Was Frau Jepsen nicht versteht ist, wie schlimm für viele Opfer Vertuschen und Stillhalten sind. Menschen, die von Missbrauch wissen und nicht handeln, machen sie meiner Meinung nach mitschuldig. Das gilt auch für die anschließende Aufklärung. Zur Bewältigung der Tat (wenn das überhaupt möglich ist) trägt nämlich auch bei, wenn vom Umfeld signalisiert wurde "Das war nicht in Ordnung, was mit Dir passiert ist und muss bestraft werden" und nicht "Wir kehren das unter den Teppich. Sieh selber zu, wie Du damit klar kommst." Dass die Pröpstin auch noch Täter und Opfer gemeinsam einbestellt, hat mir fast den Atem geraubt. Ermittlungsarbeit ist Aufgabe der Polizei, nicht der Kirche. Was für armseelige Kirchenvertreter!

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  2. ich habe mich früher einmal lange mit missbrauchsfällen in familien befasst und war immer wieder erstaunt darüber, wie viele mütter nicht wissen wollten, was ihr mann da dem eigenen fleisch und blut antut. es ist eine ganz merkwürdige wegseh-mentalität, bei der ich mich immer fragte, würden diese mütter ihre kinder denn auch sehenden auges vor ein auto laufen lassen und hinterher behaupten, sie seien nicht für die straßenverkehrsordnung verantwortlich?

    davon abgesehen: in so einem falle von "zuständigkeiten" zu sprechen, wo einfach nur beherztes handeln angemessen gewesen wäre, sprengt jede form von zynismus. missbrauch ist mord an der seele. wenn im falle eines billigenden verhaltens von "fahrlässigkeit" oder "beihilfe zu xy" gesprochen werden kann, sollte es eine entsprechende rechtliche bezeichnung auch für missbrauchsfälle geben.

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