Tatsächlich kann ich mir nicht vorstellen, ohne Bücher zu leben. Als ich fünf war, habe ich mir selbst Lesen beigebracht, weil mich Schrift und Bücher fasziniert haben. Seitdem leide ich an Lesezwang, vom Penny-Prospekt bis zu dicken Büchern.
Mit Büchern habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht.
Wenn meine Eltern die Sicherung rausdrehten, damit ich endlich das Buch weg lege, bin ich, sobald das Haus still war, in den Keller geschlichen, um sie wieder reinzudrehen. Das war eine Zeit lang ein Spiel, das mehrmals jede Nacht lief. Bis ich auf die Idee kam, die Taschenlampe zu verstecken.
Das Regal mit den Jugendbüchern in der Bücherhalle (wie die öffentlichen Büchereien in Hamburg heißen) habe ich schnell ausgelesen und erinnere mich noch, wie ich ehrfürchtig das erste Mal in den Keller der Bücherhalle in Berne ging, die Stufen runter, wo die Erwachsenenromane standen. Tolstoi wollte ich lesen. Wenn schon, denn schon.
Zum Abitur wünschte ich mir, ganz Snob, der ich war, den Grundstock einer Bibliothek.
Glücklicherweise war kurz vorher so eine Liste der "Zeit" erschienen, welche 150 Bücher jede gelesen haben müsste oder so ähnlich. Und tatsächlich waren unter den Büchern, die ich geschenkt bekam, viele dabei, die in jede gute Bibliothek gehören.
Auch dass ich von der Studienstiftung dann jeden Monat so genanntes "Büchergeld" bekam, habe ich sehr wörtlich genommen. Die Regalmeter mit theologischer Fachliteratur sind nicht so wenige. Wir haben zu Hause sogar Lexika. Fachlexika (zwei Auflagen der RGG, die zweite, geerbt vom Großvater der Liebsten, und die dritte, selbst gekauft vom Büchergeld der Studienstiftung) und - als besonderer Stolz, auch wenn er nicht mir gehört sondern der Liebsten - den gesamten Kindler.
Ich habe immer Bücher um mich gehabt, kann mir einen Wohnraum ohne Bücher nicht vorstellen. Bücher meint dabei Papier, das gebunden ist. Heute sind die meisten unserer Bücher entweder in der Bibliothek untergebracht oder im Arbeitszimmer. Nur einige wenige Meter haben wir im eigentlichen Wohnzimmer, vor allem solche, die wir immer mal wieder zu Hand nehmen - also selbstverständlich alle Romane von Jane Austen, die Bücher über Gustav Mahler, einige Gedichtbände, die zwei Meter Bücher, die die eine oder den anderen von uns sehr begleitet und geprägt haben. Dazu die Neuauflage von Tim und Struppi, die handgeletterte und der eine Facsimile-Band.
Heute höre ich viele Bücher, seit ich ein Abo bei audible habe und viel Rad fahre, da kann ich besser mit den Ohren lesen als mit den Augen. Und ich habe durchaus auch ausprobiert, wie mir e-Books gefallen. Denn an sich ist das ja gut, wenn die zehn bis fünfzehn Bücher für den Urlaub auf ein so kleines Gerät passen.
Aber damit komme ich nicht zurecht.
Ich war bereit, meine sehr grundsätzlichen (kulturellen, politischen) Bedenken gegenüber dem, was ich für einen Rückschritt in der Redefreiheit halte, also digitalen und damit auf Ebene des einzelnen Exemplars nicht-permantenten und damit dauerhaft manipulierbaren Ausgaben von Büchern, zurück zu stellen aus praktischen Erwägungen - aber ich mochte es nicht und mag es immer noch nicht. Ich lese viel an Bildschirmen. Aber für eine längere Geschichte, in der ich mich mehrere Tage aufhalte, brauche ich Papier.
Was mich überraschte.
Heute lese ich längst nicht mehr so viel.
Und muss mich, wenn ich neue Bücher habe, immer überwinden, eines in die Hand zu nehmen. So dick, so unhandlich. Aber wenn ich, wie in den letzten Tagen endlich einmal wieder, dann doch schließlich ein Buch anfange, hat es mich wieder - und weiß ich, warum ich Bücher so liebe.
Es ist nicht nur die Geschichte, deren Fortschritt ich durch das Lesezeichen jederzeit sehen kann. Es ist die Mischung aus Geruch (denn ja, Bücher riechen ja tatsächlich), Gewicht, Geschichte - und Zeit. Denn ich lese wohl in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit. Aber zu Hause, im Chaos der großen Familie und vielen Tiere, ist es ein besonderer Moment, wenn ich mich in einen Sessel setzen kann, ein Glas Rotwein oder einen Tee auf dem Beistelltisch, und das Buch zur Hand nehme, bereit, einzutauchen in die Geschichte, für mehr als nur einen kleinen Moment.
Mehr noch als Musik, die ich auch immer noch gerne besitzen möchte und mir kaufe, wenn sie mich glücklich macht oder anrührt, brauche ich Bücher um mich. Noten kommen als nächstes, Musik erst danach. Filme fast gar nicht, die kann ich auch leihen und streamen.
Ich bin ein Buchmensch.
Was das genau heißt, ist mir gar nicht so klar. Aber es hat etwas mit der Haltung zum Leben und zu Bildung und Wissen zu tun, glaube ich. Denn mir fällt auf, dass es nur sehr wenige Menschen gibt, die ich dicht an mich heranlasse und überaus schätze, die nicht auch Buchmenschen sind. Oder zumindest mit Büchern leben. Nichts hat mich in dem Zusammenhang mehr irritiert als die Aussage eines Menschen, den ich mag, der einmal sagte, er möge Bücher, aber könne im Wohnzimmer keine ertragen.
Mir geht es genau anders herum.
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