27.4.15

Die Härte

In den letzten Tagen, vielleicht auch Wochen, ist in meiner Ecke des Internets wieder mehr von einer zunehmenden Härte die Rede. Exemplarisch beim hochgeschätzten Don Dahlmann. Als Mensch, der als Mensch latent "nett" ist und ein (für manche vielleicht überraschend großes) Harmoniebedürfnis hat, kann ich das zunächst sogar nachvollziehen. Und trotzdem halte ich es für falsch und - vor allem - für politisch naiv und schädlich (was ohnehin quasi das gleiche ist).

Es ist nicht härter geworden
Hamburger Kessel 1986
Ich stimme schon bei der Analyse der Situation nicht überein. Denn ich bin schon alt genug (ok, Don Dahlmann auch), um mich an verbal und physisch sehr viel härtere Auseinandersetzungen zu erinnern. Ein Teil meiner Müdigkeit, mich mit Menschen ernsthaft zu beschäftigen, die eine in zentralen Dingen, die ich für zivilisatorisch relevant halte, von meiner allzu sehr abweichende Meinung haben (beispielsweise rund um Feminismus oder Israel), mag auch damit zusammen hängen, dass ich einfach schon zu oft und zu viel mit ihnen diskutiert habe in den letzten dreißig Jahren.

Aber härter oder unduldsamer ist die Diskussion nicht geworden aus meiner Sicht. Höchstens mag es so sein, dass Gruppen, die in den 80ern und 90ern sehr einfach aneinander vorbei gehen konnten, ohne sich wirklich zu sehen, einander jetzt - durch die Verschriftlichung und Auffindbarkeit ihrer eigentlich für intern gedachten und gesagten Diskurse - sehen. Das macht es mühsamer, aber die Idee, dass ich mich mit jeder rassistischen, misogynen, antisemitischen Idiotin freundlich, geduldig und argumentativ auseinandersetzen müsste, könnte oder auch nur wollte, ist mir ohnehin fremd - und finde ich tatsächlich absurd.

Der Entsolidarisierung begegne ich nicht mit Piep-piep-piep
Ähnlich ist es bei der - aus meiner Sicht: zutreffenden - Diagnose, dass eine Entsolidarisierung in der Gesellschaft zunimmt. Allerdings kann doch die Alternative nicht sein, dass wir uns voll doll lieb haben - sondern eher, dass Menschen, die der Entsolidarisierung Vorschub leisten, hart und härter angegangen werden. Seien es klassische Neoliberale oder solche, die Einheitsgewerkschaften fordern. Seien es Kinderhasserinnen oder solche, die meinen, Kinder sollten immer und überall alles dürfen.

Tatsächlich denke ich eher, dass die Auseinandersetzungen härter werden müssen, als sie es zurzeit sind. Tatsächlich mache ich mit klaren Grenzziehungen ("Toleranz endet mit z") gute Erfahrungen.

Härte in der Auseinandersetzung ist ein Zeichen, dass es Ernst wird
Ich halte es für politisch naiv und gefährlich, gegen harte und ausgrenzende Auseinandersetzungen zu sein. Denn emanzipatorische Veränderungen können nur über (harte) Auseinandersetzungen passieren. Und reaktionäre Veränderungen können nur über (harte) Auseinandersetzungen verhindert werden.

Um bei einem Beispiel zu bleiben: Zwischen Maskulinisten (und anderen reaktionären Vollpfosten) einerseits und Feministen und Feministinnen andererseits gibt es keine Möglichkeit eines Diskurses. Aus meiner Sicht gibt es nicht einmal eine Möglichkeit einer echten Koexistenz. Sondern diese Weltanschauungen "kämpfen" um die Deutungshoheit. Dass sich zurzeit die Reaktionäre schlauer anstellen als die fortschrittlichen Kräfte - geschenkt. Sie haben allerdings auch mehr zu verlieren.

Aber - und hier stimme ich, was ja nicht soooo oft passiert, Michael Seemann ausdrücklich zu - in diesem Kampf (und ja, es ist ein Kampf, und wer den durch Kritik an seiner Härte abzuschwächen sucht, nutzt in aller Naivität faktisch der Reaktion aus meiner Sicht) geht es um viel, weshalb er so hart geführt wird. Auf zwei Aspekte weist Michael Seemann hin, lest das mal, finde ich richtig: Zum einen auf den Kampf um die Plattformen. Und zum anderen auf die Isolierung der Bösen.

Böses muss auch böse genannt werden
Und bevor jemand schreit: das Wort "die Bösen" steht da bewusst. Denn wiederum halte ich es für naiv und für politisch dumm, aus falsch verstandener Duldsamkeit das Böse nicht als böse zu benennen. Call me Fundamentalist - aber Dinge wie Pegida oder Maskulinismus sind böse.

Hitler hat Autobahnen bauen lassen, im Stalinismus hatten alle einen Job, Nazis und Salafisten machen in von ihnen majorisierten Gegenden Sozialarbeit, Bild-Reporter schreiben mal einen Satz, dem ich zustimme.

Politisch aber ist Verhalten, wenn es solidarisch ist und berechenbare und belastbare Allianzen bildet. Eklektizismus ist unpolitisch. Flexible Haltungen und flexible Moral sind unpolitisch. Und darum entfloge ich zwar nicht jeder sofort, die einmal jemandes Tweet retweetet, die an sich böse ist. Und darum kann ich zivilisiert und höflich mit (intellektuell anspruchsvollen) Gegnerinnen in den großen gesellschaftlichen Konflikten dieser Zeit reden. Aber sie bleiben Gegnerinnen oder böse. Und da bin ich nicht flexibel.

Ja, Don Dahlmann, auch G.W. Bush hat sich auf den alten Weltkampf eingelassen, der klar zwischen für mich und gegen mich unterscheidet. Weil er politischer war als ihr alle zusammen. Und die Gesellschaft verändern wollte und es auch getan hat. Wer dem ausweicht und den Kampf, in den die Reaktion "uns" zwingt, nicht annimmt, ist meiner Meinung nach naiv. Ich kann euch trotzdem mögen. Und gut leiden.

8 Kommentare:

  1. Thomas S.28.4.15

    Die zentralen ethischen Frage sind damit aber ja noch nicht beantwortet: Welches Verhalten ggü. den Vertretern des Bösen ist angemessen? Besteht der Sieg über das Böse darin, die Vertreter des Bösen zu besiegen (bzw. zu vernichten), oder sollte man eher versuchen, sie zu gewinnen? Ist unerschütterliches Selbst- und Sendungsbewusstsein eine erstrebenswerte Position, oder lasse ich die theoretische Möglichkeit zu, dass ich mich irre (und verhalte mich entsprechend demütig)?
    Auch meine ich zu beobachten, dass der Katalog dessen, was jeweils von nennenswerten Teilen der Gesellschaft als nicht tolerabel (also Böse) angesehen wird, sich stetig ausdehnt. Es gibt immer weniger "reflexionslos oder unproblematisch zu Tuendes" (Adorno). Fast alles, was Eine/r öffentlich tut, ruft sofort radikale Gegner/innen auf den Plan. Das verschärft das Problem zusätzlich.

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  2. Jens Best28.4.15

    +1 für die Intention des Textes. Aber wenn Personen wie mspro beim Kampf gegen echtes oder vermeintluches Böse gleich die Grundlagen einer offenen Gesellschaft beseitigen wollen, muss auch festgestellt werden, dass nicht nur die reaktionären Kräfte eine progressive Gesellschaft bedrohen, sondern auch diejenigen, die sich auf einer vermeintlich berechtigten guten Mission befinden, eine Gefahr für eine liberale offene Gesellschaft darstellen mit ihren political correctness-Sprachregelungen und vergleichbaren "so-verhält-man-sich-richtig"-Regeln.

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  3. Anonym28.4.15

    Ich lasse gern Türen offen und so bleibe ich bei mir. Immer wenn ich mit Ungeheuern kämpfte, wurde ich selbst eines. Wurde ich, mich in guter Mission gegen "das Böse" wähnend zum Ungeheuer, schloss ich Türen. Ich frag mich, ob Gott mir diese geschlossenen Türen vergeben wird, Türen durch die Menschen ihn vielleicht hätten entdecken können. Es ist nicht der Kampf gegen "das" Böse an sich. Die Tücke liegt in der Art des Kampfes. Alle Kämpfenden wähnen sich im Recht, haben ein eigenes Verständnis von Gut und Böse. Ist das Böse das durch den Einzelnen geschieht wirklich böse, solange es nicht von ihm als solches erkannt wurde? Wie kämpfe ich recht für das Gute? Wie zeige ich das Böse auf? Am Ende die Frage "Fische ich Menschen oder diene ich in einem Nebenkrieg (vielleicht einem anderen Bösen)?" Ich hab die Frage zu oft falsch beantwortet. Wer wird mir vergeben? (2. Tim. 2. 5)

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  4. Thomas: Ich sehe nicht, dass das mehr geworden ist (der Katalog), sondern nur, dass wir uns weniger aus dem Weg gehen können. Die Zeit, in der ich politisiert wurde, war da krasser und interessanterweise auch deutlich hasserfüllter. Den Mordanschlag auf Dutschke bekam ich noch nicht mit, aber der wirkte noch nach. Der Hass auf die "Chaoten", der Hass auf die "Spießer" - weit krasser als heute irgendwo. Vielleicht wirkt es auf andere nur jetzt so wild, weil die postmoderne Übertoleranz (die ich unpolitisch finde, aber die Postmoderne war ja auch konservativ-unpolitisch) zu Ende geht. Oder vielleicht auch, weil die Frustrierten inzwischen eben auch die Online-Stammtische bevölkern.

    Abgesehen davon: ja, der Vorbehalt, dass ich irre, ist bei mir schon da, vielleicht ist das sozusagen mein christliches Erbe - dass ich selbstverständlich nicht weiß, ob ich es bin, der Recht hat. Das führt zu einer gewissen Demut, ja, aber nicht zur Zurückhaltung. Denn auch mit dem Wissen, dass ich irren kann (und verdammt oft irre), kann ich doch meine Haltung laut und deutlich sagen und für sie kämpfen, oder? Wir (mindestens) Lutheraner kennen da theologisch die Unterscheidung zwischen der Sünde und der Sünderin. Oder (und das versuche ich, oben anzudeuten) im angelsächsischen Kommunikationsraum die Höflichkeit und Herzlichkeit bei radikal unterschiedlicher (politischer) Haltung. Einer der sympathischsten und feinsten Menschen, mit denen ich je arbeiten durfte, war der Spin Doctor von Ronald Reagan...

    Jens: So hab ich mspro nicht gelesen, aber ja, das ist eine Gefahr. Ich würde es eher als Hegemoniethema hier sehen - also dass es darum geht, den Kampf um die Plattformen aufzunehmen und sie nicht einfach anderen zu überlassen. Ansonsten, schrieb ich ja auch im verlinkten alten Post, bin ich bei Offenheit und Meinungsfreiheit eher angelsächsisch geprägt (und, aber das ist ein anderes Thema, auch gegen Parteiverbote etc). Aber auch, wenn ich immer dafür streiten würde, dass jede ihre absurde Meinung laut und deutlich sagen dürfen muss, muss ich sie ja trotzdem nicht tolerieren. Auch da ist mir die Haltung sympathischer, Menschen und ihre Arbeit beispielsweise von ihrer politischen etc Arbeit zu trennen. Die Scheu, in Deutschland klare Meinungen zu vertreten, hängt nach meiner Wahrnehmung auch damit zusammen, dass wir eben nicht zwischen Sünde und Sünderin unterscheiden (siehe oben).

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  5. Anonym29.4.15

    Ich würde Ihnen gern eine Frage stellen, möchte das aber nicht öffentlich tun, um nicht zu verletzen. Es bewegt mich schon länger und passt sehr zum Thema. Gibt es einen Weg, z.B. Hangout bei Google+? Ich würde diesen Weg nur nutzen, wenn Sie zustimmen.

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    1. Mail? (Hangout eher nicht, das nutze ich nicht gerne)

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    2. (wenn Sie die Mailadresse verwenden, die oben rechts steht, kann ich Ihnen auch antworten übrigens, so nicht, da ich von Ihnen keine Mailadresse habe)

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