30.12.13

Was fehlt: Das Fanal

1967 regierte eine große Koalition. Schon einige Zeit rumorte es unter jungen Leuten und einigen etwas älteren. Die groteske Mischung aus Ignoranz gegenüber der Verstrickung ihrer Generation in den Nationalsozialismus (mit dem Symbol eines Ex-Nazis als Bundeskanzler der großen Koalition) und Ignoranz gegenüber der Lebenswirklichkeit der nächsten Generation hat die herrschende Elite an die Grenze ihrer Möglichkeiten gebracht. Und während die Entideologisierung die SPD zwar in die Regierung geführt hat, bildete sie doch nicht mehr die Hoffnung der sich radikalisierenden Teile der Jüngeren.

Was fehlte, was das Fanal. Und das geschah am 2. Juni 1967. Mit der Ermordung von Benno Ohnesorg.

Gedenktafel Ohnesorg

An diesem Datum, an diesem Fanal, spaltete sich die Opposition, im Grunde mit ihrer eigentlichen Gründung schon. Ich finde es faszinierend zu sehen, wie die Menschen in der Generation meiner Eltern unterschiedliche Erinnerungen an diese Zeit haben - so unterschiedlich wie ihre Wege, die sie damals gingen. Von denen, die den Demokratieaufbruch Willy Brandts mitgingen (und 1972 begeisterte Juso-Wahlkämpferinnen wurden), über die, die sich der DKP oder den K-Gruppen anschlossen, um ihre bürgerliche Existenz ertragen zu können, bis hin zu denen, die eine zeitweise sogar offene Sympathie für diejenigen hegten, die den Weg in den Untergrund gingen. Persönlich kenne ich in meinem Umfeld keine, die den Weg in den Untergrund selbst gingen, nur vom Hörensagen und aus der Entfernung.

In einer Situation, die sie als totalitär empfinden - und die damals, wenn wir es recht bedenken, auch tatsächlich totalitär war -, einen anderen Weg zu gehen als den durch die Institutionen, ist folgerichtig. Und ist historisch auch wohl der richtigere Weg gewesen, denn der demokratische Aufbruch nach 1969 war überwiegend doch nur Kosmetik.

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Angesichts der Unfähigkeit und Unwilligkeit der jetzt begonnenen großen Koalition, elementarste Rechte der Bürgerinnen auch nur zu beachten oder gar zu verteidigen, angesichts der postdemokratisch-technokratischen Haltung der Kanzlerin und ihrer Verbündeten ("alternativlos", "die Märkte" etc), und angesichts einer Bevölkerung, die in ihrer breiten, ganz überwiegenden Mehrheit diese Postdemokratie und ihre Vertreterinnen richtig und gut findet und das Problem nicht einmal sieht, das wir damit haben - angesichts dieser Entwicklung kann ich auf einmal nicht nur die Sympathie meiner Eltern für den Untergrund verstehen. Sondern fühle mich auch sonst an 1967 erinnert. Mit allem Mehltau, mit einer zwar nicht revolutionären Situation aber einer, die eigentlich einer Revolution bedürfte.

Ich bin mir sicher, dass ich nicht 30 Jahre warten will, bis diejenigen, die diesen Mehltau so spüren und kaum ertragen mögen, selbst in die Regierung kommen - wie es die Generation meiner Eltern tat, die später erst die Bewegungen gründeten und dann die "bunten Listen" und so weiter, die in den Grünen aufgingen.

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Die Frage ist, was wir aus 1967 lernen können. Wie wir nicht die gleichen Fehler machen, wenn wir uns engagieren und das System ändern wollen. Wie wir vermeiden, so isoliert zu werden, wie es der militante Teil des Widerstandes war. Wie wir widerständig und damit in einem postdemokratischen System wie dem unseren notwendig auch immer wieder legitim illegal sein werden, ohne die Anschlussfähigkeit zu denen zu verlieren, die ein Unbehagen gegenüber dem Totalitarismus der Technokraten empfinden, ohne schon widerständig sein zu wollen oder zu können. Vielleicht sollten wir noch einmal gründlich Gramsci lesen.

Das einzige, mit dem ich mir sicher bin in dieser vorrevolutionären Situation, ist, dass es nur eines Funkens, eine Fanals bedarf, um den Widerstand manifest werden zu lassen. So wie 1967 den Mord an Ohnesorg. Ein Fanal, mit dem Regime, Regierung und Gesellschaft nicht umgehen können. Und das den Widerstand formiert. Was immer das sein mag und sein wird.

Auffällig ist nur: Die Eliten des Regimes, die Technokraten und Postdemokratinnen leben gefährlich nah am Pulverfass, ohne die Zündschnur zu sehen.

Tod des Demonstranten 2

7 Kommentare:

  1. So sehr ich das auch begrüßen würde, aber ist da nicht ein wenig der Wunsch Vater des Gedankens? Worin könnte denn so ein Funken bestehen? Wenn man sich die Riots in Paris und London anschaut, waren es Todesfälle von Unterprivilegierten, die zur Explosion führten. Jedoch außer einer Restitution des Apparats und der Wahl der Konservativen in die Regierungsgewalt ist nichts passiert.

    Sorry, aber ich glaube, hier wird auf Jahre nichts passieren, außer wenn der Euro den Bach runtergeht. Dann verschwindet auf einmal die Grundlage von Deutschlands Geschäftsmodell und das ist so ernst, dass es kritisch wird. Aber nicht zugunsten einer Aufklärung wie 67/68, sondern eher in Richtung Reaktion, fürchte ich.

    Ich bin skeptisch.

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  2. Erstmal wünsch ich mir kein "Fanal", bei dem irgendwer erschossen wird...

    Ansonsten: schön wärs ja, aber ich sehe bei weitem nicht soviel Ähnlichkeit zu 1967/68 wie du! Damals war ich 13/14 und es gab vor allem einen KULTURELLEN Aufbruch der Jungen: Hippies (in DE gerne als "Gammler" runtergemacht), sexuelle Revolution, Frauenbewegung, neue mitreissende Rockmusik.. der ZEITGEIST wurde von der Auseinandersetzung mit der auf vielen Ebenen rebellierenden Jugend dominiert.

    Davon kann heute keine Rede sein, bzw. die heute Jungen haben andere Bedürfnisse und Vorgeschichten: keine verfestigten Verhältnisse und vorgezeichneten Lebensläufe, keinen "Muff von 1ooo Jahren", keine öden lebenslänglichen, aber gut bezahlten 9to5-Arbeitsstellen, keine moralisch abgewirtschaftete Elterngeneration, gegen die Abgrenzung und klare Kante leicht fällt, keine Rasen-betreten-verboten-Schilder...

    ...sondern eher vermüllter Rasen, prekäre Jobs, Unsicherheit in jeder Hinsicht, Eltern, die mehrheitlich ganz ok sind, deren Musik auch gerne zum zigsten Mal wiederaufbereitet wird, verschulte Bacheler-Studiengänge mit noch nebenbei Jobben...

    Deshalb haben wir kulturell ja länger schon Rollback, auf vielen Gebieten. Man möchte Sicherheit, Freiheit wird eher mit "frei gesetzt" assoziiert als mit positiven Handlungsoptionen.

    1967/68 gab es auch noch den Glauben an eine machbare Systemalternative - das ist mit der Wende und dem Zusammenbruch des Ostblocks komplett verschwunden. Obwohl doch die zersplitterteWest-Linke nie behauptet hatte, "drüben" herrsche der "wahre Sozialismus" (das haben die SEDler ja nicht mal selbst behauptet.)

    So ist es heute schwierig, punktuelle Proteste zu einer Bewegung wachsen zu lassen - es gibt keine glaubwürdige, verständliche, durchdachte Alternative zum zerstörerischen Kapitalismus, nur Kritiken bestimmter Aspekte (wie etwa die Geldkritik) und den alten Kampf zwischen den zentralisierenden und zentrifugierenden Kräften (=mehr Staat/europ. Integration, gemeinsame Haftung versus Teaparty-ähnliche Markt-Radikale/Neoliberale) -. beides nicht unbedingt Visionen, für die man "aufstehen" möchte..

    Hat man dann mal als Initiative (z.B. Occupy) die Aufmerksamkeit errungen, beginnt die öffentliche Diskussion: ja wie/was wollt Ihr denn? Wie solls denn gehen? Und dann gehts schon nicht weiter, weil sich niemand zuständig fühlt, "für die Bewegung zu sprechen" - oder man fühlt sich zuständig (z.B. Piraten) und versackt dann im Erarbeiten eines "Parteiprogramms" und ist so auch schnell weg vom Fenster.

    Es gibt leider grad keine einigende / bewegende Utopie bzw, Theorie der Alternative.
    Ein "Fanal" ist unter diesen Umständen nicht vorstellbar - höchstens Ereignisse, die punktuell zu schnell abflauenden Protesten führen. Und die haben wir ja schon dauernd.






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    1. Ich habe mich wahrscheinlich ungenau ausgedrückt, weil ich mich (noch) scheue, einem militanten Widerstand oder dem Gang in den Untergrund das Wort zu reden.

      Selbstverständlich haben wir auf der Seite der Gesellschaft noch lange nicht eine vergleichbare Situation. Andererseits sollten wir auch nicht vergessen, was es 1966/1967 auch noch keine wirkliche gesellschaftliche Umbruchstimmung gab. Dass der Mord an Ohnesorg ja auch erst die Geburtsstunde des zivilen Widerstandes und des Aufbruchs war.

      Ich sehe die Parallelen eher auf der Regimeseite zurzeit. Und darin, dass in meiner Filterbubble (ja das stimmt) inzwischen über Formen des Widerstandes auf eine Weise diskutiert wird und werden kann, die nicht von den Scheuklappen des wohlfeilen und vorauseilenden Gehorsams der Verurteilung jeder Form von Illegalität und/oder Gewalt geprägt ist. Wie gesagt: Was zurzeit nicht der Gewalt das Wort redet. Aber das Nachdenken über die Voraussetzungen für echten Widerstand einschließt.

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    2. Falls du mal nach Berlin kommst, können wir das ja mal bei einem Kaffee diskutieren.

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  3. Thomas S.2.1.14

    Schließe mich den Vorkommentator/innen an. Die Gedanken der Leute (auch der jungen) scheinen mir doch mehr um ihre wirtschaftliche Situation zu drehen als um solche gesellschaftspolitische Dinge.
    Außerdem ist Merkel ist bei jungen Leuten keineswegs unbeliebt - 35% CDU-Wähler unter 30 sprechen doch auch eine Sprache, oder?

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  4. mich würde ja mal interessieren, wo wir jetzt stünden, wenn die ddr es ihrerzeit geschafft hätte, eine funktionierende wirtschaft auf die beine zu stellen. ich wage mal die behauptung, dass die stasi noch sehr lange mehr oder weniger in ruhe hätte weiter machen können und wir vielleicht sogar heute noch eine geteilte republik wären.

    anders kann ich mir merkels ignoranz und gleichgültigkeit gegenüber der vollüberwachung der deutschen bevölkerung durch die us-amerikanische stasi nicht erklären.

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  5. Anonym7.1.14

    Danke für den inspirierenden Artikel. Das Problem ist meiner Meinung nach, dass jeder nach dem Motto lebt: "Für mich reicht es noch." Ich beobachte, dass sich das in Südeuropa deutlich ändert. Hier hat sich das "Establishment" entgegen dem Plan, uns alle zu dummen Konsumenten und Lohnsklaven zu machen, aus Versehen eine Jugend geschaffen, die alles tut - aber nicht konsumieren, denn das geht nicht mehr, wenn die Möbel auf der Straße stehen. Erst wenn sich die Deutschen nicht mehr einreden können, dass sie die Griechen, Spanier und Portugiesen "gerettet" haben, werden sie merken, dass es genau umgekehrt ist. Die haben uns gerettet. Wie gesagt, wenn Deutschland aus dem Merkel-Tiefschlaf aufwacht ("Wohlstand erhalten") - dann werden wir sehen.

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