31.10.13

Von beweglichen Lettern und der Reformation

Reformationstag. Zum 496-sten Mal sozusagen. Als Tag ein Symbol für eine der größten gesellschaftlichen Veränderungen in Europa überhaupt. Denn die Reformation war in dieser Form nur möglich, weil es kurz vorher eine Medien(technik)revolution gegeben hatte. Luther war keineswegs der erste, der den Papismus in seiner spätmittelalterlichen Ausprägung kritisierte. Er war nicht mal der erste, der den Menschen die Bibel geben wollte, die die Kirche ihnen vorenthielt. Er - und nicht nur er sondern seine Generation der Kritiker - war nur der erste, der mit Hilfe der beweglichen Lettern für den Druck die Chance hatte, seine Ideen, Fragen und Übersetzungen zu skalieren. Also zu kopieren und verfügbar zu machen.

Damit begann eine Revolution. Denn einher ging mit dieser Chance die Notwendigkeit, Menschen das Lesen beizubringen. Was hätten sie sonst mit den Büchern anfangen sollen.

Was wir lernen können, wenn wir solche Punkte wie die Reformation (und die Aufklärung, die aus den gleichen Gründen zur gleichen Zeit zusammen mit der Reformation die Neuzeit einleitete) ansehen: Dass ein Mehr an Informationen, dass die Überprüfbarkeit der Aussagen der Obrigkeit, dass die leichtere Kopierbarkeit von Inhalten zu einem Mehr an Freiheit führen kann. Auch wenn die papistische Reaktion und vierhundert Jahre später die Terrorregime in Europa die Funktionen der Medien(technik)revolution auch zur Versklavung nutzen konnten.

Aber wer in der Tradition der Reformation steht oder der Aufklärung, wird nicht anders können, als die zurzeit stattfindende Revolution zu umarmen.

Bis aus einer Revolution der Medien(technik) allerdings eine Veränderung der Gesellschaft, eine Revolution wird, dauert es. Damals mehr als zweihundert Jahre. Heute sicher auch nicht viel kürzer. Aber die Vorboten sind schon zu sehen. Mich fasziniert die Definition von Revolution, die Clay Shirky verwendet (hat) -



Gerade Am Anfang, wenn eine Medien(technik)revolution in eine gesellschaftliche Revolution übergeht, tritt ihre Janusköpfigkeit besonders hervor. Ähnlich wie bei den beweglichen Lettern ist auch die Digitalisierung von Information und Kommunikation (und damit ihre einfachere Verfügbarkeit und Kopierbarkeit) zwar etwas, das in sich strukturell zu mehr Freiheit führt. Aber so wie das gedruckte Pamphlet einfacher gegen Luther verwendet werden konnte als nur das Hörensagen, bietet die Digitalisierung der Kommunikation einen einfacheren Zugang zu ihrer Überwachung.

Das Pamphlet kam trotzdem nicht wieder aus der Welt. Und die Freiheit der Rede kann nicht einmal China vollständig unterdrücken. Noch viel weniger werden es ein vordemokratisches Regime wie Großbritannien (wo es nicht mal echte Verfassungsrechte gibt), ein Geheimdienstregime wie in den USA oder eine Regierung, deren Innenminister ein bekennender Verfassungsfeind ist, wie in Deutschland schaffen. Das macht mich optimistisch.

Der Reformationstag ist ein guter Tag, daran zu erinnern, wie Medien und Technik Freiheit bringen können und eine Revolution auslösen. Und es ist ein guter Tag, um vor Zorn über die Feinde der Freiheit aufzuschreien. Damals die Papisten. Heute die Vertreterinnen und Vertreter eines "Supergrundrechts Sicherheit". Und drittens ein guter Tag, um schrill und hysterisch zu lachen, in aller Verzweiflung, wenn diejenigen, die noch vor einem Jahr beklagten, das Internet sei ein rechtsfreier Raum, es heute zu ebendiesem zu machen versuchen. Und meine elementaren Bürgerrechte und Menschenrechte nicht einmal verteidigen wollen, unabhängig von der Frage, ob sie es können.

Die Feinde der Freiheit haben unruhige, revolutionäre Zeiten immer schon genutzt, um ihr Unterdrückungswerk unter dem Deckmantel von Ruhe und Sicherheit zu befördern. Hundert Jahre nach dem Thesenanschlag in Wittenberg führte das in einen großen europäischen Krieg. Vor fünfzig Jahren verwandelte sich zornige Ohnmacht in gewaltsame Proteste und einen Untergrund.

Jan Hus konnten sie noch verbrennen, Luthers Bibelübersetzung nicht mehr. Rudi Dutschke konnten sie noch ermorden, die Menschen auf den Plätzen der nordafrikanischen Städte nicht mehr. Chelsea (Bradley) Manning konnten sie noch internieren. Uns alle aber nicht mehr.

Wir befinden wir uns an einem Scheideweg. Und die Reformation kann dabei Ermutigung sein. Auch und gerade heute.

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