15.8.12

Noch mal zur Kackscheiße*

Immer wieder schleicht sich (auch) bei mir eine merkwürdige Form von Resignation ein, die dazu führt, dass ich weder mit den Augen rolle, wenn beispielsweise eine Lehrerin von sich als Lehrer spricht, noch selbst konsequent, beispielsweise in beruflichen E-Mails, weibliche und männliche Formen nutze, wenn Frauen und Männer gemeint sind. Obwohl ich weiß, dass das nötig wäre.

Wenn dann junge Frauen wie BMin Schröder aus mangelnder (historischer) Bildung oder warum auch immer ihre "danke, das betrifft mich nicht"-Sätze faseln, werde ich zwar noch mal wütend. Aber oft stehe ich etwas fassungs- und ratlos davor. Und nicht nur angesichts sexistischer Kackscheiße*. Sondern beispielsweise auch angesichts von Alltagsrassismus aus der "male white middleclass" Perspektive, in die auch ich immer wieder rutsche.

Da kam ein Artikel im Sprachlog von Anatol Stefanowitsch gerade Recht, der mit dem Hinweis auf wirkmächtige so genannte "Alltagstheorien" darauf hinweist, warum es so schwierig bis unmöglich ist, mit Menschen zu diskutieren, die "das betrifft mich nicht" sagen oder es "nicht böse" meinen oder etwas "einfach nur witzig" finden. Vier unbewusste und tief verwurzelte Punkte beschreibt er: dass ein Schaden immer "direkt und unmittelbar" sein müsse, schädliches Verhalten psychologische Ursachen habe, immer und nur durch "absichtsvolles Handeln" entstehe und immer einzelnen Individuen zugeordnet werden könne. Und er zeigt, dass diese Theorien nicht nur doof sind sondern auch falsch.
Bei unseren Diskussionen von Alltagsdiskriminierung sollten wir deshalb darauf achten, diese Alltagstheorien explizit einzubeziehen und deutlich zu machen, dass eine rosa Barbie-Elfe in pornographischer Posen allein [...] kein Mädchen in die Magersucht treiben und keine Frau dazu bringen wird, sich selbst nur an ihrem Potenzial als Sexobjekt zu messen oder auf eine anspruchsvolle Karriere zu verzichten. [...]
Dass diese Dinge aber im Zusammenspiel mit hunderten ähnlicher Erfahrungen daran mitwirken, dass sexistische, rassistische und andere diskriminierende Strukturen aufgebaut und fixiert werden. Und zwar unabhängig davon, ob das beabsichtigt oder auch nur fahrlässig in Kauf genommen wird, und unabhängig davon, ob der Schaden, den diese Strukturen anrichten, in jedem Fall sofort erkennbar ist.
Ringen um Verständnis | Sprachlog
Und dann rüttelt mich etwas wieder auf. So wie diese Woche der großartige, kleine, resignierte, ermutigende Artikel von Antje Schrupp, der so endet, wie ich hier auch ende. Bevor ich mir fest vornehme, wieder mehr auf Sprache zu achten. Und die mit ihrer Kackscheiße* nicht zu ignorieren sondern durch anders Reden (und hoffentlich Denken und Handeln) zu überwinden.
NEIN, ES GEHT NICHT UM MICH. Mir persönlich, danke schön, geht es gut. Ich habe persönlich überhaupt kein Problem mit männlicher Sprache und nicht mal mit sexistischer Kackscheiße wie rosa Lego oder Mädchen-Überraschungseiern. Das geht mir vollkommen hinten vorbei.
In meiner Welt gibt es genug interessante Dinge, interessante Menschen, mit denen ich sehr gut beschäftigt bin. Es fällt mir überhaupt nicht schwer, Leute, die bis heute nicht die minimalsten Grundkenntnisse davon haben, was feministische Reflektion in den vergangenen vierzig Jahren an Erkenntnisfortschritten gebracht hat, einfach zu ignorieren. Ich halte sie schlicht für ein bisschen dumm und gehe ihnen aus dem Weg.
Aber es geht eben nicht um mich. Es geht darum, in welcher Welt wir leben wollen.
Kein Bock mehr | Aus Liebe zur Freiheit


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* "Kackscheiße", "sexistische Kackscheiße" oder auch "rassistische Kackscheiße" sind als Kampfworte sehr umstritten und ich bin mir auch nicht so sicher, ob ich sie wirklich mag. Aber sie sind so herrlich unkorrekt und machen das eigentliche Problem, das ja auch Anatol mit den Alltagstheorien anspricht, wunderbar deutlich: Wer hier reflexhaft aufjault, wer hier zumacht (außer aus sprachästhetischen Gründen, das ist sicher noch mal was anderes), ist im Zweifelsfall auch nicht Adressat dieses Artikels - weil ich keinen Bock mehr habe, zu argumentieren. Seit mehr als 15 Jahren sind alle Argumente ausgetauscht. Hin und wieder kommen noch mal kleine gute Aspekte aus der nächsten Generation dazu, wie aktuell "Fleischmarkt" von Laurie Penny, das ich zurzeit lese. 
Aber: Ich bin einfach müde. Und bin da ganz bei Antje. Ich halte Leute, die heute noch mit Unverständnis auf den Alltagssexismus und Alltagsrassismus reagieren, "schlicht für ein bisschen dumm und gehe ihnen aus dem Weg" - zwar nicht real, denn das geht nicht als Mensch mit Kindern und einem Beruf, aber doch in Diskussionen. Sozusagen *plonk*.

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