12.10.15

Dann sind wir eben naiv

Eigentlich wollte ich seit Tagen etwas darüber schreiben, dass ich genauso naiv war wie Barack Obama. Toller Satz, oder? Ihr glaubt gar nicht, wie der Nebensatz von Obama vor der UNO in dieser Stadt raufundrunter weitergesagt wurde, als er Hamburg erwähnte, weil wir hier so super mit unseren Flüchtlingen umgehen. Vielleicht, weil dieser Satz so herrlich naiv war. Und weil die Realität so gar nichts damit zu tun zu haben schien in den letzten Wochen.

Und dann habe ich den Text nicht geschrieben, sondern off the record mit denen, die an kleinen Hebeln in dieser Stadt sitzen und nicht bei drei auf den Bäumen waren, über das gesprochen, was in den Vororten gerade passiert, in denen die Vertriebenen und Flüchtenden untergebracht werden. In riesigen Hallen ohne Spinde, ohne Abgrenzungen, ohne Trennung nach Religionen oder Geschlecht.

Ja, wir, die wir in den Vororten aktiv sind - in meinem Fall: in Meiendorf mit Meiendorf Hilft -, waren am Anfang wirklich ähnlich naiv wie Obama. Und sind in den Mühen der Ebene angekommen. Erleben, wie überfordert die Profis sind, deren Job es ist. Erleben, wie groß die Verwerfungen sind und werden.

Und dann sehe ich, wie sich meine Nachbarinnen und Nachbarn (also nicht direkt, sondern die Leute im Stadtteil, von denen in den großen Häusern, die wir ja auch haben, sind erstaunlich wenige dabei) einfach auf den Weg machen.

Ergebnisse eines der letzten Angebote der AG Kinder von Meiendorf hilft

Es ist diese Gleichzeitigkeit, die mich innehalten lässt. Die mir Mut macht. Die toll ist. Dann sind wir eben naiv. Na und?

Ja, es ist teilweise schwer zu ertragen. Und im Prinzip versagt die Stadt und die von ihr beauftragte Firma für den Betrieb der Unterkünfte gerade auf ganzer Linie. Ja, es ist schwer erträglich, dass in vielen Unterkünften nur deshalb noch keine Christinnen gelyncht wurden, weil christliche Helferinnen sie da raus holten und illegal anders unterbrachten. Ja, es ist beängstigend, wenn auf einmal hunderte Männer über den Zaun auf kleine Mädchen starren, die da auf dem Schulhof spielen.

Aber: Es ist dann auch wieder ermutigend, wie naiv und schnell wir gemeinsam mit den Profis einfach mal Regeln außer Kraft setzen. Wie alle wegsehen (und also die Augen zudrücken), wenn zur Lösung eines Problems jemand etwas macht, das eigentlich nicht vorgesehen ist. Wie sich die Helferinnen nicht entmutigen lassen von Schmutz und Verzweiflung bei 1.000 Menschen ohne Privatsphäre auf engstem Raum. Wie sie anfangen und wissen, dass nicht alles so geht wie gedacht. Und dass erst nach und nach die Menschen, die hier zur Ruhe kommen sollen, auch verstehen und lernen werden, was den Nachbarinnen wichtig ist und womit sie ihnen Angst machen.

Gleichzeitig ist es immer wieder zum Verzweifeln, wie langsam die Mühlen der Bürokratie mahlen. Wie die Realität alle Planungen überholt und nur die, die naiv bleiben, überhaupt noch hinterher kommen. Wer sich an offizielle Regeln hält, scheitert in diesen Wochen noch systematischer als die beauftragten Profis und (städtischen) Unternehmen. Und die scheitern ja schon. Großflächig.

Erst war ich zornig darüber. Und heute bin ich froh, dass andere einfach naiv weitermachen. Und habe einiges gelernt, was ich gerne ungefragt weitergebe:
  • Wir sind einen Marathon gestartet und das schwierigste ist, die Freiwilligen, die hoch motiviert loslegen wollen, bei der Stange zu halten, wenn nichts vorangeht. 
  • Wir erleben eine total spannende und (für mich) neue Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Politik. Ohne die Erfahrung im Umgang mit der regionalen und lokalen Bürokratie (Verwaltung), die unsere Lokalpolitikerinnen haben, wäre viel weniger möglich gewesen. Ohne die Ruhe und den langen Atem der Hauptamtlichen beispielsweise der Kirchengemeinde, die Erfahrung damit haben, Freiwillige zu organisieren, wären wir schon erschöpft. Ohne die Methoden, die wir Berufstätigen und Beraterinnen kennen, hätten wir nie so schnell so viele Nachbarinnen ins Arbeiten und Helfen gebracht. Ohne Scheuklappen arbeiten so viele unterschiedliche Menschen zusammen, dass es eine Freude ist. 
  • Wo immer sich Lokalpolitikerinnen vor Ort in der Koordination der Hilfsgruppen einbringen, hilft das enorm, wegen siehe oben.
  • Jede macht, was sie kann. Und nur, wenn jemand etwas macht, gibt es das. Wenn das einmal klar ist, fangen die Menschen auch an. Und fragen nicht nur, warum es dieses oder jenes nicht gibt. Sobald wir das einmal klar gesagt hatten, waren Fragen und Vorwürfe zu Ende. Das gilt so nicht für die Hauptamtlichen, da ist noch viel im Argen, beispielsweise, dass die nicht darauf vorbereitet waren, mit Freiwilligen zusammen zu arbeiten, dass es allzu lange dauerte, bis sie verstanden haben, dass eine Stunde Kommunikation mit der Koordinierungsgruppe der Freiwilligen ihnen mehr als 20 Stunden Arbeit spart, die von Helferinnen übernommen werden kann. 
  • Demokratie sucks. Einerseits geht es darum, denen, die das noch nicht kennen, unsere langjährig guten Erfahrungen mit dem Kontrollverlust (in Kommunikation und Handeln) zu vermitteln und das Vertrauen in Menschen, die ich nicht kontrollieren kann, aufzubauen. Aber andererseits kann ich auch nicht über alles abstimmen oder es im Konsens tun. Nur wenn einige bereit sind, Entscheidungen zu treffen, die eben nicht vorher ausdiskutiert worden sind, kann es überhaupt gehen. Auch wieder naiv, aber in einer andere Richtung. Eine Gruppe zur Koordination der Hilfe ist nicht gewählt oder beauftragt - sondern übernimmt einfach. Die Facebook-Gruppe ist nicht offen, sondern einige übernehmen einfach, Admin zu sein und Beiträge diktatorisch freizugeben oder nicht.

Jedenfalls habe ich mich dann entschieden, keinen Brandbrief und keinen Brandtext zu schreiben. Meinen Ärger und meine Angst runterzuschlucken. Und weiter das zu machen, was ich beitragen kann und womit ich andere, die tagsüber vor Ort sind, entlaste. Community Management, Vernetzung mit dem Teil von Politik, den ich kenne, die Website. Und das Angebot, da zu sein und zu helfen, wenn die Hetzerinnen und Hetzer der Zeitung mit den großen Buchstaben mal wieder durch den Stadtteil pflügen, um mit erlogenen Geschichten Anwohnerinnen zu strammen Aussagen zu provozieren.

Was die "normalen" Menschen im Stadtteil, die hier zum ersten Mal in ihrem Leben ehrenamtlich aktiv werden und mit Vertriebenen laufen, mit ihren Kindern spielen, Kleidung ausgeben, - was diese Menschen mir zurück gegeben haben, ist der Glaube an das Gute. Und die Naivität.

Ja, verdammt. DANN SIND WIR EBEN NAIV.


2 Kommentare:

  1. Wolfgang, was ihr macht ist prima!

    Da ziehe ich meinen Hut. Diese Art von "Selbstermächtigung" geht nur bei Ehrenamtlichen bzw. Freiwilligen. Die Angestellten und Beamt_innen haben Vorschriften zu beachten und die Innenrevision im Nacken. Solange Bürgermeister und/oder Innensenator ihnen keine "carte blance" geben, dass an ihr "pflichtgemäßes Ermessen" in der Rückschau keine all zu hohen Maßstäbe angelegt werden wird, werden diese Menschen verständlicherweise und zum Eigenschutz nur recht vorsichtig agieren (können).

    Vielleicht sollten sich Scholz und Neumann in dieser Krise ein Vorbild am Alten aus Langenhorn nehmen und wie dieser die "Herausforderung" anno 1962 bearbeitete ,,,

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    1. Ja, Karl-Heinz, das ist es ja auch, was mich am Anfang so wahnsinnig machte. Dass es in sich und im Verwaltungshandeln an sich logisch ist, dass so wenig geht und keine Flexibilität da ist. Aber wir Freiwilligen haben nach und nach einige zum Jagen getragen und ihnen einfach Arbeit abgenommen. Und was eine nicht weiß, macht sie nicht heiß...

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