22.12.11

Der “privacy divide” und unsere Mediengesellschaft

Rund um meine sechs Ansagen für 2012 werde ich in den nächsten Tagen oder Wochen einige der Themen hier ausführlicher behandeln, um den Kontext zu meinen kurzen Thesen nachzuliefern. Den Anfang macht die mir persönlich wichtigste Beobachtung: Der privacy divide.
Datenschutz und Privatsphäre sind zwei Dinge, die sich 2011 vor allem in der deutschen Onlinediskussion zu sehr platten Kampfbegriffen und Kampffeldern entwickelt haben. Extremen Datenschützerinnen ohne Verständnis für die gesellschaftlichen Veränderungen stehen Aktivistinnen der so genannten “Spackeria” entgegen, die Privatsphäre als Grundkonzept ablehnen. Die Positionen beider Gruppen halte ich für absurd. Dennoch markieren sie die Eckpunkte einer Diskussion, die wir ernsthaft führen müssen - um die Frage herum, wie Privatsphäre in einer Welt aussehen kann und aussehen wird, in der immer mehr Daten digital vorliegen. Datenschutz ist dabei nur ein winziger Aspekt dieses größeren Themas, ebenso wie Datensicherheit, Datensparsamkeit/Datengeiz und Datenströme. Aus meiner Sicht geht es zentral um zwei nicht miteinander vereinbare Konzepte rund um Privatsphäre, aus denen ein neuer “privacy divide” in der Gesellschaft entsteht.

Einigen können werden wir uns - von einigen Radikalen beider Seiten abgesehen - sicher darauf, dass es eine Unterscheidung zwischen öffentlich, zugänglich und privat für Daten und persönliche Informationen geben muss. Und darauf, dass Menschen weitgehend selbst entscheiden können sollten, was sie öffentlich, zugänglich oder privat halten (wollen). Die Vorstellung und der Versuch, dies für andere Menschen vorschreiben zu wollen oder auch nur zu können, stellt die jeweils Radikalen außerhalb des Diskurses.

Datenschützerinnen haben, angeführt von Thilo Weichert vom ULD in Kiel, das Jahr 2011 genutzt, um sich zu der neuen Onlinewirklichkeit zu positionieren, die sich Menschen und Unternehmen in Deutschland selbst erschlossen und geschaffen haben. Einige von ihnen haben dabei versucht, auch nachzuvollziehen, was Menschen wie ich dort - vor allem aber nicht nur online - tun. Allen voran der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, der sich 2011 immer wieder unaufgeregt und differenziert zum Themenkomplex geäußert hat.

Was Radikale wie die Spackeria oder Weichert/ULD meines Erachtens übersehen, ist, dass sehr viele Menschen sehr bewusst beginnen, mit diesem Thema umzugehen und für sich Wege zu finden, die gangbar, hilfreich und praktisch sind. Und je jünger diese Menschen sind, so ist meine Beobachtung, desto differenzierter und bewusster tun sie dies: Eine der wichtigsten und gefragtesten Fortbildungen der Berufseinsteigerinnen in unserer Agentur ist der Kurs über Privatsphäreeinstellungen auf Facebook. Im Freundinnenkreis meiner jugendlichen Kinder haben die meisten ihre Pinnwand und ihre Fotos nur für ihre Kontakte geöffnet - in meinem Freundinnenkreis ist das eher anders.

Ich bin überzeugt, 2012 wird das Jahr der Entscheidung: Die radikale Position der Datenschutzbehörden wird von Gerichten und von den Gesetzgeberinnen überprüft. Und auch von der Wirklichkeit und den Bedürfnissen der Menschen. Der alte „digital divide“ wird abgelöst vom „privacy divide“: Die einen werden für die Bequemlichkeiten, die ihnen Facebook und andere Services bieten, damit “bezahlen”, dass sie bewusst (und - ja - teilweise auch unbewusst) Daten und Informationen von sich preisgeben. Und die anderen werden genau das nicht tun – und auf diese Form der Kommunikation, auf Rabatte und auf manche Informationen verzichten. Diese Teilung wird quer durch alle Altergruppen, Schichten und Bildungsgruppen verlaufen und sich 2012 erstmals sichtbar manifestieren.

Dabei gibt es kein richtig oder falsch. Weder Post-Privacy-Aktivistinnen noch radikale so genannte Datenschützerinnen liegen damit richtig, hier Vorschriften machen zu wollen. Ob ich mich entscheide, einen kleineren oder größeren Teil meines Lebens öffentlich oder zumindest für andere zugänglich zu dokumentieren, hat Konsequenzen. Und diese Konsequenzen sind jeweils - und nicht nur, je nach Blickwinkel, in jeweils einem Fall - zu tragen.

Zu den großen Paradoxa der Mediengesellschaft (also einer Gesellschaft, in der medial vermittelte Inhalte für die meisten Menschen sowohl produzierend als auch konsumierend zugänglich sind) gehört doch gerade, dass es nicht ausgemacht und für alle gültig ist, ob mir Datengeiz oder Datenverschwendung mehr “nützt”. An meinem eigenen Beispiel versuche ich dieses Phänomen seit Jahren so zu beschreiben:
Dass ich seit Anfang 2003 blogge und sehr viel in Bild, Video, Text, Bewertungen, Orten und anderen Details von mir “preisgebe”, ist es mir gelungen, weitgehend selbst zu bestimmen, was andere Menschen über mich wissen, was sie über mich finden und wie die Person Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach oder die “Marke luebue” dargestellt ist. Keinen Einfluss habe ich darauf, wie andere dieses Bild sehen und verarbeiten. Aber in einem nicht kontrollierbaren Medienraum habe ich durch gezielte Öffentlichkeit einen gut Teil der Kontrolle darüber erlangt, was über mich bekannt ist und was nicht.
Niemand muss das so machen. Niemand muss die Grenze so ziehen, wie ich es tue (und ja, auch ich ziehe Grenzen). Wer es anders macht, wird andere Vorteile und andere Nachteile daraus haben. Meines Erachtens überwiegen die Vorteile der Datenfreigiebigkeit. Zumindest für mich. Und zumindest noch. Facebook ist ein gutes Beispiel, wie dies auch kippen kann: Wenn die Kosten (Daten und mangelnder Datenschutz) den Nutzen übersteigen. Das ist einem meiner Söhne so gegangen, weshalb er sich wieder abgemeldet hat. Und das kann auch mir oder anderen irgendwann so gehen. Dafür brauche ich kein ULD. Und keine Panik.

Es ist keine Frage der Generationen oder der Bildung, wie ich mich entscheide. Der “privacy divide” ist eher eine Haltungsfrage und eine von Opportunitätskosten und Grenznutzen (um es mal ökonomistisch auszudrücken). Daten und Privatsphäre sind in unserer Mediengesellschaft eine Währung geworden, für die ich mir Bequemlichkeit, Kommunikationsmöglichkeiten und Rabatte oder Zugang zu Nachrichten und Informationen “kaufe”. Ist mir das, was mir Facebook oder die Onlineausgabe des Hamburger Abendblatt bieten, der Rabatt, den mir Jako-o einräumt, oder was auch immer - ist mir das diese Daten und diese Aufgabe von Teilen meiner Privatsphäre wert?

Die einen werden sich so entscheiden wie ich. Die anderen so wie meine Schwester. Die einen so wie mein einer Sohn. Die anderen so wie mein anderer. Die einen so wie mein Vater. Und die anderen so wie mein Schwiegervater. Politik. Medien, Unternehmen, Marketing, Eltern, Lehrerinnen - wir alle werden uns darauf einstellen (müssen), dass wir es immer mit einer Bandbreite zu tun haben. Und dass der “privacy divide” mitten durch die Gruppe von Menschen hindurch läuft, mit der wir zu tun haben.

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