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11.7.25

Et tu, Felix

Als die Sache mit dem Pulli damals aktuell war, wollte ich noch nicht drüber schreiben. Vielleicht, weil ich mich so unglaublich geärgert habe. Vielleicht, weil ich fand, dass Jette Nietzard in dem Moment nicht noch mehr Aufmerksamkeit brauchte, die Solidarisierung auf Bluesky musste reichen. 

Klar, unser Grüner Gerhard Schröder, der es nicht mal schafft, seinem designierten Nachfolger als Ministerpräsident eine Rampe zu bauen, den habe ich schon lange aufgegeben. Aber Felix, du? 

16.2.25

Wehrt euch

Zwischendurch hatte ich sehr viel Angst, so viel wie noch nie vor der Zukunft. Dann hat meine Liebste mir den Kopf gewaschen und mir fiel ein, dass ich so was immer mal wieder hatte und es immer irgendwie richtig und falsch zugleich war. Und nichts nützt. Was aber irgendwie anders war, zumindest gefühlt anders, war, dass sich der Ring der Menschenfeinde enger um uns zog und um uns zieht.

Wenn liberale CDU-Mitglieder bei mir vor Ort, mit denen ich im richtigen Leben gut zurecht komme, die ich teilweise sogar mag, auf einmal fanden, es wäre eigentlich ganz gut, dass die Radikalen an ihrer Parteispitze, denen sie bisher im Gespräch eher leicht kritisch gegenüberstanden, dass diese Radikalen die Partei in eine Zusammenarbeit mit den Nazis getrieben haben. "Immerhin passiert jetzt mal was", sagten sie. Also ungefähr das, was viele indifferente Amerikaner*innen gerade sagen angesichts der Staatsstreichs, der da passiert. Ich fand, dass ich schon berechtigt Angst hatte. Zumal in meinen Dörfern und in der Kleinstadt hier alle großen Wahlplakate der Grünen zerstört oder beschmiert worden waren und auch sonst ungefähr dreimal so viele Plakate abgerissen wie sonst bei Wahlkämpfen. 

7.3.24

2028

Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht grün
 
Als sie der Bürgermeisterin die Scheibe einwarfen
Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht in der Kommunalpolitik

Als sie die Arbeitslosen in Zwangsarbeit schickten
Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht arbeitslos

4.2.24

Herzlich Willkommen

Ich freue mich irre doll, dass so viele Menschen in den Widerstand gegen den Faschismus eingestiegen sind. Für viele, mit denen ich in den letzten Wochen sprach, ist es das erste Mal, dass sie bei diesem Thema aktiv werden. Dass dieser Widerstand, der die letzten 35 Jahre eher ein Nischendasein fristete, jetzt Massen erreicht, ist wunderbar. Und ich habe den Eindruck, dass die allermeisten, die seit vielen Jahren hier arbeiten und sich engagieren, mir zustimmen, wenn ich den neuen Mitstreiter*innen ein herzliches Willkommen zurufe. 

In den ersten Wochen dieses massenhaften Widerstands war es auch so, wie erwartet: Menschen, die neu zur Bewegung kamen, schlossen sich an. Und waren mit ihren Plakaten und Schildern dabei. Trugen ihre Wünsche und Themen mit auf die Demos. Die waren dadurch bunt, fröhlich, engagiert, vielfältig. 

14.1.24

Mut nach einer grauenvollen Woche

Die Woche geht so zu Ende, dass ich wieder Mut fasse. Sie war eine Achterbahnfahrt, emotional und auch in vieler anderer Hinsicht: Ein Pferd, das (vorerst) dem sicheren Tod von der Schippe gesprungen ist; das Entsetzen über das, was vor Ort und im Land politisch passiert; die große Freude am Ende über die vielen, vielen Menschen, die heute, am Sonntag, aufgestanden sind und sich in die Innenstädte begeben haben.

26.5.23

Gewaltlosigkeit ist Gewalt

Bei all den überaus absurden rhetorischen Verrenkungen der letzten Wochen, in denen die Gesetzesbrecher*innen innerhalb der Regierung und von der parlamentarischen Opposition, all diese Radikalen, die wider jedes Wissen sagen, dass wir mit dem Umbau, der Wärmewende, der Dekarbonisierung noch Zeit haben, in denen diese also behaupten, gewaltfreier Widerstand sei Gewalt und Opposition sei organisiertes Verbrechen, musste ich öfter an die radikalen Äußerungen der CSU-, CDU-, vieler SPD- und FDP-Leute während der Auseinandersetzungen in den 80ern um Pershings, Startbahn West, Brokdorf, Kalkar und Wackersdorf denken.

Die Irren unserer Zeit stehen dabei ja wirklich in der Tradition von Friedrich Zimmermann, der mir auch das Vorbild von Olaf Scholz zu sein schien, als der Innensenator in Hamburg war. Zu Zimmermann hat Heinz Rudolf Kunze damals ja ein tolles Lied geschrieben. Aus Mastodon fischte ich dann gestern den Hinweis auf einen anderen intensiven Text von ihm. Damals war er einfach ein wirklich guter Texter. 1984 schrieb und performte er seine Variationen über einen Satz des Bundesinnenministers aus dem Monat Juli des Jahres 1983. Und dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.

Mutloses Abwinken
ist Mut
Tatenloses Zusehen
ist Tat
Rechtloser Zustand
ist Recht
Hoffnungslose Anpassung
ist Hoffnung
Rettungslose Verzweiflung
ist Rettung
Skrupelloser Zynismus
ist Skrupel
Schonungslose Ausrottung
ist Schonung
Erbarmungsloses Dreinschlagen
ist Erbarmen
Gnadenlose Zukunftsvernichtung
ist Gnade
So hätten sie's gern
gewaltloser Widerstand
ist Gewalt
widerstandslose Gewalt aber
Ist nur Widerstand
gegen die Gewalt der Gewaltlosen

Und ein ärmelloses Hemd
ist ein Norwegerpullover
Und George Orwell
ist Walt Disney


20.4.23

Solidarität

Ich gehöre ja noch zu einer Generation, in der Solidarität wichtig war. Politisch heißt das, auch solidarisch zu sein, wenn ich persönlich beispielsweise eine Protestform nicht richtig finde oder – weit häufiger – nicht selbst machen würde. So wird es von mir keine "Distanzierungen" von robusteren Gruppen in solchen widerständigen Demonstrationen geben, deren Anliegen ich teile. Oder aktuell von der Letzten Generation. 

Wobei das sogar ein Grenzfall für diese Haltung ist, weil ich etliche der Protestformen dieser Gruppe für sinnvoll und zielführend halte, aber darum soll es jetzt gerade einmal nicht gehen von mir aus. Sondern darum, dass ich dadurch sehr schlecht beurteilen kann, ob sie in dem, wie sie erklären, was sie tun, gut sind oder nicht. 

So ging es mir gestern früh mit dem Interview mit Clara Hinrichs im Deutschlandfunk (ich wollte das hier einbetten, aber entweder da geht nicht mehr beim DLF oder ich bin zu blöd, den Einbettcode zu finden, müsst ihr also dem Link folgen, falls ihr es hören wollt). Mich haben das, wie Hinrichs da argumentiert, und die Emotionalität bei den persönlichen Fragen beeindruckt. Das fand ich überzeugend, und da waren auch für mich gute Argumente für kommende Diskussionen über die Letzte Generation.

Aber was ich mich frage: Geht das auch Menschen so, dass die Aktionsformen der Letzten Generation deutlich kritischer sehen oder ablehnen? Ich erlebe ja durchaus, wie Menschen, die auch politisch für Klimapolitik einstehen, auch für "richtige" Klimapolitik, dennoch mehr als irritiert sind von der Letzten Generation. Also nicht die, die aggressiv werden oder mit Tritten und Schlägen und Knast drohen, sondern "unsere" Leute, die das ablehnen. Überzeugt euch das Interview? Oder findet ihr es zumindest bedenkenswert? Oder abstrus?

Politisch bin ich in dieser Frage ja eher bei Friedemann Karig und seiner Einschätzung, dass es kommunikativ hilfreich ist, wie und was die Letzte Generation macht. Und darum auch überproportional offen für ihre Argumente. Und ohnehin solidarisch. Wie geht euch das?

29.3.23

I feel you, SPD

Damals, ja, damals hab ich nur den Kopf geschüttelt und mich gefragt, wieso sie sich das immer weiter antun, diejenigen in der SPD, die mehr (inhaltliche, politische) Ambitionen hatten als einfach nur zu regieren, egal wie. Die knirschten und litten wie die Hunde in der so genannten Großen Koalition. Seit dem merkwürdigen Koalitionsausschuss diese Woche verstehe ich, glaube ich, etwas besser, wie es euch damals, ja, damals ging.

Tatsächlich bin ich ratlos. Ob und wann es Zeit für Widerstand ist, durchzieht als Frage ja seit zwanzig Jahren dieses Blog. Und ich würde mich ja weder kommunalpolitisch engagieren noch bei den Grünen Mitglied bleiben, wenn ich nicht irgendwie die Hoffnung habe, dass ich (im Kleinen, im Mittleren) etwas dazu beitragen könnte, dass es morgen besser ist als heute. 

Zugleich denke ich immer wieder und seit Jahren – hier beispielsweise etwas aus dem September 2016 – darüber nach, wie wir es ertragen mögen, wenn viele Menschen einfach den Kopf in den Sand stecken. Oder den Sand in den Kopf. Je nachdem. Zusammen machen die dann ja die Mehrheit aus. Sozusagen die Dauerfrage, die Jochen Wegner im Podcast Alles Gesagt mit allen diskutieren will, also ob Demokratie wirklich taugt angesichts der Situation der Welt. Das ist ja auch die Frage der Letzten Generation. Und die Frage schon immer all derer, die in den aktiven Widerstand gingen. Wobei die diese Frage für sich ja beantwortet haben, was ich für mich nicht kann. 

Wo ich heute die SPD von damals fühle, ist diese Wut und diese Ohnmacht angesichts der winzigen Schritte, die gar nichts nützen aber besser sind als gar keine Schritte, also besser als es wäre, wenn Grüne nicht mit dabei wären, wenn wir aussteigen aus der Regierung, was wir eigentlich müssten, wenn wir auch nur einen Funken Selbstachtung hätten, es aber nicht tun, weil dann alles noch schlimmer wäre, was dann wirklich schlimm wäre, obwohl es auch so ziemlich schlimm, aber vielleicht nicht wirklich schlimm ist. Oder so. 

Gelbe Sonnenblume mit dem Spruch "Für ein besseres Morgen"



1.4.19

Wut

C.Suthorn, Frida Eddy Prober 2019 / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org

Ich bin ganz fasziniert, dass die Kinder lachen, wenn ich die Bilder von Freitagsdemos sehe. Denn eigentlich hätten sie allen Grund sauwütend zu sein. Ich mein, ich bin ja froh, dass sie es nicht sind. Denn Wut und Angst sind anti-politisch. Und wahrscheinlich unterscheidet das die nächste Generation von den ekligen Krakeelbratzen meiner Generation, die vor einigen Jahren anfingen, montags ostdeutsche Städte mit ihrer Wut zu zerstören. Dass sie, also die Kinder, politisch sind. Und dann auch noch weit politischer als die meisten, die Politik als Beruf haben. Wie beispielsweise den Kasper:

Abgesehen davon, dass sie ja noch was unterscheidet von den Krakeelbratzen: dass sie nicht Ernst genommen werden. Dass ihre Proteste keine Konsequenzen haben. Vielleicht müssen sie erst wütend werden. Könnte ich auch verstehen. Ebenso wie ich verstehen könnte, wenn sie in den Widerstand gingen und die Zukunft selbst durchzusetzen versuchten.

***

Als ich an den letzten Märztagen dann ein bisschen reinguckte in den Kongress, auf dem die Grünen über ihr neues Programm nachdachten, ist mir noch etwas aufgefallen. Von dem ich mir nicht ganz sicher bin, was ich davon halten soll – das aber im Grunde tatsächlich meine Erfahrung der letzten Jahrzehnte widerspiegelt. Ausgangspunkt war die Erkenntnis: Die beiden Vorsitzenden der Grünen haben Kinder.

Für mich war das, was Annalena Baerbock von ihrer Zeit in Paris mit dem Säugling erzählte, sehr berührend. Und Augen öffnend. Und kann der Kontrast zu den Handelnden der Regierung und zum Kasper vielleicht wirklich sein, dass sie Kinder hat?

Die ersten Jahre, die ich Kinder hatte, war mein Eindruck ja immer, dass Kinder pragmatisch machen. Dass auf einmal auch ganz praktische Überlebensfragen in den Mittelpunkt rücken und nicht nur die großen Widersprüche der Welt.

Ich denke, dass zwei Dinge vor allem Menschen mit Kindern am Esstisch unterscheiden von denen, die keinen Alltag mit Kindern und Jugendlichen haben: Zum einen, dass mir klar wurde, wie rasend schnell sich Dinge verändern und verändern lassen. Und zum anderen, wie wichtig die nächsten zehn, zwanzig Jahre sind. Und heute, wo die ersten beiden der vier Kinder ihren Weg gehen und in die Städte gegangen sind oder in der Stadt geblieben sind, wo sie ihr Leben beginnen, noch viel mehr.

***

Toleranz endet mit z, sagt meine Liebste immer. Schon immer. Und damit hat sie schon immer Recht, denn sie ist recht weise. Zumal sie es von ihrem Vater hat, der recht weise ist.

Meine Toleranz jedenfalls endet. Ich bin nicht mehr bereit, die Nachlässigkeit oder den Kasperkram zu tolerieren. Im Grunde nicht einmal mehr, darüber mit denen zu diskutieren, die beispielsweise SPD, CDU oder FDP für wählbar halten. Mit ein oder zwei dieser Parteien werden die Grünen koalieren müssen auf absehbare Zeit, das ja. Aber das heißt nicht, dass ihre Politikverweigerung und ihre kinder- und empathielosen Ansätze toleriert werden müssen. Lustigerweise schrieb ich ja schon vor fast zehn Jahren darüber, dass meines Erachtens die beiden Hauptkonkurrentinnen um die Macht Grüne und CDU sein werden.

***

Und dann fällt den Leuten vom Fernsehen (das ist dies, was wie kaputtes Netflix ist) nicht mal auf, was sie für ein hübsches Symbol für ihre Verachtung der Kinder geschaffen haben, als sie nach Thunberg die nächste junge Frau mit einem SUV beglücken.

 Würde es irgendjemanden wundern, wenn die Kinder doch noch wütend werden?





28.8.15

We'll walk hand in hand



Wenn der täglich neue Ekel angesichts des krassen Versagens unserer Eliten (mit den wenigen Ausnahmen, die ihr kennt und die zumindest für mich alle drei überraschend sind) mir die Kehle zuzuschnüren droht, ist es gut, sich auf die Wurzeln der Hoffnung zu besinnen.

Und noch einmal zuzuhören, was einer in Merkels Position sagte, als es in seinem Land zu einem defining moment kam. Denn so etwas werden wir auf absehbare Zeit in diesem Land aus Gründen nicht zu hören bekommen, auch wenn es Not täte.



We shall overcome ist eines der Lieder, mit denen ich in der Friedensbewegung aufgewachsen bin, zu dem wir in unserer achteckigen Kirche Friedensnetze geknüpft haben. Das zur Generation meiner Eltern gehört, von der ich gelernt habe, was es heißt, zusammen zu stehen und sich zu entscheiden, wenn es drauf ankommt. 
Stoltenbergs Rede, vor allem mit dem klaren Bekenntnis zu mehr Demokratie angesichts von Terror, direkt nach den Tränen für die Opfer, ist das Benchmark für Führung in so einem Moment. Höchstens noch vergleichbar war vielleicht Obamas Amazing grace, das ich im letzten Artikel eingebettet hatte... 

25.8.15

No Comment [Update am Ende, wichtig]

Idioten sind Idioten. Punkt.
Nazis sind Nazis. Punkt.
Brandstifter sind Brandstifter. Auch geistige sind Brandstifter. Punkt.
Pöbel ist Pöbel. Punkt.
Volk ist Volk. Punkt.

Ich bin jetzt 45. Habe einen schönen aber zeitintensiven Job. Verbringe Zeit mit Frau und Kindern. Und mit Hund und Pferden.
Und mit Dingen, die ich nicht breittrete hier.

Ich verbringe keine Zeit mit Idioten, Nazis, Brandstiftern, Pöbel oder dem Volk.
Die können mich nämlich mal.
Und kotzen mich an.
Selbst wenn sie in der SPD oder der CDU sind. Oder dann noch mehr vielleicht sogar.

Ich verbringe auch keine Zeit mehr mit Leuten, die Zeit mit Idioten, Nazis, Brandstiftern, Pöbel oder dem Volk verbringen.
Denn sie bestärken die Idioten, Nazis, Brandstifter, den Pöbel und das Volk.
Und das kotzt mich an.

Die Liebste sagt ja immer, Toleranz ende mir z.
Und da hat sie Recht.
Wer Idioten, Nazis, Brandstifter, Pöbel oder das Volk auch nur toleriert oder mit Idioten, Nazis, Brandstiftern, dem Pöbel oder dem Volk diskutiert, macht Idioten, Nazis, Brandstifter, den Pöbel oder das Volk stärker, allein weil sie sich damit stärker fühlen.

Das Leben, auch das Leben der Menschen, die von Idioten, Nazis, Brandstiftern, dem Pöbel und dem Volk angegriffen werden, wäre besser, wenn wir Idioten Idioten nennen, Nazis Nazis, Brandstifter Brandstifter, Pöbel Pöbel und Volk Volk.
Und sie isolieren.
Denn sie wollen ja dazu gehören, halten sich für die schweigende Mehrheit.
Nur durch Unterdrückung aber werden wir sie klein halten.

Idioten, Nazis, Brandstifter, Pöbel und das Volk kann ich nicht überzeugen.
Und will ich auch nicht.
Idioten, Nazis, Brandstifter, Pöbel und das Volk kann ich nur bekämpfen.
Und unterdrücken.

Und mit euch anderen Menschen ein menschenwertes Leben leben und exemplarisch überall Teile einer menschenwerten Gesellschaft bauen.
Jeden Tag. Jeden Tag. Jeden Tag.

Null Toleranz. No comment.

Idioten lasse ich stehen.
Nazis lasse ich stehen.
Brandstifter lasse ich stehen, auch geistige.
Pöbel lasse ich stehen.
Volk lasse ich stehen.


Und habe eine Apfelbaum gepflanzt.





[Update 26.8.17.40]
Besser als diese Lyrik ist - wieder einmal - die Kolumne von Sascha Lobo.
Denn er hat Recht.

Und großartiger und zugleich differenziert, klar und zornig (da bin ich fast neidisch drauf, wie es ihm wieder gelingt) ist Johnny Haeusler.

Wo ich beiden zustimme - und was ich mit der dürren Lyrik oben, die mein hilfloser Weg ist, für mich dieses auszurücken, ebenfalls sagen will -, ist dies: Dies ist eine tatsächlich entscheidende Situation. Ein, wie Sascha es nennt, defining moment. Und ich glaube nicht mehr daran, dass es ohne echten Kampf geht. Sondern in der doppelten Bewegung von Ausgrenzung und klarem Widerstand einerseits und vom Bauen von Beispielen andererseits.

Und das wird auf einmal wichtig in meiner direkten Umgebung. Beides.
Seit heute wird in meinem Stadtteil die wahrscheinlich bisher größte Anlage Hamburgs hergerichtet, in der Flüchtlinge erstmal schlafen können. Es ist beeindruckend, in welcher Geschwindigkeit und Menge sich Menschen, die in diesem Stadtteil für die Zivilgesellschaft stehen, vernetzen und Verantwortung übernehmen. Allen voran  - und das explizit, weil ich oben die CDU explizit kritisiere - unsere CDU-Kommunalpolitikerin von der Stadtteilkonferenz.

Und linke Jugendliche in unserem Stadtteil verständigen sich innerhalb von Minuten via WhatsApp und Co, ein Auge darauf zu haben und ihren Beitrag aktiv zu leisten, dass diese Anlage nicht zerstört wird.

Und ein kleines Wort noch zu denen aus meiner religiösen Ecke,
die mir WWJD zuriefen: Ja, Jesus aß mit den Sünderinnen. Ja, Jesus redete mit all diesen. Aber mit denen, die mit einem Mindestmaß an Demut kamen. Nicht mit den Pharisäern. Die Idioten, Nazis, Brandstifter, Pöbel, Volk aber sind die selbstgerechten Pharisäerinnen. Und ansonsten:

31.7.15

Die Würde des Menschen ist eingeschränkt unantastbar

Dass ich kein übertrieben großer Fan von Ex-Ministerin Kristina Schröder bin, ist für euch sicher nicht so überraschend. Dass sie kein übertrieben großer Fan des Grundgesetzes zu sein scheint, ist für mich dann schon eher überraschend*.

Das Positive vorweg
Die ersten Reaktionen aus Regierungsfraktionen auf den staatlichen Anschlag auf die Pressefreiheit gestehen immerhin zu, dass es ein Anschlag auf die Pressefreiheit sei - dass die halt einfach nicht uneingeschränkt gelte (was stimmt, siehe Grundgesetz Art 5 II). Damit sind die Linien klar. Und es ist von denen, die für diesen Anschlag sind, auch klar gemacht, dass es um Pressefreiheit geht und darum, wie sehr wir sie einschränken wollen. Das ist ein lohnender Kampf.

Das Erschütternde dann aber auch
Für eine Ex-Ministerin und MdB gibt es keine Grundrechte, die schrankenlos gelten:
Während ich gerne und hart mit Reaktionärinnen über die Pressefreiheit #ups streite, mache ich das nicht mit Verfassungsfeindinnen. Die Vorstellung, Art. 1 und 3 (die beide explizit KEINEN Gesetzes- also Einschränkungsvorbehalt haben) gälten nicht schrankenlos, ist nicht nur absurd und gefährlich - sondern ein Grund, sich mit den eigenen Aktionen auf Art. 20 (4) zu berufen.

Was für eine - sorry - perverse Vorstellung von ihrer Macht als Parlamentarierin oder vorher Ministerin hat denn Frau Schröder bitte, wenn sie meint, auch die elementaren Grundrechte würden nicht schrankenlos gelten - sondern seien durch ihr (gesetzgeberisches) Handeln einschränkbar? Ja, das Parlament kann die Pressefreiheit einschränken, die Pressefreiheit hat sogar eine explizite Einschränkung in ihrem eigenen Grundrechtsartikel (auch wenn diese Ehre-Einschränkung irgendwie schräg ist an dieser Stelle). Aber auch Frau Schröder kann Art. 1 und 3 (Würde des Menschen und Gleichheit vor dem Gesetz) nicht mit Schranken belegen.

Es ist ein Skandal
Und es zeigt, wie weit wir in diesem Land tatsächlich schon wieder sind, dass hochrangige Politikerinnen auf eine der größten Demokratiekrisen seit der Spiegel-Affäre 1962 mit einer Verhöhnung des Grundgesetzes reagieren. Und ihr wundert euch, dass der Ton rau wird?

Und noch zur Pressefreiheit
Ich trage ja Verantwortung für eine PR-Agentur. Und für uns PR-Leute ist Pressefreiheit nicht nur irgendein einschränkbares Dingens. Sondern eine wesentliche Voraussetzung für unsere Arbeit. Darum reagiere ich so empfindlich auf den Anschlag (also nicht nur darum, aber eben auch darum). Darum müssen wir führenden PR-Köpfe uns so klar und eindeutig und laut und deutlich gegen diesen Anschlag auf die Pressefreiheit positionieren. Funktionierende, freie, mutige Medien und Publikationen sind die Basis dafür, dass wir unseren Job für unsere Kundinnen machen können. Denn sie sind ein wesentlicher Teil des "Public" in Public Relations. Der staatliche Angriff und die indifferente Haltung der Regierungsfraktionen zu diesem Angriff gefährden mein Geschäft. Schaden der Firma, für die ich Verantwortung habe.

_____
* doch, echt, ist es. Ich gehöre nicht zu denen, die gleich allen, mit denen sie politisch über Kreuz sind, Bosheit oder Dummheit unterstellen (echt nicht). Und obwohl ich Frau Schröder für reaktionär halte, dachte ich, dass sie einen klaren, christlich geprägten Wertehaushalt hat und voll aufs Grundgesetzt steht.

22.1.15

Staatsterrorismus

Vor etwas mehr als einem Jahr schrieb ich, dass eigentlich nur ein Fanal fehle, um die grummelnde Unzufriedenheit in handfesten Widerstand zu transformieren. Wer hätte gedacht, dass dieses Fanal nun eher den Notstandsgesetzen als dem Mord an Ohnesorg gleicht.

Landgericht-frankfurt-2010-ffm-081

Wenn nun - und die Bundesregierung stimmt dem ausdrücklich zu - Überlegungen aus der EU kommen, faktisch die Verschlüsselung von Kommunikation zu verbieten (denn aus meiner Sicht ist es genau das, wenn für den Staat Hintertüren eingebaut werden müssen in jede Verschlüsselung), dann kann es dieses Fanal sein.

Einmal zum Mitschreiben: Der Bundesinnenminster, der von einer Koalition aus CDU, CSU und SPD getragen wird, fordert die Abschaffung von Grundrechten.

Meiner Meinung nach wäre ein Verschlüsselungsverbot Staatsterrorismus. Denn eine Regierung, die verhindert, dass ihre Bürgerinnen sich unbelauscht unterhalten, ist ein Terrorregime. Und ein Staat, in dem Verschlüsselung verboten oder das Briefgeheimnis abgeschafft ist, ist ein Unrechtsstaat.

Gegen die Abschaffung von Grundrechten fordert unsere Verfassung ja ausdrücklich den Widerstand.

Über viele Punkte rund um Sicherheit und Freiheit können wir diskutieren. Selbst über die Vorratsdatenspeicherung, das Lieblingskind der konservativen Placebopolitik, können wir reden. Da sind diejenigen, dich sich für Bürgerinnenrecht stark machen, zwar einig (in der Ablehnung), aber das ist eine politische Frage.

Die Frage, ob ich (selbst wenn ich persönlich es zurzeit nicht tue) meine Kommunikation verschlüsseln und damit privat halten kann, ist aber keine politische. Wenn die Regierung dieses verhindert, überschreitet sie eine Linie. Und dies ist die Linie, die aktiven und realen Widerstand rechtfertigt. Dann sind Worte und Bilder am Ende. Sie helfen nicht mehr.

Noch ist es nicht so weit. Aber vor allem Sozialdemokratinnen sollten sich bewusst sein, dass es wirklich ein Treppenwitz der Geschichte wäre, wenn wieder eine von ihnen ungeliebte große Koalition den Funken in das Pulverfass wirft.

29.12.14

Systemparteien, Lügenpresse

Auf Facebook und Twitter habe ich den einen oder anderen Versuch unternommen, über Pediga* und mit Pegida-Versteherinnen zu diskutieren, auf viele Artikel verlinkt, oft den virtuellen Kopf geschüttelt. Und - man höre und staune - ein bisschen nachgedacht. Das dann auch an anderen Orten. Und die letzten Tage auch an der einen oder anderen Stelle in der Kohlenstoffwelt darüber gesprochen. Übrigens erstaunlich wenig, weil eigentlich alle, denen ich begegnete, ungefähr einer Meinung waren und diesen Pegida-Mob auch tatsächlich uninteressant und irrelevant fanden.

Ratlos stehe ich tatsächlich vor dem Phänomen, dass hier Menschen sich ungehört und nicht wahrgenommen fühlen, obwohl sie fast schon unangemessen viel Raum in der Berichterstattung und unangemessen viel Beachtung (jetzt auch hier) bekommen. Ähnlich wie die reaktionären Publizisten, die etwas "ja wohl mal sagen dürfen müssen", was irgendwie unangemessen oft überall gesagt wird, von dem sie aber glauben, dass es niemand sagen darf in diesem Land und seinen Medien.

Drei Gedanken machten sich in mir die letzten Tage immer breiter, so dass sie raus müssen. Neben der Frage, ob diese Menschen, die den Mob der Straße bilden gerade, ob die vielleicht von ihren Müttern oder Vätern nicht geliebt wurden. Ob ihnen die Nähe und das Kuscheln fehlte. Ich weiß es nicht, meine ich auch nicht zynisch. Aber ich kann mir die große, epische Grundverunsicherung kaum anders erklären als damit, dass das Grundvertrauen fehlt. Und ich werde das nicht Weiterpsychologisieren. Auch nicht, ob es Zufall ist, dass es sich in Dresden Bahn bricht.

1. Sorgen Ernst nehmen?
Immer mehr kritische, nachdenkliche Stimmen kritisieren das Medien- und Politik-Sprech vom "Ernst nehmen der Sorgen" dieses Mobs. Tatsächlich halte ich das auch schon von Tonfall und Wortwahl für falsch und gefährlich.

Ja, ich muss versuchen, die Ängste und Ressentiments dieser Menschen zu verstehen (im Sinne von: nachzuvollziehen). Aber "Sorgen", die aus einer Mischung aus Verschwörungsdenken und Ressentiments entstehen, kann niemand Ernst nehmen, der dieses Land und seine Menschen am Herzen liegen.

Dass es eine große Minderheit gibt, immer schon gegeben hat, die Verschwörungstheorien glaubt und weiter verbreitet, ist ja nicht neu. Das gehörte auch schon zum 20. Jahrhundert dazu. Von der Weltverschwörung des Judentums oder der Freimaurer über die Dolchstoßlegende bis hin zum Verrat der katholischen Kirche, die unter dem Kölner Dom ihren Goldschatz versteckt habe, den sie im großen Krieg 14/18 nicht rausgerückt habe, weshalb (und so weiter). Die meisten werden solche Menschen in ihrem Bekanntenkreis haben, die meisten davon sind harmlose Teilspinnerinnen. Und (siehe Punkt 2) meistens eingehaust. Und (siehe Punkt 3) nicht mit Argumenten zu überzeugen.

Das Tolle an Verschwörungstheorien (und ja, ich fand auch mal die eine oder andere davon toll, sei es Gesells Freiwirtschaftsidee, deren Logik auf einer Verschwörungstheorie basiert, oder rund um 9/11) ist ja, dass sie per definitionem nicht widerlegbar sind. Weshalb sich da auch aktuell der Kreis zur "Lügenpresse" schließt: Teil der Verschwörungstheorie ist ja, dass es eine Verschwörung gibt, zu der sich alle die verschworen haben, die gegen die Theorie sprechen.

Wer "Sorgen" von Menschen Ernst nimmt, die auf Verschwörungen besieren, die ihre Ressentiments bestätigen, kann nur verlieren - und infantilisiert die Diskussion. Das heißt nicht, dass alle diese Menschen Idioten sind oder Nazis. Sondern nur, dass sie nicht ansprechbar sind. Und nicht Ernst genommen werden können.


2. Die Leistung der Parteien bis vor Pediga
Bei den Pegida-Versteherinnen auf der konservativen Seite kommt immer wieder ein Argument, das so bestechend wie absurd ist: Es gebe ja unter Anhängerinnen aller Parteien (auch von SPD und Grünen, bei den Linken sowieso) einen großen Prozentsatz, der den "Anliegen" (welchen eigentlich?) von Pegida zustimme.

Ja, sag nur! Echt?

Was dieses "Argument" verkennt, ist doch aber gerade, dass es - bis vor Pegida und, so schätze ich, auch bald wieder nach Pegida - den klassischen Parteien gelingt, diese Teilspinnerinnen zu binden und "einzuhausen". Wer sich mit Weltbildern und Ressentiments in Deutschland beschäftigt, wird schnell entsetzt sein, wie groß der Anteil derer ist, die ein verfestigtes rechtsextremes Weltbild haben - ohne jemals rechtsextrem zu wählen oder auf die Straße zu gehen. Je nach Studie und Methode sind das bis zu 40% der Erwachsenen, bei jungen und alten mehr als in mittleren Altersgruppen.

Die besondere Leistung unseres politischen Systems - und hier besonders eine Leistung von CDU, Linken und SPD - ist es, diesen Menschen einen Ankerpunkt zu geben, der ihre dunkle Seite nicht durchdringen lässt. Ich habe nie so viele echte Rechtsradikale erlebt wie in Hamburger Ortsvereinen, als ich noch in der SPD war. Das sage ich ganz ohne Zynismus (heute, damals hat mich das erschreckt). Darum ist die AfD ja auch so gefährlich - weil sie die Chance sieht und hat, diese Menschen aus den bisherigen Parteien herauszubrechen.

Darum kann ich die Panik und Unsicherheit der Parteien verstehen. Da haben es beispielsweise die beiden großen Kirchen einfacher, weshalb sie sich auch klarer geäußert haben (auch wenn der liberale Bischof Bedford-Strohm aus München etwas brauchte, bis er zur Klarheit fand).


3. Isolieren statt umarmen
Was gerade stattfindet, ist keineswegs neu oder singulär. Wir hatten das zuletzt in den 90ern. Rostock, Solingen, Mölln, erinnert ihr euch? Der Mob in Rostock, der applaudierend und sich einpischernd neben den Mördern stand, ist so unähnlich nicht dem, was wir zurzeit auf den Straßen laufen sehen. Auch die Parolen sind nicht so unähnlich. Und auch die Umarmungsversuche vor allem der Konservativen sind so unähnlich nicht.

Der Spuk verschwand in den 90ern von den Straßen, nachdem die SPD unter Engholm umkippte und das Asylrecht zusammen mit der Regierung abschaffte - und nachdem es die großen Lichterketten gab, in denen Menschen aufstanden und dem Mob zeigten, dass er nicht die Macht auf der Straße ist.

Was ich aus den 90ern lerne, ist, dass die vielen "Latenznazis", wie etwas polemisch Sascha Lobo den Mob aus "normalen" Menschen nennt, die da rumlaufen, nicht durch Umarmung wieder in die Zivilisation zurück zu bekommen sind. Sondern nur dadurch, dass wir sie aktiv und konsequent ausgrenzen.

Ich erlebe, wie meine jugendlichen Kinder intuitiv genau das Richtige tun gerade. In ihren Kreisen gibt es jeweils einzelne, die Pegida-Dinge nachplappern oder auf Facebook weitersagen. Da gibt es dann eine (einzige!) klare Ansage mit dem Hinweis, was sie da tun (einigen war das gar nicht bewusst und sie kamen kleinlaut und voller Reue zurück) - und dann werden sie, falls sie nicht sofort umkehren, aktiv und nachhaltig ausgegrenzt.

Das können nur Menschen, die direkte Beziehungen zu welchen haben, die im Mob mitlaufen oder ihn gut finden. Aber das scheint mir erfolgversprechend (wenn wir nicht den Weg der Symbolpolitik gehen wollen, auf Kosten eines vom Mob auserwählten Sündenbocks die Lage zu beruhigen wie damals in den 90ern). Ein klarer Warnschuss aus dem nahen Umfeld. Und dann eine konsequente Isolation.

Denn die latenten, die nicht überzeugte rechtsextreme Aktivistinnen sind, wollen dazu gehören. Wollen nicht ausgegrenzt sein, halten sich für "das Volk". Das ist ihr wunder Punkt. Siehe oben die Vermutung mit den Müttern und Vätern.

Wer einmal versucht hat, mit AfD-Leuten oder anderen Verwirrten zu diskutieren (Pegida haben wir in meinem Speckgürtel nicht), weiß, dass das nicht geht. Siehe oben, die Sache mit der Verschwörungstheorie. Mein einer Sohn hatte nach drei erfolglosen Versuchen überlegt, ob er (jetzt ist ja gerade beginnender Wahlkampf in Hamburg) AfD und NPD auf die Wahlkampftische kackt. Er hat sich überzeugen lassen, dass das eine nicht so elegante Idee ist. Stattdessen hat er sich vorgenommen, auf sie zuzugehen, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Und sie zu fragen, ob ihre Mutter sie nicht geliebt hat.

_____
* Für die Zeit, in der dieses Wort wieder verschwunden ist: So nannte sich Ende 2014 eine ressentimentgetriebene "Bewegung", die vor allem aber nicht nur in Dresden teilweise mehr als zehntausend Menschen auf die Straßen trieb, die nicht mit der "Lügenpresse", wie sie die Medien in schöner Nachfolge von Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts" nannten, reden wollten, sondern Angst vor der Islamisierung des Abendlandes hatten.

10.5.14

Aufbruch zum Denken

Dass ich nicht so der re:publica-Gänger war, lag nicht an der re:publica. Im Gegenteil: als sie damit anfingen, die auf die Beine zu stellen, kannte ich ja die Leute, die die re:publica machten, schon lange, sie stammen, wie es die Kaltmamsell immer so nett formuliert, "aus der gleichen Ecke des Internets" wie ich, aus dieser Altbloggerdingens. Es war nur so, dass es terminlich nie passte, vor allem, wenn es in den Schulferien lag (die in Hamburg ein bisschen antizyklisch sind im Frühjahr). Und dann hab ich das eine oder andere Mal die jungen Leute hingeschickt und im Büro die Stellung gehalten.

Was mir beim Stöbern durch die Konserven nie so komplett klar wurde und was ich auch von denen, die da waren, nie so klar gespiegelt bekam, war etwas, das mich dieses Jahr, auch wenn ich nur einen Tag vor Ort sein konnte, unglaublich fasziniert und begeistert hat: Dass die re:publica keine Internetkonferenz ist sondern tatsächlich ganz anders, also so richtig ganz anders als eine solche. Dass sie denen, die sich darauf einlassen mögen, einen Anlass zum Denken bietet. Und dass sie ein Aufbruch zum Denken ist.
(Vielleicht bin ich zurzeit auch nur so besonders empfänglich für die, die an den gleichen Fragen denken wie ich. Die sich mit der Frage der Radikalität und der Re-radikalisierung auseinandersetzen - und der Frage, ob sie jetzt nötig und hilfreich ist, bis hin zum echten und nicht an sich mehrheitsfähigen Widerstand. Ich selbst raune ja das eine oder andere in dieser Richtung seit einiger Zeit in mein Blog, auch, weil ich mich nicht traue, die eigentliche Konsequenz wirklich auszusprechen. Vielleicht ist das Blog auch nicht der Ort dafür, sondern eher ein Buch, ein Pamphlet oder ein Vortrag. Das aber nur am Rande.)
Und auch, wenn ich noch längst nicht alle Themen nachgehört und nachgesehen habe, die mich ansprechen und anzuregen versprechen, finde ich es nahezu beglückend, dass zwei der besonderen und besonders anregenden Vorträge von jungen Frauen stammten, die zeigen, dass es eben über die Generationen hinweg eine Kontinuität (da ist es wieder) widerständigen Denkens geben kann.
(Zur Lobo-Rede hatte ich mich ja bereits zustimmend geäußert übrigens.)

Laurie Penny habe ich auch schon sehr gerne und mit großem persönlichen Gewinn gelesen, vielleicht ist sie wirklich die wichtigste Feministin der nächsten Generation (dringende Leseempfehlung ist ihr Aufsatzbändchen Fleischmarkt). Auf sie war ich besonders gespannt und froh, sie einmal live zu erleben. Und Teresa Bücker ist, ja, ich weiß, da bin ich nicht der einzige, der das sagt, vielleicht der Geheimtipp dieser re:publica überhaupt gewesen. Und ihre Aufregung schadet ihrem Vortrag in keiner Weise.

Zusammen 90 Minuten, die sich mehr als lohnen. Und die für einen Aufbruch zum Denken stehen, wie ihn zurzeit wirklich nur die re:publica schaffen kann.



7.5.14

Kontinuität und Widerstand

Ich interessiere mich schon lange mehr für die Kontinuitäten als für die vermeintlichen Brüche in der Geschichte. Gerade die (biografischen) Linien über Umbrüche hinweg sind mir spannende Forschungsfelder gewesen. Als ich 1991 bei Werner Durth eine unglaublich dichte und inspirierende Sommerakademie zu Städtbau besuchte, habe ich erstmals einen Historiker kennen gelernt, der dieses methodisch so machte. Sein Buch Deutsche Architekten (Leseempfehlung!) habe ich verschlungen und mehrfach gelesen.

Kontinuität
Ähnlich ging mir das mit dem für mich inspirierendsten Buch der letzten Monate: Writing on the Wall von Tom Standage. Kernthese des Buchs, der ich zustimme übrigens: Social Media ist uralt und die "Normalform" von Mediennutzung über die letzten zwei Jahrtausende gewesen - von der zeitlich fast zu vernachlässigenden kleinen Unterbrechung der letzten 150 Jahre seit der Gründung der ersten Massenzeitung 1843 einmal abgesehen, in der das "Broadcast-Modell" kurz einmal vorherrschte.

Was ich so unglaublich erleichternd und erhellend an Standages Buch finde, ist eben dieser Blick in größeren Zusammenhängen und Linien auf ein Phänomen, das Teilen meiner Generation immer noch Angst macht. Und auf die Komik, mit der sich bei jeder (medientechnischen) Weiterentwicklung die selben Argumente wiederholen. So wie Plato schon gegen Schriften wetterte, weil sie das Denken und Argumentieren schädigten. So wie Erasmus gegen die Druckerpresse wetterte, weil es die Leute dazu verleite, zeitgenössische Schriften und nicht die Klassiker zu lesen. So wie im 17. Jahrhundert gegen die Kaffeehäuser gewettert wurde (aus denen die meisten Erfindungen, Erkenntnisse inklusive Newtons Durchbruch, und bis heute wichtigen Firmen wie die Londoner Börse oder Lloyd's of London stammen), weil die die Studenten und Kaufleute zu Müßigang und mangelnde Produktivität verführten und so weiter. Kennt ihr ja alle, die Argumente.

Und so, wie die historischen Linien in der größeren Sicht spannender werden und Menschen, die sich auch nur rudimentär mit Geschichte und Geistergeschichte beschäftigt haben, angesichts vieler "Diskussionen" heute nur resigniert mit den Achseln zucken lassen, so ist auch der Blick auf Analysen und Begründungen von Widerstand interessant, die es vorher einmal gab.

Widerstand
Darum ist - für mich tatsächlich überraschend, auch wenn ich ihm inhaltlich ja fast immer zustimme, schließlich sind wir eigentlich geklonte Geschwister (sagt man das so?) - Sascha Lobos diesjährige re:publica-Rede der zweite Inspirationspunkt dieses Monats. Zumal er sich an einer entscheidenden, wenn nicht der entscheidenden, Stelle auf den aus meiner Sicht größten Gesellschaftsphilosophen des 20. Jahrhunderts bezieht: Herbert Marcuse. Ich bin mir, auch nachdem ich mit ihm kurz darüber sprach, nicht zu 100% sicher, ob er sich wirklich der disruptiven Kraft bewusst ist, die sein Verweis auf Marcuse in der Diskussion bedeuten kann.

Secundus und sein PferdAber es ist wohl kein Zufall, dass Secundus, noch 16 Jahre alt, sich Marcuses aus meiner Sicht wichtigstes Buch Der eindimensionale Mensch (Lesebefehl! Echt jetzt!) am letzten Wochenende aus meinem Bücherschrank nahm und begonnen hat, es mit Genuss zu lesen. Er trägt ja auch eine ähnliche Frisur wie der Herr Lobo, wenn auch aus anderen Gründen.

Marcuse war schon in der Generation meiner Eltern einer der wichtigsten Denker und Argumentierer des Widerstandes. Und ein brillanter Analytiker von Gewalt (die nach seiner Definition immer nur aus einer Machtposition heraus ausgeübt werden kann, weil das, was andere Gewalt nennen oder Terror, wenn er nicht aus der Führungsmacht der Elite heraus kommt, eben keine Gewalt sei sondern Widerstand) und der Macht in den Strukturen und Technologien. Was ja auch der Punkt ist, den Sascha anspricht und von ihm aufgreift.

Manchmal wünsche ich mir, dass die Diskussion über die Sicherheitsesoteriker und Kontrollfanatiker mit mehr historischen Kenntnissen geführt würde. Eine Lektüre von Standages Buch (kommt wohl dieses Jahr noch auf deutsch raus) und das Ansehen von Lobos Rede kann dazu der erste Schritt sein. Und wer richtige Lektüre ertragen und verstehen kann, sollte dringend Marcuse lesen.

Und dann reden wir weiter, ok?




Update 8.5.:
In dem Sinne: Weitermachen
(Hinweis auf das Bild fand ich bei André Vatter, der es anders sieht als ich)