31.7.11

Gutmensch und Wutbürger als rechte Kampfbegriffe

Die gedankenlose Übernahme der (Schimpf-)worte Gutmensch und Wutbürger durch denkende Menschen macht mir schon länger Gedanken. In der ersten Hälfte der 2000er ist vor allem Gutmensch zu einem modischen Wort für die Verächtlichmachung allen Engagements geworden, interessanterweise vor allem getrieben von den Neurechten aus der ehemals linksradikalen Ecke wie Broder und Knapp, die nach 1989 offenbar - so kam es mir damals und dann in den 90ern immer vor - den Schock ihres Weltbildzusammenbruchs auf recht originelle Art zu verarbeiten suchten. Mit dem Widererstarken von Bürgerengagement hat dann die Neue Rechte den Begriff Wutbürger als Steigerung des Gutmenschen entdeckt, weil sich die naiven Gutmenschen - so ihre Diktion - nicht entblödet haben, auch noch aktiv zu werden. Oh Schande.

Nun hat vor zwei Tagen Michalis Pantelouris einen sehr lesenwerten Artikel geschrieben, der vor allem die Verlogenheit des WortesGutmensch darstellt. Das kann ich also lassen, hatte mir Ähnliches seit ein paar Tagen vorgenommen.

Ich gehe einen Schritt weiter - und das hängt ironischerweise damit zusammen, dass ich an gleicher Stelle ähnlich sensibel bin wie die Neurechten Autoren (Änderung, siehe Kommentare) des Wörterbuchs des Gutmenschen, über das 1994 dieser Kampfbegriff langsam in die Sprache eingesickert ist: Damit, dass mir der Gebrauch von Sprache wichtig ist und ich überzeugt bin, dass Worte, die wir verwenden, unser Denken nach und nach prägen. Sehr instruktiv dazu übrigens das großartige Büchlein LTI von Klemperer über die Lingua Tertii Imperii.

Und weil, wer Gutmensch oder Wutbürger sagt, Menschen und ihre Haltungen und Handlungen verächtlich macht, denen es darum geht, dass die Welt besser wird anstatt schelchter oder gleich schlecht zu bleiben, ist dieses Reden zutiefst rechtsradikal, mindestens aber reaktionär. Denn es geht ihm um eine Zementierung eines Zustandes, in dem wir uns nicht wehren gegen Willkür (Wutbürger) oder in dem wir Ungerechtigkeit hinnehmen (Gutmensch). Wenn ich diese Worte verwende, dann schwingt implizit in meinem Denken immer mit, dass ich diese Veränderungen nicht will, für die engagierte Demokraten stehen.

Dass es der Neurechten gelungen ist, mit Gutmensch und Wutbürger zwei ihrer Kampfbegriffe in den so genannten Mainstream sickern zu lassen, sehe ich -strukturell - mit Bewunderung. Die haben ihren Gramschi gelesen damals in der ersten Hälfte der 90er. Und sie haben weit besser als Linke damals verstanden, dass nur so die eigene Agenda langfristig durchgesetzt werden kann. Nur über die Veränderung von Sprache und damit Denken erlange ich heute nach und nach die Hegemonie, die notwendig ist.

Und darum sind Gutmensch und Wutbürger zwei der Worte (nicht die einzigen, aber die, die am sichtbarsten zurzeit sind), die eine Signatur des politischen Denkens und Koordinatensystems darstellen. Ich kann die beiden Worte nicht benutzen, ohne nach und nach ins rechte, wenn es "gut" läuft auch radikal rechte Fahrwasser der Neurechten (und der neurechten Intellektuellen) zu geraten.
Ähnliches gilt übrigens auch für das Wort vom Bildungsbürger, das die neue Rechte ebenfalls verächtlich zu machen sucht, aber es bisher nicht schafft, weil es eine lange liberale Tradition hat.

Darum diskutiere ich nicht über diese Worte und am liebsten auch nicht mit ihren Verwendern. Denn die radikale Rechte ist für mich nicht satisfaktionsfähig.

25.7.11

Mut und Zorn

Darum mag ich so vieles in und an Skandinavien. Trotz der starken Rechtspopulisten und Extremisten. Vielleicht, so kommt es mir heute erstmals vor, sind die der Preis dafür, dass die anderen Freiheit und Offenheit offen und offensiv vertreten können. Vielleicht lässt sich mit der panischen Angst von SPD und CDU vor dem Rechtspopulismus in Parteiform erklären, dass sie dem Rechtspopulismus frönen.

Die Reaktion von König, Ministerpräsident und Bürgermeister war ein klares und starkes Bekenntnis zu Freiheit und Pluralismus. Das ist wahre Stärke. Und macht mich so betroffen. In dieser Situation, vor allem, wo Stoltenberg etliche der Ermordeten kannte, zeugt es von einem politischen und ethischen Koordinatensystem, das intakt ist. Eines das den Uhls dieses Landes hier abhanden gekommen ist offenbar.

(Darum auch "Haltungsturnen" übrigens. Weil Haltung eingeübt werden muss, damit sie in der Krise trägt. Die Jungs im Parlament und in der Polizei, die jetzt sofort zynisch das Leid für ihre Agenda ausnutzten, um das völlig untaugliche Instrumentarium zu fordern, sollten mal turnen.)

21.7.11

Der ganze Mensch

Ich weiß nicht mehr, wann es war, aber mein "erster Mahler" war die Dritte Symphonie. Ich war 14 oder 15, schätze ich. Und es war in der Hamburger Musikhalle, gemeinsam mit meinen Eltern, wir saßen im Parkett. Sie kannten ein bisschen Mahler von den großartigen Mahlerballetten Neumeiers, nahmen mich mit. Und mir ging es so, wie es in dieser wunderbaren Szene aus Pretty Woman über die Oper heißt:



Thema von Gustav Mahlers Musik ist immer "der ganze (also fühlende, denkende, atmende, leidende) Mensch", schrieb er selbst in einem Brief. Und seine Musik ergreift auch den ganzen Menschen. Bis heute gibt es kaum andere Musik, die solche tiefen Empfindungen in mir auslöst wie die Gustav Mahlers. Und das, obwohl ich mir merkwürdigerweise immer noch einige seiner Werke (vor allem das Lied von der Erde) aufgespart habe, noch nie gehört. Nur gelesen.

Für mich beginnt Musik, die mich wirklich in der Tiefe meiner Seele (wenn ich das mal so pathetisch sagen darf) berührt, recht eigentlich mit Mahler. Einige wenige vor ihm wie Gesualdo oder ein kleines bisschen was von Beethoven (vor allem späte Streichquartette, wenn sie gut gespielt sind, was leider sehr, sehr selten ist, eigentlich mag ich nur die Version des Alban Berg Quartetts) hin und wieder. Bachs Motetten (einige). Aber erst mit Mahler kommt das, was er selbst "Empfinden" nannte (was nichts mit Stimmung zu tun hat sondern mit Tiefe), in die Musik. Zumindest so, dass es bei mir ankommt und etwas zum Schwingen bringt.

Es wäre ja nicht so, dass es danach noch massenhaft außerordentliche Musik gäbe. Aber doch immer wieder. Ligeti ganz besonders. Immer wieder Gubaidulina, die ich in Hitzacker auch kennen lernen durfte. Einiges von Alban Berg.

Aber angefangen hat es mit Mahler. Bei mir. Und mit der Musik. Für andere ist er das Ende - in dem Sinne, dass er der letzte der klassischen Musik ist (so wie für mich der erste der neuen Musik). Zurzeit lese ich wieder die Bücher von Mahrendorff, die eine einzige Hommage an Mahler sind, wie er selbst sagte. Und eine kurze Biografie. Und Interpretationen. Zumal Mahlers Zeit ohnehin spannend ist als erste Hälfte der klassischen Moderne und zugleich als diese dekadente Zeit der Weltenwende, die in dieser europäischen Katastrophe von 1914 endet.

Heute höre ich Mahler anders als damals in den 80ern. Vielleicht, weil ich nun aus der Pubertät raus bin. Vielleicht, weil ich ein bisschen was erlebt habe inzwischen. Oder was weiß ich. Aber so, wie ich damals, 1988, kurz nach Gründung, in die Gustav Mahler Vereinigung Hamburg eintrat (und dann nach irgendeinem Umzug verloren gegangen bin), bin ich im Grunde geblieben: ein glühender Verehrer seiner Musik.

12.7.11

Da bin ich stolz drauf

Selten genug, dass ich hier so direkt über meine Arbeit oder Kolleginnen oder die Firma schreibe. Aber heute war ich sehr stolz auf meinen Chef. Denn er hat die Absage an ein Unternehmen, an seinem Pitch teilzunehmen (also der Einladung, einem potenziellen Kunden Ideen zu präsentieren mit dem Ziel, den Auftrag zu bekommen, sie dann auch umzusetzen), zum Anlass genommen, die zweite Folge seines Videopodcasts "Auf ein Wort vorm Regal" (sein iPhone steht im Regal und er erzählt ihm was) aufzunehmen.

Und (nicht nur) darum arbeite ich gerne mit ihm und baue Deutschlands bestes Team für digitale Kommunikation auf.