15.11.22

Das Ende der Mehrheit

Vor einigen Wochen habe ich in Österreich einen Vortrag halten dürfen – zum Jubiläum einer lutherischen Kirche, die in ihrer Gegend, wie überall in Österreich, in einer sehr kleinen Minderheit ist. Es war für mich ein Anlass, weiter über mein schon lange in immer neuen Varianten ventiliertes Thema der Minderheiten-Mehrheit, also der Veränderung der Gesellschaft, wenn es keine Mehrheit mehr gibt, nachzudenken. 

Die Rede, die fast eine halbe Stunde dauerte und die ich im Parlament der Bundeslandes Niederösterreich halten durfte, dokumentiere ich hier leicht adaptiert, also etwas von den sehr spezifischen Passagen bereinigt, die sich auf die konkrete Kirche und ihre Situation bezogen. Am Tag nach der Rede habe ich mit rund vierzig Menschen noch einen Workshop zu dem Thema gestaltet, was weiteres sehr wertvolles Feedback bedeutete, das in das Nachdenken und Weiterschreiben einfloss und einfließt.

Viele viele bunte Schokolinsen

1.11.22

Protest

Ich bin bei den Klimaprotesten und vor allem den Aktionen der letzten Zeit, die Kunst so derangieren wie meine Generation das Klima und die Erde derangiert, unentschieden. Eigentlich. Aber die Reaktion der meisten, auch vieler, die ich sehr schätze, lässt mich inzwischen in die „leuchtet mir ein“ Ecke tendieren. Warum? 

Es ist wie bei den London Riots damals: Tone policing und „könnt ihr nicht friedlich demonstrieren“ geht leider grundsätzlich fehlt. Hallo? Was machen die denn bitte seit Jahren? Wie war der Effekt? Was diese Aktionen zumindest deutlich machen, ist genau das, was nach dem, was ich darüber gelesen habe, auch das ist, was sie deutlich machen sollten aus Sicht der Aktivist*innen: dass „uns“ Kunst wichtiger ist als Zukunft. 

Wenn „wir“ so hart reagieren würden auf Menschen und Unternehmen und Regierungen und Parlamente, die die Natur zerstören, wie auf die, die Kunst zerstören, wäre sehr viel gewonnen. So wie zum ersten Mal auf die jungen Leute gehört wurde, als sie Geschäfte plünderten - nachdem sie vorher wochenlang ungehört demonstriert hatten. Es ist eben gerade NICHT absurd, einen Aufstand als nächste Stufe nach Demonstrationen zu sehen. 

Ich persönlich würde das nicht machen, bin aber auch mehrfach privilegiert und finde auch Gehör. Davon muss ich aber imho absehen, wenn ich darüber nachdenke, ob es politisch „sinnvoll“ ist, was hier passiert (was nichts über Legalität sagt). Immerhin, und das leuchtet mir in seiner Symbolik ein, „trifft“ es etwas, das Menschen wichtig ist (und ihre Reaktion zeigt ja, dass es ihnen wichtig ist), die etwas gegen den Klimawandel tun könnten. Durch ihre Wahl und durch ihr Verwaltungs- und Wirtschaftshandeln. Es trifft vor allem solche aus dem liberalen Bürger*innentum, die sehr oft sehr zustimmend nicken und reden zu den Forderungen rund um Klimaschutz – aber bei denen ganz überwiegend außer auf persönlicher Verhaltensebene nichts folgt. Politisch. 

Was wir nicht wissen, weil es dazu m.W. bisher keine Daten gibt (erste sprechen aber offenbar eher dafür als dagegen), ist, ob es dem Anliegen nutzt. Ich kann es trotzdem Kakke finden, was die da machen. Ich persönlich finde es auch falsch. Aber das heißt nicht, dass es politisch falsch ist.