12.11.23

Nie wieder ist jetzt

Rund 150 Menschen auf dem Marktplatz, eine Kerze im Vordergrund

Nach nicht mal einer Woche, in der wir die Idee hatten und dann die Umsetzung planten, fand also am 9. November die Mahnwache statt. Es kamen dann rund 150 Menschen in Eutin auf dem Marktplatz zusammen, um eine überwiegend schweigende Mahnwache gegen Antisemitismus und für Solidarität mit jüdischem Leben hier und in Israel zu halten. Ich war, ehrlich gesagt, überwältigt. Vor allem, weil ich vorher, als ich die Initiative ergriffen hatte, gar nicht einschätzen konnte, wie die Resonanz wäre. 150 in einer so kleinen Stadt wie Eutin mit einer Einladung, die gerade einmal drei Tage vorher losging und fast nur über Medien passierte, finde ich wirklich toll. 

Pastorin Löffelmacher, ich, Bürgermeister Radestock auf den Stufen des Rathauses, Kerze im Vordergrund
Wie viele Menschen hinterher auf mich zukamen, um mir für die Initiative zu danken, hat mich berührt. Wie viele Menschen bewegt waren von der Mahnwache, auch. Nach drei kurzen Worten (von mir als Organisator eine kurze Begrüßung, dann die Pastorin und der Bürgermeister) haben wir geschwiegen. Und das hat für rund zehn Minuten wirklich still und stumm geklappt. Hätte es bestimmt auch noch länger, wenn ich es dann nicht beendet hätte. Hinterher sind die meisten Menschen noch einige Zeit dageblieben und haben geredet und sich verabredet, was weiter gegen Antisemitismus und für Israel getan werden kann. 

Und ich bin sicher, darum rede ich so viel darüber, wie ich diese Veranstaltung angeschoben habe, dass es andere ermutigen kann und wird, das nächste Mal ihren Man-müsste-mal-Moment in ein Ich mache jetzt zu verwandeln.

Nach dem Schweigen haben einige noch das Lied Hevenu Shalom Alechem angestimmt. Der ganze Abend war würdevoll und ein starkes Zeichen – und hat es am nächsten Tag auf die Titelseite der Lokalzeitung geschafft.

Die Fotos dieses Beitrags hat Per Köster gemacht. Und hier seien die Texte, die wir gesprochen haben, dokumentiert. Ich selbst habe die Menschen begrüßt:

Herzlich Willkommen und Danke, dass ihr und Sie alle da seid. 

An einem Tag, an dem wir uns an die Pogrome gegen Jüd*innen erinnern. Und an dem wir Jüd*innen hier und überall und in Israel unsere unverbrüchliche Solidarität zeigen. In einer Zeit, in der Jüd*innen und Menschen, die einen Namen haben, den andere für jüdisch halten, ihre Namen von den Klingelschildern abmontieren. Mitten in diesem Land. In einer Woche, in der die Chefredakteurin des Feinschmeckers ihr Amt niederlegt, weil sie dieses Land verlassen wird, in dem sie Angst hat. In einem Monat, in dem immer mehr grauenvolle Details rauskommen, wie Menschen aus Gaza Jüd*innen in Israel vergewaltigt, verstümmelt, gefoltert und gedemütigt haben unter dem Jubel ihrer Verwandten und Freund*innen. 

Wir sind hier, weil wir das nicht akzeptieren können. Weil wir ein stilles und starkes Zeichen der Solidarität senden. Danke dafür. Pastorin Löffelmacher von der evangelischen Gemeinde und unser Bürgermeister sagen noch einige wenige Worte und dann lasst uns schweigen.

Danach sprach Maren Löffelmacher, Pastorin in Eutin:

Das Entsetzen über das, was vor gut einem Monat in Israel passiert ist, sitzt bei mir immer noch tief. Menschen werden von Hamas-Terroristen getötet und verschleppt. Noch immer sind mehr als 200 Geiseln in den Händen der Hamas. Ebenso groß ist aber mein Entsetzen über das, was nach dem 7. Oktober hier bei uns in Deutschland geschehen ist und geschieht – auch hier in Schleswig-Holstein. Nach Angaben des Innenministeriums gab es seit Anfang Oktober mehr als 45 antisemitische Straftaten – im gesamten Jahr 2022 waren es rund 50. 

Heute stehen wir hier zusammen und mahnen: „Nie wieder!“ An diesem Abend vor 85 Jahren wurden auch in Schleswig-Holstein jüdische Geschäfte überfallen und Synagogen zerstört. In Lübeck fast alle jüdischen Geschäfte in der Innenstadt. In Elmshorn und Kiel brannten die Synagogen. Gewaltausbrüche gab es auch in Friedrichstadt, Rendsburg, Schleswig, Flensburg, Kappeln, Brunsbüttelkoog, Satrup, Sylt und Föhr, sowie in Bad Segeberg. 

Aber was haben die Bilder von brennenden Synagogen, zerschlagenen Schaufensterscheiben und gequälten, gedemütigten und in KZs verschleppten jüdischen Menschen mit den aktuellen Ereignissen zu tun? 

Ich meine, wer das Bekenntnis: „Nie wieder Auschwitz!“ ernst meint, muss jetzt aufstehen gegen Antisemitismus in unserem Land. Es kann, es darf nicht sein, dass sich Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht mehr in die Synagogen trauen, sich nicht mehr öffentlich äußern mögen und dass Walter Joshua Pannbacker, der Antisemitismusbeauftragter des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein, aus Angst vor Übergriffen nicht mehr alleine auf öffentliche Veranstaltungen gehen mag. 

Egal wie man sich zur gegenwärtigen Politik Israels positioniert – sie wird ja auch von vielen Israelis kritisiert – es gilt ein klares Nein zu sagen gegen jede Form von Antisemitismus. Egal, ob er sich in den Taten der Hamas-Terroristen zeigt oder im Jubel über diesen Terror anlässlich von Demonstrationen. Oder ob er die Verantwortung für diesen Exzess bei den Opfern sucht. Nein zu Antisemitismus zu sagen, heißt, darauf zu bestehen, dass auch diejenigen, die sich für die Rechte der Palästinenser stark machen, auch für Israelis die Menschenrechte ohne Einschränkung anerkennen. 

Ich stehe hier als Pastorin einer Kirche, deren Mitglieder vor 85 Jahren überwiegend geschwiegen haben. Die kritische Selbstprüfung – im christlichen Glauben nennen wir das Buße – gehört zum Kern biblischer und christlicher Existenz. Deshalb will ich als Pastorin, wollen wir heute nicht wieder schweigend zusehen, sondern mit der heutigen Mahnwache ein Zeichen setzen: Nie wieder!

Und zum Schluss Sven Radestock, Bürgermeister der Stadt. Danach haben wir dann zehn Minuten geschwiegen.

Der heutige Tag mahnt uns, innezuhalten. Zurückzublicken, zu erinnern - und auf heute zu blicken. Zu erkennen, was wir an unserer Demokratie haben. Zu der eben auch Freiheit gehört. Dass jede und jede frei und ungestört und sicher leben kann. Egal, aus welchem Land er kommt – egal, welchen Glauben sie hat. 

Und das gilt aus unserer Geschichte heraus besonders für Menschen jüdischen Glaubens. Sie dürfen und sie müssen sich sicher fühlen können. Das sind wir ihnen schuldig. Wir können die Vergangenheit nicht rückgängig machen. Aber wir können und müssen Verantwortung dafür übernehmen. Für das, was unsere Großeltern getan oder zugelassen haben. Nie wieder ist jetzt.

Wir drei auf der Treppe des Rathauses


2 Kommentare:

  1. Ich lese hier schon länger meist still mit. Vielen Dank für Ihr Engagement. Hier in Berlin-Kreuzberg gibt es seit dem Massaker der Hamas jeden Freitagabend zur G-ttesdienszeit eine Mahnwache vor der Kreuzberger Synagoge. Diese wird von der Kreuzberger Ökumene getragen - einem breiten Spektrum christlicher Kirchen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich danke dir sehr - und auch für diesen Hinweis, das finde ich super. Wie läuft das denn?

      Löschen

Immer dran denken: Sag nix Dummes. Und anonyme (also nicht mit einem Blog, Profil etc verknüpfte) Kommentare lösche ich vielleicht. Antworte auf jeden Fall nicht.
Und auch immer dran denken: Kommentieren erzeugt Daten, ich verweise dazu auf meine Datenschutzerklärung.