20.11.23

Trotz

Ja, Trotz ist das Wort, das mir als erstes einfällt, wenn ich der gerade zurückgetretenen Ratsvorsitzenden der EKD zuhöre. Sie sei mit sich im Reinen, sie habe im Grunde keine Fehler gemacht, ominöse, anonyme Feind*innen schürten, so legt ihre Formulierung nahe, einen Konflikt zwischen Opfern und ihr als Amtsträgerin. Um es klar zu sagen (und ohne dass ich inhaltlich weiß, was Frau Kurschus konkret vorgeworfen wird, was ihre Rolle dabei war, dass Missbrauch in ihrer direkten Umgebung möglich war, und so weiter) – die Art ihrer Rücktrittserklärung und ihre, ja, trotzige Verletztheit lassen mich zu dem Schluss kommen, dass es gut ist, dass sie zurück getreten ist. 

Zumal mich ihre Erklärung und ihr Tonfall erschreckend an den Rücktritt meiner Bischöfin Jepsen damals, im Juli 2010, erinnern. Aber der Reihe nach.

Hier erstmal ihre Rücktrittserklärung, auch dokumentiert auf der Seite der EKD:

Selbst gucke ich ja auch als Kommunikator auf diesen Rücktritt – mit dem ich meiner Erfahrung mit der evangelischen Kirche sei Dank heute auch gerechnet habe, nachdem ich heute früh die Medienberichterstattung las (unter anderem war es auch der Aufmacher im Morgennewsletter des Spiegels) – und leide wie ein Hund, wieder einmal, unter der, wie ich finde, falschen und ungeschickten Kommunikation. Das hier ist kein Befreiungsschlag, kein Entlastungsschritt, es lässt mehr Fragen offen als es klärt, es zeigt nur die persönliche Verletzung der Präses, ihren Zorn darüber, wie ungerecht sie behandelt werde. Nur ein winziger Nebensatz deutet an, dass ihr mehrfach betontes reines Gewissen nicht ganz so rein ist: 

Ich wünschte, ich wäre vor 25 Jahren bereits so aufmerksam, geschult und sensibel für Verhaltensmuster gewesen, die mich heute alarmieren würden. (bei 2:22 im Video oben)

Die Betonung des "reinen Gewissens" war es auch, die mich damals, vor dreizehn Jahren, so zornig gemacht hatte beim Umgang von Frau Jepsen mit einem erstaunlich ähnlichen Fall. Ja, beiden ist kein persönliches Fehlverhalten vorzuwerfen. Aber so wie ich damals von meiner Bischöfin irgendwie erwartet hätte, dass sie, auch wenn sie formal nichts falsch gemacht hat, ihr Gewissen quält, so bestürzt mich auch heute der heiße Trotz der Präses.

So wie ich damals nur den Kopf schüttelte, weil die Bischöfin eher scheibchenweise mit Erklärungen herauskam, so verstehe ich nicht, wie es der Präses nach dieser Vorgeschichte wieder passieren konnte. Wieso sie – auch ohne Fakten oder persönliche Daten zu nennen – nicht gleich bestürzt und mit Fragen und Entsetzen und einem Zeichen von Buße kam.

Wieder stehe ich seufzend vor dem Scherbenhaufen falscher, weil ungeübter Krisenkommunikation und Krisenbewältigung einer Organisation, der ich mich ehrenamtlich verbunden fühle. Das ist kein Vorwurf an den früheren Kollegen, der da in Hannover gerade seinen beruflichen Kopf für hinhält, Krise auf dieser Ebene ist ja nicht das, weshalb er da ist und was seine Aufgabe im Tagesgeschäft ist. Aber wie schon wieder die Dynamik so spät erkannt ist, wie schon wieder mit formaler, juristischer Präzision gearbeitet wurde in den ersten Stellungnahmen aus Amt und von der Präses, das ist einfach so furchtbar. War es auch schon vor dreizehn Jahren.

Und so ist es nicht die lässliche Sünde, über die Frau Kurschus fällt. Sondern die Unfähigkeit ihres Umfeldes, mit ihr super schnell und dann offensiv, demütig und transparent voranzugehen. Dass es schon die dritte evangelische Spitzenfrau ist, die wegen lässlicher Sünden zurück tritt (während es meines Wissens nicht einen Mann gab, der es tat), ist dabei ein Muster, das mich zornig macht. Ob in der Politik (AKK, Nahles) oder in meiner Kirche. Aber das ist noch mal ein anderes Thema.

Wäre sie zu retten gewesen? Hätte hätte Fahrradkette, ich weiß. 

Aber: ein schnelles Schuldeingeständnis ohne Details, unmittelbare Bestürzung ob der eigenen Rolle (sie deutet es ja in der oben zitierten Passage selbst an, wo sie die heute kritisch sieht), klare Übernahme von Verantwortung als Amt nicht als Person – das wäre vielleicht eine Chance gewesen. Wenn, ja, wenn jemand beim ersten kleinsten Hinweis erkannt hätte, was da kommen kann. Wenn, ja, wenn jemand mit dem gesunden Verfolgungswahn, den jemand braucht, der oder die Krisenprävention macht, in ihrer Nähe gewesen wäre. Wenn, ja, wenn die Piep-piep-piep-wir-ham-uns-alle-lieb-Kultur im Unternehmen Kirche (und ich war lange genug im inneren Kreis, um diese Kultur zu kennen) nicht verhindern würde, eine wie die Präses auch mal brutal und schnell mit unerwünschten Botschaften zu behelligen.

Ich sehe ihre Not und ihre Verletzung. Das macht mich traurig und das macht mich fast ein bisschen versöhnlich am Schluss. Und fast noch zorniger auf die Unzulänglichkeiten des Systems.


4 Kommentare:

  1. Lieber Wolfgang,
    vielen Dank für diesen Beitrag, der mir aus dem Herzen spricht.
    Horst

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  2. Thomas S.21.11.23

    Sic transit gloria ecclesiae. Bin auch sehr unglücklich, wie das läuft. Sollte eine Bischöfin den Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung nicht kennen?

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  3. Anonym22.11.23

    Frage: Was wäre die Alternative gewesen? Im Amt bleiben, ein Schuldeingeständnis und wenn ja und wofür? Ich empfinde diese Rücktrittserklärung als sehr nebulös.

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    1. Ich denke, zu diesem Zeitpunkt gab es keine Alternative. Aber am Ende ist es nicht ihr Verhalten damals, das den Ausschlag gab, sondern ihr Verhalten und ihre Kommunikation die letzten Wochen.

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