6.9.23

Das ist purer Rassismus

Mein Landkreis ist gerade sehr unrühmlich in den Schlagzeilen. Und nun kommt noch ein Landrat dazu, der sich rassistisch äußert. Dazu gleich. Erstmal ganz grob, worum es geht: Kinder sind letztes Jahr Augenzeug*innen eines extrem brutalen Femizids geworden, als ein schon vorher als gewalttätig aufgefallener Mann seine Frau so stark vor den Kindern im Laden der Familie verprügelte, dass sie an den inneren Verletzungen starb. Die Kinder sind in Pflegefamilien und versuchen, mit denen gemeinsam zurück in das Leben zu finden. Sie haben hier und anderswo in Deutschland keine weiteren Verwandten. Jetzt sollen sie in das Land abgeschoben werden, aus dem ihre Eltern ursprünglich eingewandert sind nach Deutschland. Das älteste Kind hat dort bis zum Tod der Großmutter, bei der es aufwuchs, gelebt, die anderen sind hier geboren, wenn ich das richtig verstanden habe.

UPDATE 6.9., 11.13 Uhr: Der Landrat hat nach einem Treffen mit den Pflegeeltern die Einzelfallentscheidung getroffen, dass die Kinder zunächst nicht abgeschoben werden, bis ein ordentliches Gerichtsverfahren dazu gelaufen ist. Meines Wissens hat er seine rassistischen Äußerungen bisher aber nicht abgeschwächt oder zurückgenommen.

Ein disclosure vorweg: Weil ich den neuen Landrat für die falsche Wahl hielt, habe ich letztes Jahr das Angebot gemacht, als Landrat zu kandidieren, was meine Partei aber nicht wollte - nur ein Drittel wollte mich unterstützen, ein gutes Drittel wollte den jetzt mit rassistischen Äußerungen zitierten Kandidaten. Der Landrat wurde vor der Kommunalwahl vom Kreistag gewählt. Ich bin also etwas voreingenommen, weil ich sehr sicher bin, dass ich als Landrat in diesem Fall anders gehandelt hätte (vom Rassismus mal abgesehen).

Zwei Dinge machen mich, abgesehen von allem, was dem Landkreis und den handelnden Personen meines Erachtens als Herzensbildung und Mitgefühl fehlt, wirklich wütend: Zum einen, dass sich die Behörde darauf zurück ziehen kann, dass die Familie so sehr unter dem Schutz der Verfassung stehe, dass der Schutz der Familie wichtiger sei als das konkrete Wohl der Kinder. Das zieht sich ja leider in schwächerer oder stärkerer Form immer wieder durch Entscheidungen zu Kindern. Das ist aber hier jetzt gerade nicht mein Thema, ärgert mich aber seit vielen Jahren sehr.

Zum anderen aber entsetzt mich, wie sich der Landrat zitieren lässt, wie er offenbar begründet, warum er für die Abschiebung der Kinder nach Vietnam ist:

Derweil findet es der Landrat des Kreises Ostholstein wichtiger, dass die Kinder in ihrem kulturellen Umfeld aufwachsen. Gaarz habe schon einen Antrag zur Genehmigung der Abschiebung beim Familiengericht gestellt, schreibt seine Sprecherin. (zitiert in der taz von gestern)

Was so harmlos daher kommt ("in ihrem kulturellen Umfeld aufwachsen"), ist purer Rassismus. Denn der Satz ergibt nur dann Sinn, wenn das zu ihnen gehörende "kulturelle Umfeld" der Kinder an ihrer Ethnie, an ihrem "Blut" hängt und nicht an dem Ort, an dem sie aufwachsen, aufgewachsen sind. Der Satz nimmt an, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und Ethnie zu verschiedenen Kulturen gehören. Abgesehen von dem kruden Kulturbegriff ist die Zuschreibung von Kultur aufgrund von Ethnie und Geburt zutiefst rassistisch. 

Mich entsetzt, dass es weder der Sprecherin auffällt noch dem Landrat. Und ich erwarte, dass der Landrat sich dazu angemessen äußert. Diese Begründung für die Abschiebung zurück nimmt. Einsieht, dass es rassistisch war. Denn das ist meines Erachtens wichtig. Die meisten Menschen, die ich kenne, mich ganz eindeutig eingeschlossen, haben sich schon rassistisch geäußert. Das ist in einer Gesellschaft, die einen tiefen und erlernten Rassismus hat, auch nur schwer verlernbar. Darum ist es so wichtig, sich dessen immer wieder bewusst zu werden, selbst darüber zu erschrecken, zu lernen – und bei von Rassismus betroffenen Menschen um Entschuldigung zu bitten. In diesem Fall bei den Kindern.

Und ich erwarte, dass "meine" Fraktion, die Grünen im Kreistag und in den Ausschüssen des Kreistags, diese rassistischen Äußerungen kritisieren und ihre Zusammenarbeit überprüfen.

UPDATE: 6.9., 14.30 Uhr: Oder, wie der Hamburger Journalist Claas Gefroi sagt:

Dass er die Kinder überhaupt abschieben wollte und sie nach dem Verlust der Mutter ein zweites Mal traumatisierte, ist entsetzlich. Hätte er Anstand, würde er zurücktreten. (auf Mastodon)

3 Kommentare:

  1. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, sollten die Kinder ja nicht nur in ein ihnen fremdes Land abgeschoben werden, sie sollten darüber hinaus auch zurück zu ihrem gewalttätigen Vater! Das macht einfach nur fassungslos.

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    1. Ja, in der Tat - aber das ist nun mal in Deutschland das normale Vorgehen bei Kindern und Jugendlichen: das Recht der Familie am Kind ist extrem hoch bewertet und wird nach meiner persönlichen Erfahrung im Familien- und Freund*innen-Kreis auch nicht zu selten höher bewertet als das konkrete und individuelle Wohl des Kindes. Beziehungsweise es wird davon ausgegangen (was vollkommen veraltet ist und in der Wissenschaft m.W. auch kritisiert wird), dass ein Zusammenleben mit der genetischen Familie IMMER die für das Kind beste Lösung sei. Absurd und grotesk.

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  2. Das Entsetzen ist - gerade hier in Bad Schwartau - sehr groß. Es gibt zwischenzeitlich eine Petition für den Verbleib der Kinder in Ihren Pflegefamilien.

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