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15.2.24

Mulmig

Als mich vor ein paar Tagen ein Freund fragte, wohin wir auswandern, war das nicht wirklich lustig gemeint. In seinem Bezirk hatten gerade einige tausend Menschen eine Reichsbürgerin gewählt. Einige Tage vorher quoll zum ersten Mal der blanke Hass auf alles, was grün ist, aus dem Mund zweier Stammtischbrüder. Und wieder einige Tage später schäumten die WhatsApp-Gruppen der Berufskolleg*innen hier auf dem Land vor Wut, weil im NDR eine Expertin, die, wie sie meinten, noch nie eine Schaufel in der Hand hatte, sagte, dass ihr geliebter Anführer in der Vergangenheit schon mal rechtspopulistische Dinge gesagt hätte, was aber nicht stimme, weil er nämlich nicht rechts sei. Damit meinten sie so was offenbar, das nicht rechts sei.

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Bis vor einem halben Jahr etwa begann mein Tag mit dem aktuellen Wetter und dann der Presseschau des Deutschlandfunks. So antwortete meine Alexa, wenn ich ihr einen guten Morgen wünschte. Erst hörte ich auf, es jeden Tag so zu machen, während ich mir den zweiten und den dritten Kardamomespresso zog. Dann hörte ich damit ganz auf. Seitdem beginnt mein Tag sehr viel besser und die Stimmung ist nicht gleich im Keller. Vor einem Jahr jedenfalls war es zuverlässig noch nur die Nürnberger Zeitung, die regelmäßig rechtsextreme Meinungen vertrat.

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Seit einigen Wochen habe ich sehr deprimierende Déjà-Vus von 2015

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Zum zweiten Mal in sechs Wochen hat ein Terrormob Menschen, die ich kenne und schätze, so stark bedroht, dass eine völlig überforderte und unvorbereitete Polizei ihnen raten musste, einzuknicken. Nicht die Fähre zu verlassen damals, ihre Veranstaltung abzusagen diesmal. Ohne dass es zu Festnahmen kam oder Personalien der Terroristen festgestellt werden konnten oder wollten. Was weiß denn ich.

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Was nützt es eigentlich, dass wir über alle Parteigrenzen hinweg vor Ort in der Gemeinde, in den Dörfern, miteinander reden und gute Dinge für unsere Dörfer machen können in der kleinsten Kommunalpolitik, wenn in Schlüttsiel oder beim Stammtisch dann auf einmal der Firnis reißt, weil er allzu dünn war?

Rotterdam, de Verwoeste Stad IMG 1898 2018-03-18 14.21****

Ich habe ein zunehmend mulmiges Gefühl. Noch hoffe ich und glaube es auch, dass mir die Öffentlichkeit eher hilft, dass es meine Lieben und mich eher schützt, dass ich seit über zwanzig Jahren nachlesbar und nachvollziehbar meine Meinungen sage und sichtbar bin. Aber wie lange noch? Wie wird es für meine Kinder sein, von denen einige auch äußerlich als das erkennbar sind, was sie sein wollen und wie sie sich sehen? Zumal ich zwar eine Antwort auf die Frage meines Freundes habe. Aber mit dem Land und (zumindest teilweise) vom Land lebe, das ich bewirtschafte. Und also nicht einfach so meine Zelte abbrechen kann.


3 Kommentare:

  1. Mir fällt nichts Kluges ein, aber ich möchte irgendwie ein kleines bißchen Solidarität, Hoffnung und Mitgefühl schicken.
    Nolite te Bastardes Carborundorum

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  2. Zunehmend hier ebenso mulmig. Habe gestern zeitweilig das Schild von der letzten Demo ("Huck Föcke") aus dem Fenster neben der Haustür entfernt, nachdem ein Nachbar mal so nebenbei erwähnt hat, dass er uns jetzt "auf der Liste" hat. Nach einer unruhigen Nacht hängt es wieder gut sichtbar.

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  3. Danke für die Erwähnung. Es ist ja sogar so, dass die Frau im Knast sitzt - weil sie Terroristin ist. Wir können uns nicht mehr über USA und Trump erheben, es sind nur noch quantitative Differenzen. Aber im Ernst: ich bleibe, solang es geht. Und kämpfe aktiv für den Erhalt der Demokratie

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