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20.12.12

Zeit für ein Zwischenfazit zum generischen Femininum und sprachlicher Geschlechtergerechtigkeit

Dieses Jahr habe ich mich konsequenter als vorher um meine Sprache gekümmert. Konkreter Anlass war ein Blogpost von Anatol Stefanowitsch im Dezember 2011, der witzigerweise heute früh von zwei geschätzten Leuten in meiner Umgebung unabhängig von einander wieder erwähnt wurde. Und so quasi als Selbstverpflichtung schrieb ich Anfang Januar:
Solange es in meiner Umgebung Leute gibt, die das Märchen vom generischen Maskulinum aufrecht erhalten und weiter erzählen, werde ich wie in den letzten Jahren schon auch weiterhin im Blog und in Aufsätzen und Artikeln ein generisches Femininum verwenden. Punkt.
Zeit für ein Zwischenfazit. Denn immerhin ist es - ich bin ja angestellt in einer alles andere als feministisch geprägten Arbeitsumgebung - ein Experiment.

Vorweg: Die beiden wichtigsten Punkte am Experiment empfinde ich als gelungen. Ich denke bei Tweets beispielsweise fast immer nach, wie ich Oberbegriffe formuliere. Und ich ertappe mich dabei, dass es mehr und mehr in meinen "natürlichen" (also unbewussten) Sprachduktus übergeht, entweder beide grammatischen Geschlechter zu verwenden oder nur das Femininum, mündlich aber wirklich eher beide.

In längeren Texten, beispielsweise in Blogposts, habe ich weniger Schwierigkeiten gesehen, meine Linie  durchzuhalten. Entweder ich verwende Worte, die ohnehin unverfänglich sind, oder das Femininum. Ich setze sogar das grammatische Maskulinum bewusst ein, beispielsweise habe ich immer von "Piraten" geredet und nie von Piratinnen - sozusagen als Insiderinnenwitz. Und ich bin beim Label "idioten" geblieben, aber das ist eine andere Geschichte.

Eine Erfahrung jedenfalls finde ich faszinierend. Ich bin nicht ein einziger Mal von irgendwem auf meinen Umgang mit dem Thema und meine Sprache hierbei angesprochen worden. Weder positiv noch negativ oder zynisch oder irritiert. Ich hatte den Eindruck, dass es entweder von mir erwartet wurde (und hey, die Menschen, mit denen ich zu tun habe, lesen nun wirklich nicht alle mein Blog) - oder es für Menschen in meinem (beruflichen und privaten) Umfeld inzwischen doch schon normal genug ist, eine inklusive Sprache zu hören. Es kann auch sein, dass der Effekt dadurch unterstützt wird, dass ich tendenziell in anderen sensiblen Bereichen nicht so sehr auf diskriminierungsfreie Sprache achte, also insgesamt mich sprachlich nicht so extrem weit vom Alltagsdeutsch meines Umfeldes entfernt habe. Eine "Szene" in der ich mich bewege, ist übrigens auffällig weiter als alle anderen, die ich kenne - und erschreckenderweise um Lichtjahre dem Umgang mit Sprache in meiner Partei (den Grünen) voraus: die evangelische Kirchenszene. Ernsthaft.

Insgesamt habe ich dieses Jahr damit gespielt, wie weit welche Akzeptanz geht. Und mich durchaus auch gestritten und darauf hingewiesen, wenn mir ein angebliches generisches Maskulinum nicht gepasst  hat. Seltener als ich vorher gedacht hätte, wurden mir inklusive Formulierungen aus Texten herausredigiert. Selbst in Präsentationen haben Kolleginnen sie überwiegend stehen lassen.

Lustig fand ich eine Erfahrung, die auch andere machten (beispielsweise der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer Oliver Höftinghoff, der in einer Diskussion über Anatol Stefanowitschs Sprach-Vortrag auf einem Piraten-Camp [edit: danke an tant@ sospirati für den Link in den Kommentaren] davon erzählte [edit: bei 1h09m etwa in dem eben verlinkten Video], das Video habe ich gerade nicht wieder gefunden, war aber sehr spannend). Mir wurde mehr als einmal ein generisches Femininum in einem Aufsatz in ein Binnen-I umgewandelt, obwohl ich dieses ganz bewusst und entschieden nicht nutze. Ich habe es schon damals nicht gemocht als es in den 80ern aufkam und in "meinen Szenen" als normal galt. Dass ein generisch gebrauchtes grammatisches Femininum noch immer so verstört, dass es von Redakteurinnen in das (grammatisch eindeutig falsche) Binnen-Majuskel umgewandelt wird, finde ich faszinierend.  Und es zeigt mir, wie weit der Weg ist - denn die gleiche Redakteurin hätte ein generisch gebrauchtes grammatisches Maskulinum ja nicht in eine inklusive Form mit Binnen-Majuskel umgewandelt.

Der einzige Bereich, für den ich noch keine mich befriedigende Lösung gefunden habe, sind Auftragstexte für Kundinnen. Als Dienstleister habe ich meine eigenen Sprachbedürfnisse dort zurück zu stellen - so verstehe ich Dienstleistung zumindest. Hier agiere ich inkonsequent und inkonsistent, vielleicht geht es auch nicht anders.

3 Kommentare:

  1. Anatol Stefanowitschs großartigen Vortrag auf diesem Piraten*-Camp, der Open Mind Konferenz 2012 in Kassel, kann mensch sich hier anschauen:
    #om12 Sprache und Plattformneutralität - Anatol Stefanowitsch

    *mit 11 vortragenden Frauen übrigens

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  2. Sorry für meine Kleinkariertheit, aber in der Diskussion bei 1:09 h im verlinkten Video erzählt nicht Christopher Lauer von seinen Erfahrungen im Abgeordnetenhaus, sondern sein Fraktionskollege Oliver Höfinghoff (normalerweise recht gut zu unterscheiden am grünlich gefärbten Iro und fehlendem Anzug). Vielleicht hatte ich da also ein anderes Video verlinkt, als gemeint war. Lauer hat zwar auch schon mal generisches Femininum benutzt, war aber nicht auf der Open Mind zugegen.

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  3. Gar nicht kleinkariert. Ich kenn mich bei euch nicht aus. Mir hatte jemand erzählt, das sei Lauer gewesen, sorry. Hab es im Text korrigiert. Und ein dickes Danke dafür, dass du den Text besser gemacht hast.

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