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11.1.24

Ab jetzt ist es nur noch ein Umsturzversuch

Ja, liebe Landwirtschaft-Kolleg*innen, wir, die wir nicht eurer Meinung sind oder vorher waren, haben verstanden, was euch umtreibt und was ihr wollt. Darum ist es gut, dass ihr demonstriert habt und einige Tage lang quasi alle Seiten der Lokalzeitungen hier auf dem Land gefüllt habt mit euren Positionen und Aktionen. Und ich finde einige Protestformen richtig toll. Beispielsweise die Gummistiefel, die ihr an die gelben Ortseingangsschilder hier auf den Dörfern gehängt habt. Das finde ich kreativ, das bringt mich zum Lächeln, das macht euer Anliegen deutlich wie kaum etwas anderes.

Ja, ich kann verstehen, dass ihr eine Sternfahrt mit euren Maschinen gemacht habt. Etwas weniger verstehen kann ich, dass ihr froh wart, dass viele Fuhrunternehmen und Handwerksbetriebe mit euch gefahren sind – vor allem, weil die meisten unappetitlichen Fahnen und Aufkleber die letzten Tage nicht an euren Treckern waren sondern an deren Autos. Aber am Ende müsst ihr ja selbst wissen, mit wem ihr euch verbünden wollt.

Und damit sind wir bei dem, was mich gerade umtreibt. Denn es sind vor allem zwei Dinge, die mich bestürzen. Zum Einen, dass ihr immer und immer weitermacht und wie ihr das macht. Und zum Anderen, was der Tonfall und der Zungenschlag inzwischen sind. 

Wenn ich mit anderen Tierhalter*innen spreche (und das tue ich recht viel in den letzten Tagen), berichten die fast alle das Gleiche: ihre Tiere, unsere Tiere, sind völlig durch den Wind. Nicht nur die Pferde, die ja sensible Fluchttiere sind. Auch die Hunde und sogar unsere Hühner. Der ununterbrochene Lärm lauter Maschinen und Traktoren und die fast ununterbrochen laufenden Rundumleuchten (für euch in der Stadt: die gelben Blinklichter) zusammen mit dem sehr intensiven Hupen, das den gesamten Tag seit Montag zu hören ist, machen die Tiere wuschig und nervös. 

Selbst meine Pappschilder, mit denen ich euch an "meiner" Landstraße gebeten habe, nicht zu hupen und das Blinklicht auszumachen, wenn ihr an den Weiden meiner Jungpferde vorbeifahrt, von denen einige inzwischen stressbedingt krank sind; selbst diese Pappschilder haben nichts gebracht. Einmal hab ich einen Aufmarschführer sogar angehalten und es ihm erklärt, ohne dass es irgendeinen Effekt hatte. Finde ich wirklich enttäuschend von Menschen, die sonst immer von sich behauptet, Tierwohl im Fokus zu haben. Ihr habt bei uns Tierhalter*innen diese Woche echt viel kaputt gemacht. Naja, die von euch, die selbst Tiere haben, waren ja auch nicht jeden Tag dabei, denn sonst wären ja ihre Tiere verhungert.

Ich denke, was ihr von "der Politik" und von der Gesellschaft wollt, das habt ihr deutlich machen können, das haben wir anderen auch zum großen Teil verstanden. Die meisten am Montag, die letzten gestern, denke ich. Die Mehrheit sieht das anders als ihr. So ist das manchmal in einer Demokratie. Die Mehrheit sieht auch fast alles anders, was ich mir wünsche und was mir wichtig ist. Darum bin ich politisch aktiv und mache Wahlkampf und engagiere mich in der Lokalpolitik. Manchmal überzeuge ich mehr Menschen, manchmal wählen die Partei, für die ich mich engagiere, sogar die meisten, wie bei der Bürgermeisterwahl in unserer Kreisstadt. 

Eine Woche lang das ganze Land mit Lärm, Schmutz und Störung zu überziehen, auch, wenn allen klar ist, was die eigene Position ist, wäre eigentlich im Wortsinne Terror (was ja "Angst und Schrecken" bedeutet). Zumindest unsere Tiere empfinden es so. Und wir angesichts von Truppenbewegungen in alle Richtungen den gesamten Tag vor unserem Haus.

Noch mehr Angst machen mir allerdings Tonfall und Zungenschlag. Galgen habe ich persönlich hier bei uns keine gesehen. Aber quasi jedes Schild, das gestern von der Sternfahrt nach Lübeck zurückkam, vorne am Trecker befestigt, hatte eine durchgestrichene Ampel drauf oder irgendeinen Spruch mit Hampel-Ampel oder einen, der klarstellte, dass die Regierung weg muss. Eine Regierung, die eine satte Mehrheit bei den Wahlen bekommen hat und eine satte Mehrheit im Parlament. Und der Bauernpräsident, der sich noch wortreich von Rechtsradikalen abgegrenzt hat vor ein paar Tagen, schlägt eindeutig rechtsradikale Töne an, wenn er "der" Berliner Politik vorwirft, sie habe "nie gearbeitet, ... nie geschwitzt". Das ist purer Faschismus in der Sprache. Seine Krokodilstränen, die Rechten würden seine Demos unterwandern, sind damit als das entlarvt, was sie offenbar (ich hatte so gehofft, dass es anders wäre) von Anfang an waren: reine taktische Äußerungen. Weil er mit den Rechtsradikalen gemeinsam hat, dass er die demokratischen Parteien verächtlich macht und die Demokratie sturmreif schießt.

Das, was diese Woche passiert ist auf unseren Straßen, waren keine Demos sondern ein Umsturzversuch. Dass dieser Umsturzversuch nur maximal 10% der Teilnehmer*innen einer beliebigen Klima-Demo auf die Straße bekommen hat, macht mir Mut. Angst macht mir dagegen, dass ich außer von einigen bäuerlichen Jugendorganisationen keine Kritik am Vorgehen und am Tonfall des Aufstands höre. Und dass auch im Alltag vernünftig wirkende Kolleg*innen weiterhin am Umsturzversuch teilnehmen, dass sie – das unterstelle ich einmal, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass es anders ist – das, was sie tun, nicht als Umsturzversuch ansehen, nicht erkennen, wie sie die Demokratie kaputt machen, wie sie einem Mobster-Verhalten in der Politik das Wort und die Tat reden.

Ich glaube nicht, dass die Landwirt*innen, die heute immer noch mitmachen, schon ganz für die Demokratie verloren sind. Ich will das nicht glauben. Darum verabrede ich mich mit einigen auch für die nächste Woche und die nächsten Tage, damit wir unsere Positionen austauschen und einander zuhören. 

3 Kommentare:

  1. Danke für diesen Kommentar, Wolfgang. Gerade der »Terror«-Aspekt ist es, der mir bei den Kolonnen der riesigen Trecker im Vordergrund zu stehen scheint. Machtausübung von Bullies. Pure Gewalt.

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  2. Vielen Dank für diese Klarheit und Deutlichkeit.

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  3. Anonym2.2.24

    Umsturzversuch?
    Ich kann nicht glauben, dass intelligente Leute diesem Framing folgen.

    Wäre es weniger "Umsturzversuch", wenn die Landwirte mit Mistgabeln und Spaten durch die Innenstädte gezogen wären, vielleicht noch ein Schäfchen am Halsband mitführend um ihre bäuerliche Friedfertigkeit, andere würden es vielleicht Naivität nennen, zu demonstrieren?
    Es stimmt natürlich, diese riesigen Trecker können schon beängstigend wirken, andererseits muss man sich doch bewusst machen, dass nur eine einzige Person so ein Monstrum lenkt und dabei Arbeiten verrichtet, für die vor 2-hundert Jahren noch 30 Helfer oder mehr nötig gewesen wären, um den Ertrag zu erwirtschaften, der den Hunger der Bevölkerung besiegt.
    Vermutlich mischen sich tatsächlich Demonstranten unter das Landvolk, mit dem man lieber nichts zu tun haben will, aber haben die vielen, die für die Rettung der Demokratie auf die Straßen gegangen sind, alle eine blütenweiße und demokratisch reine Weste? Ich wage das sehr zu bezweifeln. Man muss sich doch nur die Fahnen und Schilder anschauen, die in so einem Demonstrationszug geschwenkt und in die Kameras gehalten werden.
    Kleiner Scherz am Rande: Auf diese Weise sehen die Großstadtkinder auch mal landwirtschaftliche Geräte "in echt" und nicht nur in Computerspielen oder bei albernen Filmen.
    Dass allerdings, wie gestern zu hören, Feuer auf Flächen neben der A27 zwischen Bremen und Cuxhaven angezündet wurden und eine Gefährdung des Autoverkehrs entstand, geht sogar in meinen Augen zu weit. Einen Misthaufen vor einem Ministerium abzuladen, finde ich dagegen ausgesprochen kreativ. Da kommt der Mist mal dahin, woher er doch auch kommt.

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