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20.9.22

Lasst uns Landmenschen da raus

Ich bin es so satt. Immer, wenn es um Veränderungen im Öffentlichen Verkehr (Bus, Bahn etc.) geht oder um ein preiswertes Ticket wie aktuell, werden wir Menschen auf dem Land in Geiselhaft genommen von denen, die möglichst nichts daran ändern wollen, dass unsere gesamte Infrastruktur für eine Kostenloskultur und Gratismentalität rund ums private Auto ausgelegt ist. 

Das war schon beim Einstieg in die E-Mobilität so, und da ging es ja sogar noch um private Autos. Dass die Fossilfetischist*innen Elektroautos als Stadtautos positioniert haben, war ein genialer PR-Coup für die verschlafene deutsche Autoindustrie (was ich als PR-Kreativer durchaus anerkennen kann), aber eben nicht mehr als das. Denn hier auf dem Land, wo wir alle ein Grundstück um unser Haus haben und eine Steckdose neben der Stelle, wo wir unser Auto abstellen, ist eine öffentliche Ladeinfrastruktur nicht mal wirklich nötig, um ein Elektroauto zu fahren. Das braucht ihr in den Städten vielleicht oder dann, wenn ihr aufs Land zu uns fahrt. Wir aber nicht. Aber das nur am Rande. Geht ja eigentlich um eure Geiselnahme in der aktuellen 9-Euro-Ticket-Nachfolge-Diskussion.

Also noch mal von vorn.

Ja, bei uns im Dorf fährt kein Bus. Jedenfalls nicht sinnvoll. Ein bisschen für die Schulkinder, wenn er denn fährt und es mal genug Busfahrer*innen gibt, was nicht so oft der Fall ist, wie es sein sollte. Und ja, selbstverständlich haben wir im Dorf quasi alle ein Auto (viele, immer mehr, auch von den vermeintlich Konservativen, ein Elektroauto, siehe oben). Das wird auch so bleiben. Das ist auch nicht schlimm. 

Im letzten Sommer standen viele dieser Autos tagsüber auf einmal auf den großen Parkplätzen an den Bahnhöfen. Viele zum ersten Mal. Denn was einige bei uns im Dorf festgestellt haben: wenn sie nach Lübeck wollen, beispielsweise, lohnt es sich total, zum Bahnhof zu fahren (kostenfreie Gratismentalitäts-Parkplätze gibt es da ja) und dann mit dem Zug, der alle halbe Stunde fährt, in die Stadt. Diese Fahrt dauert ungefähr so lange, wie ich sonst mit dem Auto vom Ortsschild Lübeck bis zum Parkhaus in der Stadt brauche, also eine halbe Stunde. Von der Zeit her spare ich also etwa 20 Minuten.

Im letzten Sommer haben das viele Leute aus unseren Dörfern zum ersten Mal gemacht. Vorher haben sie mir das nicht geglaubt, dass das so ist. Aber schon einmal hin und zurück war billiger als Sprit und Parkgebühr in der Stadt (denn da ist Gratismentalität nur bei der Straße, nicht beim Parken, immerhin). Also haben sie dann auch noch mal ausprobiert, wie es denn mit Kiel wäre, kostete ja nix mehr extra. 

Bushaltestelle in Hammer, ziemlich runtergekommen
Von Leschek Jeschke - Eigene, CC BY-SA 3.0, Link

Ob ein Bus in unserem Dorf fährt, ist für ein preiswertes Nahverkehrsticket egal. Wer behauptet, wir auf dem Land hätten ja nix davon und müssten für die fiesen grünen Städter mitbezahlen, lügt. Ganz einfach. Hier im Dorf hatten fast alle das 9-Euro-Ticket. Weil es für uns auf dem Land total sinnvoll war – denn jeder Zug, der bei uns in der Kleinstadt in der Nähe unseres Dorfes hält und nach Lübeck oder Kiel fährt, ist ein Nahverkehrszug. De facto konnten wir jeden Zug nutzen, der bei uns fuhr. Viel besser als in der Stadt.

Vielleicht wäre es toll, wenn es hier auch einen Bus gäbe. Aber ganz ehrlich? Den würden wir erstmal ganz ganz viele Jahre lang nicht nutzen. Und viele hier bei uns fragen sich auch, wieso hier Busse fahren, die leer sind. Ganz selten sitzt mal eine*r drin, außer der Fahrer*in jetzt. Da wäre ein Dörpsmobil oder eine Mitfahrbank fast besser, gibt es auch in einigen Dörfern.

Um es mal ganz ganz deutlich zu sagen: Ob ein preiswertes ÖPNV-Ticket für uns auf dem Land sinnvoll ist oder nicht, hängt eben nicht davon ab, ob hier ein Bus fährt. Sondern wie weit es zum nächsten Bahnhof ist und wie oft dort der Zug fährt. Ich beispielsweise bin in 12 Minuten mit dem Rad am Bahnhof, wo alle halbe Stunde jeweils ein Zug nach Lübeck und nach Kiel fährt. Andere aus anderen Dörfern fahren knapp 10 Minuten mit dem Auto dahin. Das ist voll ok. Selbst wenn hier ein Bus führe, würden wir den nicht nutzen, weil er länger braucht und ich dann noch 10 Minuten zur Bushaltestelle laufe.

Glaubt niemandem, dass es erst mehr Busse braucht, bevor ein Ticket für uns sinnvoll ist. Das ist gelogen. Jedenfalls in Bundesländern, die nicht von der CSU regiert werden.

6 Kommentare:

  1. Anonym20.9.22

    Ja, auch wir, vom Land kommend haben dies ähnlich genutzt. Auch für Kurzurlaub

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  2. Anonym21.9.22

    100% Zustimmung. 3 Monate sind wir mit dem Rad zum Bahnhof (5 km einfach) und dann mit dem Zug nach München (ca 1h) ins Büro. War super und würde ich jederzeit so weitermachen, wenn es sich rechnete. Busse fahren hier vielleicht 3x täglich und sind meistens recht leer.

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  3. Anonym21.9.22

    Auf dem Land zu wohnen ist -solange man nicht genau dort auch arbeitet- umweltschädlicher als in der Stadt zu wohnen.
    Und leider bringt die meiste Arbeit, die dort verrichtet werden muss, ebenfalls noch starke Umweltschädigungen mit sich.

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  4. Die Argumentation kann ich sehr gut nachvollziehen. Und sie passt für viele Situationen, auch hier bei uns auf dem Land, nur wenige Kilometer von der Landeshauptstadt Mainz entfernt. Aber in vielen Situationen oder Lebensumständen, wo es nicht ums Pendeln in die Hauptstadt und dann weiter geht, passt sie nicht. Beispielsweise am Wochenende, da nutzt ein noch so günstiges Ticket nichts. Wenn mit ÖPNV - und selbst in Kombination mit dem Auto - eine Fahrt 2 bis 3 Stunden (einfach, z.B. zu einer Veranstaltung, um eine Wanderung zu genießen), die Autofahrt jedoch nur 30 Minuten dauert, dann ist es keine wirkliche Wahl des Beförderungsmittels. Auch wer nicht in der Landeshauptstadt, sondern in einem kleinen Städtchen auf dem Land arbeitet, kommt selten um ein Auto als Beförderungsmittel herum, da gibt es keine Parkplätze an einem Bahnhof mit einem Zug, der dorthin fährt. Selbst das Pendeln oder die Fahrt zum ICE-Bahnhof mit Bussen erreicht das Limit, wenn der Busfahrer bedauernd winkt und mit seinem übervollen Bus an der Haltestelle vorbeifährt. Oder unangekündigt gar nicht kommt aufgrund von Personalmangel. Viele, die hier das 9-Euro-Ticket nutzten, taten das nicht fürs berufliche Pendeln, sondern für eine preisgünstigere Freizeitgestaltung mit allen Einschränkungen des Mainzer Knotenpunktes. Ich bin viel im Land unterwegs, und habe inzwischen den ÖPNV aus Zeit- und nicht aus Preisgründen nahezu aufgegeben. Doch genau diese "Knackpunkte" offenbaren die jahrzentelange Fokussierung auf das Auto. Die Bahn- und Businfrastruktur ist heruntergekommen oder fehlt inzwischen. Dazu kommt, dass sie zentralistisch ausgelegt ist. Um in den Nachbarort zu fahren, muss manchmal mit dem großen Gelenkbus in die Hauptstadt und dann zurück ins Nachbarort gefahren werden. Mit der überalternden Bevölkerung gibt es u.U. auch kein Auto mehr im Haushalt.

    Ein günstiges ÖPNV-Ticket würde nicht in allen, aber doch in vielen Situationen helfen, beispielsweise (wenn entsprechend gestaltet) beim Tarifdschungel der diversen Verkehrsverbünde. Mittelfristig braucht es bei uns in Rheinland-Pfalz (nicht CSU-regiert) zusätzlich zu mehr Elektroautos eine Kombination an Maßnahmen mit u.a. mehr und anderen Bussen (z.B. Fahradmitnahme, ha!), lukrativeren Arbeitsplätzen im ÖPNV und dezentralen Strukturen.

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  5. Anonym29.9.22

    Wolfgang, Du wohnst 300m ausserhalb einer Kreisstadt und 4 km von dessen Bahnhof entfernt. Das ist vielleicht ländlich, aber nicht dort, wo die Bevölkerung keine Alternative zum PKW hat. Hier sind es 45 km bis zum nächsten Bahnhof - niemand fährt diese Strecke quer durch ein Mittelgebirge morgens und abends mit dem Rad, um dann mit der Bahn zur Arbeit zu fahren. Der Bus fährt stündlich, aber die meisten Arbeitsplätze liegen verteilt im 50 km Umkreis, da nützt auch dieser Bus zum Bahnhof nichts. Dieser Landbevölkerung fehlt tatsächlich die Verkehrsinfrastruktur und diese Landbevölkerung hat nichts vom 9 EUR Ticket - wie schön für Dich, dass Du nicht dazu gehörst.

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