28.6.16

#TeamGinaLisa

Mich lässt der "Fall" Gina-Lisa Lohfink nicht los. Als wir vor drei Wochen einen Preis für Onlinekommunikation für unsere (Cohn & Wolfe) Kampagne #nurwennicheswill gewonnen haben, widmeten wir den Preis bewusst allen Frauen, die sich gegen Übergriffe wehren, obwohl sie nur selten Recht bekommen in diesem Land und obwohl sie von Behörden und Justiz sehr oft sehr schlecht behandelt werden.

Für mich ist dies aus vor allem zwei Gründen so wichtig:

  • Zum Einen, weil der Prozess gegen Frau Lohfink ein Thema nach vorne und in die größere Wahrnehmung holt, das mir wichtig ist – und in dem ich als Mann eine zuhörende Rolle übernehmen muss. Weshalb mich Richter Fischer so ankotzt, um es mal auf deutsch zu formulieren.
  • Und zum Anderen, weil gerade die Person Lohfink in diesem Zusammenhang so interessant ist.
Es bedrückt mich, wenn ich sehe, wie in meiner Generation (Mitte vierzig) und selbst noch in der Generation meiner älteren Kinder (um die zwanzig) Mackerverhalten und brutales Besitz- und Benutzdenken von Männern und Jungs Frauen gegenüber verbreitet ist. Das reicht vom ehemaligen Chef, der sich das Recht nimmt, junge Mitarbeiterinnen gegen ihren Willen anzufassen, über die Jungs, die ein Mädchen, das gerne Sex hat, als Matratze der Schule diffamieren, und emotionale Erpressung bis hin zu Vergewaltigung.

Und es erschreckt mich, wie die Tatsache, dass nahezu alle Menschen, die ich kenne, Frau Lohfink unangenehm finden und schräg und ihre Art, mit Sex umzugehen, ablehnen, wie diese Tatsache bei allzu vielen einen Reflex auslöst, der im günstigsten Fall fragt, ob das wirklich alles so war, und im ungünstigsten auf ein "selbst Schuld" hinausläuft.

Gerade weil mir Frau Lohfink unangenehm ist, ist der Prozess gegen sie so ein Fanal. Denn egal, ob jemand unter Drogen ist, betrunken oder nackt. Egal, ob eine schon mal Pornos gedreht hat oder ihren Körper vermarktet. Egal, ob eine schlau ist oder nicht, sich die Haare entfärbt oder Intimrasur betreibt. Alles egal – sie hat das Recht, nicht vergewaltigt zu werden. Punkt.  Dass ihr dann der Prozess gemacht wird, weil sie wollte, dass ihre Vergewaltiger betraft werden, ist krank.

Wie bei so vielen anderen Dingen auch gibt es bei Vergewaltigung keine "Mitschuld" des Opfers. Ja, es kann sich vorwerfen, nicht früh genug nein gesagt zu haben vielleicht. Es kann sich selbst vorwerfen, mit einem Arschloch und Verbrecher getrunken oder gefeiert zu haben. Aber es kann sich nicht vorwerfen oder vorwerfen lassen, dass es vergewaltigt wurde.

Es macht mich unendlich zornig, wenn ich sehe, was mit einer Frau (und Frau Lohfink steht hier nur stellvertretend für viele, viele tausend Frauen jedes Jahr, denen exakt das gleich passiert) gemacht wird, die sich traut, sich zumindest nachträglich gegen die Vergewaltigung zu wehren. 

Es irritiert mich zutiefst, wenn ich sehe, dass Menschen, Männer zumeist, die sich klar zu "Nein heißt Nein" bekennen, im Fall von Lohfink schwimmen und schwurbeln. Sich auf das Ablenkungsmanöver mit den K.O.-Tropfen oder eben nicht einlassen. Das Thema auf eine grundsätzliche Ebene ziehen. Allzu viele Fragen sehen, die ungeklärt seien. Ja, kann alles sein – aber eine Vergewaltigung bleibt eine Vergewaltigung. Und Sex gegen den Willen einer Person ist eine Vergewaltigung. Sex ohne aktive, explizite Zustimmung einer Person ist eine Vergewaltigung. Egal, welche Fragen sonst noch offen sind. Und wenn mir der Prozess gemacht wird, weil ich möchte, dass meine Vergewaltiger betraft werden, ist das krank (sagte ich das schon?).

Das Leben ist nicht nur schwarz-weiß und es gibt unendlich viele Spielformen, die im Konsens auch Dinge ermöglichen, die mir fremd sind. Und Zustimmung ist nicht so trivial festzustellen, schon klar. Was aber nichts daran ändert, dass ein Unterschreiten der Zehn-Zentimeter-Schutzschicht nun mal nicht geht, wenn sie nicht angefordert wurde... 

Ich meine: Wenn es nicht zu einer klaren Position zum Fall Lohfink führt, ist ein Bekenntnis zu "Nein heißt Nein" nichts wert. Weil es dann doch nur wieder um saubere, bürgerliche Mittelschichtdinge geht. Beweisen aber muss sich das Thema, so finde ich, an den Rändern. Aber wie so oft ist der aufgeklärte Bio-Aktivismus in der Gefahr, die soziale Frage unterzubelichten.



24.6.16

Die Ernte der Disruptionspredigten

Ich interessiere mich schon sehr lange für die Kontinuitäten in den Umbrüchen und Veränderungen. Kurz gesagt (und ja, etwas zu holzschnittartig) für das Leben, das weitergeht und sich für die allermeisten Menschen gar nicht so radikal und schon gar nicht so schnell verändert, wie es einerseits die Predigten des Untergangs und der Veränderung behaupten und wie es andererseits in der historischen Rückschau oft scheint. 2004 deutete ich dieses Thema das erste Mal hier im Blog an. Stichworte sind Werner Durth und Otto Baumgarten. Aber das nur am Rande.

Vielleicht ist es aber diesem Interesse, das aus dem Studium in den frühen 90ern herrührt, geschuldet, dass ich immer gegen die Profetinnen* des Untergangs, der Wandels, der Disruption immun war. Dass ich meine gesamte berufliche Beschäftigung mit Social Media über beispielsweise eher die Dinge betont habe, die gleich bleiben in der PR, bei denen es nur um eine neue Arena aber nicht um ein neues Paradigma ging.

Das aber nur vorab, um ein bisschen Kontext zu schaffen für das, was mich in den letzten Monaten so oder so umtreibt. Und wo ich Ursachen, nicht Anlässe für die krassen Bruchkanten in unseren (europäischen) Gesellschaften sehe.
Das macht mich unruhig. Und mit diesem Text schließe ich an meine Überlegungen zu den Autoritären (wer dazu was wissen will, kurz dem Link folgen) an, versuche ich, die Gedanken dazu zu ordnen, wieso die ängstlichen Autoritären so stark geworden sind.

Disruptionsrhetorik
Denn ich bin mir recht sicher, dass die Disruptionsrhetorik, die auch viele Menschen in meiner Ecke des Internets, die ich sehr schätze, in der Feder führen, einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat. Dieser profetische Impetus, den ich im Grunde sogar verstehen kann, wenn es einfach nicht voran geht, wenn es mal wieder alles langsam zu langsam ist, wenn mal wieder die Falschen das Falsche beschließen. Die Idee, dass alles ganz anders sein oder werden muss und das auch bittesehr ganz ganz schnell, weil wir sonst alle sterben werden. Oder zumindest unsere Wirtschaft. Oder das Internetz.

Die durchweg positive Sichtweise auf Disruption, die sich im Zuge der neoliberalen Revolution bis hinein in ehemals linke oder emanzipatorische Kreise durchgesetzt hat, ist ja ironischerweise im Kern ein totalitäres Konzept, das philosophisch auf Nietzsche und ökonomisch auf Schumpeter zurück geht, der ein recht radikaler Verteidiger des Kapitalismus war.

Im Rahmen einer Wirtschaftsweise, die alle anderen gesellschaftlichen Ziele der Kapitalmaximierung unterordnet (also im Rahmen eines nicht durch gesellschaftliche Regeln, beispielsweise die Soziale Marktwirtschaft, begrenzten freien Kapitalismus), ist die Idee, dass Disruption durchweg gut ist, auch vernünftig. Absurd wird sie nur, wenn sie sich verselbstständigt, wenn sie gesellschaftlichen Fortschritt postuliert – oder wenn sie ein Ziel um ihrer selbst willen wird.

Denn die Disruptionsrhetorik, die vor allem bei digitalen Pionieren oder Netzaktivistinnen gerne genutzt wird, hat in letzter Konsequenz vor allem das eine Ziel, das Disruption selbst ja auch hat: Die Akzeptanz für technokratische, eindimensionale, angeblich alternativlose und quasi vulgär-naturwissenschaftliche Behauptungen über die Zukunft zu schaffen.

Alternativlosigkeit
Ähnlich scheint es sich meiner Meinung nach mit der Rhetorik der Alternativlosigkeit zu verhalten. Hier noch etwas offensichtlicher in den Folgen, denn der Aufstand der ängstlichen Autoritären gegen die unpolitische Behauptung der Alternativlosigkeit führt als Partei ja gerade das Wort "Alternative" im Namen.

Das Problem ist nur: sowohl die Disruptionsrhetorik als auch das Reden von der Alternativlosigkeit widersprechen der täglichen Erfahrung nahezu aller Menschen. Fast immer habe ich im Alltag Alternativen. Und fast nie ist meine Wirklichkeit total von Disruption geprägt. Von Unsicherheiten und auch von Anpassungsschmerzen, ja – aber eben nicht von der Radikalität beider Behauptungen.

Nun ernten wir die Früchte dieses Alarmismus
Was allerdings beide an sich von der Alltagserfahrung nicht gedeckten rhetorischen Herrschaftsinstrumente geschafft haben, ist eine massiv zunehmende Verunsicherung. Das jahrelange Sperrfeuer, dass auch das Leben meiner Großeltern sich radikal ändern müsse, weil es alternativlos sei, dass sie sich mit der Disruption beschäftigen, führt dazu, dass sie die zornigen Disruptionsprofeten ebenso zornig spiegeln.

Das Auseinanderfallen der Gesellschaft in Alte und Nichtalte (wie beim Brexit), in Männer und Nichtmänner (wie in Österreich), in Autoritäre und Nichtautoritäre (wie überall in Europa und Nordamerika) – dieses Auseinanderfallen ist selbstverständlich nicht die "Schuld" des Silicon-Valley-Kults oder der Technokratie als faktische Regierungsform allein. Aber die Früchte von beiden haben zur Vergiftung massiv beigetragen. Zum Rausch, der zum letzten Aufbäumen der verzagten und ängstlichen Autoritären führt.

Die Opfer sind meine Kinder
Selten ist so klar und eindeutig zu sehen, wie sehr dieses auch ein Krieg der Generationen ist, wie beim Brexit. Was immer an Veränderungen kommt, was immer an Zerstörung, ob kreativ oder nicht, passiert, ist für die Generation meiner Eltern und Großeltern egal. Denn trotz aller Rhetorik ist es ein langsamer Prozess. Für meine Generation ist es undramatisch, denn wir sind jung genug, um uns noch anzupassen, und alt genug, um schon eine Zugehörigkeit zu entweder der Gesellschaft oder einer Klasse zu haben. Aber die Generation meiner Kinder ist es, der ihr das Leben sauer macht, die ihr Angst habt oder Angst verbreitet, die ihr Autoritäre seid oder selbsterklärte Revolutionäre, die ihr eure eigene Agenda betreibt, weil ihr euch nicht ändern wollt oder weil ihr euren Markt vergrößern wollt. Dafür verachte ich euch. Und darum werde ich euch bekämpfen. Beide.

Kontinuitäten
Womit ich wieder am Anfang angekommen bin, bei den Lebenslinien, die über Umbrüche und Veränderungen hinaus zeigen. Für die meisten von uns geht das Leben weiter. Dafür brauche ich keine albernen und falschen Autosuggestionen, dass der Brexit eine Chance sei für Reformen, dass Zerstörung kreativ sei, oder wie auch immer. Dafür brauche ich eher die Zuversicht und den Lebensmut, die Demut und die Hoffnung, die Erfahrung und das Vertrauen, also das, was mir das Leben bisher beschert hat.

Kontinuität in Zeiten des Umbruchs ist etwas Gutes, finde ich. Und Zerstörung, die Erfahrung habe ich zumindest gemacht in den letzten 46 Jahren, ist nicht gut. Und schon gar nicht kreativ. Disruption ist ein zutiefst konservatives, oft sogar reaktionäres Konzept. Denn die Trümmer werfen uns zurück in die Vergangenheit, in die Zeit vor der Zeit, in der das, was wir zerstört haben, notwendig schien. Wer Disruption fordert oder propagiert, ist im eigentlichen Wortsinne asozial, denn sie hat nur ihre eigenen Interessen im Blick, denen das, was zerstört werden soll, im Wege steht.

Kreativität und Fortschritt dagegen, das zeigt ein Blick beispielsweise in die Musikgeschichte, entsteht oft aus dem Überschreiten von Grenzen, nicht aus der Zerstörung der Ordnung. Jeder Akt, eine Grenze zu überschreiten, ist ein Akt der Kreativität und der Befreiung. Was etwas anderes ist als Zerstörung.

* Dass ich Profetinnen mit f schreibe, ist eine lebenslängliche Hommage an den großen Alttestamentler Klaus Koch, der der Meinung ist, dass ein einzelner Buchstabe im griechischen und hebräischen nicht mit zwei Buchstaben im deutschen transkribiert werden sollte. Als er emeritiert wurde, titelte unsere Fachschaftszeitung: "Er wird eine schwer zu phüllende Lücke hinterlassen"... (schrieb ich schon häufiger in dies Blog rein, muss aber immer wieder sein)