28.10.16

Blockchain-Kommunikation

Der nächste Level im Content Marketing


Verglichen mit dem, wo Kommunikation über die letzten Jahre schon war, ist Content Marketing eigentlich ein Rückschritt gewesen. Was mindestens zum Teil auch erklärt, warum es solche Begeisterung unter Kommunikatorinnen und Kommunikatoren ausgelöst hat: versprach Content Marketing doch eine Rückkehr zum Wasserfallprinzip in der Kommunikation; zur vermeintlichen (wenn auch nur scheinbaren) Kontrollierbarkeit von Kommunikation.
Im Grunde war Content Marketing für einige Zeit eine gute Antwort auf die Frage, wie klassische „Reklame“ unter den Bedingungen aussehen kann, die der massive Medienwandel geschaffen hat, der vor etwa zehn Jahren stattfand.
Allerdings hat sich seit diesem Wandel die Welt ja weitergedreht, hat der (weitere) technologische Wandel auch vor der Medien- und Kommunikationslandschaft nicht halt gemacht. Stichworte sind unter anderem die Inflation der Daten – schon rein mengenmäßig –, die beginnende künstliche Intelligenz oder auch die Verknüpfung von immer mehr Datenpunkten und Geräten, die wir unter dem gleichzeitig über- und unterschätzten Thema Internet of Things diskutieren. Und als aktuelles „heißer-Scheiß“-Thema eben die Blockchain.

Und während Medien unter dem Stichwort „Homeless Media“ eine Antwort auf diese Veränderungen suchen (sehr gut, radikal und bisher auch ziemlich überzeugend setzt dies in Deutschland vor allem „Funk“, der neue Jugend“kanal“ von ARD und ZDF um), müssen sich Kommunikatorinnen, vor allem aber Agenturen, meines Erachtens endlich mit den Möglichkeiten beschäftigen, die sich konzeptionell aus eben dieser Blockchain ergeben – auch wenn das zurzeit noch vor allem Entwicklerinnen aus Start-up- und Fintech-Umfeldern umtreibt, die aber nicht weniger als die nächste große Revolution im Internet bedeutet.

Was ist eine Blockchain?

Einmal nur als Kommunikator auf die Blockchain geguckt und nicht unter technischen Gesichtspunkten, geht es bei einer Blockchain darum, dass Einzelteile („Blocks“) fest und untrennbar (und am Ende quasi nicht oder kaum manipulierbar) zu einer Kette („Chain“) verbunden sind. Im Fintech-Bereich ist die Blockchain darum so spannend, weil sie Transaktionen nachvollziehbar macht und auch Kleinstbeträge sinnvoll abbilden kann, weil Vertrauen in die Richtigkeit eines Blocks aus der Kette entsteht und nicht daraus, dass eine Institution für die Richtigkeit garantiert. Es ist die recht radikale Anwendung der Ideen von Open Source – offener, nachvollziehbarer, transparenter Quellen – auf alle anderen Bereiche, in denen außer bei Software ebenfalls Vertrauen in die Richtigkeit, Vollständigkeit und Nicht-Korrumpierbarkeit wichtig ist.


Was bedeutet das Konzept Blockchain für die Kommunikation?

Die Frage, wie eigentlich Themen gesetzt und Geschichten erzählt werden können, ohne dass sie von Anfang an durchgeplant sind und nach einem Drehbuch abgearbeitet werden können, ist eine, die moderne Kommunikation seit langer Zeit umtreibt. Wir nennen das PR. Oder neudeutsch Influencer Relations (oder, wenn wir nicht so direkt aus der PR kommen: Influencer Marketing).

Der Gedanke einer Blockchain bringt nun noch einen weiteren Aspekt in diese Fragestellung: Wie können wir eine Geschichte erzählen, ein Thema setzen, ein Gespräch oder eine Bewegung abbilden, wenn die einzelnen Teile eine wirkliche, vielleicht sogar nicht-lineare Kette bilden? Wie kann aus dieser Verbindung Vertrauen entstehen, ohne dass wir jedes Einzelteil kennen oder jede handelnde Person mögen oder ihr vertrauen? Wie kann die Blockchain selbst eine tragende Rolle spielen, sozusagen systemisch?

Ohne eine Blockchain zu eng als Technologie zu verstehen, können wir an vielen Orten und in vielen Systemen bereits den Grundgedanken sehen: dass Vertrauen und Verlässlichkeit durch das System an sich entsteht, selbst, wenn wir einzelne in diesem System doof finden oder dumm oder unzuverlässig. Aber durch die feste Verknüpfung bekommen die Einzelteile einen Ort, werden vertrauenswürdig und verlässlich, verständlich und sinnvoll. Parteien sind solche Systeme, die Rotary-Gesellschaften auch. Nur dass beide erst einmal nur ein Art Blockchain nach Innen bilden, für die Mitglieder.

Blockchain-Kommunikation ist die PR-Variante von Content Marketing

Wenn wir die wesentlichen Punkte einer Blockchain ansehen – die untrennbare Kette der Einzelteile, die ohne zentralen Ort nur über das Internet so fest verbunden werden; das nicht-lineare Wachstum, mit dem an jedem Einzelteil neue Teile angekettet werden können; den Open Source-Aufbau, der keinem von irgendwem erdachten Bauplan und keinem Wasserfall folgt –, dann wird schnell klar, dass eine Übertragung dieser Prinzipien auf Kommunikation etwas ist, für das wir in der PR gerüstet scheinen. Wenn wir denn wollen.

Wie kann aber Content Marketing aussehen, das diesen Prinzipien folgt? Beispielsweise, indem wir mit verschiedenen Multiplikatorinnen ein Thema jeweils individuell entwickeln, zugleich diese Themen in eine größere Erzählung einbetten und aus den Einzelgeschichten eine Bewegung formen. Indem wir in der engen Arbeit mit ihnen die Verknüpfungen herstellen, die Querverweise optimieren, Autorinnen und Influencer miteinander bekannt machen. Oder indem wir Content nicht zentral entwickeln und verteilen, vermarkten – sondern dezentral und je nach Bedarf variieren.
Eine Blockchain-Kampagne wird also nicht „orchestriert“ oder „ausgespielt“, sondern in das Internet über viele Medien hinweg eingewebt. 
Ihre Kraft wird eine solche Kampagne entfalten, wenn wir sie loslassen und den einzelnen Teilen, „blocks“, erlauben, sich neue Anknüpfungspunkte zu suchen, ihre Themen und Motive weiterzuentwickeln.

Unsere ersten eigenen Umsetzungen einer Blockchain-Kommunikation haben wir dieses Jahr beispielsweise für die Kampagne „nur wenn ich es will“ für ellaOne, die führende Pille Danach, gezeigt. Dabei haben wir mit unterschiedlichen Bloggerinnen und YouTuberinnen zusammengearbeitet, die einerseits ihre eigenen Geschichten erzählt haben – und andererseits sich zum einen aufeinander bezogen haben, beispielsweise durch Verlinkungen, und zum anderen bei einander in Diskussionen und Kommentaren eingegriffen haben, weil es ja durchaus um kontroverse Themen wie Verhütungspannen und eben die Pille danach ging. Vor allem aber war es eine Kampagne, die gerade nicht fertig geplant war sondern sich fast komplett aus dem Verlauf der Kampagne ergab. Auch die Bloggerinnen und YouTuberinnen sind erst im Verlauf der Kampagne dazugekommen, nachdem die ersten in eine Zusammenarbeit eingestiegen waren.

Das ist also etwas Anderes als die alten „user generated content“ Kampagnen, bei denen viele Inhalte ohne inneren Zusammenhang (außer beispielsweise einem call to action oder einem Thema) erzeugt wurden. Eher schon könnten wir einige wenige gute Hashtag-Kampagnen als erste Versuche einer Blockchain ansehen. Woran wir aber weiter arbeiten müssen, damit wir das Vertrauenspotenzial heben können, das eine Blockchain bietet, ist die Festigkeit der Verbindungen, die „chain“.
Ich schätze, dass dies unsere hauptsächliche Aufgabe im Management von Blockchain-Kommunikation sein könnte: weniger der Content als eher die Beziehungen der einzelnen Blöcke untereinander, zueinander, zur großen Erzählung.