21.12.15

Dankbar

Tatsächlich bin ich für das jetzt zu Ende gehende Jahr dankbar. Als wir am Wochenende unseren obligatorischen Jahresbrief schrieben, der jetzt per Schneckenpost, in den Weihnachtspaketen und per Mail an viele der Menschen geht, die uns durch das Leben begleiten, ist mir das noch einmal bewusst geworden. Denn die Tradition eines Jahresbriefs, die wir aus der Familie der Liebsten übernommen haben, ist neben vielem anderen, was daran wunderschön ist, auch immer ein Anlass, inne zu halten, noch einmal nachzudenken, was gut und was weniger gut war in einem Jahr.

Insgesamt, wie gesagt, bin ich dankbar für dieses Jahr. Es gab auch vieles, was anstrengend und einiges, was nicht schön war, das ist klar. Es gab wie immer bei uns (und wie immer in Familien) viele Aufregungen und Veränderungen. Aber ich habe mich wieder ein Stückchen besser kennen gelernt, etwas darüber gelernt, was ich gut kann, was ich weniger gut kann, was mir wichtig ist.

Zwei Dinge ragen da für mich dieses Jahr heraus, die keinen Ort im Jahresbrief fanden, für die ich aber auf einer ganz persönlichen Ebene sehr dankbar bin und die in der Öffentlichkeit Platz haben, also nicht privat sind. Eines ist beruflich und das andere ehrenamtlich.

Ich kann es noch besser als je zuvor
Als ich mich vor ziemlich genau einem Jahr entschloss (und dann Anfang Januar dieses Jahres alles klar war und wir uns über alle Details geeinigt hatten), die Verantwortung für eine Agentur zu übernehmen, war meine größte Unsicherheit, ob ich das wirklich kann. Wie der eine oder die andere weiß, hatte ich mehr als ein Jahr eine eher schwierigere Zeit, in der ich den Eindruck hatte, meine Kreativität versiege, in der ich mir wenige Neugeschäftserfolge anheften konnte. Und in der mir jemand sehr klar gesagt hatte, dass er mir genau das nicht zutraue, was ich jetzt anstrebte: die Geschäftsführung einer Agentur und die Aufgabe, sie kreativ nach vorne zu bringen.

Rückblickend kann ich es ja zugeben: Das hatte mich verunsichert. Und die Frage, ob ich "es noch kann", stand für mich schon etwas bang im Raum. Weshalb ich so sehr dankbar bin für das, was ich in den letzten neun Monaten erlebt habe.

Denn es stellt sich heraus: Ich bin kreativer als jemand zuvor, ich kann Neugeschäft, wir haben es gemeinsam mit dem Team geschafft, eine Agentur, die es ja nun wirklich echt nicht leicht hatte die letzten Jahre, zu drehen - ich bin etwa 12 Monate vor meinem eigenen Zeitplan in dieser Frage.

Das hängt nicht nur an mir sondern auch damit zusammen, dass ich hier sowohl Kreativitätsprozesse habe und implementieren konnte, die Kreativität wirklich möglich machen, als auch im Neugeschäft auf Erfahrungen und ein Netzwerk zurück greifen kann. Aber es ist wunderbar und unerwartet, wie weit wir schon sind, dass ich schon wieder Leute einstellen muss, dass wir etwas neues (er)schaffen.

Vor allem aber bin ich dankbar, dass das, wie ich mir Führung und Kreativität vorstelle, mit diesem Team, das ich vorfand und ausbauen konnte, einfach wirklich funktioniert. Das wunderbarste Kompliment, das ich von einer meiner Führungskräfte bekam, war:
Ja, du bringst uns zum Scheinen.
Das machte mich glücklich. Und zeigt mir, dass ich am richtigen Ort bin. Dass ich etwas beitragen kann. Dass ich einen Unterschied machen kann. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

Und das zweitwunderbarste Kompliment, das ich bekam, war von einem Branchenbegleiter, der mir auf einen Gruß antwortete:
dass du eine Ausnahmeerscheinung in der Branche bist und bleibst. Deinen Weg und deine Philosophie verfolge ich auch im nächsten Jahr mit großem Interesse.
Dass jemand sieht, was wir hier anders machen, macht mich glücklich. Es spiegelt den ungewöhnlichen Erfolg, den wir dieses Jahr hatten - und macht den sehr anstrengenden und aufregenden Weg, den wir nächstes Jahr noch vor uns haben, um so schöner.

Ich konnte Lebenslinien zusammen führen
Die so genannte Flüchtlingskrise an sich ist nichts, was mich glücklich macht. Einige Begleiterscheinungen machen mich sogar sehr unglücklich, beispielsweise der als Angst verbrämte Hass und die sich als besorgte Bürger verkleidenden Nazis. Aber wie in meinem Stadtteil, in dem ich schon als Jugendlicher lebte und in den ich vor etwas mehr als zehn Jahren zurück kehrte, aus dem Nichts eine neue Zivilgesellschaft entsteht, an der ich - am Anfang mehr als in den letzten Wochen, als ich durch den Jahresendpunk im Beruf (siehe den Abschnitt eben) weniger Zeit dafür hatte - aktiv mitarbeiten durfte.

Das macht mich dankbar. Und das führt Lebenslinien bei mir zusammen, weil ich an viele Dinge anknüpfen konnte, die "von früher" kommen (Politik, Kirche, Antifa-Arbeit, Stadtteil), und das verbinden mit dem, was ich in den letzten Jahren gemacht habe (Aktivierung, Moderation, Social Media, PR). Wo ich wertvoll sein konnte. Etwas beitragen. Einen Unterschied machen. Und wenn daraus auch noch ein ermutigender Vortrag für die re:publica werden sollte (jedenfalls haben wir zu dritt einen dazu eingereicht), wäre das das i-Tüpfelchen.

Das gibt mir Kraft für das nächste Jahr
Ich bin ungebremst auf Weihnachten zugerast, wie quasi immer. Und es ist noch nicht vorbei, morgen, zwei Tage vor Heilig Abend, ist noch eine sehr wichtige große Präsentation. Aber einmal innezuhalten und die Dankbarkeit zu spüren, hilft mir sehr. Und gibt mir die Kraft für das, was kommt. Für das gleiche hohe Tempo im Beruf. Für die Zuspitzung der Situation bei uns im Stadtteil (wenn alle Vertriebenen, die nach Hamburg kommen, einmal bei uns durchgeschleust werden). Für die Familie.

Die Dankbarkeit und das, was gut war, überwiegen dann auch die anderen Erinnerungen. Dass wir nicht ganz jeden Pitch gewinnen konnten. Dass ich selbst in den Fokus von Nazis im Nachbarstadtteil geraten war. Dass ich meinen Ältesten am anderen Ende der Welt vermisse. Dass einer meiner Söhne von Nazis zusammen geschlagen wurde. Dass eines unserer Pferde nie wieder geritten werden kann.

Das Leben ist nicht nur Sonnenschein, ich bin alt genug, um das zu wissen. Aber wenn ich bei jedem Gang zum Einkaufen und jedem Sportdings meiner Kinder auf das angesprochen werde, was wir in Meiendorf tun (immer verbunden mit der Frage, was sie selbst noch beitragen können). Wenn ich Menschen, die mir anvertraut sind, zum Scheinen bringe, und anderen ein Beispiel sein kann, dann lohnt sich das alles. Dann ist es gut so, wie es ist. Alles in allem.


Und dafür bin ich so dankbar.