25.9.15

Eine Geburt ist eine Krankheit

Das meinen die Krankenkassen, das meint die Schiedsstelle, das wird jetzt Realität in diesem Land.

Denn da jetzt faktisch sowohl Hebammen (so ziemlich der älteste noch existierende medizinische Beruf) als auch - als logische Konsequenz - Hausgeburten abgeschafft und - als weitere Konsequenz - Geburten vollständig in Krankenhäuser verlegt werden, sind die Medizinprofis, die sich mit Krankheiten und dem Gesundwerden beschäftigen, jetzt eben auch allein für Geburten zuständig.

Ja, man darf seine eigenen Erfahrungen nicht überbewerten und daraus Schlüsse für einen allgemeinen Zustand ableiten. Aber ich fand es damals vor fast 15 Jahren, als wir uns das erste Mal für eine Hausgeburt entschieden, schon sehr spannend, dass alle anderen, die wir dabei kennen lernten und die nicht schon mit dem ersten Kind zu Hause gebären wollten, die Entscheidung trafen, weil sie nicht wieder mit Ärztinnen und Ärzten bei der Geburt zu tun haben wollten. Weil das - so war das auch bei uns bei den ersten beiden Geburten - diejenigen im gesamten Geburtsverlauf waren, die sie und auch wir als am wenigsten hilfreich und - ja - am unangenehmsten erlebt hatten. Und übrigens die einzigen, die sich unter der Geburt nach Dienstschichten richteten.

Das erzähle ich nicht, weil ich Ärztinnen nicht mag, im Gegenteil. Das erzähle ich, weil mir bei der ersten (und auch bei der zweiten) Hausgeburt klar wurde, was der wichtigste Unterschied zwischen normaler Geburtshilfe und einer Klinikgeburt ist: Dass eine Geburt im einen Fall als wichtiger Schritt ins Leben und als harte Arbeit der Frau gesehen wird. Und im anderen Fall als Teil des Gesundheitssystems, parallel zu anderen Krankheiten.


Ist es nicht tatsächlich verrückt, dass wir die einzige Generation gewesen sein werden, die mit dem Thema Schwangerschaft, Entscheidung und Geburt halbwegs frei und im eigenen Land umgehen konnte? Die Generation meiner Eltern musste zur Abtreibung ins Ausland, die Generation meiner Kinder wird für eine Geburt, die nicht wie eine Krankheit behandelt wird, ins Ausland müssen.

In den Niederlanden beispielsweise werden zwei von drei Kindern, bei denen es in der Schwangerschaft zu keinen Komplikationen kam, zu Hause geboren. Und auch bei uns ist es bisher so gewesen, dass eine Hausgeburt von einer Hebamme nur begleitet wurde, wenn es in der Schwangerschaft nicht zu Komplikationen kam und es keine Anzeichen dafür gab, dass es dem Kind oder der Mutter nicht gut geht. Wir beispielsweise mussten uns dennoch in einer Geburtsklinik anmelden und vorstellen, damit wir, falls es am Ende der Schwangerschaft zu Gesundheitsproblemen käme, dort bekannt wäre (und die entsprechenden Untersuchungen und Unterlagen vorliegen).

Ich gönne jeder Familie, dass sie das Erlebnis einer schönen Geburt hat - zu der auch das Davor und vor allem das Danach gehören, was im Krankenhaus faktisch nicht möglich ist, weil die Familie recht zügig aus dem Kreißsaal raus muss und nicht wie bei der Hausgeburt von der ersten Presswehe bis drei Tage später im gleichen Bett liegen kann, das auch noch nach ihnen riecht und im eigenen Schlafzimmer steht. Dazu schrieb ich vor eineinhalb Jahren ja schon, als das Theater der Abschaffung der Hausgeburten erstmals seinen Höhepunkt hatte.

Und ich kann jede Familie verstehen, der (auch wenn ich heute weiß: nur vermeintliche) Sicherheit wichtiger ist als ein schöner Lebensbeginn. Das meine ich wirklich so. Zumal es ja auch heute schon nur so wenige Hausgeburten gibt in Deutschland, dass wahrscheinlich die wenigsten Schwangeren eine kennen, die ihnen von einer Hausgeburt berichten kann - und sie sich es schon deshalb gar nicht vorstellen können. Uns kam, wie gesagt, bei den ersten beiden Kindern nicht mal die Idee, dass eine Hausgeburt möglich wäre.

Es mag so sein, dass wir einfach schon älter und erfahrener waren und auch deshalb alles einfacher ging (obwohl eine der beiden Hausgeburten trotzdem ein wirklich sehr hartes Stück Arbeit war für die Liebste und das Kind). Aber privatempirisch können wir schon das bestätigen, was uns die Hebammen auch immer erzählen: Dass das Wochenbett und das Stillen sehr viel einfacher war in der gewohnten Umgebung von Leben und nicht in einer Umgebung von Krankheit und Gesundung. Es ist belegbar, dass es bei Hausgeburten sehr viel weniger Stillprobleme gibt, was aber auch daran liegt, dass die Hebamme als Expertin viel mehr und länger da ist und niemand vom technisch-medizinischen Personal allzu schnell mit der Behauptung um die Ecke kommt, die Frau "könne nicht stillen" oder gar "habe nicht genug Milch" (was absurderweise, obwohl dies lange widerlegt ist - von den sehr wenigen pathologischen Fällen abgesehen -, immer noch vorkommt).

Dass der Hebel, um jetzt Hausgeburten endlich abschaffen können, ausgerechnet der ohnehin nur geschätzte "Geburtstermin" ist, macht mich dann doch und tatsächlich wütend. Wenn ich bedenke, dass die Mutter in unserer Nähe damals ihre Zwillinge 14 Tage nach dem "Geburtstermin" zwar in der Klink aber auf natürlichem Weg geboren hat (wobei ein Zwilling dazu noch in Steißlage war). Ich dachte, in der Schiedsstelle sitzen Menschen, die was von der Sache verstehen? Aus einer anderen Perspektive, aber auch mit der (noch etwas frischeren) Erfahrung einer Hausgeburt, guckt übrigens Teresa Bücker bei Edition F auf das Thema. Und da die Liebste als Beamtin die Rechnungen gesehen hat, kann ich ihr bestätigen: eine Hausgeburt ist extrem viel preiswerter als eine Klinikgeburt. Das nur am Rande...

Ich bin ein sehr großes Fan der solidarischen Krankenkassen und bin da auch immer Mitglied gewesen, obwohl ich es schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr müsste. Aber hier erweisen sie uns als Familien in diesem Land und vor allem den Kindern, die noch geboren werden wollen, einen echten Bärendienst. Das ist sehr, sehr schlimm. Und macht mich wirklich unendlich traurig. Vor allem für meine Tochter, die das, was sie selbst als schöne Geburt hatte, so für ihre eigenen Kinder nie haben können wird.

Außer sie geht ins Ausland. Was sie dann halt wird machen müssen.

15.9.15

Anderes zu tun

In der letzten Zeit habe ich ja ohnehin unregelmäßig gebloggt. Mal viel (wie zu Zeiten, in denen ich mich aufrege), mal wenig (vor allem in Zeiten, in denen ich nichts zu sagen habe). Zurzeit ist es anders.

Zum einen
weil ich wirklich sehr viel zu tun habe im Beruf. Nach den ersten Monaten, die ich Cohn & Wolfe jetzt in Deutschland führe, ernten wir die ersten Früchte der Saat, die wir gleich ausgebracht haben. Gewinnen neue Kundinnen, starten große Projekte. Mehr lest ihr in den Fachmedien und bald noch mehr.

Zum anderen
weil ich das, was ich (sozusagen privat) an Öffentlichkeit herstellen kann, jetzt in die konkrete Arbeit vor Ort bei uns in Meiendorf stecke. Zusammen mit anderen Onlinerinnen und Onlinern aus dem Stadtteil habe ich die Website Meiendorf hilft! gebaut und moderiere ich die Facebook-Gruppe mit mehr als 400 Menschen bei uns am Stadtrand, die helfen wollen und noch nicht wirklich loslaufen können.

Bloggen tue ich da auch hin und wieder oder fülle zumindest News nach, beispielsweise zur aktuellen Situation an der Erstaufnahme im Bargkoppelstieg. Das mache ich gerne, weil ich ja finde, dass jede tun sollte, was sie am besten kann - und ein Wochenende am Telefon zu verbringen, um Menschen miteinander zu vernetzen, Infos zusammenzutragen, Kommunikation zu organisieren und dann auch das Communitymanagement einer nicht immer einfachen, weil eben hochmotivierten und von der Situation ausgebremsten, Menschenschar zu machen, das kann ich.



Es ist ein kleiner Beitrag und nicht vergleichbar mit dem, was andere tun, die weit über ihre persönlichen Grenzen gehen. Aber es ist immerhin etwas, das hilft, uns auf einen langen Atem vorzubereiten. Denn noch ist die Situation in Meiendorf nicht nur schwierig sondern hochgradig chaotisch. Der völlig überstürzte Beginn am letzten Wochenende macht es nicht besser, auch wenn es gut ist, dass die Menschen, die vertrieben wurden, wenigstens ein Dach über dem Kopf haben. Und heute scheinen sie auch Duschen zu bekommen, wenn ich das richtig mitbekomme. Und Wifi, wonach sie genau so intensiv fragen, um endlich nach ihren unterwegs verlorenen oder zurück gelassenen Angehörigen zu suchen.