26.5.15

Ein Lob der Filterblase

Überall wird über Filterblasen (oder Filter-Bubbles) geredet. Meist geklagt. Darüber, wie anders alles sei als früherTM. Und überhaupt. Aus dem Augenwinkel sah ich den Tweet der geschätzten Claudia Klinger, der mich zu Widerspruch reizte -
- und mir deutlich machte, wie sehr ich bereinigte Filterblasen brauche. Und wie gut und gesund Filterblasen sind. Zugleich hängt das, was ich beobachte und brauche, auch damit zusammen, dass ich ja schon die Analyse "aggressiv" für die Jetzt-Zeit nicht teile (oder jedenfalls nicht, dass diese Zeit aggressiver sei als eine frühere, schrieb ich gerade erst zu).

Tatsächlich konnte ich früherTM, als ich aufwuchs, in meiner wildern Zeit, in gewisser Weise unaufgeregter radikal und aggressiv sein, weil wir, die wir unterschiedliche Haltungen zu so ziemlich allem hatten, uns besser aus dem Weg gehen konnten - oder es zumindest taten. Außer in der Schule, die im Grunde schon wie die Jetzt-Zeit funktionierte mit ihrer Enge und ihrer über alle Bedürfnisse hinausgehenden Verbundenheit und ihrem Netzwerk.
(Was mich zur Frage bringt, ob die Vernetzung und Transparenz von Diskussionen und Auseinandersetzungen heute nicht eigentlich die Verlängerung der Schulzeit ins Unendliche ist. Oder wie es so wunderbar in der ersten Folge von Glee heißt: Die Highschool endet nie. Aber das ist eine andere Geschichte, der ich mal nachgehen muss. Hat dazu schon jemand was lesenswertes geschrieben?)
Filterblasen sind wichtig
An sich war Verbindung und Transparenz ja eines der Versprechen und eine der Hoffnungen, die wir rund um Netzwerke und den Siegeszug von Onlinekommunikation hatten. Was zu einem Teil auch eingetreten ist. Kollateralschaden (ja, würde ich so nennen wollen) war allerdings, dass wir uns nicht mehr aus dem Weg gehen konnten - oder genau das anstrengend wurde. Störkommunikation funkte immer dazwischen, wenn sich Gruppen, die sich früherTM in der Kohlenstoffwelt oder in Zeitschriften über ihre Positionen und Argumente versicherten, nun in (halb-) öffentlichen Räumen im Internet trafen.

Die Kurzatmigkeit und die Selbstzerstörungskräfte sind aus meiner Sicht eine Folge von Transparenz und digitaler Nähe. Vom permanenten Schulhof mit seiner besonderen sozialen Dynamik, die hinter mir zu lassen eine der großen Erleichterungen meines Wechsels ins Studium war. So lange mediale Diskurse (beispielsweise) sich noch so verhalten wie früherTM, in der vordigitalen Zeit, verlieren interne und suchende Diskussionen, eben auch solche, die Abgrenzungen brauchen und probieren, ihre Funktion - nämlich die der Vorklärung vor dem öffentlichen Diskurs.

Filterblasen hat es immer gegeben. In der vordigitalen Zeit durch die Kreise, in denen ich mich bewegte und die Medien, die ich konsumierte oder gestaltete. Zehn Jahre öffentlich einsehbare Filterblasen zeigen zumindest mir, dass sie wichtig sind und eine wichtige Funktion haben.

Blocken und Löschen
Persönliche öffentliche Kommunikation heute hat aus meiner Sicht die Zwitterfunktion (die nach meiner Erfahrung auch professionelle öffentliche Kommunikation in Netzwerken hat, beispielsweise in Unternehmensblogs oder Facebookseiten, die jeweils mindestens so sehr nach Innen wirken wie nach Außen), einen engeren Kreis zu erreichen und für andere sichtbar und auffindbar zu sein. Das mache ich bevorzugt hier im Blog.

Auf Netzwerk-Plattformen ist das etwas anders. Und seit ich mich beispielsweise auf Twitter bewusst von denen abgrenze, mit denen ich nichts zu tun haben will - indem ich misogyne oder rassistische Leute blocke, also selbst ihre mich direkt adressierenden Absonderungen nicht mehr sehe -, geht es mir besser. Und bin ich lustigerweise auch weniger aggressiv. Das Herstellen einer Filterblase ist wichtig und hilfreich. Und übrigens auch sozusagen natürlich.

Wiederentdeckung von Flüchtigkeit
Gegen die Kurzatmigkeit und die Skandalisierungsmaschine helfen daneben flüchtige Kommunikationsformen. So war es immer schon mit dem Hintergrundgespräch, das nicht aufgezeichnet wurde, mit dem nicht aufgenommenen Telefonat, mit dem Smalltalk bei Treffen, Partys, Empfängen.

Und so ist es mit den neuen Netzwerken, die ich Ephemeral Media nenne. Es ist aus meiner Sicht kein Zufall, dass sie vor allem von jungen Leuten, die das FrüherTM der vordigitalen Kommunikation nicht kennen, so stark genutzt und gebraucht werden. Weil sie eben das Bedürfnis von gefilterter und nicht durchsuchbarer Kommunikation befriedigen. Weil eben ein öffentliches Gespräch, das dann über Periscope aber nur 24h erreichbar und auch in dieser Zeit nicht durch Suche (also zufällig) auffindbar ist, anders ist als eines, das permanent in die zweitgrößte Suchmaschine (YouTube) eingespeist wird.

Filterblasen, Löschen, Blocken, flüchtige Medien - alles das kann, davon bin ich überzeugt, kurzatmige Aufschaukelungen eindämmen. Und darum mag ich sie. Sie sind die Grundlage einer gehaltvollen Diskussionskultur. Wie wir ex negativo am kommunikativ gescheiterten Piraten-Experiment totaler Transparenz und Permanenz in Diskussionen sehen konnten.

4 Kommentare:

  1. Danke Wolfgang für das Bild vom Schulhof (bzw. der Klasse für die Älteren). Wenn ich Neulingen (wie Eltern und Tanten) Social Media erklären soll, nehme ich gerne das Bild von der Küche eines Freundes, der in seiner Wohnung eine Party gibt. Ich trete ein, dort sind andere Freunde meines Freundes, wir unterhalten uns im Bewusstsein, dass wir alle Gäste sind.
    Das Bild des Schulhofs erweitert das gewaltig. Da sind Menschen, die wir nicht kennen oder zu gut kennen. Die Lautsprecher, die Mobber, die Poser beiderlei Geschlechts. Manche ziehen uns an, anderen gehen wir aus dem Weg. Für die Schwachen, die man heute brutal "Opfer" nennt, kann der Schulhof die Hölle sein.
    Ich halte es seit rund 2 Jahren wie du. Ich habe auf Twitter und auf G+ nach und nach alle Menschen ausgeblendet, die ihre (persönliche) depressive und misanthropische Weltsicht verbreiten. Und es geht mir deutlich besser. Ich bin sehr viel schneller mit Blocken als früher, ich will es gar nicht mehr drauf ankommen lassen. Von der Welt bekomme ich weiterhin mehr als genug mit. Dafür brauche ich keine unangenehmen Zeitgenossen auf Twitter.

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  2. Jens Best26.5.15

    Jeder wird anders konservativer, wenn er älter wird. Schade ist es nur, wenn dann diese Person ihre persönlichen Rechtfertigungen, warum sie selbst jetzt an dieser Stelle nicht mehr will, als eine kongeniale Erkenntnis über die Welt verkauft. Aber auch das gehört wohl irgendwie zum Spiel dazu.
    Es gibt ein - im Sinne einer möglichst lebendigen Öffentlichkeit - viel besseres Agieren, um "kurzfristige Aufschaukelungen einzudämmen" - indem man einfach nicht drauf reagiert ohne aber gleich eine dauerhafte Ausblendung dieses Teils der Realität zu veranlassen. Es ist eine Übung in innerer Ruhe trotz der Hektik im Augenwinkel, eine nicht einfache, aber für die innere Seele lohnenswerte Übung.

    Es wäre ehrlicher gewesen, einfach zu sagen, dass du deine Filterblase magst, weil du in deinem Alter jetzt ein wenig auf den Blutdruck achten muss. Das kann man verstehen, da ist man dann auch nachsichtig, weil man die älteren Mitbürger ja mit Respekt behandeln will usw. - aber gleich ein "Lob auf Filterblase"? - So als ob eben diese Realität einer tatsächlich nun möglichen gelebten vielfältigen Öffentlichkeit, die durch die Werkzeuge des Internets am Entstehen ist, am besten verhindert werden sollte.

    Aber deine Kritik ist ja - vordergründig - ein wenig überlegter. Geschickt, wenn auch ohne konkreten Beweis, unterstellst du, dass die Oberflächlichkeit, das Sau-durchs-Dorf-jagen, das ent-kontextualisierte Skandalisieren für den Moment irgendwie mit der Form der Kommunikation zusammenhängen muss und die Schuld sei insbesondere darin zu sehen, dass man jetzt Leuten zu hören muss, die man früher nie in die analoge Filterblase gelassen hätte. Gekrönt wird deine "Beweisführung" dann mit einer gut verpackten Infantilisierungsunterstellung ("wie auf dem Schulhof"). Alles Kindergarten. Case closed.

    Wolfgang, ich glaube, du machst es dir damit ein wenig zu einfach. Der kulturelle Aneignungsprozess der internet-basierten Kommunikation durch die Gesellschaft sollte nicht hauptsächlich geprägt sein von stark hinkenden Vergleiche mit einem vermeintlich besseren "Früher", sondern durch eine Chancen/Herausforderungs-Analyse, wie die einzelnen Aspekte des Werkzeuges unsere Gesellschaft und das Individuum evolutionär unterstützen können. Ich teile deinen Wunsch nach mehr gegenseitigem Kontextverständnis, also wenn man so will versachlichter Empathie in der (digitalen) Kommunikation, aber ein "Zurück in die Filterblase" ist definitiv nicht der Weg dahin.

    Zügig kommentiert in der Mittagspause, Jens

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    1. Naja, ich überlese jetzt mal den Anwurf mit dem konservativ werden :) Die Infantilisierungsunterstellung kennst du ja schon von mir ansonsten, etwas als "pubertär" zu bezeichnen, passiert mir ja häufiger. Erst gestern, beim Schreiben dieses Beitrags, fügte sich das zusammen mit dem Schulhof, also nicht eigentlich der Infantilisierung (um die es damit gar nicht geht) sondern eher der unfreiwilligen Nähe und Zwangsgemeinschaft, Zwangskommunikation. Und nur darauf bezieht sich auch das Aufschaukeln und der mediale Diskurs. Nicht etwa werfe ich transparenter Kommunikation vor, sie führe zu Aufschaukelungen etc. Sondern ich werfe der Medienindustrie vor, dass sie ihre Methoden noch aus der vordigitalen Zeit hat - und dass "wir" ihr in die Falle gelaufen sind, weil sie sich wie ein unkontrollierter Katalysator verhält.
      Im Übrigen habe ich zum Aus-dem-Weg-gehen ja schon oft was geschrieben, beispielsweise zur Kakkscheiße.

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  3. Claudia, die ich oben im Tweet zitiere, ist am Captcha von Blogger.com gescheitert (wusste gar nicht, dass ich das hier eingebaut hab) und bloggte darum ihren Kommentar hier: http://www.claudia-klinger.de/digidiary/2015/05/26/bereinigte-filter-bubbles-hilfsweise-gebloggt-wg-unueberwindlichem-captcha/

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