30.5.13

Bildung oder Untertanen

Als ich meine Überlegungen zum Informatikunterricht schrieb, war mir gar nicht klar, dass das aktuell ist. Dass bei der Zerschlagung des Naturwissenschaftsunterrichts an Hamburger Stadtteilschulen die Informatik für alle dran glauben muss. Es schloss sich dann gestern und heute unter Leuten, die sich in Hamburg mit Bildungspolitik beschäftigen, eine teilweise interessante, teilweise abstruse Diskussion an. Wie so oft mit einem unbestreitbaren Highlight: Herrn Walter Scheuerl (für Nichthamburgerinnen: der Anwalt, der die Elbvorortemuttis gegen die Primarschule mobilisierte und mit dem sich jetzt die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft rumärgern muss, zugleich Vorsitzender des Schulausschusses des Parlaments).
Dieser Tweet ist nur einer von vielen, die zwar wirken, als wäre da schon eine von mir auch oft bevorzugt Flüssigkeitsaufnahme vorher erfolgt, aber nach Auskunft einer sicheren Quelle nüchtern aus der Bürgerschaft heraus erfolgten. Andere Höhepunkte waren Hinweise darauf, dass Informatik nur was für Experten und dass das gesamte Thema eh seit 2000 gescheitert sei. Lest einfach mal Scheuerls Tweets, wenn ihr stark genug seid. Mir geht es an sich nicht um diesen Mann und seine Groupies, denn die Argumente sind bis in meine Partei populär und werden heute auch vom Sprecher des Schulsenators im Abendblatt benutzt, der wiederum bis vor kurzem oberster Elternvertreter der Stadt war.
Was mich an der Diskussion so ärgert, ist, dass zum einen so viele Dinge vermischt werden, dazu mein Beitrag neulich. Medienerziehung, Medienkritik etc. und Informatik sind zwei paar Schuhe, wiederhole ich auch gerne noch mal.

Und dass es bei Informatik zum anderen um etwas anderes geht. Es geht darum, dass wir Rüstzeug bekommen, einige der wichtigsten und mächtigsten Ordnungssysteme unserer Welt nachvollziehen zu können. Nicht um mehr. Im Sinne des exemplarischen Lernens (ok, das werden ideologisch vernagelte Leute, die sich mit Bildung beschäftigen, auch nicht wollen oder verstehen) kann dabei helfen, eine oder mehrere Programmiersprachen zu lernen, einen aktiven und - vor allem - passiven Wortschatz zu entwickeln, um Code zu lesen und sich nicht von Expertinnen abspeisen zu lassen, wenn ich Fragen habe.

Wer nicht wenigstens rudimentäre Kenntnisse darin hat, Code zu lesen (nicht zwingend zu programmieren), ist künftig diesen so genannten Expertinnen genau so ausgeliefert, wie jemand, die nicht die Grundzüge des Zinsrechnens gelernt hat oder (beispielsweise anhand von Sprachunterricht) Quellen- und Kulturzusammenhänge. Was also offenbar will, wer so vehement wie Scheuerl und andere (auch in anderen Parteien, auch in meiner) gegen einen flächendeckenden Informatikunterricht agitiert, sind Untertanen.

Also das Gegenteil von Bildung. Bildung hat immer das Ziel, Menschen mündig und unabhängig zu machen. Das unterscheidet Bildung von Ausbildung. Anders als die Forderung von Handelskammer und Unternehmen nach Informatik- und Wirtschaftsunterricht vermuten ließen, geht es am Ende bei diesen Fächern gar nicht um Ausbildung, um Berufsfähigkeit. Sondern um ein im Kern humanistisches Bildungsideal.

Darum, die Welt zu verstehen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Darum, die Chance zu bekommen, die Einlassungen so genannter Expertinnen zu überprüfen. Ihren Code lesen zu können, ihre Rechnung nachvollziehen zu können, ihre Prognosen mit der Vergangenheit zu vergleichen.

tl;dr
Zu einer Bildung im klassischen Sinne, die für die heutige Welt ihre Aufgabe erfüllen kann, gehört neben Latein und Englisch und Mathe und Lesen eben auch Informatik.

28.5.13

Or Be Programmed

Informatikunterricht. Gab es schon in den 80ern an meiner Schule, hatte ich nicht, denn, ihr erinnert euch, meine Eltern führten auf meinem Rücken und mit meiner Unterstützung damals den Kulturkampf gegen Computer, obwohl wir später sogar zu den ersten gehörten, die BTX zu Hause hatten, aber das ist eine andere Geschichte.

Tablets, Smartboards. Ein Thema, das Eltern erregt und elektrisiert. Aktuell mal wieder aufgrund eines Schulmodells in Hamburg. Was haben wir im Elternrat auch um die weitere Einführung von Smartboards gerungen, wie fehlgenutzt auch immer die in der Praxis teilweise werden.

Was mich ärgert (ich kam darauf aufgrund einer Diskussion mit Hansjörg Schmidt, den ich nicht nur aber auch als Netz- und Medienpolitiker in Hamburg schätze und der nicht die Ursache des Ärgers ist), ist aber, wenn die beiden Dinge miteinander verknüpft werden. Oder gar in einem Atemzug genannt. Und das hängt mit einem Thema zusammen, zu dem Nico Lumma neulich was schrieb, das ich nicht wiederfinde, weil die Suche in seinem Blog für mich unbrauchbar ist. Der Idee, dass alle Schülerinnen eine Programmiersprache lernen sollten, dass es wie Fremdsprachen zum Basiscurriculum einer höheren Schule gehöre. Update: Hier beispielsweise, sagt Nico, habe er das geschrieben, wie sonst auch überall immer. Danke. Lesen.

***

Mit dem ersten meiner vier Kinder bin ich ja nun fast einmal durch das Schulsystem hindurch. Ok, in Hamburg. Und die anderen drei durchlaufen es. Und nun wechseln wir nach Schläfrig-Holstein in die Schulen, wenn alles klappt.

In keinem Fall meiner Kinder ist eine aus meiner Sicht auch nur rudimentär angemessene Mediennutzung Teil ihres Unterrichts gewesen. Aktueller Höhepunkt war, dass Tertius auf meine Anregung hin sein Baumtagebuch, das er im Nawi-Unterricht anfertigen muss, als Blog führt (was ihn, wie überraschend, tatsächlich motiviert, was eine handschriftliche Papiervariante nicht gekonnt hätte) - aber es keine Lösung dafür gab, wie er dieses Tagebuch dann in der Schule vorführt (außer es auszudrucken, was ja auch keine Lösung sein kann), obwohl der Lehrer die Idee mit dem Blog gut fand. Der Computer im Bioraum ist irgendwie nicht online oder so. Bereits vorher erlebte ich bei einem der beiden Großen so himmlische Dinge wie eine Lehrerin, die für die Bebilderung eines Referats empfahl, diese Bilder doch "von Google" zu nehmen.

Kopf -> Tisch.

Meine Befürchtung ist - und die ist sicher nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn ich beteilige mich ja nun schon seit mehr als zehn Jahren an der Elternmitarbeit in Schulen und mache noch länger mit bei Schulpolitik -, dass es zwar total wichtig ist, schon diese rudimentären Dinge glattzuziehen im Unterricht, aber der Fokus auf Smartboards und Tablets dazu führt, das weit wichtigere und dringendere Thema Informatik, Programmieren, Verständnis für Programme und Sprachen vollständig zu verdrängen. Dass die Frage der technischen Ausstattung der Schule sozusagen Symbolpädagogik für alles ist, was mit "dem Computer" (und das heißt für die Generation der aktuellen Eltern und Lehrerinnen allzu oft auch noch "dem Internet") zu tun hat. Smartboards da - alles ist gut.

Nix ist gut. An den Schulen meiner Kinder gibt es recht viele Smartboards. Aber keinen qualifizierten oder qualifizierenden Informatikunterricht. Geparkt im Wahlpflichtbereich in der Mittelstufe (Klasse 9 und 10) finden einige wenige uninspirierte und nicht inspirierende Einheiten statt, in denen einfache Spiele programmiert werden. Eine privatempirische Stichprobe in einer zehnten Klasse eines Gymnasiums ergab, dass keiner der Schüler (Mädchen wählten das Fach nicht) sich erinnern konnte, welche Sprache sie benutzt hatten oder warum. Oder für sich hätte behaupten wollen, er hätte was gelernt. Mag Pech sein, das glaube ich aber nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass dann die naturwissenschaftlichen Profile in den Oberstufen es so schwer haben, genug Schülerinnen zusammenzubekommen. Naja.

Ohne bisher Erfahrungen damit gemacht zu haben, finde ich den Weg, den die beiden Oberstufen in Eutin gehen, ganz interessant. In dieser kleinen "Stadt" in Ostholstein werden meine Kinder ab dem Sommer wohl zur Schule gehen. Dort gibt es jeweils naturwissenschaftliche Profile in der Oberstufe, die als eines der beiden profilgebenden Fächer Informatik haben. Ob Informatik eine Naturwissenschaft sei, will ich hier mal nicht diskutieren - aber die Profile werden sehr gut angewählt. Informatik wird hier in der so genannten Eingangsstufe (früher: Klasse 11, heute: Klasse 10) neu aufgenommen, gleich auf einem Niveau, das für Jugendliche interessant ist, gleich mit fünf Wochenstunden, gleich so, dass es auch in die Abiturprüfung läuft. Einer meiner Jungs wird das wählen, dann werde ich es beobachten können. Primus hätte auch Lust dazu, aber da ihm das erste Jahr fehlt, kann er das nicht mehr aufholen, weil sein Informatikunterricht in der Mittelstufe im Vergleich dazu nur Killefitz war.

Fazit, vorläufig: Meine Kinder brauchen keine Computerräume in der Schule und kein iPad oder so einen Kram. Meine Kinder brauchen Lehrerinnen, die selbst wissen, was mit internetbasierten Medien im Unterricht möglich ist. Und meine Kinder brauchen das Angebot eines qualifizierten Informatikunterrichts, der keine Medienerziehung ist sondern eher Fremdsprachenunterricht. Mit den gleichen Abstufungen und Zielen wie anderer Fremdsprachenunterricht - denn nicht alle meine Kinder werden fließend eine andere Sprache sprechen oder gar Bücher schreiben in dieser Sprache. Aber alle sollen Code lesen können und wissen, wie sie rausfinden, wie man da was rausfindet.

Update 30.5.2013
Ich habe den Gedanken noch einmal weitergeführt und in die Bildungsdebatte eingeordnet. Hier entlang, wenn ich bitten darf.

tl;dr
Program or be programmed (Rushkoff)

23.5.13

125 Jahre SPD

Ich bin zweimal aus der SPD ausgetreten und zweimal in die SPD eingetreten. Ich habe jahrelang mit ihr und an ihr gelitten, bin an ihr verzweifelt, fühlte mich und unser Land verraten, bin nach meinem zweiten und sehr traurigen Austritt 1999 dann im Jahr 2000 bei den Grünen eingetreten und dort auch besser aufgehoben.

1988 war ich in der SPD. Da wurde sie 125 Jahre alt. Und ich kaufte diese großartige Schallplatte mit diesem großartigen Lied, das ich von Kirchentagen schon kannte, denn Bots waren wichtig für uns linke, umwelt- und friedensbewegte Christinnen. Willy Brandt lebte noch, klar, denn er lebte ja noch lange genug, um seinen großen Traum und das Ziel seiner am Ende eben erfolgreichen Politik zu erleben: den Fall der Mauer. Ein junger Mann war damals der Hoffnungsträger der Partei, wurde Kanzlerkandidat und vor aufgehender Sonne in die Ferne blickend auf Plakate gedruckt.



Die SPD bleibt meine Herzenspartei. Vielleicht bin ich darum oft so zornig auf sie. Bis heute gehen meine Großeltern jede Wahl in ihren roten Wandersocken die SPD wählen. Das nennt man Tradition.

1988 war ich noch im letzten linken Juso-Kreisvorstand in Hamburg-Wandsbek, bevor Beton-Eugens Vasallen Wandsbek als zweiten Kreis nach Mitte zu "jungen Sozialdemokraten" machten. Bis heute wird mir warm ums Herz, wenn ich die Internationale und Brüder zur Sonne zur Freiheit höre oder mitsinge. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum es absolut ok und nachvollziehbar ist, dass ich heute nicht mehr in der SPD sein kann.

Die Partei prägte das sozialdemokratische Jahrhundert und formte die CDU nach ihrem Bilde. Und verpasste irgendwann den Anschluss an beides: ihre Geschichte und große Tradition und die Zukunft. Vielleicht muss das 25 Jahre später so sein. Und den meisten Sozis, die ich kenne, wird dieses großartige Tondokument oben weder etwas sagen noch positive Gefühle auslösen. Mir schon.

Liebe Tante SPD. Ich mag dich. Auch, wenn ich dich nie wieder wählte seit 1998. Zehn Jahre nach diesem Lied.

14.5.13

Nächste Runde der Disruption

Seit Anfang dieser Woche fahren eine Reihe von Onlinenachrichtenseiten, vor allem solche der traditionellen Verlage, eine Onlinekampagne auf ihren eigenen Seiten gegen Browser-Plug-Ins wie "Ad Block" und ähnliche.

In einer quasi persönlichen Botschaft an Besucherinnen ihrer Seite, die Adblocker installiert haben, bitten sie diese, die Adblocker abzuschalten. Ihre Kernbotschaft: Helft uns, uns zu refinanzieren über Werbung, damit wir weiterhin Nachrichten ins Internet schreiben können.

Was ich spannend fand, war, dass nach meiner Beobachtung die Reaktion darauf fast hälftig zweigeteilt war: Die einen fanden die Botschaft nett und freundlich.

Und die anderen haben sich sehr genau darüber geärgert.

Ich halte die Aktion, nachdem ich sie zunächst charmant fand, für falsch. Einerseits verstehe ich zwar den Punkt, den die Verlage machen (wollen). Und ebenso einerseits arbeite ich ja nun selbst in Kommunikation und "Reklame" (wie einer unserer Kunden Werbung nennt). Andererseits kann aber auch ich die Art der Werbung auf den klassischen Nachrichtenseiten der Verlage nicht ertragen.

Einige Leute, denen ich online zuhöre, haben den Versuch gemacht, ihre Adblocker zu deaktivieren. Für so ungefähr eine Stunde, länger hielten sie es nicht aus - das Geblinke, die grauenhafte Optik, dass sich da was bewegte oder gar Töne von sich gab. Obwohl einige von ihnen und ich ja auch das Argument der Verlage einleuchtend fanden, waren die Erlebnisse mit Werbung dann doch allzu verstörend und eklig,

Insofern scheint mir eher ein (ungewollter?) Nebeneffekt der Kampagne der Verlage spannend zu sein: Dass eine längst überfällig Diskussion über gute und schlechte Onlinewerbung losgeht. Immerhin - was ja auch interessant ist - haben gestern und heute wahrscheinlich eine ganze Menge Onlineprofis (auch aus Kommunikation und Werbung) erstmals seit Jahren Onlinewerbung in freier Wildbahn gesehen. Also das, was Werber vielleicht (hoffentlich nicht, aber ich befürchte, da trügt meine Hoffnung) als State-of-the-art in der Onlinewerbung ansehen. Die meisten Leute, die erfahren mit dem Internet umgehen oder damit ernsthaft arbeiten, haben ja Adblocker (oder, wie ich, Flashblocker) in ihren Browsern. Warum wohl?

Der Schock der grausigen Realität könnte nun zu dieser Diskussion führen: Welche Art von Werbung online ist gut, ist akzeptabel? Jetzt. Oder zukünftig. Immerhin werden die meisten "von uns" ja durchaus im Prinzip wissen, dass Onlinejournalismus und sogar nur bloßes Publizieren online Einnahmen aus Werbung und dergleichen braucht. Denn die einzige Alternative, die Verlagen bisher dazu eingefallen ist, wären Paywalls.

Aber solange wie Verlage und Onlinewerber Ideen und Werbeformen aus der Vergangenheit, also der Zeit, in der Platz knapp war, einfach so auf einen Medienraum übertragen, in dem Platz nicht das Problem ist und in dem ich so schnell weg bin wie ich kam, wenn mir zu viel Geblinke dabei ist. Solange sie sogar noch auf Werbeformen setzen, die sich bewegen, blinken oder Töne spucken, ohne dass ich dafür geklickt hätte. Solange sie also nur nach Gnade rufen ohne darauf zu achten, dass ihre Leserinnen/Zuschauerinnen eine Sehnsucht nach Ruhe und Schönheit haben - solange werden sie unsere Herzen nicht gewinnen.

Immerhin - im Prinzip ist jetzt eine großartige Zeit für Menschen, die kreativ und zukunftsgerichtet über Onlinewerbung nachdenken. Fein, dass diese Diskussion beginnt.

ursprünglich auf Englisch im Text-Blog-Netzwerk Medium veröffentlicht.

Und erst danach gelesen: Tapios Blick auf das Thema von der anderen Seite - eine gute Ergänzung zu diesem Text.