15.3.13

Überschätzte Millennials

Eigentlich ist es verrückt. Denn ich bin nur rund 15 Jahre älter als sie. Das ist gerade mal die Zeit, die Secundus auf der Welt ist. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass Welten zwischen uns liegen. Den in Medien und Literatur so genannten Generationen X und Y.

Schaut euch nur mal den Zeit-Artikel aus der letzten Woche an, der sicher nicht nur in meiner Branche (Beratungsdings) viel ventiliert wurde. Von vielen Millennials las ich Dinge wie: "Guckt mal, so sind wird" oder "Liebe Unternehmen, wenn ihr was über uns wissen wollt". Alles gut. Und ja, ich habe auch sehr darüber geschmunzelt, diese Generation die "Generation Pippi Langstrumpf" zu nennen (was leicht unfair ist, denn die war auch eine Heldin aus unserer Kindheit).

Vielleicht passt es auch sogar besser als beabsichtigt. Denn Pippi macht sich die Welt nicht nur, wie sie ihr gefällt (was im Übrigen nur der Titelsong der Fernsehfilme ist und so inhaltlich in den Büchern gar nicht vorkommt - ich lese die seit über zehn Jahren dauerhaft meinen vielen Kindern nacheinander vor). Sondern verachtet auch Plutimikation. Denn warum sollte sie eine Frage beantworten, die das Frollein ja auch sich selbst beantworten kann. Erinnert ihr euch, oder?

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Bis heute ist mir eine Schlüsselgeschichte ins Gedächtnis eingebrannt. Vor mehreren Jahren. Wir trafen uns. Eine Branchenkollegin, große, renommierte Agentur, die dafür zuständig war, mehrere Juniorinnenstellen zu besetzen. Sie ließ sich auf den Sessel plumpsen und war endgenervt: "Wo sind denn bitte die gut ausgebildeten, neugierigen Akademiker mit halbwegs akzeptablen Manieren, die uns alle versprochen haben?" Nach fünfzehn Gesprächen, zu denen die eingeladen worden waren, die die am wenigsten schlechten Bewerbungen schickten. Nicht eine Kandidatin dabei, die in Frage kam.

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Beinahe ebenso endgenervt schrieb ich selbst eine andere Schlüsselgeschichte schon vor rund zwei Jahren in dieses Blog rein. Über Menschen, die besoffen sind ob ihrer eigenen gefühlten Relevanz. Deren Selbstwahrnehmung ("Ich, Pippi, mache mir die Welt wie sie mir gefällt") und Fremdwahrnehmung ("Du, Pippi, vielleicht solltest du doch mal Plutimikation lernen") auf eine Art und Weise auseinander fällt, die mich immer noch ratlos macht.

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Vielleicht ist es so und die Demografie spielt den Pippis in die Hände. Und vielleicht ruhen sich einige auch auf solchen feiernden Artikeln wie in der "Zeit" aus. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht arbeiten wir  X-erinnen einfach weiter, bis wir achtzig sind, bevor wir uns damit abärgern, Leuten Plutimikation beizubringen (oder auch nur zu erklären, warum es hin und wieder gut sein könnte, zu wissen, was das ist), die glauben, schon alles zu wissen. Vielleicht ist es auch so, dass die Millennials, wie viele in der Babyboomer-Generation, zwischen zwei leistungsbereiten Generationen zerrieben werden. Glücklich, ja. Aber verloren.

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Schon vor über zehn Jahren hatte ich einen Kollegen, der seine Stunden reduzierte. Er hatte es durchgerechnet. 20% weniger Gehalt (brutto) war ihm der eine freie Tag in der Woche wert. Und dann lernte er in der Zeit Segelfliegen. Der war ein Guter. Und ist es bis heute.

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Es muss sich etwas ändern in der Organisation von Arbeit. Und das tut es auch. Das treiben aber gar nicht diese Millennials, die sich gerade für Trendsetter halten - sondern die Menschen, die Kinder bekommen und trotzdem weiter arbeiten (wollen und werden). Die leistungsbereit und leistungsfähig sind und organisiert und erwachsen. Die wissen, was sie können - und einen ungefähre Vorstellung haben von dem, was sie nicht können. Und davon, wie andere einschätzen, was sie können. All das gibt es auch unter Millennials. Ich kenne da auch viele, habe solche auch schon eingestellt. Und vielleicht ist es unfair, diesen Punkt so stark zu betonen. Aber mich stört es massivst, wenn in der Diskussion um die Generation Y, die Pippis, die Millennials immer so getan wird, als wären die (alle) gut ausgebildet oder gar gebildet (im Herzen und im Hirn) - und nur die böse Arbeit mache sie kaputt.

Im Gegenteil: Arbeiten ist gesund. Ich kenne niemanden, die Stress mit der Menge von Arbeit engführen würde. Wenn junge Leute, wie im Zeit-Artikel beschrieben und wie ich es teilweise auch beobachte, häufiger den Job wechseln als andere - dann kann das daran liegen, dass die Firma doof ist. Dann kann das aber auch daran liegen, dass sie selbst doof sind (oder überfordert oder sich für weiter hielten, als sie sind, etc). Das werfe ich ihnen nicht mal vor - denn ihre Ausbildung ist einfach oft ein Witz, wie sollen sie damit etwas können. Vor allem, wenn sie von der Hochschule kommen. Da können sie auch nichts für, denn die Hochschulen haben andere für sie zerstört.

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Als älterer Mensch lerne ich viel von jungen Leuten. Von ihrem Blick auf die Welt, von ihrem Selbstbewusstsein, von dem, was sie sich erträumen. Darum frage ich sie, was sie wollen, wo sie hinwollen. Und ich bilde mir ein, dass - zumindest im beruflichen Kontext - einige junge Leute auch von mir lernen können. Das biete ich ihnen an.

Führung ist vielleicht komplizierter geworden, weil die alten Anreizsysteme out sind und teilweise ja auch wirklich nicht mehr funktionieren. Auch bei mir nicht. Und arbeiten ist an einer Stelle anstrengender geworden - weil es ein hohes Maß an intrinsischer Motivation erfordert. Das war immer schon so, wenn ich glücklich werden wollte bei der Arbeit. Aber heute ist es in den Fokus gerückt.

Darum stelle ich die überschätzten Millennials (und vor allem die, die sich selbst überschätzen) in der Regel vor eine ganz einfache Auswahl: Entweder ihr haltet euch für fertig. Dann seid ihr da angekommen, wo ihr beruflich im Leben ankommen könnt. Wer will schon Karriere, wenn es bequem und gemütlich ist. Oder ihr wollt lernen. Dann freue ich mich, euch als ein Coach dabei zu begleiten.

So oder so:
Hört auf, zu jammern.
Und lebt.
Oder tut was.

Dass ich ganz viele Millennials kenne, die das tun, freut mich sehr.

tl;dr
Ich bin ein alter Sack und finde, die Millennials werden maßlos überschätzt. Vor allem aber überschätzen viele von ihnen sich auf fast groteske Weise.

tl;tl;dr
Ich bin alt und ihr seid doof.

8 Kommentare:

  1. wenn hier von den eigenen leuten gesprochen wird, zeugt es für mich nicht gerade von eigenen ausbilderqualitäten.

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  2. Meine Eltern haben auch hyperventiliert als ich meine Arbeitszeit auf 80% reduziert habe. Wo bleibt denn da die Leistungsbereitschaft? Ich finde die wird überschätzt, gerade in Zeiten, da unsere Arbeitgeber nämlich auch so gar nicht zu Leistungen bereit sind, die über die 12-malige Zahlung eines recht mittelmäßigen Gehalts hinausgehen.

    Das ist wohl auch das, was den jungen gut ausgebildeten usw. gerade auffällt: Man hat gar nicht auf sie gewartet - im Gegenteil sind da immer genug andere - und das läßt man sie wissen. Und daß sich eben nichts geändert hat und es immer noch darum geht, wer am längsten da rumsitzt und beschäftigt aussieht. Also nicht Leistung zählt, sondern das Zeigen von Leistungsbereitschaft im Vordergrund steht. Mir sind all die sehr sympathisch, die das erstmal ganz unkonstruktiv ablehnen und eigene Forderungen stellen. Andere gibts ja schon genug.

    Wenn jemand nix kann, sich aber für den größten hält, ist das natürlich schlimm, aber nach meiner Erfahrung sind das die, sich am besten zu verkaufen wissen.

    *grumpy*

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  3. Aus einem Kommentar zum Thema Anerkennung für Soldaten bei mir:

    Bsp. dazu: In Niedersachsen wird diskutiert, ob das Abi ein Grundrecht sein sollte (kein Scherz) – und meine Studis haben mich letztes Semester gebeten, dass ich ihre Kommilitonen nicht öffentlich loben soll (da haben 2 Leute ausnahmsweise schlaue Fragen gestellt), weil sie sich dadurch zurückgesetzt fühlen, ich solle besser alle loben (auch die die nix gesagt haben).

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  4. Ich kenne ja eher diese Kombination der Anfang- bis Mittezwanziger: Topp qualifiziert, leistungsbereit, aber Grenzen setzend. Junge Leute mit einem Lebenslauf zum Ohrenanlegen (ehrenamtliches Engagement, zweimal Auslandsaufenthalt, Praktika in der Oberliga), die engagiert, initiativ und voll Einsatz sind - aber Feierabend ist Feierabend, tschüss. Wenn meine Chefin es nicht schafft, mir die Aufträge während meiner Arbeitszeit zu geben, ist das nicht mein Problem. Fand ich immer großartig (unter anderem weil ich mir gut vorstellen konnte, dass man mit dieser Haltung auch parallel Familie organisiert bekommt).

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  5. @Sascha
    "In Niedersachsen wird diskutiert"
    Außer diesen Satz in deinem Blog kann ich dazu nichts finden. Link or it didn´t happen.

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  6. @Sophie: Ich versuche zu vermeiden, dass solche bei uns anfangen. Und wenn dann bleiben sie nicht so lange. Und was ich toll finde: Es entscheiden sich immer wieder junge Leute dafür, bei uns was lernen zu wollen, also wirklich lernen zu wollen.
    @Sannie: Ja, eine der großen Herausforderungen ist sicher, das Verkaufen vom Sein zu unterscheiden.
    @kaltmamsell: Das finde ich toll. Und ja, die gibt es auch, das wollte ich andeuten mit beispielsweise dem letzten Satz. Nur nicht nur. Und ich finde es extrem gefährlich, wenn dann so Jubelartikel wie in der Zeit (und im Branchenblatt wuv) erscheinen.

    Und außerdem ist dies ja zusätzlich ein Rant.

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  7. Ich habe den Verdacht, dass das schon auch mit der jeweiligen Branche zu tun hat. Denn die "Millennials", die ich so kenne, sind zum größten Teil Software-Entwickler, die sich (fast) alle durch eine erfrischend gesunde Mischung aus humble & rumble auszeichnen. Und fachlich hochqualifiziert sind die eh, ob nun per Karrierebauplan oder als Autodidakt. Letztere sind mir natürlich die liebsten, bin ja selber einer :)

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  8. @KP das kann sicher sein, ich höre das nur auch nicht zu knapp von einigen Freundinnen, die in ganz anderen Branchen (Versicherungen, Reedereien etc) junge Leute ausbilden/durchschleusen. Vielleicht ist es präziser so, dass es nicht nur bei vielen eine Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung gibt - sondern auch eine große Kluft zwischen denen, die diese Kluft haben, und denen, die du und die Kaltmamsell trefft (und ja, ich treffe von denen auch immer wieder welche. Glücklicherweise)

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