28.2.13

Wer Kundenkritik scheiße findet, sollte den Job wechseln

Gestern plädierte ich dafür, dass zumindest diejenigen, die ein bisschen was von Onlinekommunikation verstehen, auf dieses böse Wort Shitstorm verzichten, das sich bei den Laien für Onlineerregungszyklen etabliert zu haben scheint. Das traf nicht nur auf Zustimmung, beispielsweise im Blog der Kolleginnen von pr://ip und davon ausgehend in der kurzen Googleplus-Diskussion bei Christoph Salzig. Anderen war ich nicht deutlich und zornig genug.

Also werde ich mal etwas deutlicher: Geht's noch?

Mir geht es nicht um das Wort. Mir geht es um darum, dass es Leute gibt, die ein ohnehin nur mäßig komplexes Problem (Leute beschweren sich online) durch eine weitere und überflüssige Komplexitätsreduktion fröhlich weglächeln oder hektisch scheineskalieren. Und das finde ich scheiße. Nicht aber Kundinnenkritik.

robidog
Symbolbild: "Scheiße" (CC BY-SA-2.0 dev null)
Ich kann verstehen, wenn jemand in einem Unternehmen bei 15 Kundinnenbeschwerden auf der Facebookseite "Shitstorm" kräht, weil sie damit sofort die Aufmerksamkeit der Marketingleiterin oder der Geschäftsführung bekommt. Geschenkt. Bin ich Kommunikationsprofi genug, das als akzeptablen Weg im Ressourcenkrieg zu sehen. Aber dann?

Anzunehmen, es ginge bei dieser Entrüstung der Kundinnen um ethische Verfehlungen des Unternehmens? Ums Prinzip? Um eine Welle? Geht's noch?

Oder darum, dass ein Mob anonym drauflos prügelt? Bei 15 Leuten? Mob? Geht's noch? Schon mal im Callcenter des Unternehmens gewesen? Oder schon mal fünf Minuten in der Fußgängerinnenzone in Plön den Leuten zugehört?

Wer Kundinnenkritik scheiße findet, sollte den Job wechseln. Denn nichts anderes als diese Haltung spricht ja aus der Vorstellung, Kritik, und sei es harte und unsachliche Kritik, sei ein Shitstorm. Sagte ich schon, dass es mir nicht um das Wort geht? Sondern um die roten Stressflecken?

Weisere Leute als ich es bin sprechen von einer Kultur des Aushaltens, die ein Unternehmen entwickeln müsse, wolle es in der heutigen Zeit online bestehen. Und nicht von einer Kultur der hektischen Überreaktion und scheineskalierenden Komplexitätsreduktion.

Um es mal klar zu sagen: Leute, die aus Akquisegründen (oder was weiß ich warum) wider besseres Wissen die Wirklichkeit verzerren, um sie so wunderbar plakativ einfach zu haben wie die Kundin sie gerne hätte, finde ich scheiße. Nicht aber Kundinnenkritik.

Wenn ein Unternehmen mit Filialen in jedem Unterzentrum sich von seiner Agentur einen TV-Spot aufschwatzen lässt, der - sagen wir es mal so, wie es ist - scheiße ist. Und wenn dann einige wenige Kundinnen sich beschweren, das Unternehmen würde damit Tierquälerei unterstützen. Und wenn dann einige wenige Aktivistinnen von Tierschutzorganisationen eine kleine und wenig erfolgreiche Onlinekampagne starten. Dann ist das vielleicht doof gelaufen. Dann ist das vielleicht auch echt unangenehm. Aber dann ist das kein Shitstorm. Und auch - zumindest von den Kundinnen - echt nicht scheiße.

Mir ist im Grunde egal, welches Wort ihr benutzt, wenn ihr massive Erregungen, die sich in kurzer Zeit online hochschaukeln, beschreiben wollt. Echt. Aber hört verdammt noch mal auf, mit diesem Wort auch all das zu belegen, was normale Kommunikation von zornigen, enttäuschten oder engagierten Menschen ist. Wer Kundinnenkritik nicht aushalten kann und in die Nähe von Scheiße bringt, hat den falschen Job. Und wer das als Beraterin nicht korrigiert, versagt. Punkt.

Und dann zum Schluss noch eine kleine Anmerkung zu einem mit dem S-Wort verwandten Thema, das immer wieder von den gleichen Leuten in diesen Diskussionen kolportiert wird: zur angeblichen Enthemmung der Menschen und ihrer Kritiktonalität durch Facebook & Co.

Geht's noch??

Wer auf die Idee kommt, dass die - zugegebenermaßen oft etwas derben und unfeinen - Formulierungen von Menschen im Rahmen ihrer online geäußerten Kritik "enthemmt" seien, hat wahrscheinlich in den letzten dreißig Jahren noch nie mit Menschen zu tun gehabt. Menschen sind so. Und reden so. Ja, du auch, wenn niemand zuhört. Siehe oben. Die Sache mit Plön (und nix gegen Plön, einige meiner besten Freunde stammen aus Plön). Fragt mal eine Lokalpolitikerin, die unterm Sonnenschirm in jener Fußgängerinnenzone steht, wie zivilisiert sie die (hier tatsächlich!! anonymen) Kommentare der Vorbeilaufenden findet.

Kinners! Das, worum es geht, ist nicht so komplex, dass ihr dafür ein untaugliches Dings braucht, um es so zusammenzufassen, dass ihr überhaupt nicht mehr sehen könnt, was da passiert und wie ihr damit umgehen könnt (Geheimtipp: hat viel mit Erfahrung, Hirn, Herz und so zu tun). Anstatt "Shitstorm" zu krähen, könnten wir ja einfach mal überlegen, ob es nicht eines von beispielsweise diesen drei Dings sein könnte, was da passiert:

  • Eine Kundin/Konsumentin beschwert sich zu recht oder unrecht. Und weil tatsächlich was schief lief, machen das mehrere.
  • Kundinnen/Konsumentinnen solidarisieren sich mit einer Kundin/Konsumentin, die sich - zu recht oder zu unrecht - beschwert.
  • Aktivistinnen fahren eine Onlinekampagne.
Merkt ihr selbst, nä?

27.2.13

Stopp!

Um es vorweg zu sagen: Dies war ein guter Kongress mit spannenden Beispielen und guten Teilnehmerinnen. Hervorragend organisiert, Spaß gemacht. Und dass ich gemeinsam mit eBay was vorstellen konnte, hat ihn ja auch nicht gerade abgewertet. Handel ist außerdem eine sehr interessante Branche.

Ein Thema zog sich beide Tage durch diesen Kongress: Zoschil Midia. Das macht (auch) im Handel inzwischen einen signifikanten Teil der PR aus, auch wenn es teilweise schön wäre, wenn Marketing und PR enger zusammen arbeiten würden oder gar ihre Grenzen aufgeben, aber das ist eine andere Geschichte.

Nur eines hat mich wirklich sehr irritiert. Und nach sehr kurzer Zeit habe ich darum eine Strichliste begonnen, wie oft das Wort Shitstorm vorkam, wie oft es also jemand erwähnt hat. MIt Bleistift, auf kariertem Hotelpapier:

Strichliste auf dem PR-Kongress des EHI

Grob gesagt verhielt sich die Menge der Erwähnungen des Wortes exakt umgekehrt proportional zu Erfahrung mit und positiver Haltung zu Social Media bei den Erwähnenden. Das mit den Kartoffeln und Bauern, u know. Und ulkigerweise war es nicht mal überwiegend aus Angst geboren oder zur Abwehr gebraucht. Nur eben zigmal erwähnt. Nur: Warum? Wir haben uns durchaus mit einigen Krisen und Herausforderungen beschäftigt diese Tage - aber mit keiner Massenentrüstung.

Vorschlag zur Güte und Bitte an alle, die sich schon etwas länger mit Social Media in der Kommunikation beschäftigen, und an alle, die über so etwas journalistisch berichten: Lasst uns ein Moratorium machen.

Lasst uns das Wort nicht mehr nutzen. Denn zum einen werden wir daran dann unterscheiden können, wer ein bisschen Ahnung hat und wer nicht. Und zum anderen sind wir für andere (hoffentlich) manchmal auch Rollenmodelle - und können helfen, diesen absurden, falschen, doofen Begriff wieder in der denglischen Subkultur verschwinden zu lassen, wo er hingehören könnte. Wenn überhaupt.

Vorschlag zur Güte für alle Unternehmen und Marken, die Unterstützung und Beratung bei Agenturen und Beraterinnen einkaufen: Setzt das Wort auf euren Bad Word Filter und alle, die es weiterhin benutzen, auf die Blacklist (ich weiß, dass es die bei vielen von euch gibt) derer, mit denen ihn nicht arbeiten wollt.

An der Verwendung des Wortes werden wir uns in Zukunft differenzieren können - so wie vor ein paar Jahren an der Revolutionsrhetorik. Und dabei fasse ich mich auch an die eigene Nase, immerhin führt unser ruhender Brouhaha-Podcast aus SEO-Gründen zurzeit auch noch dieses Wort im Titel.

19.2.13

Wer A sagt

... muss gar nichts. Aber wer A sagt, um etwas ändern zu wollen, kann dann auch mal A rufen. Mache ich jetzt.

Nur kurz zur Erinnerung: ich schrieb am 16.11.2012 unter der Überschrift Von Pubertät und Podien mal auf, was mir an Veranstaltungen und den üblichen Alphamännlein nicht passt, die da rumturnen. Und stellte mir selbst Regeln auf. Unter anderem:
3. Ist die (in der Regel ja obligatorische) Diskussionsrunde mit mindestens 40% Frauen besetzt? Dann komme ich gerne. (Blogpost)
Und ich mache gute Erfahrungen mit der Auswahl der Dings, auf denen ich spreche. Beispielsweise kommende Woche beim PR Kongress des EHI, der gut und ausgeglichen besetzt ist und sogar spannende Themen bietet. Die Social Media Week Hamburg als Großformat ist auch gut, unterschiedlich, variantenreich von den Methoden und so weiter. Darum habe ich auch gerne zugesagt, als ich damals angefragt wurde, ob ich an einer Markenkommunikationsdiskussionsrunde teilnehmen wolle. Denn Markenkommunikation finde ich gut. Und weiß ich was zu. Und hab ich Erfahrung und so.

Dann ging es in die Detailplanung. Also schrieb ich am 4.1.:

Übrigens gehe ich davon aus, dass da noch Frauen aufs Panel kommen, oder? ... Ich nehme ja eigentlich nicht mehr an Podien teil, auf denen keine Frauen sind :)
Und der Organisator kannte auch meine Selbstverpflichtung, wir kennen uns und arbeiten hin und wieder zusammen seit vielen vielen Jahren. Es blieb bei der ursprünglich angedachten Alphamännerrunde. Sehr groß übrigens. Und sozusagen nur Agenturen (ok, und ein Inkubator und der Gastgeber).

Hiermit sage ich meine Teilnahme an der Runde ab.

Es mag Themen geben, bei denen es keine Frauen gibt, die Lust hätten, auf ein Podium zu klettern. Aber bei diesem Thema? Eher nicht. Ohne Recherche fallen mir allein aus Hamburg spontan einige ein, mit denen ich auch schon zusammen gearbeitet habe, von denen also sogar ich beurteilen kann, dass sie gut sind, und mit dem Lob bin ich ja nun nicht beliebig freigiebig: Claudia SommerIna SteinbachSanja Stankovic, Nina Galla. Oder etwas weiter geguckt über den lokalen Tellerrand, es kommen ja auch Leute von woanders auf dieses Podium, gleiches Kriterium (schon zusammen gearbeitet, für gut befunden): Claudia Hilker (ohnehin zur SMWHH hier), Stefanie Babka (Kundin) - und das sind jetzt mal nur die allerersten sechs, die mir eingefallen sind. Ein bisschen Recherche bei einer Podiumszusammenstellung kann da bestimmt Wunder wirken.

Nein, hier besteht keine Not, ein rein männliches Panel zu machen. Das ist nach meiner Meinung Nachlässigkeit, auch wenn das Torsten Panzer, der es moderieren wird, anders sieht, sagt, es sei ihm nur um Kompetenz gegangen, nicht um Geschlecht. Nur: So ändert sich nichts, wenn dir nicht eine einzige kompetente Frau eingefallen ist, obwohl es so viele gibt. Es hat verdammt noch mal auch etwas mit Wahrnehmung der Realität zu tun. Was ich übrigens doppelt schade finde, weil insgesamt die Ausgewogenheit bei der Social Media Week extrem gut ist - und eben sehr viele Frauen sprechen und was anbieten. Nur bei diesem Thema nicht? Nun, dann mache ich bei der Realitätsverzerrung eben nicht mit.

Vielleicht ändert sich dann mal was. Auch wenn ich zwar eitel bin aber nicht so eitel, anzunehmen, dass ich so wichtig sei, dass meine lautstarke Absage allein etwas ändern könne. Nur muss ja irgendwer anfangen.

18.2.13

Blogt! Mehr! Neu!

Heute vor zehn Jahren habe ich mit etwas angefangen, das ein Experiment war. Und das mein Leben verändert hat. Ich wurde Blogger. blogger.com gehörte noch nicht zu Google, antville nahm gerade keine neuen Blogs auf, die anderen Plattformen gab es noch nicht. Ich war in einer schwierigen Lebensphase, darüber hab ich vor fünf Jahren geschrieben, als ich diesem Blog zum Geburtstag gratulierte.

Das Zerbrechen und Wegdämmern und dann Sterben meiner Mutter war immer ein Thema hier, meine wachsende Familie ein anderes. Zwei verschiedene Häuser habe ich in der Zeit gebaut, zwei Aufgaben, die mehr als Jobs waren und sind, habe ich dank des Blogs übernommen. Nacheinander. Logo. Erst bei Edelman, dann bei achtung.

Einige wenige werden bei 10 Jahren gähnen, aber wie ich irgendwann später rausfand, war Bloggen in Deutschland damals noch eher neu. Endlich war ich irgendwo mit mal früh genug dran, um was draus zu machen, 2000/2001 mit der Chatcenter-Idee kam ich ja zu spät, da war schon kein Geld mehr zu bekommen (und es hätte auch nicht funktioniert damals, heute ist so was ja normal, tja, so kann's gehn, dabei hatten Kalle und ich so einen tollen Firmennamen ausgedacht, aber das ist eine andere Geschichte).

Was ich toll finde: einige wenige aus der allerersten Anfangszeit sind immer noch aktiv und mehr oder weniger in Kontakt mit mir. Die, die aus der Keimzelle, jener legendären brandeins-E-Mail-Diskussionsliste kamen, die aus der Cluetrainausgabe entstanden war damals. Zehn Jahre danach hatten sich ein paar von uns, die noch Kontakt hielten, in der Redaktion getroffen. Und tatsächlich: Ohne diese Zeitschrift, ohne Cluetrain und ohne die Diskussionsliste gäbe es dieses Blog hier nicht. Wäre, hätte, könnte - aber für das, was in meinem Leben aufgrund des Blogs und des Bloggens passiert ist, bin ich dem Team der brandeins dankbar. Und Oliver Baer, auch wenn der in diese mich unangenehm berührende Sprachpurismus-Ecke abgedriftet ist.

Bis heute hilft mir das Bloggen beim Denken. Es zeigt mir die Entwicklungen auf, die mein Denken und Handeln und Fühlen genommen hat. Und das sind in zehn Jahren ja durchaus so einige. Es ist mein Wohnzimmer, mein Eigenheim in dieser Ecke des Internets. Mit einer größeren Adress-Stabilität als das Eigenheim in der Kohlenstoffwelt. Was wiederum lustig ist, irgendwie.

Und weil ich ja über ein ungewöhnlich großes Sendungsbewusstsein verfüge, wünsche ich mir zum Bloggeburtstag, dass möglichst viele von euch, die das hier lesen, anfangen zu bloggen (oder es weiter machen). Das ist mir wichtig. Blogs sind toll. Echt. Und sind eine wichtige Form der Kultur in diesem Internetz. Vielleicht die wichtigste der letzten paar Jahre. Sie fördern Sprache, Denken, Diskurse (nicht zwingend Diskussionen, aber die folgen oft auf Diskurse). Sie können euch helfen, erwachsen zu werden, so ging es jedenfalls mir. Blogt! Mehr! Neu! Echt jetzt mal!





Und zum Schluss noch eine Opa-erzählt-vom-Krieg-wir-hatten-ja-nix-anderes-Geschichte aus der Vor-Twitter-vor-Facebook-Zeit:

Damals, wir hatten nichts anderes als unsere Blogs, waren die für uns Alte so was wie heute Twitter oder für meine Kinder Facebook. Darum waren die Posts auch so kurz, also nicht immer, aber durchaus ein bisschen häufiger. Und schrieben wir auch manchmal mehrmals am Tag, so wie heute auf Twitter, wisst ihr Bescheid.

Und wenn ich zum ersten Mal eine andere Bloggerin traf, die ich las, war es so wie heute mit Twitter. Es fühlte sich an, als würden wir uns schon ewig kennen. Wir fingen mit dem Reden da an, wo wir kurz vorher, als wir losgingen, wir hatten ja noch quasi kein mobiles Internet, aufgehört hatten, zu lesen. Und es stellte sich heraus, dass Menschen, die ich gerne lese, auch fast immer Menschen waren, die ich gerne um mich habe. Bis auf den einen wirklich bösen (also im Sinne von wirklich böse) Menschen, aber das merkte ich erst sehr viel später und das ich eine andere Geschichte.

Sagte ich schon, dass ich Blogs toll finde?

10.2.13

It's strategy, stupid

Strategische Beratung. Ein Traum für viele jüngere Kolleginnen, mit denen ich zu tun habe im Berufsalltag. Und das zu Recht: denn Kommunikationsstrategien oder Strategien für Social Media zu entwickeln, gehört zu den schönen Dingen im Kommunikationsberuf. Um so überraschter bin ich, was oft als "Strategie" durchgeht. Sowohl, wenn ich beispielsweise von Unternehmen dazu geholt werde, um eine bestehende Strategie zu überarbeiten oder weiterzuentwickeln. Als auch, wenn ich höre oder erlebe, was hin und wieder die eine oder andere unter Strategie versteht.

Etwas holzschnittartig und leicht angeschärft (denn das hier soll anonymisiert sein, denn mir geht es nicht darum, ob und wie ich Arbeit von anderen kritisiere, sondern darum, einmal wieder darauf hinzuweisen, was Strategie wäre und was eher nicht), erlebe ich sehr oft, dass Leute etwas als "Strategie" bezeichnen oder als "strategisch", das eher einem bunten Strauß mehr oder weniger kreativer Ideen gepaart mit ein paar lehrbuchartigen Allgemeinplätzen entspricht.

Besonders absurd wird es, wenn - beispielsweise in einem Strategiepitch - jemand als quasi ersten Input zu einem strategischen Prozess ein Ergebnis vorstellt oder Maßnahmen oder Kreationen. (Und glaubt mal nicht, dass das so selten vorkommt.)

Auch, wenn dies ebenfalls selbst ein Allgemeinplatz ist: Strategie hat sehr viel mit Analyse und sehr wenig von vorgefertigten Positionen zu tun. It's strategy, stupid.

Rund um die Entwicklung von Kommunikation habe ich vor Jahren schon (und ja, das ist auch nur mitteloriginell, ich weiß, das postulieren manche und ja, alle, die mit Software zu tun haben, kennen das Modell zur Genüge, aber ihr glaubt nicht, wie oft es trotzdem immer noch und immer wieder Menschen überrascht und neu für sie ist, weil sie bisher überwiegend mit Kommunkatorinnen zu tun hatten, die nicht so arbeiten, darum verzeiht bitte, dass ich es noch mal vorzeige hier) das Modell des "agile development" übertragen, das in etwa so funktioniert:


Nun lässt sich Kommunikation auch anders entwickeln. Strategie aber nur sehr selten, das ist meine Erfahrung zumindest aus den letzten acht Jahren Strategieentwicklung für Social Media. Kommunikation und noch mehr Strategieentwicklung ist ein agiler iterativer Prozess, den ich als Berater, als Agentur steuere - aber nicht alleine gestalte.

Weshalb - auch wieder etwas holzschnittartig - strategische Empfehlungen auch nie ohne eine gemeinsame Arbeit mit der Kundin an einem konkreten Thema ausgesprochen werden können. Vielleicht ist das sogar der eigentliche Test, ob etwas strategisch ist oder nur taktisch oder gar komplette Scharlatanie: Ist es aus der Arbeit, aus dem Gespräch mit der Kundin entstanden? Oder nur aufgrund eigenen Nachdenkens? Kommt jemand "aus dem Off" mit einer Strategie? Oder leitet sie die Kundin durch einen Prozess, in dem diese zu einem guten Teil selbst entdeckt, was die Strategie sein mag, flankiert mit etwas "outside in", also mit der Erfahrung aus anderen Strategieprojekten?

Das irre ist: strategische Beratung ist von allen Beratungsjobs der mit dem meisten Kontakt zu Menschen. Nur wer Menschen mag und gerne direkt mit ihnen arbeitet, kann strategisch beraten. Autistinnen mit einem Faible für die Schriftform haben nicht mal die Chance, gute strategische Beraterinnen zu werden, denke ich. Strategie ist Erotik.

Aus der Kritik des Ist-Zustandes zu "strategischen Empfehlungen" zu kommen, ist nahezu nie möglich. Außer ich arbeite seit Jahren mit der Kundin und bin ohnehin in einem ständigen Arbeitsaustausch. Stattdessen führt nach meiner Erfahrung ein agiler Prozess sehr effizient (und damit auch zeiteffizient) zu guten und operationalisierbaren Strategien.

Was heißt das konkret, beispielsweise für eine Social-Media-Strategie?
  • Analyse und Briefing: Alles anlesen, was geht. Von der Kommunikationsstrategie über die Unternehmensstrategie (wo möglich), die Mediastrategie, die Zielgruppenanalyse bis zu den Erfahrungen und Ergebnissen der bisherigen Arbeit.
  • Workshop: Nicht nur einmal. Und teilweise in großer Besetzung, mit Teilnehmerinnen aus allen auch nur entfernt relevanten Bereichen, am besten zusammen mit denen, die das gesamte Thema irgendwann stoppen könnten. Ziele, die in solchen Runden entwickelt werden, sind aller Erfahrung nach robust genug, um die Basis einer Strategie zu werden. Und auch die Vision und die Haltung lassen sich aus den Workshops meistens gut extrahieren.
  • Gemeinsame Arbeit: Im Kämmerlein (jetzt erstmals!), mit Feedbackschleifen, mit Input von außen und von innen. Das ist anstrengend. Echt. Aber das lohnt sich.
So kommen wir in den allermeisten Fällen zu einer tragfähigen Strategie übrigens. Und das macht Spaß. Da kann ich jede verstehen, die das als Traumjob empfindet.