16.1.13

Manipulation

Nur ein kurzer Zwischenruf. Ich dachte, dass auch dieses Thema, ähnlich wie so viele feministische, seit den 80ern fertig ausdiskutiert wäre und wir uns der Arbeit zuwenden können. Aber das stimmt leider nicht. Seufz. Aber vielleicht ist es die Aufgabe von uns Alten, es nicht nur an unsere Kinder weiterzugeben sondern auch immer und immer wieder denen zu erzählen, die damals diese Diskurse nicht mitbekommen haben oder zu jung waren, sozusagen die Zwischengeneration.

Denn wir, die wir damals geprägt wurden und die Diskurse und Argumente mitbekamen, haben uns um euch nicht gekümmert, wie das immer so ist. Vielleicht hätten wir es tun sollen, dann müsstet ihr euch jetzt nicht in so positivistischen Bewegungen wie den Piraten oder so sammeln. Denn vor dem Positivismus und dem Affirmatismus (so will ich es mal nennen) hilft vor allem eine solide Unterrichtung im kritisch-materialistischen Diskurs. Dies mit der Herrschaft, you know. Dass es keine Nicht-Herrschaft gibt, dass es wichtig ist, zu gucken, welches Argument eher (positivistisch) die eigentlich als verbesserungsfähig erkannten Realitäten stützt. Und welches sie zu verändern hilft.

Genug der Vorrede. Es soll um eines der irresten und irre erfolgreichen Manipulationsinstrumente gehen, das der Affirmatismus (also die positivistisch auf die Erhaltung des Existierenden ausgerichtete Haltung) in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Das scheinemanzipatorische oder scheinfortschrittliche Zeigen auf Das Große Ganze. Was ist welches Problem schon, verglichen mit Hungesnöten im Suden oder Hodenkrebs (um mal ein Filmzitat aus einem meiner Lieblingsfilme zu erwähnen, das dort nicht umsonst ein masturbierender Waliser sagt, aber das ist eine andere Geschichte).

Willkürlich herausgegriffen dieser Tweet von der geschätzten (wirklich!) Kollegin Nina Galla, bestimmt aus purem Zufall an dem Tag, an dem der Kommentar über den Sexismus der Piraten, über den seit Sonnabend diskutiert wurde, online war.
Innerhalb von 15 Minuten 6 Retweets und 4 Favs, bestimmt inzwischen mehr. Und das Perfide an dieser Manipulation, der Nina da methodisch aufgesessen ist, ist ja gerade, dass dieser Satz prinzipisch stimmt. Stünde er nicht im Zusammenhang mit einer kurzen, heftigen Diskussion, zu der dieser Satz gehört (und Nina ist ja, auch als sie noch bei den Grünen war, eine glühende Gegnerin quotierter Redelisten etc gewesen, was sie auch öffentlich bekannte, weshalb es sicher erlaubt ist, dieses hier in den Kontext zu stellen) -
Das Problem ist, dass sich die Vertreterinnen des Affirmatismus ins Fäustchen lachen. Denn wenn ich beispielsweise eine Redeliste ablehne, die strukturelle Machtverhältnisse korrigieren will, indem sie streng quotiert ist, mit dem Argument, es müsse darum gehen, "auf alle Diskriminierungen (zu) achten", wird keine Diskriminierung bekämpft. Wunderbar für die, die es nicht ändern wollen. Und übrigens der strategische Fehler des organisierten Marxismus bis in die späten 70er hinein, der die "Frauenfrage" als "Nebenwiderspruch" verunglimpfte, um die Machtstrukturen zu erhalten, die so bequem waren. Denn, so postulierte es der Marxismus, und so postulieren es heute die Piraten in der gleichen totalitären (im Sinne von "die Situation total erklären") Art des Denkens, eigentlich sei die Frauenfrage ja zusammen mit der Frage des Privateigentums (Marxismus) oder der Basisdemokratie (Piraten) gelöst.

Die eine oder andere kritisiert mich ja, wenn ich diesen manipulierten Stil als "pubertär" beschimpfe. Aber wer sich einmal mit Emos (was ja nur die radikale Variante ist) oder auch nur mit normalen sensiblen und sich links (im Sinne von: gegen Ungerechtigkeit und die Schlechtigkeit der Welt eingenommen) fühlenden Jugendlichen unterhält, wird feststellen, dass es ein hartes Stück Arbeit ist, aus der Verzweiflung über Das Große Ganze, die einen lähmt, in die Aktion für einen Teilaspekt zu kommen. Das würde ich (vielleicht etwas unfair) als den Übergang von einer pubertären zu einer erwachsen werdenden Haltung bezeichnen.

Am Ende ist die Haltung, die Nina da twittert, vor allem eines: ein Vorwurf an die, die sich auf ein Problem konzentrieren. Also gegen die, die an einer Stelle etwas ändern. Und nicht zuerst Hodenkrebs besiegen und den Hunger im Sudan. Sondern sich erdreisten, die Hälfte des Himmels zu fordern. Und das hier auf der Erde.

Der Marxismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat denen, die sich einer Unterdrückung widmeten, oft Partikularismus vorgeworfen. Aber der Totalitarismus hat bisher immer nur denen genutzt, die nichts ändern wollten, oder zumindest nichts zum besseren ändern. Und wenn der Totalitarismus noch nicht mal aus einem geschlossenen Weltbild kommt, ist er nur noch ein Zerrbild seiner selbst. Und nutzt und hilft nur denen, die nichts ändern wollen. Und damit ist er auf deren Manipulation hereingefallen.

Dass die Rechte Gramsci intensiver gelesen und besser verstanden hat als die Linke, ist nicht neu. Besser macht es das nicht. Und wer sich in diesem Sinne aus einer emanzipatorischen Haltung heraus, die in der Pubertät stecken blieb, vor ihren Karren spannen lässt, mit der werde ich mich ganz lange streiten. Wenn ich sie nicht aufgeben will.

(ganz und gar nicht feministischer Lesetipp: Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch)

3 Kommentare:

  1. Nina Galla17.1.13

    Lieber luebue,

    ich lese deinen Post mit einer Mischung aus Amüsement, Irritation und Verärgerung. Und ich kann das so nicht stehen lassen:

    1. Leider hast Du meinen letzten Tweet als Reaktion auf Deinen dortigen Wortschwall hier ausgelassen: Den Hinweis, dass ich fürchte, Du verstehst mich miss und dass wir gern streiten können, aber das Thema für 140 Zeichen einfach zu schwierig ist.

    2. Amüsement: Du stellst hier Zusammenhänge her, die zumindest in meinem Kopf gar nicht stattfinden. Und ja, es ist tatsächlich Zufall, dass ich gestern (übrigens: mal wieder) etwas zu allgemeinen udn auch umgekehrten sexistischen Diskriminierungen schrieb, als auch der Artikel der Frau M. aus B. online ging. Den hatte ich nämlich schon am Montag gelesen, überhaupt ist mir der ganze Sachverhalt schon lang bekannt. Im übrigen habe auch ich mich schon vor mehreren Wochen persönlich für die mir bekannten Vorfälle aus den Reihen meiner Partei bei ihr entschuldigt. Tatsächlich hatte der Tweet einen Anlass, der ganz woanders liegt.

    3. Ich bin irritiert: Weil Du mir oben eine Motivation und vor allem Manipulation unterstellst, ohne meinen Gedankengang dahinter zu kennen. Du hast Dich nicht mir mit unterhalten und weißt nicht, wie ich zu diesen Gedanken komme und was mich tief im Herzen motiviert. Das sind 140 Zeichen auf Twitter! Du als Fachmann weißt doch genau, wie wenig sich auf Twitter kommunizieren lässt. Dieser Punkt ist aber tatsächlich mein Fehler, denn ich habe es trotz besseren Wissens versucht.

    Ich mache mir meine Gedanken zum Thema Feminismus, Gleich-berechtigung, Gleichstellung, Integration & Inklusion, ich spreche auch mit anderen Menschen, zum Beispiel auch mit Frauen unserer Elterngeneration, die mir nochmal einen ganz anderen Blick auf die heutige Bewegung gegeben haben - und alles, was ich daraus schließe ist stets motiviert von einem tiefen, emotionalen Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Ich übelege hin und wieder, mich stärker zu dem Thema zu engagieren oder einfach mal einen Blogbeitrag dazu zu schreiben, und jedes Mal hält mich ab, dass es eigentlich nicht mein Herzensthema ist, dass ich daraufhin Diskussionen wie diese hier führen muss und as hält mich ab von Dingen, die ich eigentlich tun WILL. So wie jetzt. Denn eigentlich habe ich eine Menge Arbeit auf dem Tisch: bezahlt und ehrenamtlich.

    4. Mich ärgert darüber hinaus eine ganze Menge an dieser Polemik und dass Du mich in Deine ungeliebte Piratenschublade steckst, ohne zu differenzieren. Jedoch zeigen mir Deine Unterstellungen auch, dass Du eine Menge nicht von mir weißt und dann liegt es wohl an mir, noch deutlicher klar zu machen, dass ich weder manipulierbar bin, noch ein Interesse daran habe, aktuell bestehende Machtstrukturen am Leben zu erhalten.

    Was Du nämlich übersiehst: Wir haben überhaupt keinen Zielkonflikt.

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  2. Schade - eine inhaltliche Replik auf den Blogpost hätte mich wirklich sehr interessiert, liebe @neina_hh !

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  3. Das ist eine gute Beschreibung des Phänomens, mal von dem tatsächlich intendierten Inhalt abgesehen...

    Aber die Frage die sich mir immer an dieser Stelle gestellt hat ist: warum schließen sich totalitäre Ablehnung und partikulares Engagement aus?

    Auf gut deutsch: natürlich ist ALLES auf der Welt bekotzt und es gibt keinerlei(!) Hoffnung, dass sich das nochmal gibt. Mit Sicherheit nicht zur Lebenszeit unserer Urenkel...aber warum heißt das auf einmal das ich mich nicht mehr kümmern brauche?

    Im Grunde ist der Mensch doch dazu verdammt nach Perfektion zu streben, sie (definitionsgemäß) nie zu erreichen und beim Versuch elendig zu verenden...

    Das ist halt so...warum ist das ein Problem? Warum müssen Menschen motiviert werden? Das sollte doch die Ratio erledigen...

    Dieses Sinnsuchende hat sich für mich mit dem Humanismus erledigt. Reicht es nicht als Sinn des Lebens Teil einer (wirklich limitierten) Maschine namens Existenz zu sein? Ab und zu mal auf die Sterne gucken muss genügen, wer mehr will ist gierig...;)

    Grüße

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