31.12.12

Von Heiden und vom Gericht

In der heiligen Nacht habe ich auf Twitter und Facebook - wie auch schon mehrfach vorher zu diesem und ähnlichen Anlässen - was geschrieben, das darauf hinwies, dass dieses ein christliches Fest sei. Mit all den Implikationen, die das hat. Bewusst etwas kontrovers geschrieben. In diesem Fall: "Gut für die Christen. Doof für die Heiden". Übrigens fast wörtlich die Formulierung, die ich letztes Jahr auch gewählt hatte. 

Dieses Mal hat das Reaktionen hervorgerufen. Beispielsweise auf Facbeook diese beiden Kommentare von +Erik und +Timo. Beide haben zugestimmt, dass ich ihre Kommentare hier reinschreibe oder vielmehr als Bild einbinde: 

(Screenshot von Facebook, 26.12.2012, 16.37 Uhr)

Was ich daran interessant finde: Die beiden Kommentare sind zwar sehr unterschiedlich aber doch im Ton ähnlich - in ihrem Unverständnis für das, was ich da schrieb. Vergleichbar waren auch einige Reaktionen auf Twitter auf den gleichen Satz. Bis hin zu der Frage, ob das nicht eher wie die Zeugen Jehovas klinge.

Aber ehrlich: Ich meine den Satz tatsächlich ernst. Und denke schon, dass ich die Weihnachtsbotschaft verstanden habe, so weit ich als Mensch sie verstehen kann, Erik. Und nein, Timo, ich bin weiß Gott nicht katholisch - aber lutherisch (was ein lebenslanger Konflikt mit meiner reformiert geprägten Frau ist, gemischtreligiöse Ehen, you know).

Allerdings gehöre ich unter den Lutheranerinnen zu denen, die sich weigern, die Sperrigkeit der Botschaft der modischen Wohlfühlideologie theologisch anzupassen. Denn mein Glaube und unsere Religion ist eben kein Kinderkram, kein Kinderglaube - sondern liegt quer zu den Selbstverständlichkeiten dieser Welt. Vor allem aber zielt er, obwohl es sehr, sehr wichtig ist, wie wir diese Welt gestalten und wie wir in dieser Welt das Reich Gottes (also die Gerechtigkeit, jetzt mal etwas holzschnittartig formuliert) erfahrbar machen, trotzdem also zielt er auf die andere Welt, auf die jenseitige Welt, die nach dem Tod in dieser Welt kommt. Das mag dem einen oder der anderen merkwürdig vorkommen, aber tatsächlich ist eine der wichtigste Triebfedern für das Handeln (und teilweise gar für das Glauben) in dieser Welt für viele Lutheranerinnen und auch für mich das Leben in der Ewigkeit, das uns verheißen ist.

Anders als viele moderne Theologinnen und anders als vor allem die reformierte (calvinistische) Tradition, geht die lutherische Orthodoxie, in deren theologischer Tradition ich stehe, nicht von der so genannten "Allversöhnung" aus, also von der kindischen Vorstellung, dass alle Menschen das ewige Leben erlangen werden und Gott alle Menschen nach ihrem Tod in das Paradies führen wird.

Im Gegenteil. Ich glaube, dass viele Menschen in die ewige Verdammnis gehen werden nach ihrem Tod. Nämlich alle die, die ich "Heiden" nenne. Warum sollten Menschen gerettet werden, die die Botschaft vom Erlösungswerk Gottes aktiv verwerfen?

Gott möchte, dass alle Menschen gerettet werden, das ist auch die Weihnachtsbotschaft. Dass Gott Mensch wurde, so dass die Zweiflerinnen es glauben konnten. Ihn anfassen. Dass Jesus gelebt hat, ist ja weitgehend unstrittig in der Forschung. Dass er der Christus war, ist etwas, das wir glauben können oder nicht - aber nichts, was Menschen in unserem Land nicht wissen könnten, wovon sie noch nie gehört haben. Das so genannte Erlösungswerk Gottes, das allen Menschen gilt, ist ja eben dies: Dass er seinen Sohn, ganz Gott und ganz Mensch, geschickt hat. Dass alle Menschen, die nach Jesus gelebt haben und leben, die Chance haben sollen, von ihm zu hören und an ihn zu glauben. Darum übrigens konnten Leute gerettet werden, die anderen Religionen angehörten - bevor Jesus geboren wurde oder wenn ihnen nie jemand von Jesus erzählte. Denn die sind und waren keine Heiden in diesem Sinne. Sie konnten ja nicht von Jesus Christus wissen.

Aber so haben wir die Wahl, zumindest alle, die von Jesus und seinem Geborenwerden, Leben und Sterben gehört haben. Entweder wir glauben es - dann können wir, ein Leben vorausgesetzt, das nicht in Widerspruch zu seiner Botschaft steht, nach unserem Tod darauf vertrauen, dass wir das ewige Leben bekommen. Oder wir glauben es nicht, sind Heiden - dann werden wir, egal wie wir gelebt haben, leider nicht durch das Gericht kommen. Denn, das ist die wichtigste Botschaft, die die Reformation Luthers wiederentdeckt hat, nachdem die Papisten sie verschüttet hatten, allein der Glaube ist der Schlüssel zum ewigen Leben. Sozusagen (mathematisch gesprochen) die notwendige Bedingung, wenn auch keine hinreichende. Das ist gemeint, wenn Luther im Anschluss den Römerbrief des Paulus und an die Interpretation des Augustinus formuliert, wir würden "allein aus Glauben gerecht".

Darum sage ich, Weihnachten sei "doof für die Heiden". Also für alle* die, die - obwohl sie es besser wissen könnten - Jesus nicht als den Christus ansehen. Nach Weihnachten und dann später nach Karfreitag gibt es die Ausrede nicht mehr, ich hätte es nicht gewusst, hätte es nicht wissen können, dass der Christus geboren und gestorben sei. 

Wer von Weihnachten gehört hat, wer die Weihnachtsbotschaft gehört hat, und sich dennoch dem Glauben verweigert, ist doof dran, so auf Dauer. Denn die Ewigkeit ist unglaublich viel länger als das Leben auf dieser Erde. Und die in der Hölle statt im Himmel zu verbringen (was immer sich konkret hinter diesen beiden Worten verbergen mag), ist wahrscheinlich eher doof.

Das alles mag streng klingen und irgendwie aus der Zeit gefallen. Aber das ist es nur, wenn ich es als Drohung wahrnehme. Es ist aber keine Drohung sondern eine Verheißung. Darum reden wir auch so selten von der Hölle und dem Gericht und so viel vom Leben und der Rettung. Denn die steht jeder offen. Seit Weihnachten, seit die Möglichkeit des Bundes vom Volk Gottes auf die ganze Welt ausgeweitet wurde. Aber diese Verheißung ist eben auch kein Selbstläufer, das wäre kindisch und billig. Und billig ist Gott nicht, keine Geschichte, die Menschen sich von ihm und ihren Erfahrungen mit ihm erzählen, ist eine, in der Gott und seine Gnade billig gewesen wäre. Unverdient, das ja - aber nicht billig. Kindlich ja - aber nicht kindisch.

Dass wir in dieser Welt das Reich Gottes bauen können und dass wir in der nächsten Welt in diesem Reich Gottes ewig leben dürfen, ist toll und gut für diese Welt und ihre Menschen. Doof, wer nicht mitbaut und wer sich den Weg in dieses Reich verbaut.


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* Eine Ausnahme von "alle" hat Gott übrigens gemacht, als er mit Israel seinen Bund schloss, der nie aufgehoben wurde und für alle Zeiten gilt. Weshalb, aber das nur am Rande, auch unter Lutheranern Judenmission mindestens umstritten ist. Denn das Volk Israel, das Volk Gottes, ist unabhängig vom Glauben an den Christus bereits gerettet.

23.12.12

Da sagt die Schröder einmal was richtiges...

und schon ist das Geschrei von allen Seiten groß. Nach dem Interview, das sie der "Zeit" gab zu Gott und der Welt und dem Vorlesen.

Ich bin ja nun wirklich unverdächtig, Kristina Schröder gut zu finden. Aber die Kritik an ihr in diesem Fall reicht von scheinlinken Onlinerinnen bis hin zu reaktionären Unionistinnen. Und das finde ich in beiden Fällen grotesk.

Mal ehrlich: Ich kennen niemanden, die halbwegs regelmäßig Kindern vorliest, die nicht immer wieder Worte abändert - sei es, weil sie nicht verständlich sind heutzutage, sei es, dass man das, was da bezeichnet wird, heute einfach anders bezeichnet. Ich mache das andauernd. ich mache das sogar bei Christine Nöstlinger, die ja nun eher keine rassistischen oder sexistischen Texte schrieb - weil die österreichischen Worte für meine Kinder nicht verständlich sind.

Kann es sein, dass hier ein reiner Beißreflex vorliegt? Oder ein realitätsfreier Pseudopuritanismus in Bezug auf in unseren Familien lebendigen und eben nicht literarisierten Texten? Ich persönlich finde Frau Schröder unmöglich und schwer bis nicht erträglich, ich halte sie für eine krasse Fehlbesetzung in ihrem Amt - aber wenn eine so reaktionäre junge Frau so selbstverständlich mit Texten und mit Gott umgeht und auch so beiläufig darüber redet, dann finde ich das größtartigst.

Denn das heißt, dass die letzten dreißig Jahre Diskussion in der Theologie, in den Kirchen (in Bezug auf Gott) und in feministischen und pädagogischen Diskursen (in Bezug auf beknackte Worte) nicht umsonst waren. Dass sich wirklich etwas geändert hat in diesem Land und bei seinen Menschen. und zwar mehr, als den alten Männern und den intelligenzfernen Postgenderdödeln bewusst oder recht wäre.

Und darum spricht Frau Schröder in dem Interview einfach nur das aus, was viele Menschen nicht nur in meiner Umgebung jeden Tag tun und denken. Sie ist eine ganz normale Frau und eine ganz normale Mutter in dieser Zeit. Verkopft - das ist ja einer der Vorwürfe aus ihrer Partei an sie - sind eher die, die sie jetzt kritisieren. Oder es sind eben Leute, die noch nie Kindern vorgelesen haben oder mit Kindern über Gott sprachen. Ich jedenfalls kann ihr zustimmen.

Zumal in fast allen (evangelischen) Gemeinden, die ich kenne, dauernd von "Gott, der uns Vater und Mutter ist" die Rede ist. Und mehr als eine Pastorin und sehr viele Pastoren sprechen beim Segen:
Gott segne dich und behüte dich, sie lasse das Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig, er erhebe das Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

21.12.12

Mein Weihnachtsgeschenk für euch

Nachdem heute wie versprochen kein Ausblick auf 2013 von mir erschienen ist sondern was anderes drüben bei LEAD digital, trage ich noch den Teil nach, den ich aus dem Text wieder rausgekürzt hatte, weil er da irgendwie nicht reingehörte. Nämlich dies:

Immer wieder habe ich in den letzten Jahren recht unspezifisch vor den Scharlatanen der Social-Media-Beratungs-Branche gewarnt und dabei gehofft, dass klar ist, wer gut ist im Gegensatz dazu. Trotzdem werde ich immer wieder gefragt, wen ich denn empfehlen könne. Da zierte ich mich. Denn zum einen ist das unfair den guten Leuten gegenüber, die ich nicht kenne oder nicht erwähne – und zum anderen wird dadurch ja noch deutlicher, von wem ich eher nicht so viel halte. Und ich will – das stimmt tatsächlich – niemandem von letzteren schaden.

Teilweise bewundere ich sogar den einen oder die andere für das Geschick, aus den Ängsten potenzieller Kundinnen Kapital zu schlagen und sich selbst ins Gespräch zu bringen und zu vermarkten. Nicht so schön ist, wenn wir anderen dann hinter ihnen aufräumen müssen, aber das ist eine andere Geschichte.

Aber weil Weihnachten naht und alle milde gestimmt sind, will ich endlich ein paar alte und langjährige Weggefährten und eine solche Weggefährtin erwähnen, die ich mehr als nur schätze. Fachlich, menschlich und in manch anderer Weise. Ich erbitte die Verzeihung derer, die aus Versehen nicht genannt sind – und die Nachsicht derer, die bewusst nicht genannt sind.

Da ist zum einen die alte Hamburger Gang von 2004. +KP Frahm+Mark Pohlmann+Björn Ognibeni seien genannt. Wir waren der harte Kern einer Gruppe, die damals kommunikativ mit dem, was wir „Web 2.0“ nannten, arbeitete und es heute noch tut. Und ein paar Leute aus Berlin und München wie +Michael Domsalla+Klaus Eck, die Kaltmamsell oder +Sascha Lobo waren auch damals schon schlau und seriös beim Thema.

Dann war da 2006 unser legendärer Mörfelder Kreis, aus dem +Kai Hattendorf  und Markus Pfeiffer besonders zu nennen sind.

Und in der zweiten Generation haben ein paar von den guten Leuten Agenturen gegründet. +Christoph Bornschein+Tapio Liller+Christian Henne+Lars Brücher.






(Nein, ich weiß auch nicht, warum das bis auf die Kaltmamsell alles Männer sind.)

20.12.12

Zeit für ein Zwischenfazit zum generischen Femininum und sprachlicher Geschlechtergerechtigkeit

Dieses Jahr habe ich mich konsequenter als vorher um meine Sprache gekümmert. Konkreter Anlass war ein Blogpost von Anatol Stefanowitsch im Dezember 2011, der witzigerweise heute früh von zwei geschätzten Leuten in meiner Umgebung unabhängig von einander wieder erwähnt wurde. Und so quasi als Selbstverpflichtung schrieb ich Anfang Januar:
Solange es in meiner Umgebung Leute gibt, die das Märchen vom generischen Maskulinum aufrecht erhalten und weiter erzählen, werde ich wie in den letzten Jahren schon auch weiterhin im Blog und in Aufsätzen und Artikeln ein generisches Femininum verwenden. Punkt.
Zeit für ein Zwischenfazit. Denn immerhin ist es - ich bin ja angestellt in einer alles andere als feministisch geprägten Arbeitsumgebung - ein Experiment.

Vorweg: Die beiden wichtigsten Punkte am Experiment empfinde ich als gelungen. Ich denke bei Tweets beispielsweise fast immer nach, wie ich Oberbegriffe formuliere. Und ich ertappe mich dabei, dass es mehr und mehr in meinen "natürlichen" (also unbewussten) Sprachduktus übergeht, entweder beide grammatischen Geschlechter zu verwenden oder nur das Femininum, mündlich aber wirklich eher beide.

In längeren Texten, beispielsweise in Blogposts, habe ich weniger Schwierigkeiten gesehen, meine Linie  durchzuhalten. Entweder ich verwende Worte, die ohnehin unverfänglich sind, oder das Femininum. Ich setze sogar das grammatische Maskulinum bewusst ein, beispielsweise habe ich immer von "Piraten" geredet und nie von Piratinnen - sozusagen als Insiderinnenwitz. Und ich bin beim Label "idioten" geblieben, aber das ist eine andere Geschichte.

Eine Erfahrung jedenfalls finde ich faszinierend. Ich bin nicht ein einziger Mal von irgendwem auf meinen Umgang mit dem Thema und meine Sprache hierbei angesprochen worden. Weder positiv noch negativ oder zynisch oder irritiert. Ich hatte den Eindruck, dass es entweder von mir erwartet wurde (und hey, die Menschen, mit denen ich zu tun habe, lesen nun wirklich nicht alle mein Blog) - oder es für Menschen in meinem (beruflichen und privaten) Umfeld inzwischen doch schon normal genug ist, eine inklusive Sprache zu hören. Es kann auch sein, dass der Effekt dadurch unterstützt wird, dass ich tendenziell in anderen sensiblen Bereichen nicht so sehr auf diskriminierungsfreie Sprache achte, also insgesamt mich sprachlich nicht so extrem weit vom Alltagsdeutsch meines Umfeldes entfernt habe. Eine "Szene" in der ich mich bewege, ist übrigens auffällig weiter als alle anderen, die ich kenne - und erschreckenderweise um Lichtjahre dem Umgang mit Sprache in meiner Partei (den Grünen) voraus: die evangelische Kirchenszene. Ernsthaft.

Insgesamt habe ich dieses Jahr damit gespielt, wie weit welche Akzeptanz geht. Und mich durchaus auch gestritten und darauf hingewiesen, wenn mir ein angebliches generisches Maskulinum nicht gepasst  hat. Seltener als ich vorher gedacht hätte, wurden mir inklusive Formulierungen aus Texten herausredigiert. Selbst in Präsentationen haben Kolleginnen sie überwiegend stehen lassen.

Lustig fand ich eine Erfahrung, die auch andere machten (beispielsweise der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer Oliver Höftinghoff, der in einer Diskussion über Anatol Stefanowitschs Sprach-Vortrag auf einem Piraten-Camp [edit: danke an tant@ sospirati für den Link in den Kommentaren] davon erzählte [edit: bei 1h09m etwa in dem eben verlinkten Video], das Video habe ich gerade nicht wieder gefunden, war aber sehr spannend). Mir wurde mehr als einmal ein generisches Femininum in einem Aufsatz in ein Binnen-I umgewandelt, obwohl ich dieses ganz bewusst und entschieden nicht nutze. Ich habe es schon damals nicht gemocht als es in den 80ern aufkam und in "meinen Szenen" als normal galt. Dass ein generisch gebrauchtes grammatisches Femininum noch immer so verstört, dass es von Redakteurinnen in das (grammatisch eindeutig falsche) Binnen-Majuskel umgewandelt wird, finde ich faszinierend.  Und es zeigt mir, wie weit der Weg ist - denn die gleiche Redakteurin hätte ein generisch gebrauchtes grammatisches Maskulinum ja nicht in eine inklusive Form mit Binnen-Majuskel umgewandelt.

Der einzige Bereich, für den ich noch keine mich befriedigende Lösung gefunden habe, sind Auftragstexte für Kundinnen. Als Dienstleister habe ich meine eigenen Sprachbedürfnisse dort zurück zu stellen - so verstehe ich Dienstleistung zumindest. Hier agiere ich inkonsequent und inkonsistent, vielleicht geht es auch nicht anders.

4.12.12

Der Schoß ist fruchtbar noch

Ich hielt die Bundeszentrale für politische Bildung für eine seriöse Institution, zumindest war sie das in den 80er Jahren nach meiner Erinnerung. Und aus irgendeinem Grund bin ich erst heute über eine kurze, empörte Twitternachricht auf diesen Fall aufmerksam geworden. Da ich mich dann empörte und viele Leute in meinem Umfeld das Video auch noch nicht kannten, sei es hier noch einmal aufgerollt. Denn ich bin so wütend. Aber so was von.

Um es vorweg zu sagen: Ich denke, dass wir es hier mit einem ganz selbstverständlichen Auswuchs des absurden Extremismusbegriffs der Bundesregierung und ganz besonders der Kristina Schröder zu tun haben - etwas, das bei einer so brandgefährlichen reaktionären Politikerin nun mal rauskommt und bei denen, die ihr zu lange zuhören (will ich jetzt mal als Ehrenrettung für die Leute vermuten, die für dieses eklige, dumme und gefährliche Video verantwortlich sind).

Es geht um das Video hier unten, das die Bundeszentrale für "politische" "Bildung" inzwischen wieder zurück gezogen hat, sich aber gegenüber der taz weinerlich über den scharfen Tonfall der Kritik beschwerte und sich mit dem Hinweis auf eine "lernende Organisation" herausredete (wie armselig ist das denn bitte?). Mein Dank gilt ausdrücklich dem epd, der das Thema offenbar in etliche Zeitungen brachte.

Grob zusammengefasst, sagt die bpb in diesem Video: Wenn Nazis Einwanderer umbringen, machen die das nur, weil sie dagegen protestieren, dass "Linke", die aussehen wie einer meiner Söhne, Autos abfackeln. Und darum führen die Nazis einen Privatkrieg gegen meinen Sohn & Co, indem sie in ganz Deutschland Einwanderer erschießen. Man kann gar nicht "bildungs- und politikfern" (O-Ton bpb laut epd-Meldung) genug sein, um das misszuverstehen.



Ja, der Sprecher der bpb hat Recht, wenn er gegenüber epd einräumt, einige Formulierungen seien "unglücklich gewählt". Und ich bin ja PR-Profi genug, um zu wissen, was die Formulierung "unglücklich gewählt" heißt: Schiet, wir haben uns erwischen lassen. Denn die gesamte Reaktion der bpb, jedenfalls so weit ich sie sehen kann, trieft so komplett vor Unverständnis gegenüber der Kritik, dass es sehr schwer fällt, den Leuten, die das Video fabriziert haben, nicht Bosheit und Absicht und einen derart kruden Extremismusbegriff zu unterstellen, dass sie eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz wären.

Überhaupt die Ästhetik und Sprachwahl des Videos (mal abgesehen von den komplett verdrehten Fakten und den Unworten, die sie verwenden). Ein guter Freund, der sich mit der Ästhetik von Propagandafilmen gut auskennt und selber auch Filmer ist, kommentierte heute Abend dazu:
"Es herrscht Bombenstimmung in Deutschland. Und wie sehen Extremisten aus? Die Linken riechen ein bisschen besser." Ehrlich gesagt: Das klingt (und sieht auch so aus, und ist wirklich ähnlich gemacht) wie das Zeug der Nationalsozialisten aus den 40er Jahren. Das kann mit einer lernenden Institution so nichts zu tun haben. Das hatten wir schon. Da gibt es nichts mehr zu lernen.
Über die krude Benutzung der Worte "rechts" für Nazis und "links" für  - ja, was eigentlich? - will ich an dieser Stelle kein Wort weiter verlieren, dass sich diese Worte gerade im Sprachgebrauch ändern, ist bedauerlich aber wohl Fakt. Aber so komplett Verdummung zu betreiben, ist selbst, wenn Pro Sieben wirklich Ko-Produzent des Videos ist, krass.

Nur eines ist gut an diesem Video: Es zeigt sehr deutlich, dass der ideologische Extremismusbegriff der Bundesregierung und von Frau Schröder, der ja ohnehin von nahezu niemandem geteilt wird, der oder die mit Nazis oder mit linksradikalen Menschen arbeitet, genau das ist, was er ist: eine reaktionäre Propagandaschöpfung, die keine Verbindung zur Realität hat.

Und was meinen Sohn freuen wird: Ich bin ob seiner Provokation mit seinem Haar"schnitt" nicht mehr so - äh - provoziert. Und dank bpb weiß ich nun, dass ich sehr aufpassen muss, wenn ich ihn oder meinen Neffen in unserem SUV rumkutschiere. Nicht, dass die noch ihrer normalen Tätigkeit nachgehen und es abfackeln, damit die Nazis endlich wieder Einwanderer umbringen dürfen. Oder so.



Sagte ich schon, wie wütend ich bin?