Am Ende zeige ich dann ein Profil, so weit es für mich sichtbar ist. Ich achte darauf, eines zu zeigen, dass sehr gute (im Sinne von: bewusste, eher restriktive aber nicht neurotische) Einstellungen der Privatsphäre hat. Insbesondere eines, bei dem niemand einen Status oder ein Foto sehen kann, wenn sie dieses Profil hinterher aufsuchen sollte. Eines also, von dem die Mitarbeiterin entschieden hat, dass es so und genau so alle Kolleginnen auch sehen dürfen. Dem ich ansehen kann, dass es nicht Zufall ist, was hier zu sehen ist und was nicht. Das also für sich klar definiert hat, was privat und was auffindbar und was öffentlich ist.
In diesem Fall ist es das Profil einer jungen Frau, die bald beim Unternehmen anfangen wird - und das bereits aufgeschrieben hat. Die sich vielleicht schon freut auf den Job. Die sich bereits jetzt zur Firma bekennt. Und in den Teilen ihres Facebooks, die wir anderen, die wir sie nicht kennen, nicht sehen können, bestimmt auch schon darüber spricht.
Die Reaktionen auf dieses Beispiel waren sehr spannend. Und machen mich teilweise nachdenklich - und teilweise zeigen sie, wie sehr wir uns auseinander entwickelt haben. Dieses Privatsphäreding, ihr wisst schon.
Von "Toll, wie sie sich schon heute zu uns bekennt" über "oh, eine junge hübsche Frau" bis zu "warum macht sie das" gingen die Reaktionen, die ich kenne aus den letzten Jahren der Beratungspraxis und des Coaching. Und ein künftiger Kollege der jungen Frau wurde sehr, sehr böse. Und zwar auf mich.
Sinngemäß schrieb er mir hinterher, ich würde diese Frau (deren Name übrigens aus ihrem Facebook-Profil nicht wirklich erkennbar war) dem Mobbing aussetzen, sie könne jetzt schon einpacken, ich hätte sie zerstört. Und nein, dafür möge ich meine Gründe haben, aber darüber wolle er nicht diskutieren, ich möge ihm bitte nicht zurück schreiben. Absender Firmenadresse, keine weiteren Kontaktdaten.
Tatsächlich habe ich, wie er es sich wünschte, über diesen Punkt nachgedacht. Und denke - stelle das hier aber zur Diskussion, denn vielleicht irre ich mich und wir sind tatsächlich noch nicht so weit - dass seine Reaktion daher kommt, dass für ihn undenkbar ist, irgend etwas von sich ins Internetz reinzuschreiben (er scheint bei Xing zu sein, aber ohne Foto und ohne für Nicht-Kontakte zugängliche Inhalte). Und dass es für ihn nicht nur für sich selbst undenkbar ist sondern auch, dass es andere tun könnten.
Dieser radikal unterschiedliche Umgang mit der Privatsphäre und das Unverständnis beider Seiten füreinander ist das große Thema dieses Jahr. Es begegnet mir überall. Ich denke, dass es der Punkt ist, an dem sich die Revolution manifestiert, die das ubiquitäre Internet bedeutet. Denn, um den großen Clay Shirky zu zitieren:
A revolution doesn't happen when society adopts new tools. It happens when society adopts new behaviors.Und genau das passiert hier. Langsam.