22.11.12

Warum ich Sascha Lobo dankbar bin

Es gibt Bücher, die müssen einfach geschrieben werden, damit es sie gibt. Und damit möglichst alle, die es angeht, sie lesen können. Zumal ich Bücher liebe. Und dringend mal meine Leseliste im Blog aktualisieren muss, denn die ist im letzten Frühjahr stehen geblieben.

Und dann gibt es Bücher, die endlich geschrieben werden. So dass ich sie nicht mehr schreiben muss, wozu ich mich irgendwie verpflichtet gefühlt hatte bis dahin.

Und dann - und damit sind wir bei der Überschrift - gibt es die Leute, die den Leuten, die diese Bücher schreiben können, damit ich sie nicht schreiben muss, den letzten Tritt geben, es auch zu tun. In diesem Fall war das Sascha Lobo, der von den meisten Internetzverachterinnen und interessanterweise Marketingverantwortlichen irgendwie meistunterschätzte Kerl mit der Frisur. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden muss.

Jedenfalls hat er Tanja und Johnny Haeusler ihrer eigenen Aussage auf der letzten Seite ihres Buches Netzgemüse nach eben jenen Tritt verpasst, so dass sie das Buch geschrieben haben, das ich nun ab sofort als das meine ausgeben werde. Also als dieses eine, das ich nun glücklicherweise nicht mehr schreiben muss, weil ich alle Leute, die mich bitten, ihnen das mit den Kindern und dem Internetz zu erklären und mit der Erziehung und dem, was da so kommt und beachtet werden muss und und und - also alle anderen Eltern, mit denen ich jemals über unsere Kinder spreche, einfach darauf hinweisen werde, dass sie dieses kleine Buch lesen sollen, weil da (1) alles das drinsteht, was ich ihnen sonst in endlosen Monologen erzählen würde, und es (2) so geschrieben ist, dass es (2a) Spaß macht, es zu lesen, und es (2b) sprachlich und sachlich für alle Menschen, die ich kenne, sinnentnehmend zu erlesen ist.



Ich selbst hatte das Buch am Montag Abend in der Post (disclosure: ich habe es nicht gekauft, sondern vom Verlag geschenkt bekommen, ohne dass ich versprochen hätte, darüber zu schreiben, obwohl ich nach all den Gesprächen, die ich mit Johnny über dieses Thema in den letzten Jahren geführt habe, durchaus annahm, dass ich darüber schreiben werde, weil ich davon ausging, dass es so gut sei, wie es jetzt tatsächlich ist, weshalb ich es auch bereits vorher in Elternfortbildungen empfohlen habe). Dienstag auf der Reise ins und aus dem Büro und Mittwoch auf zwei langen Flügen von und nach München habe ich es dann verschlungen. Genickt. Gelacht. Tränen des Zorns verdrückt und noch mehr der Rührung (ihr wisst ja, als Meedchenfilmfan bin ich nah am Wasser gebaut). Und habe mir eine Liste gemacht der Menschen, die von mir ungefragt diese Buch geschenkt bekommen werden. Allen voran meine Schwester (falls du dies liest: kannst dich schon drauf freuen, ehrlich!).

Zwei Abschnitte haben mich besonders beeindruckt. Zum einen das Kapitel über "Schutzräume und Schmutzträume", in denen Tanja und Johnny ganz unaufgeregt und keineswegs aus einer "Oh, ist das Netz toll und ihr Angsthasen könnt uns mal"-Position heraus, die ich immer mal wieder bei Netzaktivistinnen höre, die Diskussion um die Gefahren und anderen schlimmen Dinge des Internets erden und einordnen und in Beziehung setzen zum Rest unseres Lebens.

Dies ist übrigens der rote Faden des Buches - und wer eine Bedienungsanleitung für Eltern erwartet, wird darum enttäuscht werden: Immer wieder ist dies Buch autobiografisch und berichtet von den eigenen Erfahrungen - und vergleicht die mit den Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen. Mit Wasser. Oder Bielefeld. Oder dem Straßenverkehr. In meiner Lebensgeschichte wäre es das Fernsehen gewesen, denn das habe ich als Kind und Jugendlicher so erlebt, wie einige der Freundinnen meiner Kinder das Internet, denn meine Eltern haben mich davon extrem und mit viel Aufwand ferngehalten, teilweise sicher auch, weil sie es selbst als Kinder und junge Erwachsene nicht kannten, unser erster Farbfernseher war weit in den 80ern, aber auch das ist wieder eine andere Geschichte.

Der andere Abschnitt, der mich besonders fesselte, ist der über Spiele (Konsole oder online). Denn dieses Kapitel hätte ich nicht selbst schreiben können, hier bin ich wohl wie die normale Leserin des Buches, dies ist eine Welt, die mir fremd ist, die mir in Teilen auch immer noch Angst macht und mich verunsichert. Und in der mich zurechtzufinden mir dieses Buch auch ganz konkret geholfen hat. Habe mich mit meinen Söhnen direkt am Abend noch über Minecraft unterhalten.

Und nun?

Liebe Tanja, lieber Johnny,
danke für euer Buch. Ich liebe es, so wie ich euch liebe. Und ich schätzte euch ja schon sehr, bevor ihr dieses Buch geschrieben habt, wie ihr wisst. Und danke, dass ihr so viel von euch und euren Söhnen erzählt habt. Ist es nicht verrückt, dass wir alle, die wir uns da ein bisschen auskennen, auf Elternabenden für Freaks gehalten und misstrauisch beäugt werden - obwohl unsere Kinder, eure und meine, klarere Grenzen und Regeln und Sicherheitszäune haben in diesem Internet als die Kinder die anderen Eltern, vor allem die von denen, die besonders gegen das Internet wettern?

Liebe Eltern von Kindern zwischen sagen wir mal sechs und sechzehn,
kauft das Buch, lest das Buch, lasst euch einmal auf diese Buch und seine Geschichte und seine Menschen ein. Ihr werdet vielleicht nicht alles teilen. Vielleicht auch nicht jedes Detail verstehen oder mögen. Aber ich bin mir sicher: Ihr kommt als andere aus der Lektüre heraus als ihr hinein gegangen seid. Und das, da bin ich mir ebenso sicher, ist für euch und eure Kinder ein Gewinn.

Liebe Lehrerinnen,
bitte, bitte, bitte lest dieses Buch. Im Nachwort sind ein paar Hinweise, warum das wichtig sein könnte, vielleicht fangt ihr damit an, oder lest dieses Nachwort einmal kurz in der Buchhandlung, heimlich. Dann werdet ihr es ohnehin kaufen. Also das Buch.

Lieber Sascha,
danke, dass du gegen unsere Freundinnen körperliche Gewalt angewendet hast, auch wenn wir sicher gemeinsam der Meinung sind, dass Gewalt keine Lösung ist. Fast immer. Aber solche Tritte brauchen wir. Vielleicht auch noch mehr davon.




Sagte ich schon, dass ich dieses Buch ("Netzgemüse" von Tanja und Johnny Haeusler) nur empfehlen kann?

16.11.12

Von Pubertät und Podien

Ich hatte es zunächst nicht verfolgt, weil November und Dezember in einer Agentur schlechte Monate nicht nur für Konferenzen sondern für alles sind, was nicht direkt mit Kundinnen zu tun hat - denn es ist die Zeit, in der am meisten Konzepte, Projekte, Etats und Neuprojekte kommen. So auch hier, danke, das ist an sich schön.

Und ich war aus mehreren Gründen nicht interessiert an den Social Media Economy Days 2012 vor einiger Zeit in Hamburg. Vor allem, weil mir die Referenten ganz überwiegend nicht zusagten. Von einigen Ausnahmen abgesehen weder von den Themen noch von der Erfahrung/Kompetenz her. Macht ja auch nichts, es spricht ja zunächst weder für noch gegen eine Veranstaltung, dass sie mich nicht lockt.

Auch den Ausruf von Agnieszka von den #DMW dazu, dass es keine Frauen auf den Podien gab, habe ich nur aus dem Augenwinkel gesehen, von den Kolleginnen in meinem Team ein bisschen was dazu gehört, aber nicht weiter verfolgt. Hätte ich aber vielleicht, wenn ich mir nun manche Affendiskussion rund um dieses Thema ansehe, die ich in den letzten Tagen dann doch noch mitbekam.

Der eine oder die andere wird wissen, wie meine Haltung zu diesem Thema sozusagen ganz grundsätzlich ist. Ich habe zu Herrschaftsstrukturen und zu Quoten (da eher im politischen Kontext) und zu Sprache ja immer wieder was gesagt.
Falls jemand mit mir diesen kurzen Artikel hier diskutieren will, bitte ich darum, diese Texte einmal mindestens querzulesen, ok? Würde vielleicht das eine oder andere erleichtern.

Um es klar zu sagen: Ich halte es für eine Veranstaltung für schädlich, wenn sie an einem Format festhält (also vor allem Vorträge, Vorträge, Vorträge, dieses pubertäre Format), das systemimmanent nicht nur überwiegend uninteressant ist sondern auch viele Frauen, die ich kenne und für gute Lehrerinnen und Erzählerinnen halte, ausschließt.

An solchen Tagungen, die zusätzlich auch noch mich selbst langweilen, werde ich nicht mehr teilnehmen. Weder als Sprecher noch als Teilnehmer. Und das, obwohl ich mich sehr gerne reden höre.

Dass es anders geht, zeigen Tage wie die Foren von Kongressmedia (mit all ihren anderen Problemen, ja) oder die Fachtagung Social Media Relations jetzt gerade, die ich kurzfristig absagen musste, weil ein Kind krank war und ich zu Hause gebraucht wurde - was aber nicht soo viel machte, weil meine großartige Kollegin Jette den Workshop auch allein hinbekam. Was niemanden überraschen wird.

Was gar nicht geht, ist das mangelnde Problembewusstsein, das ich aus manchen "Diskussionen" rund um den offenen Brief heraus hörte. Ich bin fest davon überzeugt, dass der diesjährige Höhepunkt an misogyner Konferenzgestaltung wesentlich durch eine Mischung aus antiaufklärerischer Postgender-Haltung ("Frauen haben doch genau die gleichen Chancen, warum melden sie sich nicht mit guten Themen?") und einem veralteten und unattraktiven Tagungsformat (eben Vorträge von Rampensäuen) passieren konnte.

Damit sich etwas ändert, müssen Männer, die immer wieder angefragt werden für die Rampe - und in der zweiten oder dritten Reihe gehöre ich ja auch dazu, dies richtet sich also auch an mich, nicht nur an andere -, meines Erachtens eine Zeit lang etwas von dieser Rampe zurück treten. Nur durch den eigenen Verzicht wird sich etwas ändern. Wer nicht auch verzichtet, kann nicht behaupten, dass alles gut sei - sondern zementiert den status quo ante. So lange es eine faktische Ungleichheit gibt (und bevor ihr über diese Tatsache diskutieren wollt: das haben wir in den 80ern und 90ern ausführlich getan, wer das anders sieht, muss imho unter einem Stein gelebt haben oder bösartig oder intellektuell beschränkt sein, sorry), müssen die bisher durch die Asymmetrie Bevorzugten freiwillig oder unfreiwillig zurück treten, muss es eine Ungleichbehandlung geben.

Ich werde 2013 darum meine Teilnahme an Konferenzen und Tagungen (vor allem und in erster Linie als Beitragender) von diesen drei Punkten abhängig machen und ich fordere Männer, die viel auf Podien stehen, auf, es mir gleich oder ähnlich zu tun:
  1. Wie ist der Anteil der Frauen, die Programmpunkte leiten/gestalten? Ist der kleiner als 35%, werde ich nicht teilnehmen.
  2. Welche partizipativen und erwachsenenpädagogisch zeitgemäßen Formate hat die Tagung, die Konferenz? Keine? Nur Vorträge? Ohne mich.
  3. Ist die (in der Regel ja obligatorische) Diskussionsrunde mit mindestens 40% Frauen besetzt? Dann komme ich gerne.

15.11.12

Nur östlich der Alster

Wenn ihr die Karte von Hamburg anguckt, gibt es oben rechts einen Zipfel. Wisst ihr, oder? Da ist der Duvenstedter Brook. Da bin ich als Jugendlicher immer hingefahren. Mit dem Rad an der U1 lang, wunderschöne Strecke, immer geradeaus bis Ohlstedt (in meinen besten Zeiten war das von der U-Bahn in Volksdorf rund 10 Minuten, ich kam quasi mit der U-Bahn gemeinsam an, ging aber nur in der Woche, wenn weniger Fußgängerinnen unterwegs waren). Im Unterstand Hirsche beobachten und knutschen. Denn ich bin in Volksdorfs armer Schwester aufgewachsen, weshalb ich alles so erlebt hab wie Tina Uebel, aber das sagte ich ja schon. In Meiendorf, nicht wirklich in den Walddörfern, aber gefühlt schon (und viel eher Walddörfer als Rahlstedt). Der Stadtteil, in dem wir heute wieder leben zur Kinderaufzucht, bis wir in zehn Jahren oder so richtig aufs Land gehen, nach Angeln oder Ostholstein oder so, Pferde am Haus, Badesee auch, wisst ihr Bescheid, wenn ihr was kennt und so.

Als Hamburgerin ziehst du nicht über die Elbe (logo, du willst ja nicht weg aus Hamburg) und nicht über die Alster (auch logo, denn der Westen ist irgendwie komisch). Und als Walddörferin gehst du da schon gar nicht weg. Nur einmal haben wir formal westlich der Alster gewohnt, aber das zählte nicht, denn Duvenstedt, das Dorf mit dem Brook, siehe oben, liegt zwar westlich der Alster, aber das stimmt nicht, denn gefühlt liegt es östlich. Und kulturell sowieso.

Überhaupt Duvenstedt, wo wir damals unser erstes eigenes Haus gebaut haben. Hamburgs fast kinderreichster Stadtteil (nach Jenfeld glaube ich). Damals schon mit einem Durschschnittsfamiliennettoeinkommen von rund 100k Euro, habe ich mal recherchiert als ich da im Kirchenvorstand war. Mit einem Freibad, zu dem wir einen Schlüssel hatten, wie alle im Dorf, weil wir gemeinsam in einem Verein das Bad betrieben. Wo eine der Familien, die damals da hinzogen, die tolle Eisdiele auf dem Hügel (heute am Kreisel) aufmachte, wo es diese tolle Schlemmertüte und eine Sorte namens Scrock gibt. Und wo wir mindestens einmal im Monat hinfahren, um Eis zu essen. Eine Kollegin, Julia, lachte mich aus, weil sie in Eimsbüttel wohnte. So weit draußen? Ist da was los? Und dann stellte sich raus, dass wir doppelt so viele nette Restaurants und Kneipen in Fußentfernung hatten wie sie, querab von der Osterstraße. Und heute ist da, kurz hinter Duvenstedt, auch noch der Laden, in dem Hamburgs zurzeit interessantester Koch kocht. Matthias Gfrörer in der Gutsküche in Wulksfelde, dem Biogut, wo ich damals, als ich fast ein Startup gegründet hätte, schon Räume am anmieten war.

Und dann wieder Meiendorf. Und es war ähnlich wie in Duvenstedt, wo mich am allermeisten wohl doch immer fasziniert hat, wer da alles mit wem verwandt war und zur Kinderaufzucht nach Hause zurück kam. In Meiendorf trafen wir dann auch viele Leute wieder, mit denen wir schon zur Schule gegangen waren. Inzwischen war ich auch alt genug, mich genau davor nicht mehr zu fürchten. Über Meiendorf hat ja mein sozusagen Nachbar Sven schon geschrieben, an dessen Wohnung ich jeden Tag vorbei fahre mit dem Rad, wenn ich zur U-Bahn rase, und über Rahlstedt meine sozusagen Nachbarin Frische Brise, die aber auch in Meiendorf wohnt, wenn man es genau nimmt. Meiendorf ist so ein Nichts-Stadtteil, getrennt durch ein Industriegebiet mit Metro und Globetrotterzentrale und einer insolventen Großdruckerei und einem japanischen Kugellagerhersteller. Und einer "Bezirkssporthalle". Und seit einiger Zeit einem Rasenplatz, den der größenwahnsinnige und missgemanagte örtliche Sportverein großspurig "Stadion" nennt.

Aber das allerbeste hier ist doch, dass es östlich der Alster ist, da, wo es schön ist, quasi in den Walddörfern. Direkt in Volksdorf. Nur 24 Minuten vom Hauptbahnhof. Und trotzdem mit der höchsten Lebensqualität, die sich in dieser Stadt denken lässt. Wunderbar gemischt von der Sozialstruktur - Ringstraße (eine der reichsten und vergreistesten Straßen der Stadt) und Wildschwanbrook (Großwohnsiedlung nach der Flutkatastrophe und mit einem riesigen Altersheim der Flutopferhinterbliebenenstiftung mittendrin) trennen 300m. Wohnungen der Bundeswehr, in denen während meiner Kindheit nur Soldatenfamilien lebten, direkt neben Eigentumswohnungen direkt neben einem Block, in dem fast ausschließlich Transferempfängerinnen in der dritten Generation wohnen. Und am anderen Ende eine Siedlung, der nur noch eine Schranke fehlt, um als gated community durchzugehen.

Aber außer zur U-Bahn und wenn ich nach Berne zum Fleischer fahre, bin ich eher in die andere Richtung unterwegs. Nach Stapelfeld, einmal quer durch das wunderbare Naturschutzgebiet Höltigbaum, wo die Armee ihre Deserteure erschoss, woran heute kaum noch einer denkt, zu meinen Pferden. Oder nach Volksdorf und weiter an der U-Bahn-Trasse in die Walddörfer. Und dass meine alte Freundin Isa (alt im Sinne von ewig her) nun gerade Pröpstin am Rockenhof in Volksdorf wurde, wozu ich sie schon vor zwanzig Jahren machen wollte, freut mich ja sowieso.




Sagte ich schon, wie gerne ich da wohne, am Rande der Walddörfer, am Rande der Stadt?
(Teil der vom Buddenbohm angestoßenen Serie über den Rest)

7.11.12

Was haben wir gelacht

Nein, ich verlinke das nicht. Aber in Wellen geistern immer wieder mehr oder weniger sehr peinliche, meistens mit Sprechgesang schlechterer Ausprägung, fast immer mit hölzernen selbstgemachten Texten versehene Videos durch das Internetz, in denen meist junge Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten, zeigen, wie geil es da ist, wo sie arbeiten.

Sei es der legendäre Praktikumsrap eines Münchner Autoschraubers, seien es Trainees einer lokalen Bank in einem von vielen eh als mittelpeinlich eingeschätzten Bundesland, seien es irgendwelche Klöpsebrater.

Ja, ich gebe zu: einige dieser Videos konnte ich nicht länger als - sagen wir mal - fünfzehn Sekunden ansehen, bevor ich es nicht mehr ertrug. Und ja, über das eine oder andere habe ich (schadenfroh) gelacht. Und manche bekommen auch Preise der Onliner für besonders unterirdische Performance.

Die Fachwelt ist sich fast immer sofort einig: Das geht gar nicht, das ist schlimm, das schadet den Unternehmen. Ich bin da nicht (mehr) so sicher.

Denn was wir Onliner gerne vergessen, ist, dass wir mit diesen Videos gar nicht adressiert werden, dass es nicht um uns geht (huch, obwohl die online sind!). Sicher gibt es unter den unterirdischen Ergüssen solche, die wirklich schlecht sind - aber nicht jedes Video, das wir lächerlich finden, ist schlecht. Zumindest schlecht in dem Sinne, dass es seine Ziele verfehlt.

Eines der berühmteren Videos beispielsweise hat - obwohl verlacht und beschimpft und oberpeinlich - tatsächlich in der Zielgruppe, um die es ging, eine ganz andere Reaktion hervorgerufen: Die Anzahl der Bewerbungen junger Leute, vor allem der passenden und qualifizierten, ging in den Wochen nach dem Erscheinen des Videos deutlich nach oben. Und bei jeder Welle, die das Video seitdem wieder auslöst (denn dauernd entdecken es neue Experten), ist es das gleiche: Bewerbungen nehmen zu.

Dieses Video ist also extrem erfolgreich und - anders als wir dachten - ein "best case", allen Negativpreisen zum Trotz.

Mein Eindruck ist, dass die "Erwachsenen", die über grauenvolle Videos beispielsweise von Azubis zu Recruitingzwecken anderer Azubis lachen, eigentlich eine erstaunlich mangelnde Medienkompetenz an den Tag legen. Und das Format Video und wie es bei der nächsten Generation funktioniert, tatsächlich nicht verstehen. YouTube vielleicht sogar vor allem für eine Plattform halten, auf der man als Unternehmen oder Marke Videos einstellen kann. Und nicht für einen Videokommunikationsraum einer anderen Generation, für die lineare Fernsehen zu einem Nebenbeimedium geworden ist. Die Acta-Mobilisierung lässt grüßen.

Was ich mir manchmal wünsche (und - das muss ich fairerweise sagen - vornehme), ist etwas mehr Demut in der Aburteilung von Kommunikation, die uns alten Leuten nicht gefällt und absurd vorkommt. Und etwas mehr Staunen vor dem, was unsere Kinder machen, wie sie reden, was sie lustig finden - und wie ihre Aufmerksamkeit funktioniert, wie sie ihre Sympathien verteilen und was sie dazu bringt, aktiv zu werden. Und sei es, sich für ein Praktikum zu bewerben.