31.8.12

Bevor Facebook stirbt....

können wir ja doch noch ein bisschen was damit tun. Denn nicht erst die Diskussionen der letzten Wochen machen ja deutlich, dass der anfängliche euphorische Charme von Facebook langsam versiegt. Schon vor einem Jahr und einem Tag schrieb ich ja überaus weitsichtig, wie es kommen wird dermaleinst mit dem Tode Facebooks. Zwischendurch bauen wir noch ein paar Apps, ok?

Was mich an Facebook von Anfang an fasziniert hat, ist die Abbildung von Beziehungen. Vor allem die Cluster aus Gruppen von Menschen, die ich auf Facebook kenne - und die sich untereinander auf Facebook kennen. Neuestes Spielzeug für so etwas ist ganz aktuell Wolfram Alpha, eine Informationsmaschine, die Analyseergebnisse und Suchergebnisse bündelt und visuell aufbereitet und computerable macht. Die Bilder in diesem Post stammen von Wolfram Alpha - ich habe die Seite mit meinem Facebook-Account gefüttert:

die Cluster meiner Bekannten auf Facebook


Witzig, wie sehr sich Menschen, die ich kenne, einander zuordnen lassen. Der große Fleck da ist meine Frau beispielsweise, die anderen rechts davon sind Menschen aus meiner Familie. Ein Kirchencluster, recht unverbunden miteinander in rot, das politische passend in grün.

Und wie ich so bin zeigen dann ja auch tatsächlich die Menschen, die ich kenne. Beispielsweise, welchen Beziehungsstatus sie mir angeben (denn nur das kann Wolfram Alpha auswerten):

Beziehungsstatus meiner Bekannten

Oder auch, wie ich selbst Facebook nutze. Über welche externen Instrumente beispielsweise (oder auch Anwendungen, womit wir wieder bei den Apps wären, aber das ist - sicher nicht untypisch, aber dazu ein anderes Mal mehr - von der Menge her verschwindend gering) ich da was reinschreibe - und wann:

Tools, mit denen ich Facebook füttere

Scary? Ja. Aber eben der Preis für die tollen Möglichkeiten der Kommunikation, die mir so ein Netzwerk bietet.

Mehr noch als jede interne Statistik, die mir Facebook anbietet und die ich beruflich für Seiten, an denen ich beteiligt bin, nutze, helfen solche Visualisierungen und Statistiken, Facebook zu verstehen - und ebenso die Art, wie wir miteinander reden und schreiben. Wen wir kennen und wie das kommen mag. Wenn ich mir meine Statistiken ansehe, merke ich wieder: Ja, Facebook (und wie ich es nutze, was beileibe nicht extrem intensiv ist, denn mein Hauptinstrument ist und bleibt Twitter) bildet mein Leben in der Kohlenstoffwelt recht gut ab. So sind die Menschen, die ich dort kenne, auch. So bilden sie auch da Gruppen und Cluster, so ist der Rhythmus meines Tages.

Und das ist dann nicht mehr so scary. Sondern nur noch faszinierend.

22.8.12

Tätervolk

Ich kann als Deutscher nicht davon absehen, dass ich in ein Volk hineingeboren wurde, das einen singulären industriellen Massenmord organisiert hat und damit als Kollateralnutzen den "Kleinen Mann" groß machte und pamperte. Ich kann als Autofahrer nicht davon absehen, dass ich eine Waffe nutze, um von A nach B zu kommen, die andere, schwächere Verkehrsteilnehmerinnen allein durch ihre Benutzung gefährdet. Und ich kann als Mann nicht davon absehen, dass mein Geschlecht gewaltsam die Regeln gesetzt hat und weiter setzt und zugleich sehr viele Männer, wenn nicht sogar die meisten, ganz sicher auch ich immer wieder, im Alltag übergriffig sind gegenüber Frauen und Kindern.

Das heißt nicht, dass ich persönliche Schuld für den Holocaust habe, dass ich mit meinem Straßenpanzer Leute umbringe oder dass ich Frauen in Parks vergewaltige. Aber es heißt, dass ich damit leben muss, dass dies der reale Bezugsrahmen ist, in dem ich lebe und handele.

Nun gibt es Geschlechtsgenossen und sogar Frauen, die von einer "umgekehrten Diskriminierung" faseln. Aber das ist selbstverständlich Quatsch. Denn es kann nur Diskriminierung geben, nicht aber ihre Umkehrung. Und um bestehende Herrschaftsverhältnisse zu ändern, muss es ggf. eben eine Diskriminierung von zurzeit Privilegierten geben (siehe die Quotendiskussion). Sozusagen mein Pech. Womit ich leben kann. Und - siehe oben - eben auch muss, weil ich ja von der Realität nicht absehen kann. Aber das nur am Rande.

Nun bin ich selbst ja sozusagen in den Feminismus der 80er hinein aufgewachsen: meine Mutter war sehr aktiv in der feministischen evangelischen Frauenarbeit (so hieß das damals, Frauenarbeit), die zweite Welle feministischer Theologie gehörte zu meiner Lektüre und meinen Studien und meinen Gesprächen und Arbeitsgruppen an der Uni, ich habe eine Frau geheiratet, für die die Themen und Errungenschaften der 80er-Jahre-Feministinnen normal und selbstverständlich waren und sind. Vielleicht stand ich deshalb in der Vergangenheit oft so erstaunt davor, wenn junge Leute all diese Errungenschaften mit einer "hoppla, jetzt komm ich"-Attitüde einfach so über Bord werfen (wollten). Das begann (für mich sichtbar, keine Ahnung, ob es das vorher auch schon gab) mit dieser "Meedchen"-Popkultur in den 90ern (Zöpfchen, Röckchen, Weibchen etc), hat eine mich bestürzende Blüte in der jugendlichen Pornoikonografie getrieben und endet sicher nicht beim Kokettieren mit der Mischung aus Hilflosigkeit und Verführbarkeit und Prüderie (siehe Twilight, Panem etc). Muss ich nicht verstehen, betrifft mich persönlich allerdings auch eher weniger. Mit solchen Frauen (und Männern, die das toll finden oder ausnutzen) will ich zwar nichts zu tun haben, muss ich aber auch nicht, ich kenne genug andere.

Für mich als Führungskraft und als Vater (insbesondere auch als Vater jugendlicher Jungs) stellen sich aber dann doch Fragen. Und Aufgaben. Und ich denke, dass ich als Mann (bin ich nun mal) dabei den Bezugsrahmen Täter habe, wie oben angedeutet. Egal ob es mir gefällt oder nicht - ich kann nicht reden oder handeln, ohne zu bedenken, dass ich in einer historisch, körperlich oder organisatorisch privilegierten Situation bin, die ich aufbrechen oder auflösen muss. Ja, muss - wenn ich nicht der Meinung bin, dass alles super ist, wie es ist - mit all den Übergriffen.

Meine Beziehung zu Frauen, zu Kindern, zu "Untergebenen" ist - außerhalb des intimen Raumes beispielsweise meiner Ehe oder einer ähnlichen langfristig auf Vertrauen aufgebauten intimen Beziehung - immer notwendig eine asymmetrische. Also, materialistisch gesprochen, eine von Herrschaft geprägte, weil ich objektiv Teil der herrschenden Gruppe bin. Egal wie ich das persönlich sehe, ist es objektiv ein asymmetrischer Kontext, so lange wir in einer patriarchalischen Gesellschaft leben, ich erwachsen bin und Chef. Und in einer asymmetrischen Beziehung muss immer der stärkere Teil mehr Verantwortung übernehmen, mindestens auf der Beziehungsebene. Ich muss - immer mit der Gefahr, dass dieses paternalistisch wahrgenommen wird - für den anderen Teil mitdenken, mitfühlen und achtsam mit ihm sein.

Das ist, wenn es ganz praktisch wird, nicht so einfach.

Darum ist mir so wichtig, meinen Jungs zu vermitteln, dass beispielsweise in einer sexuellen Beziehung zu Mädchen nicht nur ein "nein" ein Nein ist - sondern auch das Ausbleiben eines "ja" als Nein zu interpretieren ist. Denn wir sind immer nur einen Schritt von einem Übergriff entfernt. Wenn sie das von einer Pornoikonografie geprägte Verhalten unter Jugendlichen aufbrechen wollen, müssen sie besonders achtsam, besonders explizit sein, die in so einer Kultur Schwächeren (Mädchen) stärken. Das ist aus meiner Sicht ihre Verantwortung, wenn sie keine Arschlöcher sein wollen (was ich einfach mal hoffe).

Darum finde ich beispielsweise Knotentänze von Führungskräften mit Mitarbeiterinnen auf Firmenfeiern so schlimm (und das ist die positivste Formulierung, zu der ich mich schweren Herzens durchringen kann). Wer kokettes Meedchengehabe (siehe oben) bei seinen Mitarbeiterinnen "ausnutzt", verstößt eklatant gegen jede Form von achtsamer Führung, ist sich offenbar der Asymmetrie in der Beziehung nicht bewusst (oder verstößt zumindest gegen jedes "gute Benehmen"). Vielleicht empfindet nicht jede einzelne Frau, mit der sich ein solcher Mann tanzend verknotet, dieses schon als übergriffig. Aber genug tun das. Und andere, die zuschauen, auch. Wenn ich - so ist zumindest auch mein Wunsch an meine Rolle als Führungskraft - organisationale Macht nicht als Beziehungsmacht ausleben und ausnutzen will, werde ich versuchen, die Sachebene von der Beziehungsebene zu trennen (so schwer das ist), werde ich auf der Beziehungsebene besonders achtsam sein müssen. Werde ich also jede Form von Macht auf dieser Ebene nicht nur vermeiden sondern aktiv verändern. Und angesichts der immer noch notwendig asymmetrischen Beziehung für uns beide dafür Verantwortung übernehmen. Weil ich kein Arschloch sein will.

Als Deutscher bin ich besonders - und auch weit mehr als der eine oder die andere angenehm findet - achtsam gegenüber nationaler Aufwallung und Chauvinismus. Als Autofahrer bin ich über das vom Gesetz für alle Verkehrsteilnehmerinnen vorgesehene Maß achtsam gegenüber anderen. Und als Mann versuche ich, die strukturell asymmetrische Beziehung zu Frauen und Kindern aktiv zu verändern - auch wenn ich dazu über das einigen erträgliche Maß hinaus zurückstecken muss, was mir längst nicht immer gelingt.

Und dass ich trotzdem oder vielleicht auch deswegen das Leben genieße, in diesem Land, mit diesen Menschen um mich herum, gerne Auto fahre (sorry to say), viel lache, trinke, tanze - das könnt ihr mir gerne glauben, selbst wenn euch das schwer fallen sollte.

Update 25.1.2013
Endlich kommt durch die Brüderle-Geschichte die Diskussion über dieses Themas breiter in Gang. Dazu habe ich auch was gebloggt und auch vier konkrete Punkte formuliert, was wir als Männer tun können. Hier lang bitte.

15.8.12

Noch mal zur Kackscheiße*

Immer wieder schleicht sich (auch) bei mir eine merkwürdige Form von Resignation ein, die dazu führt, dass ich weder mit den Augen rolle, wenn beispielsweise eine Lehrerin von sich als Lehrer spricht, noch selbst konsequent, beispielsweise in beruflichen E-Mails, weibliche und männliche Formen nutze, wenn Frauen und Männer gemeint sind. Obwohl ich weiß, dass das nötig wäre.

Wenn dann junge Frauen wie BMin Schröder aus mangelnder (historischer) Bildung oder warum auch immer ihre "danke, das betrifft mich nicht"-Sätze faseln, werde ich zwar noch mal wütend. Aber oft stehe ich etwas fassungs- und ratlos davor. Und nicht nur angesichts sexistischer Kackscheiße*. Sondern beispielsweise auch angesichts von Alltagsrassismus aus der "male white middleclass" Perspektive, in die auch ich immer wieder rutsche.

Da kam ein Artikel im Sprachlog von Anatol Stefanowitsch gerade Recht, der mit dem Hinweis auf wirkmächtige so genannte "Alltagstheorien" darauf hinweist, warum es so schwierig bis unmöglich ist, mit Menschen zu diskutieren, die "das betrifft mich nicht" sagen oder es "nicht böse" meinen oder etwas "einfach nur witzig" finden. Vier unbewusste und tief verwurzelte Punkte beschreibt er: dass ein Schaden immer "direkt und unmittelbar" sein müsse, schädliches Verhalten psychologische Ursachen habe, immer und nur durch "absichtsvolles Handeln" entstehe und immer einzelnen Individuen zugeordnet werden könne. Und er zeigt, dass diese Theorien nicht nur doof sind sondern auch falsch.
Bei unseren Diskussionen von Alltagsdiskriminierung sollten wir deshalb darauf achten, diese Alltagstheorien explizit einzubeziehen und deutlich zu machen, dass eine rosa Barbie-Elfe in pornographischer Posen allein [...] kein Mädchen in die Magersucht treiben und keine Frau dazu bringen wird, sich selbst nur an ihrem Potenzial als Sexobjekt zu messen oder auf eine anspruchsvolle Karriere zu verzichten. [...]
Dass diese Dinge aber im Zusammenspiel mit hunderten ähnlicher Erfahrungen daran mitwirken, dass sexistische, rassistische und andere diskriminierende Strukturen aufgebaut und fixiert werden. Und zwar unabhängig davon, ob das beabsichtigt oder auch nur fahrlässig in Kauf genommen wird, und unabhängig davon, ob der Schaden, den diese Strukturen anrichten, in jedem Fall sofort erkennbar ist.
Ringen um Verständnis | Sprachlog
Und dann rüttelt mich etwas wieder auf. So wie diese Woche der großartige, kleine, resignierte, ermutigende Artikel von Antje Schrupp, der so endet, wie ich hier auch ende. Bevor ich mir fest vornehme, wieder mehr auf Sprache zu achten. Und die mit ihrer Kackscheiße* nicht zu ignorieren sondern durch anders Reden (und hoffentlich Denken und Handeln) zu überwinden.
NEIN, ES GEHT NICHT UM MICH. Mir persönlich, danke schön, geht es gut. Ich habe persönlich überhaupt kein Problem mit männlicher Sprache und nicht mal mit sexistischer Kackscheiße wie rosa Lego oder Mädchen-Überraschungseiern. Das geht mir vollkommen hinten vorbei.
In meiner Welt gibt es genug interessante Dinge, interessante Menschen, mit denen ich sehr gut beschäftigt bin. Es fällt mir überhaupt nicht schwer, Leute, die bis heute nicht die minimalsten Grundkenntnisse davon haben, was feministische Reflektion in den vergangenen vierzig Jahren an Erkenntnisfortschritten gebracht hat, einfach zu ignorieren. Ich halte sie schlicht für ein bisschen dumm und gehe ihnen aus dem Weg.
Aber es geht eben nicht um mich. Es geht darum, in welcher Welt wir leben wollen.
Kein Bock mehr | Aus Liebe zur Freiheit


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* "Kackscheiße", "sexistische Kackscheiße" oder auch "rassistische Kackscheiße" sind als Kampfworte sehr umstritten und ich bin mir auch nicht so sicher, ob ich sie wirklich mag. Aber sie sind so herrlich unkorrekt und machen das eigentliche Problem, das ja auch Anatol mit den Alltagstheorien anspricht, wunderbar deutlich: Wer hier reflexhaft aufjault, wer hier zumacht (außer aus sprachästhetischen Gründen, das ist sicher noch mal was anderes), ist im Zweifelsfall auch nicht Adressat dieses Artikels - weil ich keinen Bock mehr habe, zu argumentieren. Seit mehr als 15 Jahren sind alle Argumente ausgetauscht. Hin und wieder kommen noch mal kleine gute Aspekte aus der nächsten Generation dazu, wie aktuell "Fleischmarkt" von Laurie Penny, das ich zurzeit lese. 
Aber: Ich bin einfach müde. Und bin da ganz bei Antje. Ich halte Leute, die heute noch mit Unverständnis auf den Alltagssexismus und Alltagsrassismus reagieren, "schlicht für ein bisschen dumm und gehe ihnen aus dem Weg" - zwar nicht real, denn das geht nicht als Mensch mit Kindern und einem Beruf, aber doch in Diskussionen. Sozusagen *plonk*.

9.8.12

Ich könnte heulen

Schon wieder über das Thema Schulpolitik. Man sollte sich nicht mit Politikfeldern beschäftigen, die man beurteilen kann oder von denen man betroffen ist, glaube ich manchmal.

Besonders bitter ist für mich, dass ich die Richtung, die Schulen in Hamburg eingeschlagen haben, richtig finde. Und dass vieles, was auch und gerade in grüner Regierungszeit angestoßen wurde, super hätte werden können - wenn sich nicht nach und nach herausstellte, dass es schlecht eingeführt, nicht abgesichert und undurchdacht ist.

Über das ehrgeizige Projekt der "Inklusion" und wie es zurzeit in Hamburg vor die Wand gefahren wird, habe ich ja neulich im Dezember schon geschrieben. Seitdem ist nichts besser geworden sondern fast alles schlimmer. Persönlich kenne ich keine einzige Lehrerin mit Qualifikation für Förderbereiche, die nicht versucht, aus ihrem Einsatz in der Inklusion zurück an die letzten verbliebenen Sonderschulen zu flüchten. Zu dem jetzt begonnen Schuljahr haben mehrere Kinder aus meinem Umfeld von der normalen Grundschule, an der sie inkludiert hätten unterrichtet werden wollen und sollen, an Sonderschulen gewechselt, weil ein Jahr lang faktisch - trotz formal vorhandener Kontingente und Kapazitäten - keine (in Worten: NULL) Förderung ihrer Schwächen stattfand. Was im Bereich Sprache besonders bitter ist. Die jetzt aktuelle Umstellung der Förderstunden von realen Bedarfen auf pauschale Durschschnittsstunden, die den Schulen zur Verfügung gestellt werden, und die faktische Abschaffung des sehr sehr guten und hilfreichen Instruments der "Schulbegleitung" (individuelle Hilfen für Kinder mit Förderbedarfen, beispielsweise bei Autismen oder schweren psychischen Störungen), sind ein Offenbarungseid. Im direkten Gespräch gibt der Schulsenator sogar zu, dass er hier scheitert (oder wie soll seine Äußerung zu verstehen sein, wenn er betroffenen Lehrerinnen bestätigt, dass sie zu Recht stinksauer seien?).

Das an sich großartige Projekt, dass jede Schule zum Abitur führt und ab Klasse sieben keine Kinder mehr sitzenbleiben und nach unten abgeschult werden können, droht nun aktuell auch aus der Bahn zu rutschen, weil sich die populistische Leitung der Schulbehörde nicht traut, die Eltern (und zugegebenermaßen auch ihre von ihnen aufs Gymnasium gezwungenen Kinder) die Konsequenzen ihrer Fehlentscheidung tragen zu lassen - sondern Stadtteilschulen zwingt, über das erträgliche Maß hinaus so genannte Gymnasialrückläuferinnen wohnortnah aufzunehmen. Besser wäre es, ihnen zur Not längere Schulwege zuzumuten, wenn sie dafür dann in normal große oder kleine Klassen gehen könnten. Nur so würde auch der Lernprozess bei den Eltern von Grundschülerinnen beschleunigt, die immer noch vor allem dann ihre Kinder aufs Gymnasium zwingen, wenn sie ein gediegenes Dreier- oder Viererzeugnis nach Hause bringen. Und sich dann wundern, dass nun - wie schon vor Jahren von ehrlichen Gymnasien angekündigt - tatsächlich gesiebt wird vor der siebten Klasse.

Ich könnte mich zurück lehnen und entspannen, denn so ist das nun mal, so haben es Hamburgerinnen nun mal verdient, wenn sie mit absoluter Mehrheit eine Partei wie die SPD an die Regierung wählen. Zumal ich ja hinreichend informiert bin, meine Kinder vor diesem Desaster halbwegs zu bewahren (nicht aber meine Frau übrigens, die als Lehrerin mit einem Förderschwerpunkt genau diesen Kram gerade ausbaden muss).

Aber ich könnte trotzdem heulen, weil ich mich so sehr darüber ärgere, dass beide großen Probleme (und das sind nur die beiden, die ich direkt erlebe und beurteilen kann) wesentlich durch das Versagen im damaligen Regierungshandeln meiner grünen Schulsenatorin und ihres Schulreformkoordinators erst ermöglicht wurden.

Denn das Thema Inklusion, das an sich ein sehr grünes hätte sein können, da es eben um Inklusion geht, haha, hat sie einfach nicht wirklich bearbeitet im Eifer der Reformversuche. Was mit den Sonderschulen passiert, war nicht im Fokus. Versuche von Experten für Förderunterrichte, und seien es die Schulleiterinnen der damaligen Sonderschulen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, scheiterten damals bereits, wurden damals bereits offenbar - zumindest ist dies so angekommen bei denen, die es versucht haben - als Posteriorität im Vergleich zur Mammutaufgabe Primarschule gesehen. Und genau das rächt sich jetzt, weil jetzt die Austrocknung der Förderung möglich wird - und schon damals die Schulbehörde wider besseres Wissen aller, die sich jemals mit Inklusion beschäftigt haben, der Meinung zu sein schien, Inklusion könne kostenneutral eingeführt werden, ohne dass Kinder auf der Strecke bleiben.

Und für die Konsequenzen der radikalen Reformvorgaben an die Gymnasien (die ich ausdrücklich unterstütze und großartig finde und meine beiden Gymnasialkinder auch bewusst auf einem Gymnasium angemeldet bzw. dahin umgemeldet habe, das hier genau in diese Richtung schon sehr weit gekommen ist, das Walddörfer Gymnasium in Volksdorf) hatten weder die Senatorin noch ihr Koordinator einen Blick. Beispielsweise dass es zu Veränderungen im Anmeldeprozess kommen muss oder eben zu einem signifikanten "Aussieben" nach Klasse sechs. Im Vertrauen darauf, dass sie sechsjährige Primarschule in jedem Fall kommt, ist dieses Thema nicht bearbeitet worden - und hinterher dann erst Recht nicht mehr. Nun fällt es den Stadtteilschulen auf die Füße, was mehr als unfair ist.

Im Nachhinein muss ich meinem alten Lehrer und Schulleiter des Gymnasiums, in dem ich dann im Elternrat mitarbeitete, doch Abbitte leisten, den ich sehr ausschimpfte, als er Christa Goetsch nach den Versuchen, mit ihr zusammen zu arbeiten - und hey, er ist ein alter Linker und Grünen-Freund -, als blind für Fragen der Gymnasien bezeichnete und komplett unfähig, Gymnasien zu verstehen oder sich mit ihnen beschäftigen zu wollen, als aus seiner Schulleitungssicht schlechteste und uninformierteste Senatorin ever. Vielleicht hatte er nicht so unrecht wie ich dachte.

Und so sind die Trümmer eines an sich richtigen und richtungsweisenden Aufbruchs und Modernisierungsschubs an Hamburger Schulen einem populistischen, narzistischen Senator ausgeliefert, der von einem medial unterstützten Faktotum aus dem Elbvororten vor sich hergetrieben wird. Keine der Entscheidungen unserer Regierungszeit wurde durch konsequentes Verwaltungshandeln abgesichert. Und die ermüdende Überkommunikation von für Eltern, Schülerinnen und Lehrerinnen trotzdem auch dann noch weitgehend unverständlichen Ideen und Entscheidungen durch lange und zahlreiche Briefe der Senatorin an alle hat dazu geführt, dass die möglichen Verbündeten von Anfang an verprellt wurden und viele erleichtert waren, als dies vorbei war. Auch viele, die inhaltlich auf "unserer" Seite stehen und standen. Und die jetzt nicht mehr die Kraft haben, sich an der nächsten überforderten und für die Realitäten an der Basis oft blinden Behördenleitung abzuarbeiten.

Ich könnte heulen, dass die guten und wichtigen Aufbrüche durch Dilettantismus und kurzfristiges - und zumindest bei einigen wohl auch ideologisch beengtes - Denken und Handeln nun vor die Hunde gehen. Und ich bin ratlos, weil ich erlebe und sehe und zurück gespiegelt bekomme, dass wir Grünen, auch wenn viele von uns persönlich unbelastet von der Ära Goetsch sind, einfach keine Glaubwürdigkeit haben, wenn wir Veränderungen oder Reformen wollen. Und schon gar kein Vertrauen da ist, wir könnten es das nächste mal handwerklich, inhaltlich und kommunikativ besser machen.