18.1.12

Rettet das Web, bevor Apps es töten

Passend zum #SOPA-Aktionstag und zum gerade heute aktuellen Thema Freiheit hier die letzte Folge der Blogposts rund um meine sechs Ansagen für 2012. Es ist vielleicht die politischste, "ideologischste" These dieses Jahr. Aber eine, an der sich die Haltung zum Web entscheidet und in der es mehr als in allen anderen um die Zukunft geht. Alle sechs Teile und die Thesen selbst habe ich mit dem gleichen Stichwort versehen, so dass ihr sie hier zusammengefasst findet.
Das Web ist tot? Apps sind die Zukunft? Das will ich doch nicht hoffen. Es wäre eine schreckliche Zukunft, in der ich nicht leben, lesen, reden und arbeiten wollte. Apps (ob auf dem iPhone, anderen Smartphones oder auf Facebook) sind praktisch. Wenn ich eine klar umrissene Aufgabe für sie habe. Fahrpläne. Das Ausleihen eines Fahrrades. Die Uhrzeit in Tokio. Ein Einkauf in meinem Stammladen. Aber Apps haben nichts zu tun mit dem Internet. Weder mit dem Inter noch mit dem Net im Internet.



AOL (die Älteren werden sich vielleicht noch an den Namen erinnern) starb irgendwann unter anderem daran, dass es ein Silo war, das seine Nutzer einsperrte. Super praktisch, denn ich konnte alles machen, was AOL dachte, dass ich es will: Shoppen, Mailen, Chatten, Bankgeschäfte, Nachrichten lesen und so weiter. Nur rauslinken konnte ich nicht.

Das Internet lebt von Hyperlinks. Davon, dass hinter jedem Satz, jedem Stichwort, jedem Zitat potenziell eine ganze weitere Geschichte liegt. Nicht umsonst fahren die Onlinemedien am besten, auch wirtschaftlich, die das begriffen haben. Die auch auf Seiten verlinken, die nicht auf ihrem eigenen Server liegen. Die kein Silo mehr sind, sondern verstehen, dass jede, die ich wegschicke, umso lieber wieder zu mir zurück kommt. So wie ich lieber auf eine Party im Café gehe als auf einem Boot. Ich muss die Gastgeberinnen schon sehr gut kennen, um mich auf einem Boot einsperren zu lassen, so dass ich die Party nur dann verlassen kann, wenn sie entscheiden, mal anzulegen.

Um Nachrichten zu lesen oder Websites aufzurufen, brauchen wir keine App. Das geht genauso gut über eine gute Website, über eine, die auch auf dem kleinen Display meines mobilen Internetzugangsgerätes gut aussieht. Klar, wenn ich eine Website betreibe, die dem Anachronismus huldigt, auf 1024 Pixel Breite fest eingestellt zu sein, habe ich ein Problem, dann denke ich vielleicht über eine App nach, für Facebook oder für das iPhone. Aber wir reden hier ja über die Zukunft. Und nicht über das Jahr 2002.

Einer der großen alten Denker rund um das Web und Erfinder so kluger Dinge wie RSS (remember, those where the days) Dave Winer hat im Dezember sehr gut und schlank zusammen gefasst, warum Apps nicht die Zukunft sein können, egal, was die so genannten Technologie-Leitmedien schreiben:
The great thing about the web is linking. I don't care how ugly it looks and how pretty your app is, if I can't link in and out of your world, it's not even close to a replacement for the web. It would be as silly as saying that you don't need oceans because you have a bathtub. How nice your bathtub is. Try building a continent around it if you want to get my point.
Modernes Webdesign und moderne Technik hinter Websites ermöglichen uns, wunderbare Dinge zu bauen, die toll im Browser aussehen, ganz anders und trotzdem sehr gut auf dem kleinen Touchscreen in meiner Hand, und die großartig als Tab unserer Facebook-Seite funktionieren, wenn wir sie als iframe einbauen.

Im Grunde ist der App-Boom ja ohnehin absurd. Erst sagen sie, das Web werde omnipräsent und mobil und sozusagen das immer verfügbare Nebenbeimedium. Und dann schaffen sie das Netz und die Vernetzung ab und reduzieren das Thema auf Datenübertragung und Interaktion auf Displays?

Das Besondere am Internet ist sein eingebauter Hang zur Gleichheit aller Inhalte. Aus denen sich dann - nicht als Demokratie, aber im Kern schon als Meritokratie - die relevanten und besseren Inhalte herausschälen können. Hyperlinks untergraben die Autorität. Auch die von Apple. Oder des Spiegel. Oder der Marken. Apps dagegen sind autoritär. Denn sie entscheiden für ihre Nutzerinnen, was diese sehen, machen, erleben dürfen.

Kurzfristig mag es verlockend sein, als Unternehmen, als Marke, als Service auf dieses autoritäre Modell zu setzen, selbst wenn ich es nur als von Apple oder Facebook geliehene Autorität umsetzen kann. Aber schon 2012 wird der Gegentrend einsetzen und werden die Nachteile überwiegen. Denn hinter das verlinkte und verlinkende Internet kommen wir nicht mehr zurück. Und das ist auch gut so.

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