5.9.11

Rücksicht, Vorsicht oder Rückgrat?

Es ist schon etwas her, aber es macht mich immer noch ratlos. Also schreibe ich es - ohne eine Antwort zu haben, was ja bei mir eher ungewöhnlich ist - einmal hier rein. Denn ein Erlebnis eines meiner Söhne vor einigen Wochenenden lässt mich nicht los. Sein Freund und er wurden nur durch das beherzte Eingreifen einer Lehrerin mit viel Erfahrung mit Untersch Jugendlichen mit anstrengendem Sozialverhalten davor bewahrt, von mehreren Jungs in ähnlichem Alter im Freibad verprügelt zu werden.

Sie machten, was Jungs so machen im Freibad. Rumhängen, hin und wieder ins Wasser springen - und Mädchen hinterher gucken. Kann man doof finden, ist aber so. Nur dass dann einige andere Jungs sich ihnen in den Weg stellten, als sie da entlang schlenderten. Denn die meinten, mein Sohn und sein Freund hätten die Schwester des einen dieser Kerle angeguckt. Was wahrscheinlich wahr ist. Denn die schien ganz ansehnlich zu sein.

Dass eine Frau, auch mit Erfahrung im Umgang mit solchen Jugendlichen, dazwischen ging, war ein Glück und nicht selbstverständlich. Dass sie dann einige Zeit später verhindert hat, dass die Jungs einen von ihnen auf der Toilette verprügelten, noch weniger.

Meine erste Reaktion war: Ist ja auch schön blöd, einer Türkin hinterher zu gucken. Weißt doch, was da passiert. Und meine zweite Reaktion war: Das stimmt vielleicht aus Gründen der Vorsicht, aber irgendwie kann das nicht richtig sein.

Es gehört zur Sozialisierung von Mädchen dazu, dass sie lernen, sich gegen dumme Sprüche und Blicke zu wehren. Und egal welche Haarfarbe: Mir scheint, dass das den meisten, die das wollen, auch gut gelingt. Darauf können sich meine Jungs verlassen. Und sonst bekommen sie von denen eins auf die Nase, was ich ok finde (im weitesten Sinne).

Müssen sie Rücksicht auf die Wünsche der Brüder dieser Mädchen nehmen? Oder aus Gründen der Vorsicht darauf verzichten, sie anzugucken? Oder doch das Rückgrat haben, es zu tun, auch wenn sie vielleicht verprügelt werden, falls sie nicht schnell genug laufen können? Oder Freibäder meiden, weil da - wie es ein Freund von mir neulich formulierte - "eh nur Gesocks rumläuft"?

Würde der Bademeister ihnen helfen oder darauf hinweisen, dass sie ja nun wissen könnten, dass die Jungs da etwas empfindlich sind? Wieso habe ich genau das eigentlich zuerst gedacht, als ich von dem Vorfall hörte?

8 Kommentare:

  1. Bin ich jetzt wirklich schon konservativer als Du? Ich finde nicht, dass es ein Recht darauf gibt Mädchen anzugaffen - ob die türkisch sind oder nicht ist doch erstmal zweitrangig. Vielleicht fühlten die Mädchen sich ja belästigt und haben ihren Brüdern gesagt "Schafft die uns vom Hals".
    Ich finde zwar auch nicht, dass man deshalb gleich ne Schlägerei anfangen muss, aber ich finde, die Jungs müssen halt auch lernen, dass affiges Verhalten zu affigen Reaktionen führen kann.

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  2. Ich finde, daß affiges Verhalten zum Großwerden gehört, Schlägereien eher nicht.

    Ja, der Bademeister sollte wohl da das Hausrecht wahrnehmen und Grenzen setzen.

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  3. Christiane, nee, ich habe es ja durchaus ein bisschen verfremdet beschrieben. Glaub mir, die Jungs haben nicht mal mitbekommen, welches Mädchen da von ihren Brüdern in der Ehre geschützt wurde. (Wobei du Recht hast, dass sie mit Sicherheit affig waren, das glaube ich unbesehen, ohne selbst dabei gewesen zu sein).
    Meine Frage ist eher: Muss ich zurück weichen, wenn jemand aus seinem kulturellen Kontext heraus ein in meinem kulturellen Kontext normales Verhalten mit der Androhung von Schlägen quittiert...

    Sanníe - manchmal wohl sogar Schlägereien, aber nicht so gerne drei gegen eins oder so...

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  4. Sascha Stoltenow6.9.11

    Ja, ich schäme mich manchmal auch für meine chauvinistischen Reflexe, wenn das Projekt, meine Kinder gewaltfrei zu erziehen, von Menschen aus anderen Kulturen, in denen Gewalt durchaus eine Lösung darstellt, konterkariert wird. Was wir dagegen tun können? Nicht nur unsere Kinder, sondern auch die der anderen erziehen - in letzter Konsequenz durch den Staat.

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  5. Ich bin ehrlich über den strukturellen Rassismus Deines Beitrages erschrocken, den blanken Rassismus von Sascha S. in den Kommentaren finde ich zum Kotzen!

    Zum Thema:

    Der "Du hast meine Schwester angemacht..."-Variante des "Blauen Peter Dilemmas*", das man schon lange auf St. Pauli kennt, lange bevor wir uns vor ach so anderen Kulturkreisen schützen mussten, kann man nur mit zwei Strategien begegnen, so meine Erfahrung:

    Gerade machen: Beharrliche Freundlichkeit führt meiner Erfahrung nach oft zur Entspannung der Situation. Freundlich Nachfragen, was man denn missverstanden hat, wobei es hilft dem Gegenüber auch die Kosten einer Auseinandersetzung subtil deutlich zu machen. Bsp. Durch Hinweis auf die zahlenmäßige Unterlegenheit, und wie doof das aussehen würde, wenn man doch einen Lucky Punch landete.

    Oder Fersengeld geben. Nicht die schlechteste Variante.

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  6. Blauer Peter Dilemma:

    Ej, Du hast doch meinen Bruder im Blauen Peter angemacht!
    - ich kenne Deinen Bruder garnicht.
    Willst Du sagen mein Bruder lücht?

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  7. Hm. Erik, das macht mich nachdenklich (und das ist keine Floskel). Siehst du da wirklich strukturellen Rassismus? Hieße das auch, es ist struktureller Rassismus, wenn in Marokko von mir verlangt wird, keine Menschen zu fotografieren (ist mir damals passiert in den 80ern)?
    Ich hielte mich für eher sensibel bei diesem Thema, aber das hilft doch nicht davor, die Augen vor extrem problematischem Dominanzverhalten zu verschließen. Zumal ich schon noch einen Unterschied zum Blauen Peter sehe: Die Jungs in diesem Fall (ich habe eine sehr gute Quelle von vor Ort) wollten nicht "einfach Krawall machen", sondern meinten das wirklich ernst. Wollten also wirklich dies Respektding durchziehen.
    Ist es wirklich schon struktureller Rassismus, wenn ich nicht bereit bin, ein Respekt- und Reinheitskonzept zu akzeptieren, das jemand individuell haben mag, das aber (bisher) nach unseren impliziten Übereinkünften in dieser Gesellschaft eben nicht gilt?
    Und ist es tatsächlich struktureller oder anderer Rassismus, wenn ich durch Beobachtung und Schulalltag feststelle, dass dies bisher nur bei sich selbst als "Türken" oder "Afghanen" bezeichnenden Jugendlichen vorgekommen ist in unserer Gegend?
    Willst du also für Rücksicht plädieren? Oder für Vorsicht? Oder für Rückgrat? Oder ist schon diese Frage rassistisch? Oder ist die Annahme von Rassismus eigentlich rassistisch?

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  8. "Und ist es tatsächlich struktureller oder anderer Rassismus, wenn ich durch Beobachtung und Schulalltag feststelle, dass dies bisher nur bei sich selbst als "Türken" oder "Afghanen" bezeichnenden Jugendlichen vorgekommen ist in unserer Gegend?"

    Schwer zu sagen. Ich meine ja. Wobei ich hier immer nur die Wirkung einer Zuschreibung betrachten kann. Wichtig ist dann die Gegenmarkierung, denn die "Türken" beschreiben sich ja nicht erstmal selbst so, sondern werden beschrieben. Das andere, das normale, das Normen aufstellende ist dann das "Deutsche". (Wundert mich dann auch gar nicht, wenn dann in einem solchen Kontext "Respekt" eingefordert wird!)

    Die Reaktionen Deiner Leser, wie bspw. Sascha sind ja Beleg für das Wirken dieser rassistischen Strukturen. Aus denen kommen diejenigen, die sich "Türken" oder "Afghhanen" nennen auch nicht heraus.

    Ich musste sofort an tradierte männliche Rituale unter Heranwachsenden denken, als ich Deinen Bericht las. Diesen mit der Herkunft der Jungs zu begründen, ja das ist imho strukturell rassistisch.

    (Vielen Dank dafür, dass Du Dich nicht persönlich angegriffen fühltest ...!)

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