19.9.11

Die gehen nicht weg, die Piraten

Die Piraten, da stimme ich anderen ersten Analysen zu, werden nicht wieder verschwinden. Und wir Grünen haben zu ihrem Erstarken wesentlich beigetragen
  • durch extrem große Unsicherheit unserer medial wahrnehmbaren Vertreterinnen in allen Fragen des Internets
  • durch gute theoretische Programme, die sich in der politischen Praxis nicht glaubwürdig widerspiegeln, also nicht eingelöst werden
  • durch die relative Blindheit (kulturell und im politischen Handeln, nicht so sehr in der Programmatik) gegenüber den beiden Kernthemen der Piraten (Freiheit der Rede und Open Government)
Wir hören und lesen immer wieder, die Piraten seien ja im Grunde sozusagen eigentlich Grüne (oder müssten es sein). So wie die Grünen damals ja eigentlich Sozis gewesen sein sollen. Das Problem ist nur, dass unsere Erscheinung und unsere politische Praxis (nicht die Programmatik, denn wenn es um Programmatik ginge, würden auch die Piraten nicht gewählt) so weit von den Bedürfnissen von Piraten und Piratenwählenden entfernt sind, dass sie nicht mal eben "resozialisiert" werden können, wie Renate Künast abstrus formulierte, was ein interessant missglückter Scherzversuch sein sollte.

Rund um die Internet-Stopp-Schilder (kontraproduktives Minderheitenvotum aus der Bundestags-Fraktion), JMStV (totales Schlafen aller Regierungsfraktionen in den Ländern, vor allem HH und NRW) und Vorratsdatenspeicherung (keine über Insider hinaus wahrnehmbare Stimme oder Position) haben Grüne in den letzten Jahren Terrain verloren, ohne dass das nötig gewesen wäre. So wie ja auch die SPD. Weiterhin begegnen die "Piraten in den Grünen" vor allem kulturellen Vorbehalten - ablesbar an internen Diskussionen um Politikstil und transparente Kommunikation, bei denen grüne Piraten es nicht schaffen, mit den alten Bürgerinnenbewegten eine gemeinsame Linie zu finden.

Ohne den Piraten hinterher laufen zu wollen, ist aus meiner Sicht für Großstadtgrüne jetzt zweierlei nötig, um gerüstet zu sein, eine neu politisierte Gruppe von Menschen abzuholen, wenn sie sich von den Piraten wieder abwendet - oder ihnen auch vorher bereits ein alternatives Angebot zu machen. Dabei geht es nicht um flippige oder hippe Anmutung, sondern darum, die tiefe Enttäuschung, die uns nahestehende Gruppen empfinden, wenn sie unser Handeln und unsere Kommunikation analysieren, durch eine Veränderung zu überwinden.
  • Wir müssen Mechanismen finden, die verhindern, dass insbesondere Abgeordnete auf jeder Ebene, aber auch andere auffindbare Grüne, sich aus Unwissenheit oder Ignoranz entgegen unseren im Prinzip weitgehend akzeptablen Programmbeschlüssen äußern (passiert dauernd). Wir gelten als im Zweifelsfall unzuverlässig (oder - im Idealfall - inkompetent).
  • Wir sollten die zumindest in Hamburg (wie ist es eigentlich anderswo?) im Sande verlaufenen Ideen einer hochgradig transparenten internen Diskussion noch einmal aufgreifen und den Politikstil der Transparenz und die Debattenkultur noch einmal auf eine potenzielle Akzeptanz bei Piraten abklopfen. Und einen offensiven Kompromiss zwischen den sehr unterschiedlichen Gesprächskulturen suchen und versuchen, der mehr ist als ein kleinster gemeinsamer Nenner.
  • Ob es uns gelingt, Politik als Prozess der Partizipation zu verstehen und nicht als Volksbeglückungsprogramm, wird darüber entscheiden, ob wir mehr als ein Zwei-Generationen-Projekt einer spießigen oberen Mittelschicht sein können.
Update: An die Piraten, die hier vorbeisegeln -
lest unbedingt auch meinen letzten Blogpost über eure Generation:
Die arme Generation ;)

13 Kommentare:

  1. Die Piraten verkörpern in vielen Dingen einen Liberalismus, den ich so bei den Grünen übrigens auch nicht (mehr) finde. Das ist erfrischend.

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  2. Michael19.9.11

    Piraten wieder von ihrer neuen Partei wegeisen zu wollen, dürfte vergebliche Müh sein. Die "alten" Parteien haben nicht nur neue Fragen der digitalen Gesellschaft verschlafen, sondern bei den Piraten handelt es sich um eine regelrechte neue Millieupartei - des "digitalen Milieus". Warum sollten die freiwillig in Parteien mit anderen abweichenden Milleus gehen, wo sie doch jetzt ihre eigene Millieupartei haben. Der Zug ist abgefahren, Deutschland hat eine neue relevante Partei im Parteiensystem.

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  3. Die Grünen sond doch längst Establishment. Anstatt den Piraten Ihre unangepassten Revolutzer mit weltfremder Spartenaggitation zu neiden, kann diese Rolle gar nicht mehr von der Grünen Ehemaligenprotestpartei mit Regierungsverantwortung gespielt werden. Die Grünen sind nun Volkspartei und derbe erfolgreich. Für Piraten-Themen seid ihr längst zu schlapp und zu Pädagogenverseucht :-).- was soll's läuft doch gerade super. . .

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  4. Tja. Quo Vadis Grüne. Kaum sind sie etabliert, will sie keiner mehr.

    Im ernst, Das Problem "Grüne" oder nicht stellt sich nicht. Wir haben hier aktuell gerade massive Probleme mit der Einschränkung von Bürgerrechten im Namen des Terrors, wir werden zum Präventions- und Überwachungsstaat umgebaut und die Grünen, die was machen KÖNNTEN, gucken zu, lassen sich auf faule Kompromisse ein oder machen auch mal gar nix, weil sie nämlich überhaupt nicht blicken, was abgeht.

    Sowas wähl ich nicht. Punkt.

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  5. Tante Jay - neben dem (von mir ja als nachvollziehbar bezeichneten) Gefühl, dass dieser Vorwurf stimme: an welche Punkte denkst du KONKRET? also an welches konkrete Handeln/Abstimmen genau?

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  6. Zustimmung zum Afghanistankrieg. Was sollte das denn bitteschön, liebe Friedenspartei?

    Oder die Zumutungen von Hartz IV - da habt ihr in erster Linie mit versagt.

    Antworten auf die Euro-Krise abseits von "Merkel ist doof" suche ich bis heute. Ist doch toll, wenn der Euro so tief sinkt, dass er billiger ist als der Dollar. Toll für die Exporte. Unser Wirtschaftssystem fahren wir trotzdem an die Wand.

    Ich rege mich grad auf, glaub ich *g*

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  7. platzhalter, ich möcht ne email kriegen, wenn ein Kommentar reinplatzt. ;)

    Aber schön, dass wenigstens ernsthaft nachgefragt wird. Ich mein, Sebastian Edathys haben wir doch wirklich genug im Bundestag.

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  8. nur um das richtig zu verstehen, Tantchen Jay (falls du die gleiche bist wie "Tante Jay") - Afganistankrieg, Hartz IV und Merkel ist doof sind also das, was du konkret meinst mit "Einschränkung von Bürgerrechten im Namen des Terrors" und "zum Präventions- und Überwachungsstaat umgebaut", richtig?
    Oder sind das lediglich die ersten Dinge, die dir einfallen, um dein Vorurteil zu bestätigen?

    Weil ich mich - neben den Dingen, die ich im Blogpost schrob - nicht daran erinnern kann, dass und wie die Grünen Bürgerrechte eingeschränkt haben und einen Überwachungsstaat eingeführt, würde mich immer noch interessieren, dass mir jemand auf die Sprünge hilft.

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  9. Ja, bin dieselbe. Ich hab momentan ein bisschen Streit mit meinen Nicks. Aber Tantchen => Tante. ;)

    Eins vorweg: VERDAMMT zuwenig Platz.

    Abseits von allen Nitpicking-Argumenten, was man denn jetzt gemeint hat: Die Grünen sind für mich nach wie vor unwählbar geworden und das sage ich als langjährige Grünenwählerin.

    Der Atomausstieg - verwässert durch eine Vielzahl von Kompromissen und wie man ja jetzt an der CDU-Regierung sieht auch nicht wirklich wasserfest, sonst hätten die nicht so fix den Ausstieg vom Ausstieg propagiert. Richtige Alternativen, wie es ohne Atomkraft weitergehen soll finde ich aber auch nicht, oder hab ich die Konzepte überlesen?

    Afghanistan-Einsätze (ok, sagen wirs beim Namen: Krieg), wieso haben die Friedensgrünen dafür gestimmt, wieso zum Teufel HABEN wir Soldaten da unten? Und jetzt bitte mal was abseits der üblichen "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt"-Rhetorik (auch wenn die von der SPD kam).

    Das Terrorismusbekämpfungsgesetz mit Biometriedaten in den Ausweisen: Wurde mitgetragen.

    Geldwäschebekämpfungsgesetz: Mitgetragen

    Standortermittlung von Mobilfunkgeräten (aka Handys): Mitgetragen

    Einschränkung des Versammlungsrechts: Mitgetragen

    Abschuss von Passagierflugzeugen: Mitgetragen
    Und und und...
    Quelle: http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/B%C3%BCndnis_90/Die_Gr%C3%BCnen

    Erzähl mir nicht, dass die Grünen eine Bürgerrechtspartei sind. Sind sie nicht mehr.

    Hartz IV, Afghanistaneinsatz - das sind definitiv noch die Sahnehäubchen auf dem ganzen. Aber DAS wars nicht, wofür die Grünen mal standen.

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  10. Hah - zwei Gourmetstückchen hab ich ja noch vergessen:

    Verdachtsunabhängige Schleierfahndung im Inland: Mitgetragen

    Weitergabe der Fluggastdaten an Drittländer: Mitgetragen.

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  11. Jammer nicht rum. Werd Pirat.

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  12. Woher weißt du, dass ich das NICHT bin? ;)

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  13. Wenn ich schon den Namen "Piratenpartei" höre bekomme ich die absolute Kriese....

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